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Ttnrtsblatt. Donnerstag, 1.0. April 1913. Uom Kalkan. Zur Blockade der albanischen K li st e wird Henle aus Berlin gemeldet: Der Eindruck befestigt sich, das; die bisherigen M a s; n a h in e n der Demonstrationsslotte nicht a u s r e i ch e n und unverzüglich zu nächst auf die albanische Küste auüzudehnen sind. Das Bestreben Montenegros geht offen bar dahin, Skntari als wertvolles Kompensa tionsstück noch vor dein Friedensschluß in die Hände zu bekommen. Nach einer Londoner Mitteilung will man M o n t e n e g r o abermals eine F r i st geben, sich zu besinnen. Aus amtlichen Krei sen erfährt das Reutersche Bureau, daß jetzt vor geschlagen wird, binnen 3 Tagen die Blockade zu beginnen, falls Monte negro sich dein Wunsche der Mächte wicht fügt. Die Botschafter halten heute ihre letzte Sitzung ab. Sir Edward Grey wird in ein oder zwei Tagen London verlassen. Stutart hält sich. Essad Pascha, der Verteidiger von Stulari, trotzt deni Bombardement der Montenegriner und Serben. Die Belagerer konnten bis- lich von Tschanatdscha und Kastania an gegriffen. Unsere Truppen erwiderten den An griff und warfen die Bulgaren z u- r ü ck. Im Laufe des Montag entwickelte sich ein schwaches Jnfanteriegefecht zwischen feind lichen Truppen und türkischen Abteilungen, die gegen die Höhen nördlich von KuMburgas vor unserem linken Flügel vorrückten. Bei Bulair herrschte Ruhe. Am Montag lief die „Medschi- dijeh" mit nnigen Torpedobooten aus den Dar danellen aus und nahm den Kurs südlich Tene- dos. Einige von dort kommende feindliche Tor pedoboote ergriffen die Flucht. Konflittsstoffe zwischen Serbien und Bulgarien. Die Wiener „Neue Freie Presse" schreibt: „Ueber die serbisch-bulgarischen Gegensätze, von denen der russische Minister des Aeußeren Ssas- sonow in seinen letzten Aeutzerungen sprach, ver lautet in Wiener diplomatischen Kreisen: Bul garien hatte im Bündnisverträge Serbien den Besitz der nordalbanischen Küste versprochen. Da nun Serbien auf Grund der Abmachungen der Großmächte die nordalbanische Küste nicht Karte zum Tinrn: ans Tkuturi. her noch keine Erfolge erzielen. Die „Neue Fr.' Presse" meldet aus Antibari: Von wohlunterrichteter Seite wird mitgeteilt, daß die beiden Alliierten, Serbien und Montenegro, bis her noch keine einzige Position in der Um gebung Skutaris eingenommen haben. Hoffentlich schlägt auch die letzte Hosfnung König Nikitas, die Mächte durch die Eroberung der belagerten Stadt vor eine vollendete Tat sache zu stellen, fehl. Kämpfe zwischen Serben und Türken. Zwischen serbischen und türkischen Truppen haben n e u e K ä m p f e stattgefunden. Nach einem sehr heftigen Kampfe bei Liousme flohen di: Türken in Unordnung in der Richtung auf Figeri. Die serbischen Truppen besetzten Liousme und nahmen mehr als 1000 Soldaten und 18 Offiziere gefangen. Im Hospi tal fanden sich noch 7 Offiziere, eine Anzahl Verwaltungsbeaintc und 500 kranke türkische Soldaten vor. Der Gesundheitszustand der ser bischen Truppen ist sehr gut. Ein amtlicher türkischer Kriegsbericht besagt: Am Sonntag nach Mitternacht har der Feind unsere Stellungen auf den Anhöhen west ! erhalten wird, erhebt es andere A n- ispr ü ch e, die ihm Bulgarien streitig macht." Von großer Bedeutung ist es, daß Bulga rien bereits militärische Vorbereitungen trifft, die sich gegen seine eigenen V e r b ü n- 'dcten richten. So meldet die „Südslawische Korrespondenz" aus Sofia: Das Armeekom- mando nimmt umfangreiche Lruppenversckftebun- 'gen vor, die namentlich eine starke militärische Sicherung einzelner Punkte bezwecken, die unter den Bundesgenossen noch strittig sind. Drei Divi sionen werden in die okkupierten Gebiete gelegt. Hier scheinen sich also neue Konflikte vor- ' zubereiten. Auch ein Konflikt zwischen Griechenland nnd Italien ist im Ent stehen begriffen. Wie aus Paris gemeldet wird, ihat dort der Entschluß Italiens, bei Stampig- ilia (Astrophalia im Aegäischen Meer) unverzüg- lich eine neue Seedivision zu vereinigen und Gine zweite bereitzuhalten, um von Griechenland -Sen ausdrücklichen Verzicht auf die Festsetzung i in der Bucht von Walona zu erreichen, Beun ruhigung Hervorgernfen. Zurzeit bemühen sich j mehrere Großmächte, um von Griechenland wei tergehende Zugeständnisse in dieser Richtung zu "erlangen. ...... 1" I' Nr. 81. W U» Mil. rr. April l«ut. Das russische Hauptquartier bricht von Kalisch aus, um nach Sachsen zu gehen. Wie wenig der alte Fürst K utu - sow, der russische Oberfeldherr, geneigt war, schnell Erfolg zu suchen, sieht man daran, daß er in Kalisch fast zwei Monate geblieben war. An dieser Stelle eine Uebersicht der Zahl und Aufstellung der beiderseitigen Heere, die jetzt gegeneinander vorgingen: Oberfeldherr der französischen A r - m e e war bis zum Eintreffen Napoleons sein Stiefsohn Eugen Beauharnais. Sein Haupt quartier hat er bis zum 12. April in Leipzig. 1. Den rechten Flügel bildet das Korps des Divisionsgenerals Reynier in Dresden und Meißen. 2. Der Marschall Davoust führt das erste Armeekorps über Halle und Wittenberg ebenfalls nach Dresden. 3. In Torgau liegt eine Besatzung von >0 000 Sachsen, die in der Folgezeit zu dem sranzösischen Heere gehören. 4. Das zweite nnd elfte Armeekorps unter Marschall Vicror nnd General Grenier halten Wittenberg, Dessau, Aken besetzt. 5. Das Beobachtungskorps unter General ^anriston in und bei Magdeburg. 0. Der linke Flügel bei Hamburg, Lübeck, Bremen, Korps des Generals Pandamme. 7. Zwei Reservekorps und die kaiserlichen Garden werden in Mainz ergänzt. 8. Die Reserve aus Italien umer General Bertrand, noch in Tirol. Alles in allem hatte Napoleon jetzt wieder ein schlagfertiges Heer von 290000 Franzosen und Italie nern und 40000 Rheinländern ins Feld zu stellen. Im Rücken der Verbündeten hielt er die Festungen Danzig mit 20 000, Thorn mit 5500, Modlin mit 7000, Küstrin mit 9000, Glogau mit 5000 Mann besetzt. Span dau, dicht vor Berlin, befand sich ebenfalls in den Händen einer französischen Besatzung von ->140 Mann. Preußen hatte mit aller Aufopserung noch nicht mehr als 65 000 Mann in erster Linie ins Feld rücken lassen können. In zweiter Li nie wurden 47 800 Mann zum Einschließen der Festungen und in dritter Linie 23 610 Mann als Garnisontruppen in den wenigen in eigener Hand befindlichen preußischen Festungen ver wendet Ueber die Stärke des russischen Hee res läßt sich Sicheres nicht angeben, da bei vie len Abteilungen über Abgang und Zugang Li sten nicht geführt wurden. Die Hauptarmee, von den Russen damals aus 100 000 Mann an gegeben, betrug nicht mehr als 30 000 und setzte sich eben auf das noch etwa 16 bis 20 Tage märsche entfernte Dresden in Marfchk General Winzingerode stand in Dresden mit 12 000 Mann, Wittgenstein zwischen Magdeburg und Berlin mit 15 000. Zur Belagerung von Dan zig, Thorn, Czenstochau, Modlin, Küstrin waren etwa 60 000 Russen zurückgelassen. Außerdem waren als Parteigänger von ihnen entsandt: Die Kosiakenführer Tettenborn, Dörnberg, Cer- nitscheff, Harppe, Roth mit zusammen 9- bis 10 000 Pferden. M MlkMe Sitz m MM. Mit großer Genugtuung nehmen die eng lischen Blätter die Worte der Anerkennung auf, die der deutsche Reichskanzler dem Bestre ben Sir Edward Greys, den Frieden von Eu ropa zu wahren, widmete. Die Erklärung, daß Deutschland sich eins mit Eng land in diesem Bestreben fühlt, wird von den Blättern zustimmend ausgegriffen. „Daily News" war stets der Meinung, daß England sich nicht in den Streit mischen dürfte, ob Skutari in Zukunft montenegrinisch oder albanesisch sein sollte. Sir Edward Greys Rede lasse jetzt al lerdings kaum mehr einen Zweifel darüber, daß Europa die Wahl hakte, entweder dem Miniatur- slaat in den Schwarzen Bergen mit dem Stock zu drohen oder einen Krieg zwischen Rußland und Oesterreich zu erleben, der Hunderttausende von Opfern gekostet haben würde. „Daily Tele graph" sagt in seiner Besprechung der Rede des Reichskanzlers, daß, wenn Rußland seine histo rische Rolle als Protektor der Balkanstaaten wei ter spielte, deren Erfolge die Bedeutung von schweren Schlägen für das teutonische Element gewinnen würden. Deshalb müsse sich Deutsch land vorsehen, große Verstärkungen seiner Armee und die Befestigung seiner Ostgrenze unter nehmen. Das Urteil der Pariser Presse läßt sich viel leicht kurz in folgende Worte zusammenfassen: Deutschland glaubt, r ü ft en zu m ü s - sen, wir auch — und was man hört, ent ¬ spricht dieser Auffassung durchaus. Ueberall ver nimmt man, daß, wenn irgendetwas hätte dazu beitragen können, die Wiedereinführung der drei jährigen Dienstzeit in Frankreich sicherzustellen, dies die Worte des deutschen Reichskanzlers ge wesen seien. Sogar die linksdemokratischen und halb sozialistischen Organe wie die „Lanterne" stellen sich mittelbar auf diesen Standpunkt. Im allgemeinen billigt man die Worte des Kanzlers, wobei man es freilich nicht angenehm empfin det, daß er Frankreich als ein unberechenbares, zu chauvinistischen An- und Ausfällen neigendes Land hingestellt hat. Aber man zieht vor allem auch die Konsequenzen aus seinen Worten und faßt die Tatsachen ins Auge, die, so meint man einmütig, Frankreich zu gleich großen Rüstungen drängen. Der r ö m ische „Popolo Romano" meint, die hochbedeutsame Auslassung des deutschen Reichskanzlers, die an die bemerkenswertesten Darlegungen gemahne, die in schwierigen Au genblicken internationaler Politik Bismarck und Bülow von dieser Stelle gegeben haben, könn ¬ ten nicht mit ein paar kritischen Randbemerkun gen abgetan werden. Man müsse sie gründlich verarbeiten. Indes dürfe man wohl schon jetzt behaupten, daß die Rede mit den Ausführungen Sir Edward Greys zufammenwirken werde, um die allgemeine europäische Lage günstig zu be einflussen und den Balkanfrieden vor zu b e r e i t e n. Die „Vista" nennt die Kanz lerrede eine der wichtigsten staatsmännischen Aus lassungen, die Europa in dieser bewegten Zeit vernommen habe. Man könne sagen, daß kei ner von Bethmanns Vorgängen ehrlicher den Wunsch dargetan habe, einen Konflikt mit Frank reich zu vermeiden. Die Hauptbedeutung der Rede liege indes in den höflichen Worten, in denen das Vertrauen Deutschlands zur englischen Politik zum Ausdruck komme. Man könne nicht zweifeln, daß die Uebereinstimmung des Frie denswillens der Kabinette von Berlin und Lon don nicht nur bisher gefährlichen Komplikationen vorgebeugt, sondern bei schwierigen, durch den Balkankrieg heraufbeschworenen Problemen eine gerechte Lösung gefunden habe. Das Blatt Zweites Blatt. erkennt endlich freudig die Art an, wie Beth mann von den Verbündeten gesprochen habe. Der Kanzler habe die Sprache des offenen Ver trauens zu Italien wiedergefunden, das nicht weniger als die anderen Mitglieder des Drei bundes für den europäischen Frieden gewirkt habe. Die Reichskanzlerrede wird in Peters burg lebhaft besprochen. Es wird die große Offenheit und die gerade Festigkeit in der Hal tung des Kanzlers anerkannt, doch wird auch von Drohungen gegen den Panslawis - m u s gesprochen. Konservative Organe erklären, der höchste Leiter der äußeren Politik in Ruß land sei der Kaiser; die panslawistischen Demon strationen seien daher illoyal. Deutscher Heichstgg. Sitzung am 8. April. Die erste Lesung der Wehrvorlage wird fortgesetzt. Die Tribünen sind bei weitem nicht so stark besetzt wie geftern. Abg. Basserma n n (Natl.): Die geftri gen Ausführungen des Reichskanzlers waren ge tragen von der Erkenntnis des Ernstes und der Schwere der gegenwärtigen Lage. Ich glaube, man darf nicht allein die Verschlechterung der internationalen Lage auf die Ereignisse am Bal kan zurückführen, sondern man muß viel weiter zurückgreifen bis in die Zeit, wo'sich die Be Ziehungen zwischen Rußland und Deutschland verschlechterten und zunächst der Bund zwischen Frankreich und Rußland und dann die Triple- Entente dieser beiden Mächte mit England ent stand. Es ist doch klar, daß auf dem Gebiete der Stärkeverteilung der einzelnen Mächte durch den Balkankrieg eine wesentliche Aenderung eingetreten ist. An die Stelle der passiven Tür kei sind selbstbewußte slawische Balkanvölker ge treten, deren Auftreten besonders auf die mili tärische Lage unseres Bundesgenossen Oesterreich Ungarn von großem Einsluh sein wird. Der Reichskanzler wies aus die guten Beziehungen zur russischen Regierung hin. Es sind aber docki nach den Entrevuen von Potsdam und Baltisch- port Vorgänge zu verzeichnen gewesen, die nicht sehr erfreulich waren. Die gegenwärtigen rus sischen Minister haben auch bei den letzten Er eignissen immer ihre Friedensliebe betätigt; aber wir wissen nicht, ob nicht einmal die p a n- s I a w i ft i s ch e n Kreise in Rußland zur Herrschaft gelangen. Daß wir uns auf solche Möglichkeiten rüsten, wird uns niemand verargen können. Auch in Frankreich gewinnen die chauvinistischen Strömungen immer größeren Einfluß. Die Hoffnung, daß die Preisgabe Marokkos durch Deutschland eine Versöh nung mit Frankrei ch einleiten würde, ist gescheitert. Ich bezweifle die Richtigkeit der Behauptung des Abg. Haase, daß die Vor lage der französischen Regierung auf Verlän gerung der Dienstzeit die Antwort auf unsere Wehrvorlage ist. Ich glaube, daß diese Pläne der französischen Regierung schon weiter zurück liegen. Eine weitere Ursache der Verschlechte rung der internationalen Lage ist die i m pe ri a l i ft i f ch e Bewegung, die jetzt durch alle Staaten geht, welche Regierungsform sie auch haben mögen. Wir als junger Staat haben ja bei Erwerbung von Kolonien verhält nismäßig schlecht abgeschnitten, aber unsere Kosten für Soldaten und Steuern sind außer ordentlich gestiegen. Darin zeigt sich bei uns die imperialistische Strömung. Die internationale Lage ist jetzt dahin zu kennzeichnen: die Rei bungsflächen haben sich vermehrt, und die Kriegsgefahr ist eine permanente geworden. Abgk Haase meinte, wir hätten kei nen Anlaß, die österreichische Prestigepolitik zu unterstützen. Ich kann in der von Oesterreich im Balkankrieg beobachteten Politik alles andere er blicken, nur keine Prestigepolitik. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Oesterreich hat sich bei den Balkanereignissen sehr bescheidene Ziele gesteckt. Auch meine Freunde begrüßen die Bef serung unserer Beziehungen zu England. Es liegt uns gänzlich fern, die Wettstellung und Seegeltung Englands anzutasten. Die Wehrvor lage ist wohl nicht allein auf die internationale Lage zurückzuführen, sondern sie soll wohl auch Tinge nachholen, die vielleicht schon früher hät ten geschehen können. (Sehr richtig! bei den Natl.) Daß die Urteile des Polkes über diese Vorlage verschieden sind, hat schon der gestrige Tag gezeigt. Ich meine, daß unser Volk reif genug ist, die Gefahr der Lage zu erkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Unser Blick schweift zurück auf das Jahr 1813, aber auch auf das Jahr 1806, wo die stolze Armee Fried richS des Großen zusammenbrach. Die Ursache dieses Zusammenbruchs lag darin, daß die Re gierung nicht einsah, daß eine neue Zeit ange brachen war. (Rufe bei den Sozialdemokraten: „Genau wie heute!" Heiterkeit.) Auch heute sind wir in eine neue Zeit hineingewachsen, aus der Zeit der engen Kontinentalpolitik in die Zeit des Imperialismus und der Weltwirtschaft. Wir werden d e Vorlage bewilligen, weil wir in ihr