Suche löschen...
02-Zweites-Blatt Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 11.03.1913
- Titel
- 02-Zweites-Blatt
- Erscheinungsdatum
- 1913-03-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-19130311028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-1913031102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-1913031102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-03
- Tag 1913-03-11
-
Monat
1913-03
-
Jahr
1913
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
später als schwerer herausstellte. Der Neger wurde vom Gouvenreur zu zehn Jahren Ge- sängnis begnadigt. (Hört! hört! bei den bür gerlichen Parteien.) Der Gouvenreur teilte wei ter mit, das; die Lohnverhältnisse sür die wei- ßen Arbeiter im allgemeinen günstig sind. Die Verbannung der Hottentotten nach Kamerun war unbedingt erforderlich. Wenn sie dort das Klima nicht vertragen, müssen sie zurückgenom- men werden. Aus Ausführungen des Abgeordneten H o ch (Soz.) erwidert Staatssekretär Dr. Solf, daß die Interessen der Arbeiter berücksichtigt werden. Es ist eine Schleifschule in Hanan und in Ber lin eingerichtet worden. Die Resolution wird angenommen; eben falls angenommen wird eine Resolution, die eine Zurückführung der nach Kamerun versand ten Hottentotten in ihre südwestafrikanische Hei mat fordert. Beim Etat für Kiantschou weisen die Abgg. Heckscher (Volksp.) und Nacken (Zentr.) auf die erfreuliche Entwicklung dieser Kolonie hin. Staatssekretär v. Tirpitz erklärt sich zu jeder Förderung der deutschen Schulen in China bereit. Die Etats der Kolonien werden erledigt. Präsident K aemps : Ehe ich die Sit zung schließe, fühle ich mich gedrungen, den Gedenktagen, die demnächst beginnen wer den, ein Wort zu widmen. Die Erinnerung an jene glorreiche Zeit vor 100 Iah- r e n gilt der Gesetzgebung von Stein und Har denberg unter Friedrich Wilhelm dem Dritten, die das Vo.k innerlich befreit und zu großen Leistungen befähigt l>at. Sie gilt den Gesetzen von der allgemeinen Wehrpflicht auf Grund des Scharuhorstfcheu Gedankens des Volksheeres. Sie gilt den begeisternden Aufrufen: „An mein Volt" und „An inein Kriegsheer". Sie gilt der Opfersreudigkeit und den Opfern, mit denen zu jener Zeit alt und jung, arm und reich sich betätigt hat. Sie gilt dem ersten Aufflämmen des deutschen Gedankens (Beifall), und wenn von diesem ersten Aufflammen des deutschen Ge dankens bis zur Errichtung des Deutschen Rei ches der Weg hart und dornenvoll war, so steht das eine fest, daß nunmehr endgültig wir alle leben unter dem schwarz-weiß-roten Banner, das uns behütet. Meine Herren! Angesichts dieser Tatsachen feiert das Deutsche Reich zusammen mit dem preußischen Volke und dessen König freudig diese Gedenktage an den Völkerfrühling in Deutschland. (Lebhafter Beifall bei den bür gerlichen Parteien, die sich von den Plätzen er hoben haben; die Sozialdemokraten sind sitzen geblieben.) Der Präsident entläßt das Haus mit einem Ostergruß in die Ferien. Schluß 7^ Uhr. Nächste Sitzung: Mittwoch, den 2. April: Antrag Ablaß über die Fidei kommisse. Petitionen. Sschlilchks. Hohenstein-Ernstthal den 10. März 1913. —: Im Altstädter Schützenhause sprach am Sonnabend abend in einer öffentlichen politischen Versammlung Frau Re gina Ruben aus Berlin über das Thema „Der Kampf der Frauen um die po litische Gleichberechtigt: n g". Es mochten etwa 70 Personen anwesend sein — kein Wunder, wenn sich die Referentin entäuscht fühlte. Rednerin nahm zunächst Bezug auf die letzthin im Deutschen Reiche abgehaltenen zahl reich besuchten Demonjtrationsversamlrllungen für das Frauenwahlrecht: eine Demonstrations Versammlung könne die heutige wegen ihres schwachen Besuchs nicht sein, inan könne sie daher nur als eine Frauenversammlung bezeich nen. Eingehend verbreitete sich Frau Ruben über die fünfte Forderung des sozialdemokrati schen Programms, wonach alle Bestimmungen ausgehoben werden sollen, nach denen die Frau dem Maune in öffentlicher und zivilrechtlicher Beziehung nachsteht. Die Rechte bzw. das Feh len der Rechte der Frau in den früheren Jahr Hunderten behandelte Rednerin sodann, verbrei tete sich ausführlich über die kirchlichen und staatlichen Einrichtungen und legte dar, wie die Einführung des Frauenwahl- und Stimmrechts eine Besserung der heutigen Verhältnisse herbei führen könne. In allen staatlichen und kom munalen Einrichtungen müsse die Frau dem Manne gleichberechtigt sein. Das Strafgesetzbuch beurteile die Taten beider Geschlechter gleich, nur die Rechte der Frau seien überall beschnit ten, sie sei zum Fron verurteilt, zwei erwerben den Männern stehe in Deutschland eine erwer bende Frau gegenüber, es werde nicht lange dauern, bis das Verhältnis das gleiche gewor den sei, und dann sei die Frau dasselbe Ar beitstier geworden wie der- Mann. Es sei die höchste Zeit, daß die Frauen beginnen, sich po litisch zu betätigen, zumal sür die Anwerbung der indifferenten Schwestern. Beim Schöffenge richt, beim Jugendgericht und bei den Institu tionen der Industrie, überhaupt aus allen Ge bieten fehle zuni Schaden des Ganzen — das sei von vielen Seiten anerkannt worden -- die Frau, die in vielen autzerdeutschen Staaten schon zum Vorteil der Staatswesen das Wahl recht habe. Rednerin wies aus das Beispiel der Barbara Uttmann hin, der man in Annaberg ein Denkmal gesetzt habe, weil sie das Spitzen klöppeln erfand (einführte! D. Ned.) und so den Armen Erwerbsgelegenheit gab. Dann kam die Referentin aus die Teuerung, aus die ge genwärtig herrschende Fleischnot zu sprechen, da bei die Oeffnung der Grenzen für die Viehein fuhr fordernd. Haarsträubende Szenen wußte sie zu erzählen von Arbeitern, die sogar dis vergra benen Körper verendeten Viehes wieder aus gruben, um nur einmal wieder Fleisch zu schmecken. An all der Teuerung sei nur die schwarz-blaue Majorität im Reichstage schuld, die sich zusammensetze aus Junkern, Pfaffen und Großindustriellen. Am Hofe lebe man üp pig, das Volk dagegen habe nichts zu essen, man bedenke „da oben" nicht, daß alle Völker Revolutionen mit solchen Teuerungen Hand in Hand gegangen sind. Das Leben der Frau als Fabrik oder Heimarbeiterin sei überhaupt kein Leben mehr, nur höchst selten erreiche sic das biblische Alter von 70 Jahren. Notwendig sei die Mutterschaftsversicherung ün Rahmen der Krankenversicherung, aber in allen Lagen ver nachlässige der Staal die Frau. Mit 6 Jahren sei das Proletarierkind auf keinen Fall fähig zuni Schulbesuch, und dann fehle es meist an Schulärzten. In Sachsen gebe es Klassen mit 120 Kindern — was könnten diese da bei den heutigen Lehrplänen lernen, die zur Hälfte von Christelei und Frömmelei eingenommen seien? Schon seit 25 Jahren sei in Frankreich die Schule von der Kirche getrennt, man übe dort den einfachen Moral-Unterricht und die Kinder gedeihen dort prächtig. Der deutsche Unternehmer wolle den Arbeiter so dnmm wie möglich ha ben. Auf dem Posten müßten die deutschen Mütter dagegen sein, daß die Schulentlassenen »licht der bürgerliche»! Jugerrdpflege in die Hände falle. Bon der Kirche, die es nur mit den Reichen halte, müßte sich jede sozialdemokratische Frau abwenden; die Austritte aus der Kirche müßten viel zahlreicher als bisher erfolg«»«. Die Frau wie die Heranwachsende Tochter müsse hinein in die sozialdemokratische, in die gewerk schaftlicht- und in die genossenschaftliche Organi sation. Die Sozialdemokratie wolle keinen, völkermordenden Krieg, ihr einziger Feind sei der Kapitalismus. Unsern Kindern müssen wir, so schloß Rednerin, eine bessere Zukunft schaffen als sie uns beschieden war, darum müssen wir vor allen» eintreten für das allgemeine gleiche direkte und geheiine Wahlrecht für Mann und Weib! Dann fand eine Resolution An nahme, in der erklärt wird, daß die Frau in ihrer rechtlosen Stellung schwer belastet sei; mit Rücksicht auf ihre Leistungen im Produktions prozeß, auf ihre Pflichten als Mutter und Hausfrau müsse sie politische Gleichberechtigung »nit dem Manne fordern. Die Versammlung verspricht, für die Einführung des Allgemeinen gleichen und direkten geheimen Wahlrechts für alle Staatsbürger beiderlei Geschlechts zu wir ken. Nachdem Frau Drescher gefordert, daß die Frauen sich in Massen der Sozialdemo kratie anschließen sollten, meinte sie, daß die lveib- Kchrn So-Utldrmokrattn genau so gefürchtet seien wie die männlichen, denn sie klärten die Kinder auf; sie beklagte die Konkurrenz, die die Frau dem Manne in der Industrie mache, und warb für den hier bestehenden Frauenklub. Herr H e r b st brach eine Lanze für den sozialdemo kratischen Jugendbund — die bürgerliche Jugend pflege mit ihrem Hurrapatriotismus tauge nichts — und dann sprach die Referentin ihr Schluß wort, in den« sie für die Frauenzeitschrift „Gleichheit" Propaganda »nachte. — Lirschheim, 9. März. Der Landwirt schaftliche Verein Tirschheim und Umgebung hielt Donnerstag abend im Gaschos „Zur Katze" sein 65. Stiftungsfest ab, das sich eines sehr guten Be suches erfteuen konnte. Die Tafel wurde durch Ansprachen ernsten und heiteren Charakter- gewürzt und während derselben konzertierte die Schubertsch« Kapelle. Einige Tafellteder sorgten für gute Stirn» mung, die dem« auch, als der Ball begann, in reichem Maße vorhanden »var. — Stollberg, 9. März. Zu dem vom 19.—21. April in Stollberg statlfindenden LaudeS- posaunenfest sind bis jetzt 48 Posaunenchöre ange meldet mit zusammen 438 Bläsern, darunter 19 aus Hohenstein-Ernstthal. Die Ankunft der Bläser erfolgt ain 19. April, die Morgenmusiken beginnen Sonntag einhalb acht Uhr aus allen Plätzen der Stadt, die FestgotteSdienfte finden in der Jakobi kirche und in der Turnhalle statt, Festprediger sind Pfarrer Hilpert auS Dresden und Pastor Lösch« auS Wurzen, die große Marktmusik findet nach dem Gottesdienste vor Alban Tränkners Haus statt: die Festversammlungen um 3 und um 8 Uhr im „Bür- gergartcn", am Montag vormittag wird Morgen - andacht in der Marienkirche gehalten, dann geht cS mit Zug bis Oberdorf, zu Fuß nach der Prinzen- höhle und Hartenstein, dort am Denkmal Paul Flemmings findet die Schlußmusik statt und dann die Heimkehr in eines jeglichen Heimat. — 9. März. Sonnabend abend 6 Uhr ist in einem Hause an der Andrästraße daS 20 Jahre alte Dienstmädchen Marie Martha Kußko beim Wäschemangeln dadurch tödlich verunglückt, daß eS unter die elektrische Mangel geriet und ihr der Brustkorb eingedrückt wurde. Die Bedauerns werte war zu dieser Zeit allein in der Mangelstube. — Leipzig, 9. März. Nach Unterschlagung «io«S Wertbriefes, der 10 Schecks in Höh« von 11000 Mark enthielt, war ein bet einer hiesigen größeren Firma angestellter Buchhalter geflüchtet. Die Spur de» Flüchtlings, der bereits die Beträge einiger Schecks eingezogen hotte, führte nach Köln. Dort wurde der ungetreue Angestellte auf Ersuchen der Leipziger Kriminalpolizei jetzt feftgenommen. Die Firma, bei der der Mann in Stellung war, dürste nach den neuerlichen Feststellungen nur um eine ge- ringe Summe geschädigt worden sein. — Meitze«, 9. März. In der Nähe von Niederau sprang ein junger Mann aus Freiberg, der sich behufs Stellung zum Militärdienste in seine österreichische Heimat begeben wollte, auS dem in voller Fahrt befindlichen O-Zuge. Er hatte in Dresden einen falschen Zug bestiegen, der nach Berlin fuhr. Der rvaghalsige junge Mann fiel in den neben dem Gleise hcrlaufenden Wassergraben und kam auf diese Weise ohne Verletzungen davon. Wäre der Sprung nur einige Sekunden später er folgt, so wäre dem jungen Manne am Eingänge des Oberauer Tunnels der Kops zerschmettert worden. MkUkttes vom Lagt. * Eine sehr peinliche Verhaf - k ii » gsasfäre hat sich in Karlsruhe abge spielt. Auf der russischen Gesandtschaft, beim Ministerresidenten Staatsrat Grafen Brevern de la Gardie war aus Anlaß der Romanowfeier eine Galatafel angesetzt, zu der auch der ruf fische Konsul in Mannheim, Herr v. Zurmüh len, eine Einladung erhalten hatte. Als der Konsul nun vormittags auf dem Karlsruher Hauplbahnhos eintraf, hatte er zu Ehren des Tages seine große Staatsuniform angelegt, zu der er auch einen Degen trug. Um Aufsehen zu vermeiden, hatte er schwarzen Zivilpaletot angelegt und dazu einen steifen, schwarzen Hut aufgesetzt. Der breite, rote Streifen an der Hose und die Degenspitze wurden jedoch nicht ganz durch den Paletot verdeckt, und so kam es, daß Herr v. Zurmühlen bei seiner Ankunst auf den, Bahnhof den Verdacht der Bahnhofs Polizei erregte, die ihn kurzerhand verhaftete. .Herr v. Zurmühlen wurde zu der für die Ga latasel angesetzten Zeit vergeblich erwartet. Eine Stunde späte!' konnte er sich der Behörde ge genüber genügend ausweisen, sodaß seine Frei lassung erfolgte. * S e l b st >n o r d eines deutschen T o u r i st e n p a a r e s in Dänemark. Im Eisenbahnhotel zu Nyköbing aus der Insel Falster wurde von den Hotelbediensteten ein deutsches Ehepaar tot aufgefunde», das im Ho tcl adgestiegen «var. Der Mann war etwa .50 Jahre alt und die Frau -0 Jahre. In das Fremdenbuch hatte sich das Paar als Ingenieur Richard Gröning und Frau aus Leipzig einge tragen. Auf den« Tisch lagen drei Briefe. In dem einen an die Polizei gerichteten Briefe bittet Gröning diese, ihre Namen nicht zu ver öffentlichen. Ferner wird die Polizei ersucht, einem im Briefe genannten, bekannten Berliner K.rpellmcister von dem Selbstmord Mitteilung zu mackp'n. Ueder das Motiv der Tat gibt der Bries keine Aufklärung. Der zweite Bries enthält ein Verzeichnis der Wertgegenstände und Barmittel des Paares. Im dritten Briefe er klärt die Begleiterin des Ingenieurs Gröning, daß sie Gist genommen habe. Um aber des Todes gewiß zu sein, habe sie Gröning ge beten, sic auch noch zu erschießen. Gröning halte diesem Briefe mit Bleistift hinzugefügt, daß er ihren Wunsch erfüllt habe. „Hereugold". Roman von H. C ourths Mahler. 9 t (Nachdruck verboten.) Graf Ravenau hatte Befehl gegeben, Herrn von Gerlachhausen in sein Arbeitszimmer zu sichren. Dort saß der alte Herr mit zusammen- gepreßtem Munde und sinnenden Augen und ivartete auf den angekündigten Besucher. Im Geiste suchte er sich seine Enkelin vor- zustellen. Wenn er nur erst wüßte, ob sie ihrer Mutter ähnlich sei, ob sie namentlich die unheil vollen schwarze»» Augen derselben besitze! Er erhob sich plötzlich und verließ das Zimmer. Schneller als sonst durchschritt er die von langen Galerien durchschnittene große Halle. .Hier hatte Jutta mit ihrem Dackel gespielt, wenn schlechtes Wetter herrschte und sie nicht im Park herumtollen konnte. Er warf einen Blick in diese breiten Gänge, als er die Treppe eniporstieg. Auch in der ersten Etage befand sich eine solche Galerie — die doppelt so lang war, da sie nicht durch die Halle unterbrochen wurde. In dieser Galerie hingen die Porträts seiner Vor fahren. Sie führte vom östlichen Turn» bis zum westlichen, den Gespensterturm. Die Tür, di« von hier in diesen führte, sollte sich — so behauptete das Schlotzgesindc — zuweilen um Mitternacht geheimnisvoll öffnen, obwohl Jett chen Wohlgemut der» Schlüssel dazu verwahrte. Dann erschien auf der Schwelle eine schwarzge kleidete Frauengestalt mit weißem, totcnähnlichem Gesicht und Blutflecken au den schlanken weihen Händen. Sie glitt — meistens in Vollmond nächten — die Ahnengalerie entlang, die Treppe hinab durch die große Halle in den Schloßhof, woran das geschlossene Portal sie nicht verhin derte. Im Hof schwebte sie bis zum Drachen brunnen, dessen Wasserstrahl sie über die blutbe- jlcckten Hände fließen ließ. Dann huschte sie hin über zur Schloßkapelle und rüttelte an der Tür, die indes widerstand. Verzweifelt rang sie die Hände, bis sie zum Schluß der Geisterstunde auf demselben Wege zum Gespensterturm zurückkeh ren mußte, in dem sie verschwand. Der eine oder andere von den Bediensteten wollte der Gestalt begegnet sein. Aber alle be v haupteten, zmveilen aus dem Gespeusterturm Stöhnen und Wimmern gehört zu haben, das so grausig klang, als befände sich ein Mensch in höchster Todesnot. Es half nichts, daß Jettchen Wohlgemut energisch gegen solchen „Unsinn" zu Felde zog; hinter ihren, Rücken erzählten sich die Leute im mer wieder die gruseligen Geschichten, und wenn Frau Wohlgeinut „Großreinemachen" in» Gespen sterturm ansetzte, gab es jedesmal erst Jammern und Wehklagen, ehe die Mägde ihr mit Besen und Scheuertüchern in das angebliche Gespenster reich folgten. Graf Ravenau wußte um diese Spukgeschich ten, ohne mehr als ein Achselzucken dafür zu haben. Wie sie entstanden, wußte niemand. Später durchforschte er eininal die alten Chro niken seines Geschlechtes nach einein Anhalt für das Entstehen dieses Gerüchtes und entdeckte folgendes: Ein Graf Roderich Ravenau war in dein Gespensterturm eines Tages ermordet aufgefuu den, anno 1680. In seiner Brust steckte ein seiner zierlicher Dolch, der seiner Gattin, der Gräfin Katharina Charlotte, gehörte. Diese — eine geborene Prinzessin Twiel — wurde des Gattenmordes beschuldigt, ehe man aber gegen sie vorgehen konnte, hatte sie sich selbst entleibt -- mit demselben Dolch, der ihren Gatten ge tötet. Ihr eigener Sohn glaubte an die Schuld der Mutter und schrieb diese Historien nieder. Die Seele der Gräfin Katharina Charlotte sollte nun keine Ruhe iin Grabe gefunden haben und verdammt sein, ruhelos innherzuwandeln, bis der letzte Ravenau in der Familiengruft beige- setzt sein werde. — — Graf Rudolf schritt langsam die Galerie hin ab, von Bild zu Bild. Vor manchem blieb er eine Weile stehen, als »volle er sich die Züge einprägen. Vor allein die Porträts der Frauen seines Hauses sah er forschend an. Alle hatten Helle Augen, blaue oder graue, die meisten braunes, nur wenige lichtblondes Haar. Schwarze Augen besaß keine dieser Gräfinnen von Rave nau — keine. Doch halt! Gras Rudolfs Fuß stockte, und sein Blick heftete sich düster aus ein Frauenpor trät, das unweit des Eingangs zum Gespenster- mrm hing. Es trug die Ueberschrist: „Katha rina Charlotte, geb. Prinzessin.Twiel. Gebo ren den 13. März 1649. Gestorben den 21. Juli 1680." Der alte Herr sah in die seine» kapriziösen Züge diese» erlauchten Frau. Sie »var ihrer Abstammung nach die vornehmste unter den Gräfinnen vor» Ravenau. Das blass? Antlitz verriet einen leidenschaftlichen Charakter. Die roten Lippen leuchteten »nie Blutstropfen aus deni weißen Gesicht. Er stand und bohrte die Blicke hinein in diese schwarzen Augen, und da stieg ein anderes Frauendild vor seinen, Geiste auf, das der Gat tin seines Sohnes. Auch sie besaß solch schwarze Augen — und auch sie ermordAe den Gatten, wenn auch nicht mit eigener Hand. Mit müden Schritten ging er zurück. Vor den beiden letzten Bildern an der Wand neben der Treppe blieb er nochmals stehen. Das eine, das Porträt seines Sohnes, von dem eine Ko pie unten in seinem Arbeitszimmer hing, das andere das seiner Gattin Ulrike. Es zeigte feine, seelenvolle Züge, tiesdlaue Augen, »vie die des Sohnes, einen schön geschwungenen, zarter, Mund und wundervolle, schlanke Hände, die leicht verschlungen im Schoße ruhten. Lange sah Graf Rudolf in das liebe Frau engesicht. Ein Seufzer entstieg seiner Brust. Unten in der Halle traf er Frau Wohlge mut. Er ersuchte sie, »nit ihm ins Zimmer zu treten. „Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen, Frau Wohlgemut." Sie trat mit ehrerbietigem Knix ins Ge mach und blieb an der Tür stehen. Einigemal ging der Graf im Zimmer auf und ab. Schon glaubte sie, er habe ihre Anwe senheit vergessen und wollte sich gerade respekt voll räuspern, als er plötzlich vor ihr stehe»» blieb. „Welche Zimmer im Hause eignen sich ain besten als Wohnung für eine junge Dame?" fragte er in seiner halblauten Sprechweise. Jettchen Wohlgemut wäre vor Schreiten beinahe zu Boden gesunken. Ihr altes Herz klopfte heftig. Eine junge Danie? Damit konnte dock, mir ihr liebes Komleßcheii gemeint sein. Die gute Atte schluckte krampfhaft, dann sagte sie stotternd: „Alle Zimmer, Euer Gnainm brauchen nur zu befehlen!" „Alle Zimmer dürften sich wohl nicht dazu eignen, Frau Wohlgemut. Sie haben mich wohl nicht verstanden. Ich meine die Zimmer, dic sich für meine Eickelin, Komtelse Jutta, zur Wohnung eigne» würden." Jettchen Wohlgemut Ivar das Blut in das Gesicht gestiegen. Ihre Hände zitterten. „Tie Zimmer, die sich über denen des Herrn Grafe,, befinden, im ersten Stock, dürften sich wohl am besten dafür eignen", sagte sic endlich, ohne zu verraten, daß sie seit Jahren schon diesen Gemächern die liebevollste Fürsorge an gedeihen ließ, weil sie immer daraus wartete, daß Komtesse Jutta sie eines Tages beziehen würde. Der Graf wandle sich ihr wieder zu. „So, meinen Sie? Sind sie dem, voll ständig eingerichtet?" »Ja, Euer Gnaden. Ich habe sie regel mäßig reinigen und listen lassen." „Schön. Nun aber weiter! Unter unserem weiblichen Personal befindet sich woifi kaum eine Person, die Komtesse Jutta persönlich be dienen kömite. Ich meine eine Jungfer, die einer voniehmen Dame bei der Toilette behils lich zu sein versteht." „Nein, Euer Gnade», das sind alles nur Mägde für Hausarbeit." „Hm! Dan», müssen Sie schleunigst eine solche Person engagieren. Das beste ist, Sie annoncieren in den Zeitungen der Hauptstadt. Seidelmann kann Ihne» die Annonce aufsetzen. Das Engagement überlasse ich Ihnen. Sorgen Sie dafür, daß eine geeignete Persönlichkeit in zwei bis drei Wochen in Ravenau eintrifft. Sie muß dann von hier aus mit Seidelmann »ach Gens reisen, um der Komtesse auf der Heim reise zur Verfügung zu stehe». Ich verlasse mich auf Sie, Frau Wohlgemut, und gebe Ihnen vollständig freie Hand." Jettchen Wohlgemut knixte wieder wortlos zum Zeichen, daß sie den Auftrag ausführcn werde (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite