Suche löschen...
02-Zweites-Blatt Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 19.02.1913
- Titel
- 02-Zweites-Blatt
- Erscheinungsdatum
- 1913-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-19130219025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-1913021902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-1913021902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-02
- Tag 1913-02-19
-
Monat
1913-02
-
Jahr
1913
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
schränkte Anerkennung aus für ihre in der letzten Landtagsperiode bewiesene einmütige und geschlossene Haltung, vor allem sür ihre Stellung in der Volksschul- frage. Er hofft, daß es gelingen wird, die unbedingt notwendige Fortbildung un seres Volksschulwesens baldmöglichst durch zusetzen, die diesmal zu seinem lebhasten Bedauern an dem Wider st an de der Konservativen der Ersten und Zwei ten Kammer gescheitert ist. Noch ein Zentrums Wctterl6. Herr Wetterlee hat sich dem elsaß-lothringi schen Zentrum, dem er angehört, nicht verpflich ten wollen, sein Mundwerk in Zukunft mehr im Zaume zu halten. Er sieht offenbar die Not wendigkeit dazu nicht ein, da der Ehrenvor sitzende der reichsländischen Zentrumspartei, der frühere Abgeordnete Langel, nicht minder wilde Reden führt als Herr Wetterlee. Herr Langel hat nach dem „Berl. Tgbl." dieser Tage in Belfort einen Vortrag gehalten, in dem er u. a. folgendes sagte: „In Belfort hat El saß den kostbaren Schatz seines Vertrauens in die Zukunft niedergelegt. Für uns ist Belfort wie eine Hochburg, wo wir unsere heiligsten Er innerungen und teuersten Hoffnungen eingesch.os- sen haben, vor der Sie, unsere Brüder, Wache halten. Elsaß kann nicht vergessen, daß es mit Frankreich vereint war, und der Vergleich mit den deutschen Sitten, wie die Behandlung, die ihm die brutalen Sie ger auferlegen, kann im Volke nur die Ueber- zeugung der Ueberlegenheit der französischen Kultur tiefer verankern. Der Frankfurter Ver trag rühmt sich für die Ewigkeit zu sein. Viel leicht findet Elsaß-Lothringen, daß die Ewig- §eit schon zu lange gedauert hat." Das ist noch viel deutlicher gesprochen, als es sogar ein Wetterlee gewagt hat. Deutlich genug jedenfalls, um Herrn Langel am Kragen zu fassen. Wenn gemeldet wird, daß die reichs- Ländifche Regierung wegen der Rede eine Unter suchung eingeleitet habe und daß eine A n - tlagc wegen Hochverrats zu er warten sei, so kann man dieser Aktion nur den besten und kräftigsten Erfolg wünschen. Amtsenthebung eines sozialdemokratischen Gemeinderatsmttgliedes. Die Amtshauptmannschaft Löbau hat den Sozialdemokraten Wilhelm Lucke in Neu gersdorf bis auf weiteres seiner langjährigen Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied enthoben, nachdem die Staatsanwaltschaft zu Bautzen ge gen ihn eine Untersuchung wegen Urkunde n- älschung eingeleitet hat. Während des letz ten Gemeindsratswahlkampfes in Neugersdorf «schien in der „Oberlausitzer Dorfzeitung" eine Anzeige, worin das ausscheidende Gemeinderats mitglied Zachmann, das Vertreter der zweiten Klasse der Ansässigen war und eine Wiederwahl «-lehnte, zur Stimmenabgabe für den sozialde mokratischen Kandidaten ausforderte. Das Ge meinderatsmitglied Zachmann hatte die Anzeige ober gar nicht aufgegeben, ihre Veröffentlichung auch nicht veranlaßt. Der seines Amtes ent hobene Sozialdemokrat Lucke wird jetzt beschul digt, die Anzeige verfaßt und in die „Oberl. Dorszeitung" geschmuggelt zu haben. pus dem Duslandt. Frankreichs „neuer Mann". Am heutigen Dienstag wird in der Seine stadt die Einsetzung des neuen Staats chess unter feierlichem Gepränge vor sich gehen. Nach der Uebergabe des Amtes durch den Präsidenten Fallieres an seinen Nachsolger begeben sich der alte und der neue Präsident im Galawagen, begleitet von sämtlichen Ministern, nach dem Rathause, wo in Anwesenheit des ge- san:en Stadtrats noch eine Feierlichkeit statt findet. Die zahlreichen patriotischen Vereinigun gen, die Turn- und Kriegervereine und die Ju gendwehre» ziehen mit Fahnen und Musik aus und bilden auf dem ganzen Wege vom Elysee zum Rathause Spalier. Die Schuljugend von ganz Frankreich erhält einen Feiertag. Alle Kriegsschiffe tragen Flaggengala und geben bei Sonnenuntergang einen Salut von 25 Schlissen ab. Die Soldaten erhalten doppelte Löhnung. Alle leichten Strafen, die über Soldaten und Kriegsmatrosen in den letz ten Tagen verhängt worden sind, werden nach gelassen. Abschiedsaudienz bei Fallieres. Aus Paris, 17. Februar, wird gemel det: Heute vormittag uni 11 Uhr empfing Prä sident Fallieres das diplomatische Korps in Abschiedsaudienz. Ministerpräsident Briand und Minister des Auswärtigen Jonnart wohnten der Audienz bei. Der englische Botschafter Bertie als Doyen hob in seiner Ansprache die vornehme Gesinnung hervor, die Fallieres stets betätigt habe, um die Bande der Freund schaft und Herzlichkeit, welche Frankreich mit den anderen Ländenr verbänden, ungeschwächt zu erhalten. Er gab dem lebhaft empfundenen Danke Ausdruck siir die guten Beziehungen, die Fallieres stets mit dem diplomatischen Korps unterhalten hätte, und schloß mit den besten Wünschen siir das Wohlergehen des scheidenden Präsidenten. Fallieres erwiderte mit dem Ausdruck seines Dankes für die ihm ausgespro chenen Gesinnungen und Wünsche des diplomati schen Korps; mit Vergnügen würde er sich stets erinnern, wie vorzüglich seine Beziehungen zu dem diplomatischen Korps stets gewesen wären, das bei der Erfüllung seiner Aufgaben, die so viel Takt und Feingefühl erforderten, niemals Loyalität und Courtoisie hätten vermissen lassen, auch bei aller berechtigten Festigkeit in der Wahr nehmung der ihm anvertrauten Interessen; eine solche Haltung ermögliche es, daß bei zugespitz ten Konjunkturen die Schwierigkeiten sich ab schwächten, die Wege sich ebneten und endlich die wünschenswerten Annäherungen oder Einver ständnisse zwischen den Regierungen und zwischen den Völkern zustande kämen. Er sagte zum Schlüsse, es gebe sür einen Mann von Herz und Vaterlandsliebe keine größere Genugtuung, als das Bewußtsein, auf dem Felde der äußeren Politik friedliche Lösungen her beiführen zu Helsen, die zum Wohle des Vater landes und der Menschheit beitrügen. Ilene MO in Sei SIM NW. Die Stadt Mexiko hat sich nicht lange der Ruhe erfreuen können. Am Sonntag noch wa ren die beiden feindlichen Parteien übereingclom- men, daß der Waffenstillstand bis Montag abend 8 Uhr verlängert werde. Am Montagvormittag jedoch haben die Kämpfe schon wieder begonnen, denn der Waffenstillstand ist vorzeitig für been det erklärt worden. Der Kampf wurde auf beiden Seiten mit großer Heftigkeit wieder ausgenommen. Aus dieser Mel dung läßt sich nicht ersehen, Iver den Waffen stillstand für beendet erklärt hat. Rechtmäßig kann der einmal gefaßte Beschluß nur durch einen neuen Beschluß beider Parteien umgesto ßen werden. Es scheint so, als wenn hier ein Bruch des Waffenstillstandes vorläge. Die Furcht vor dem Ein greisen der Vereinigten Staaten ist in Mexiko groß. Zur Beruhigung der Washingtoner Re gierung hat Madero ein Telegramm an den Präsidenten Tast gesandt, in dem es heißt: Es bestehe keine Gefahr sür die Ange hörigen der Vereinigten Staaten, wenn sie sich aus der Gefahrzone entfernten. Die mexikanische Regierung übernähme die Verantwortlichkeit sür alle materiellen Schäden, die Ausländern erwüch sen, und bitte Taft, keine Truppenlan dung in Mexiko zuzulassen, weil eine solche schreckliche Folgen haben und die Lage noch ernsthafter gestalten würde. Das Telegramm ist vor allen Dingen des wegen interessant, weil es Madero abgesandt hat und er auch im Namen der Regierung spricht. Von einer Abdankung Maderos kann also wohl noch keine Rede sein. Das Washingtoner Kabinett ist nun sofort am Montag früh zufammengetreten und hat ein Antworttelegramm an Madero beraten und ab- gesandt. Der Inhalt lautet: Die Politik der Vereinigten Staaten bleibt dieselbe, wie in den beiden letzten Jahren. — An Kürze läßt die Er klärung nichts zu wünschen übrig und Madero mag sich abmühen, den wahren Sinn herauszu schälen. Nach der bisherigen Haltung der Ver einigten Staaten steht es wohl fest, daß eine starke Strömung gegen ein militärisches Eingrei fen die Oberhand gewonnen hat. Nach einem Telegramm des Botfchasters Wilson in Mexiko hatte Wilson am Sonnabend früh eine Konferenz mit seinen englischen, deut schen und spanischen Kollegen, um die Lage zu besprechen. Das Automobil, das den eng lischen Gesandten abholen sollte, wurde von den Geschossen der Bundestruppen getroffen, obwohl ein Oberst und sechs Soldaten der Bundestrup pen in dem Automobil saßen. ««v Gewerbe. »«MM»»». Ar»«»«, 17 Februar, vplcmd mibdlmz loko 64'/. Pjg. Suhl«. At««»po»t, 17 Februar. LageSum aß 7000 Balle», L elriun^cn ruhig Februar 6,59, F-druar-Mli» 6,58, April- Mai 6,58 Juni-Juli 6.S6, August-September 6,43, Oktooer- November 6,19 Lrrltn, 17. Februar Prod«b1»«b»rl,. Är.zt» Mat -69 50, Juli 211,50, September 205,50 Rogqen Mat 175,50, Juli 176,25, Sepiember —,—. Haler Mai 172,50, Juli —,—. 2»atü «merttan mvec Mai ——, Juli —,—. Rüböl Fe bruar 6^ 40 Mai 65,70, Oktober —.— Dchlachtvtehpretse aus dem Vtehhose zu Chei rnitz nach amtlicher Feststellung. Auftrieb: 61 Ochsen, 378 Kalbe» und Kühe, 59 Bullen, 215 Kälber, 668 Schafe, '-492 Schweine, zusammen 3874 Tiere. Ochsen: Bollfletjchige, ausgemästete, höchsten SchlachtwertS btS zu 6 Jahren 88-9l, junge fleischige — ältere ausgemästete 8r—86, mäßig genährte junge — gut genährte ältere 79—81, gering genährte jedm Alters 72—74. Kalben und Kühe: Bollfleischige, auSgemästete Kalben höchsten Schlachtwerts 88 bis 90, vollfletschige, ausgemästete Kühe höchsten SchlachtwertS btS zu 7 Jahren 84—87, ältere ausgemästete Kühe und wenig gut entwickelte jüngere Kühe und Kalben 78—82, mäßig ge nährte Kühe und Kalben 70—75, gering genährte Kühe und Kalben 60-68. Bullen: Bollfleischige höchsten SchlachtwertS 87—90, mäßig genährte jüngere und gut genährte ältere 84 86, gering genährte 75—76. Gering genährtes Jungvieh (Fresser) im Alter von 3 Monaten bis zu einem Jahre fehlen Kälber: Doppelender — (—), beste Mast- und Saugkälber 102—193 63—64), mittlere Mast- und gute Saugkälber 97 biS 100(58-60), geringe Kälber 89—96 (50—54). Schafe: Mast lämmer und jüngere Masthammel 88 (46), ältere Mast hammel 91 — 96 (42—44) mäßig genährte Hammel und Schafe (Merzschafe- 83—95 (35—40). Schweine: Vollfletschige der feineren Rassen und deren Kreuzungen im Alter btS zu 1'/« Jahren 79—80 (79—80), Fettschweine 81 (81), fleischig« 77—78 (77—78), gering entwickelte 75—76 (75—76), Saue» und Eber 70-76 (70—76). Die Preise verstehen sich bei allen Biehgattungen für Schlachtgewicht per 50 Kilogramm. Me etngeklammerten Zahle« bedeuten die LedendgewtchtSpreise.) Die Schlochtgewichlspreis« bei Schweinen verstehen sich nach Abzug von 20 Proz. Tara. Standesamts-Nachrichten von Hohenstein-Ernstthal aus die Zeil vom 8. bis 15. Februar 1913. «. K»v«rtr«r Ein Sohn: Dem Handarbeiter Julius Wilhelm Pester, dem Ba^narbctter Pinns Clemens Otlo. dem Nadrlmacher Hugo Arthur Claus, dem Fabrckweber Max Emil Günther, dem Schleifer Ernst Al.xander Aurich, dem Bäckermeister Paul Hermann Forner Eine Tochle: : Dcm Hausmann Franz Richard Gold ammer, dem Karlonzuschneidcr Paul Richard Sonntag, dem Hausweber Ernst Theodor R edel, dem Musterzeichner Emil Max Lohs«, dem Ziegeleiarbeiler Heinrich Fr edrtch Wilhelm Schluhmeiec. b Aufgebot«: Der Färber Friedrich Hermann Fötzsch hier mit Arrguste Pauline verw. Sauerstein ged. Kretzschmar in Chemnitz; der Gasanstalisarbetter Alfred Wcigelt hier mit der Weberin Anna Marie Feldmann in Hainichen o Eheschlietz»«-»«: Der Milchhändler Karl Hugo Flachs mit Anna Selm« Spörl, beide hier. 6 ZterdefLL«: Die Näherin Johanne Christiane verw Häßler geb. Hil big, 7l Jahre alt; oigeboceneS lliädchen des KnlfcherS Emil Oswald Enger; der Privatmann Karl Gottlieb Friedemann 77 Jahre alt. M Wk m UW! vriginalroman von H. C o u r t h s - Mahler. 671 (Nachdruck verboten.) Aus dem Gespräch der Fürstin mit dem Grafen Arganoff entnahm Sonja, daß Gras Arganoff sich nur vorübergehend in Paris auf hielt, daß er in Rußland ein nicht sehr großes Gut besaß, dessen Bewirtschaftung ihm schwere Sorgen machte, da es ihm am Nötigsten fehlte, und daß er sich diese Pariser Reise nur hatte leisten können, weil ihn sein gütiger Onkel, Fürst Sogareff, dazu eingeladen ljatte und selbstver ständlich die Kosten trug. Er sprach über seine mißlichen Verhältnisse mit der geraden Schlichtheit eines Mannes, der sich bewußt ist, sie nicht verschuldet zu haben, sondern im Gegenteil alle Kräfte dafür einjotzte, sie zu bessern. Das gefiel Sonja. So eine frische, frohe Kampfesnatur, die sich nicht klagend unter ein ungünstiges Schicksal beugte, sondern unverzagt ihre Schultern dagegen stemmte, imponierte ihr. Sein Wesen schien dem ihren verwandt. Er war ihr dadurch gleichsam näher gerückt, zumal sie hörte, daß auch ihm schon beide Eltern gestor ben waren. Sie wehrte,sich gar nicht mehr ge gen das Interesse, das er ibr einflößte. Aus der ganzen Art und Weise, wie ihre Herrin sich Graf Arganoff gegenüber gab, merkte Sonja, daß sie ihn sehr schätzte und viel von ihm hielt. Daß sie aus dieser Unterhaltung einige Aus schlüsse über Petersburg und die Umgebung be kam, in der sie in Zukunit leben würde, war Sonja sehr angenehm. Jedenfalls sah sie daraus, daß die Fürsten Kalnoky zu den größ ten Grundbesitzern Rußlands gebör'cn. Sie war sebr ungednldig, Rußland kennen zu lernen, die Heimat ihres Vaters, nach der ec so ost Sehnsucht gehabt hatte. Diese Sehnsucht hatte er ihr, ohne es zu wollen, ins Herz ge pflanzt. Als Gras Arganoff sich dann entfernte, er fuhr Sonja noch, daß er am nächsten Tage schon nach Rußland zurückkebren würde, und daß die ser Besuch eine Abschiedsvisite gewesen war. Zugleich aber sprach Maria Petrowna die Hoffnung ans, den Grafen auch in Zukunft recht oft in Petersburg bei sich zu sehen. „Sie wissen, lieber Nikita, daß Sie mir im mer willkommen sind, wenn ick auch sonst nnr selten Gäste bei mir sehe", sagte sie berzlich. Der junge Mann führte ihre Hand ehrer bietig an die Lippen und verabschiedete sich mit einer Verbeugung von Sonja. Dabei trasen die beiden Augenpaare einen Moment ineinan der, und Nikita Arzanofss Augen flammten da bei auf, als wollten sie unwillkürlich diesem schönen Mädchen ein: „Auf Wiederfehen!" zu- rusen. Als er gegangen war, sagte Maria Petrowna lächelnd: „Nun sind wir um unsere Lesestündchen ge kommen, Fräulein Sonja. Aber es tut mir nicht leid. Graf Arganoff besitzt eine sehr fesselnde Unterhaltungsgabe, und ich freue mich immer, wenn er ein Stündchen mit mir verplaudert." Sonja erwiderte nichts darauf. Es wurde auch kauni eine Antwort von ihr erwartet. Sie fragte nur nach einer Weile, während welcher der Diener das Geschirr und Teewagen hinaus gebracht hatte: „Befehlen Durchlaucht, daß ich jetzt noch vorlescn soll?" Maria Petrowna sah nach der Uhr. „Es wird sich nicht lohnen, anzufangen. Meine Tochter wird bald zurückkehren, und da sie heute abend nicht ausgeht, sondern mir Ge sellschaft leisten wird, sind Sie dann für heute beurlaubt, Fräulein Sonja. Wenn Sie sich heute abend die Oper anhören wollen, lasse ich Ihnen ein Billett besorgen. Mein Wagen steht zu Ihrer Verfügung, damit Sie am Abend nicht die Straßen passieren müssen." Sonja errötete vor freudiger Erregung. „Durchlaucht sind so überaus gütig zu mir. Ich nehme die Erlaubnis mit großem Danke an." Maria Petrowna nickte ihr freundlich zu. „Sie sollen doch etwas von Paris haben. In Petersburg wird Ihr Amt ohnedies an- sirengender sein. Dort bin ich saft ausschließ lich auf Ihre Gesellschaft angewiesen, und Ihre sreie Zeit wird knapper bemessen sein als hier. Bitte, klingeln Sie dem Diener; ich will Auf trag geben wegen der Einlaßkarte." Als Sonja zwei Stunden später im Opern haus saß, erstickte sie von ihrem Platz aus in einer der Logen Nikita Arganoff. Er war in Begleitung eines jungen Herrn und einer älte ren Dame. Sonja fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. Und sie mußte immer wieder in das charaktervolle, kluge Gesicht des jungen Gra ten sehen. Er bemerkte sie nicht. Sein Blick glitt acht los über die Reihen hinweg, wo ihr Platz war. Im Grunde war pe froh darüber, und doch hätte sie gern gewußt, ob seine Augen bei ihrem An- ; blick wieder so aufgeleuchtet hätten, wie am ! Nachmittag. Nach Schluß der Oper, als sie zum warten den Wagen eilte, sah sic ihn in Gesellschaft der Dame und des Herrn dicht vor sich in einen -Wagen steigen. Und gerade in dem Augenblick, Ida sie vorüber ging, wandte er sich um und er- Iblickte sie. Ueberrafcht neigte er sich vor und sah sie noch in dem Wagen der Fürstin ver schwinden. Sie warf sich in die Kissen zurück und schloß die Augen, wie vor einer unbekannten Gefahr. Und sie dachte von nun an viel mehr an Nikita Arganoff, als sür ihre Seelenruhe gut war. * ch * Schneller, als sie anfangs angenommen, wa ren die zwei Monate vergangen, die Sonja mit ihrer Herrin in Paris weilte. Maria Petrowna rüstete zur Heimkehr, und trotzdem ihre Angehörigen um ein längeres Ver weilen baten, blieb sie auf ihrem festgesetzten Ter min bestehen. Das gesellige Leben nahm Tatjana und ihren Gatten mehr und mehr in Anspruch, und im Botschafterpalais selbst waren große Festlich keiten geplant. Das war nichts für die an ein sehr ruhiges Leben gewöhnte alte Dame. So reifte sie nach zärtlichem Abschied von ihren Angehörigen ab. In Berlin wurde wieder auf einige Tage Station gemacht. Sonja war zu Mute, als sei sie schon jahre lang von Berlin fort gewesen, so ereignisreich erschien ihr die Pariser Zeit. Sie war nun voll heimlicher Erwartung auf Petersburg und die abermals neuen Verhältnisse, die ihrer dort warteten. Und als sie dann ei nige Tage später über die russische Grenze fnb ren, traien ihr heiße Tränen in die Augen. „Was ist Ihnen, Fräulein Roschnow""' fragte die Fürstin besorgt. „Durchlaucht verzeihen — ich mußte nm an meinen Vater denken. Er hat sich ost so namenlos nach seiner Heimat gesehnt — nnd mir — mir ist es nun vergönnt, hier zu ver wellen", antwortete Sonja mit zitternder Stimme. Da ließ sie die Fürstin gewähren, und lehnte sich, als ob sie schlafen wollte, zurück. Sonja dachte jetzt an den Va:er. Einmal hatte sie ihn gefragt: „Warum hast du dein Vaterland verlassen?" Da hatte er ihr mit einem, ach so traurigen Blick über das Haar gestrichen „Es mußte sein, meine kleine Sonja." „Und warum gehen wir nicht nach Ruß land zurück, wenn du solche Sehnsucht danach hast?" hatte sie weiter gefragt. Da war ein gequälter Ausdruck in sein Ge sicht gekommen nnd Mütterchen war zu ihnen getreten und hatte des Vaters Haupt an ihr . Herz gebettet und leise zu ihr gesagt: „Kinder müssen nickst alles wissen, meine kleine Sonja. " Und dann Hütte sie den Vater sanft auf > die traurigen Augen geküßt und hatte gesagt: -„Sei ruhig, Elisa — an deinem Herzen ist meine i Heimat. Es tut mir nicht mehr weh." Damals war sie selbst kauni vierzehn Jahre gewesen. Aber diese Worte hatten sie seltsam durchschauert. Und später, da sie manches vom Leben kennen lernte, dachte sie noch oft an jene Stunde zurück. Daß sich Vater und Mutter über alles ge liebt hatten, wußte sie. Und sie dachte fick; auch, daß die Vergangenheit des Vaters ein Geheim nis borgen könne. Vielleicht war er einer jener politischen Flüchtlinge gewesen, von denen sie zuweilen gelesen hatte. Vielleicht durste er darum nicht in die geliebte Heimat zurück. Nie hatte sie ihn wieder danach gefragt. Schon als Kind hatte sie ein feines Taktgefühl besessen, das sie hinderte, an eine Wunde zu rühren. Mit großen, verträumten Augen sah sie nun durch das Coupeefenster auf die vorüberfliegende Landschaft. Ganze Strecken waren schon in win- rerlicbes Weiß gehüllt. „Was würde wohl mein lieber Vater dazu sagen, lebte er noch, daß ich nun in Rußland eine neue Heimat finden soll?" dachte sie. Und sic warf einen dankbaren Blick hinüber zu ihrer Herrin, die inzwischen wirklich ent schlummert war. So stalle Sonja Zeit, ihren Gedanken Au dienz zn geben. Aus der Vergangenheit wan- dcrlen sie in die Zukunft, forschend und unruhig. Kein klares Bild vermochte sie sich davon zu machen. Viel Neues und Fremdes würde aus st? einstürmen neue Sitten und Gebräuche, neue Menschen nni.de sie kennen lernen. Nm ein s von ibren Gesichtern, die ihre Zukunst beleben würden, war ihr bekannt. Ein chai astervolles Männergesicht mit einer gedanken reichen, edlen Stirn und warm aufleuchtenden Anqcn. „Nikita Arganoff!" Sie schrak plötzlich zusammen und sah sich scheu um. Hatten ihre Lippen diesen Namen geformt, war er ihnen entflohen? Gottlob, Durchlaucht schief noch immer; niemand batte diesen Namen hören können. Aber sie schüttette nun energisch alle Träumerei von sich. Ihre Augen blickten wieder klar und ziel- bewußt. Was sollte ihr Graf Arganoff? Trotz seiner Armut stand er weit, weit über ihr; er durfte für sie als Mensch gar nicht existieren. Er war ein Verwandter ihrer Herrin, für sie eine Respektsperson, nichts weiter. Durch den Gedanken an ihn wollte sie sich ihren Lebens weg nicht beirren lassen. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite