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02-Zweites-Blatt Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 11.02.1913
- Titel
- 02-Zweites-Blatt
- Erscheinungsdatum
- 1913-02-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-19130211027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-1913021102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-1913021102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-02
- Tag 1913-02-11
-
Monat
1913-02
-
Jahr
1913
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irdischen Kohlenlagers im Orte Haselbach stark in Mitleidenschaft gezogene Brennofengebäude der Ge drüber Nordmannschen Steinzeugfabrik, das infolge der unmittelbaren Nähe des Brandherdes große Risse erhallen hat, vollständig abgetragen werden. — Erfurt, 9. Febr. Ein tragischer Vorfall ereignete sich in einem Kolonialwarengeschäft an der JohanneSstraße. Der 14jährige Lehrling Otto Weise hat ein Stück Schokolade von geringem Wert entwendet und verzehrt Als seinem Lehrherrn dies bekannt wurde, verabreichte er dem Knaben eine körperliche Züchtigung und schrieb an dessen Eltern, LandwirtSleute in Erfurt-Nord, eine Karte, daß er mit ihnen wegen des Vorkommnisses Rück sprache nehmen wolle. Davon erhielt der Knabe Kenntnis, und in seiner Angst lief er auf den Boden und erhängte sich. Ärmstes vom Lage. * Die Typhusepidemie beim Eisenbahnregiment zu Hanau hat jetzt das neun zehnte Opfer gefordert. Jetzt ist der Pionier Dellwo aus Neunkirchen gestorben. Im Lazarett befinden sich noch 63 Kranke, darunter drei Schw erkranke. * Ueberfall im P e r s o n e n z u g. Aus Landsberg a. d. W. meldet man: Aus der Strecke Landsberg-Friedberg der Ostbahn wurde nachts im Personenzug ein Ueberfall auf eine Frau verübt. In einem Abteil 2. Klasse saßen der Bahnhossrestaurateur Schuster und eine Frau aus Landsberg. Sie hatten das Licht verdunkelt, als Plötzlich ein etwa 20jäh- riger Mensch, der aus dem Trittbrett entlang gelaufen war, das Abteil betrat und sich auf die Frau stürzte, die er allein im Abteil ver mutete. Der Restaurateur trat dem Eindring ling entgegen und hielt ihn mit einem Revolver so lange in Schach, bis die Station Münchberg erreicht war, wo der Täter der Polizei über geben wurde. * Um Millionen betrogen. Aus Anordnung des Untersuchungsrichters Bourdeaux wurden, wie schon kurz gemeldet, in Paris der ehemalige Missionar und angebliche Patriarch Herrivt-Bounoust und dessen Gattin verhaftet, un ter der Beschuldigung, daß sie durch Vertrau ensbruch und Erpressung ein Fräulein, namens Bertin, um zwei Millionen Francs betrogen haben. Ein Telegramm meldet weiter hierzu: Es handelt sich uni den 50jährigen Ermönch Henriot Bounoust, der unter der Maste eines Missionars, eines Bischofs, eines Patriarchs von Jerusalem, eines Wanderpredigers der evangeli schen Kirche und Hunderten anderer Titel jahre lang unbestvast die größten Schwindeleien be gehen konnte. Er wanderte jetzt auf die Anzeige einer Frau Josserand in das Gefängnis, die er um die Kleinigkeit von drei Millionen Francs geschädigt hat. Es war Bounoust vor mehreren Jahren gelungen, das Vertrauen des Vaters der Frau Josserand zu erringen, so daß derselbe sich sogar betören ließ, ihm die Vormundschaft über die damals noch unmündige Frau Josserand zu übertragen und ihn gleichzeitig zuni Verwalter des über 10 Millionen Francs betragenden Ver mögens einsetzte. Nach dem im Jahre 1909 er folgten Ableben des Herrn Josserand verwaltete nun Bounoust das Vermögen so gut, daß heute beinahe drei Millionen Francs von dem ihm anvertrauten Gerde fehlen. Auch sonst hat der Verhaftete jahrelang von Schwindeleien gelebt, deren Umfang vorläufig noch gar nicht zu über sehen ist. * Der größte Bahnhof der Welt. Wie einer Londoner Zeitung aus New- hott gekabelt wird, ist vor wenigen Tagen der neue Riesenbahnhof eröffnet worden, an dem seit zehn Jahren unablässig gebaut wurde. Einige Minuten imch Mitternacht verließ der erste Zug den feierlich eingeweihten Hauptbahnhof, der eine Kopfstation ist. Die Gesamttosten dieses gigantischen Meisterwerkes der Jngenieurkunst werden aus annähernd 800 Millionen Mark ver anschlagt. Wie es heißt, darf dieser Bahnhof nun den Ruhm beanspruchen, der allergrößte der Welt zu sein, welche Bezeichnung dem Aankee nur zu geläufig ist. Ferner wird behauptet, daß die wahrhaft großartigen Weichen- und Signal-An lagen nach menschlichem Ermessen jeglichen Ei senbahnunfall in ihrem Bereich gänzlich aus schließen. * Vo nein er Dampf walze zer- »i a l m t. Der 10 Jahre alte Sohn eines Bahn beamten in Sevinghausen bei Bochum hatte sich aus dem Wasserwagen einer die Landstraße be fahrenden Dampfwalze gesetzt. Als ein Auto mobil nahte, sprang der Junge ab und geriet unter die Walze, die über ihn hinwegging und ihn vollständig zermalmte. Der Tod trat aus der Stelle ein. Der HodesllurL der beiden MlitärNieger Der Freitag war für die Fliegerabceitung unserer Kriegsmarine ein Unglückstag — der erste! Ein tüchtiger Flieger-Seeoffizier und sein Begleiter, ein Obermaschinistenmaat, fanden in den Wellen der Ostsee den Tod. Der Absturz, den wir schon kurz meldeten, ist bisher noch nicht völlig aufgeklärt. Am Freitag vormittag befand sich Oberleutnant Hartmann in Zoppot, um eine Untersuchung der Ueberreste des Flug zeuges vorzunehmen. Die Ermittlungen erga ben, daß das obere wie das untere Tragdeck in der Mitte durchgebrochen lvaren, und die Trümmer nur noch durch die Leinwand zu sammengehalten wurden. Die Ursache des Un glücks ist jedoch nicht in dem Bruche der Flügel, sondern in den plötzlich eingetretenen Beschädi gungen der Ansatzstücke zu sehen. Die Marine flugzeuge haben eine weit größere Spannweite als die Landflugzeuge, nm eine größere Stabili tät der Maschinen zu erzielen. Da die Schup pen aber nicht allzu groß gebaut sind, in denen die Flugzeuge untergebracht werden, hat man Ansatzstücke hergestellt, die mittelst Stahlrohrs und Bolzen an den Körper des Doppeldeckers angesetzt werden, sobald der Decker aus dem Schuppen gebracht wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Ansatzstück der linken oberen Trag fläche beim Aussteige» des Kapitänleutnmits an gesetzt worden. Der Bruch des Stückes ist dann bei Zoppot erfolgt, und die Maschine infolgedes seit in die Liefe geglitten. Beim Ausschlagen auf die TSasseroberfläche sind dann die beiden linken Drahtdecken zertrümmert worden. Die Leichen der verunglückten Flieger konnten bisher nicht ausgefunden wer den. Kapitänleutnant Janetzky ist der 50. deutsche Flieger, der den Helden tod gesunden hat. Von 51 tödlich abge stürzten Fliegern, den Obermaschinistenmactt Dick mann mit gerechnet, sind nicht iveniger als 17 deutsche Offiziere, also genau der dritte Teil, und ein Unteroffizier bei der Ausübung ihres gefährlichen Berufs ums Leben gekommen. Der Albatroß-Wasser-Doppeldecker „Westgreu ßen" war dieselbe Maschine, die bei dem im Herbste 1912 stattgehabten Marine-Flugzeug- Wettbewerb zu Putzig siegreich geblieben ist, nachdem sie, geführt von Rupp, bei der letzten Johännisthaler Flugwoche mehrere erste Preise gewonnen hatte. Der mit einem lOOpfersdigen Argus-Motor ausgestattete, 20 Meter breite Ap parat, dessen Schwimmergestell mit einem Land sahrgestell kombiniert ist, wurde aus Mitteln, die vvn der Sektion Danzig des Üuftslottenvereins aufgebracht worden waren, angekaust und der Marine zum Geschenk gemacht. Im Dezember erfolgte die feierliche Taufe auf den Namen „Westpreußen", worauf der Doppeldecker der Putziger Statt»» übergeben wurde. Otto Ludwig Llto Ludwig, unser hervorragender Dich- t e r u: d Schriftsteller, war am 11. Fe bruar 1813 zu Eisfeld im Herzogtum Meinin gen eboren. Er verlebte in engen Umgebungen eine bewegte Jugend, voll zum Teil düsterer und schwer lastender Eindrücke. Er war zunächst Autodidakt, erregte aber schließlich die Aufmerk samkeit des regierenden Herzogs von Sachsen Meiningen, der ihm eine weitere Bildungslauf bahn erschloß. Zunächst wollte er sich dem Studium der Musik widmen, wandte sich aber dann der poeti schen Produktion zu. Sein erstes, Aussehen er regendes Werk war „Der E r b f ö r st e r", ein bürgerliches Trauerspiel, das 1850 erschien. Die kraftvolle Frische des darin offenbarten dramati schen Talents, die seltene Wärme und Ursprung lichtest realistischer Charakteristik, die sortreißende. Lebendigseit und Fülle der Details, namentlich der ersten Atte, halsen über die bedenkliche Tat fache, daß die Tragödie nicht tragisch angelegt war, bald hinweg. Einen höheren Schwung nahm der Dichter dann in der historischen Tragödie „Die Mak k a b ä e r", die sich gleichfalls durch Plastik und Farbenfülle der realistischen Details auszeich nete. Die weiteren großen literarischen Bestre bungen des Dichters wurden durch schweres kör perliches Siechtum unterbrochen und gehemmr. Dazu ergab er sich vorwiegend theoretischen Re flerionen, als deren Resultate aus seinem Nach laß einzig die „Shakespeare-Stu dien", die zu einer wertvollen Fundgrube ästhetischer Kenntnisse geworden sind, vorliegen. Otto Lud wig starb am 25. Februar 186.5 in Dresden. Standkssntts-Machrichtm. vo« Hohenstein-Ernstthals auf die Zeit vom 2. bi» 8. Februar 1913. -u Gebart»»,: Ein Sohn: Dem Schneider Max Emil Berthold, dem Nadeln» cher Hermann Bruno Mann, dem Strumpfwirker Friedrtä Max SlouS, dem Landwirt Immanuel Kuil Schlegel, dem Fäbrtkweber Friedrich Louis Koch. Sin« Tochter: Dem Fabritwrber Hermann Oskar Po mir er dem Fäbrtkweber Fritz Hugo Gebhardt, außerdem I unehe ltche» Kind. d Kafg-bot»; Der Geschäftsführer Louis Paul Urban mit Ida Martha Müller, beide in Chemnitz. u Gtz»fchtt»k«»»s»« : Der Maschinenbauer Richard Ktllenberg mit der Kon toristin Klara Frieda Ahnert beide h er ; der Monteur lltubard Bernhard Nebel in Oberlungwitz mit der Repassiererin Louise Helen« Kießling hier; der Stricker Poul Spindler mit der Spulerin tluguft« Emma Gabbe geb. Wagner, beide hier. 4 K1»rb»fSUe Hildegard Marie Gauci, Tochter des Schuhmachers Fritz Richard Gaudi, 8 Monate aU; der Privatmann Karl Hermann Flechsig, 70 Jahre alt; der G asermeister Wilhelm Eduard Beyer, 80 Jahre alt Kirchliche Nachrichten. Et. «Shrtstophort-Parochte Hohenftet«. ErnfttHal. Dounerslag, den Nt Februar, uberro« oa-i 9 Uh» Pas- stonsaudacht im Waisenhaus- und Hültengrunddetmale. Lt. rrtnttattS-Parock««. Donnerstag abends halb S Uhr Btdelstunde im Ge- inetndehauS. Eer-dorf. Dienstag, den ll. Februar, abend« 8 Uhr Bibel Nuuk» lr der tttrchschule. dang««chur0dorf mit Halte«. Freitag, der, 14. Februar ISi:t, vormittags lO Uhr Pah sivnsgottesoienst mit W o L « n k o m m u n i o n. Vollenberg mit Reichenback». Mittwoch vormittags 9 Uhr PassronsgotteSdienft mit Beichte und Kommunion. Wtz*»me < HK»»» M We M Ml! Originalroman von H. C o u r t h s « Mahler. 60) (Nachdruck verboten.) Zwanzig Jahre waren vergangen, seil Ale xand« Kalnoky zuni letzten Male seine Mutter beim Abschied zärtlich umfangen hatte. Die Jahre waren nicht spurlos an Maria Petrowna vorübergegangen. Wohl hatte sich ihre Gesundheit wieder gekräftigt, wohl sclwitt sie noch jetzt, da sie achtund-echzig Jahre zählte, rüstig und aufrecht einher, aber der Schmerz hotte seine Zeichen in das einst so schöne Ant litz gegraben; und das silberweiße Haar um rahmte ein Greisinnengesicht voll Güte und Milde. Aller Stolz war von dieser Frau gewichen. Seit dem schon vor zehn Jahren erfolgten Tode ihres Gatten lebte sie nur noch der Wohltätig keit und Barmherzigkeit. Von allem geselligen Treiben hatte sie sich mit ihrem Gatten schon seit Saschas Verschwinden zurückgezogen. Vor seinem Tode hatte Fürst Iwan seiner Gattin schonend die ganze Wahrheit über Sa schas Tod enthüllt. Da war ihr Stolz vollends gebrochen. Ihr Mutterherz hatte den Verlust des geliebten Sohnes noch nicht verwunden. Sie konnte ihn nicht verdammen. Ihr Herz hing heute noch mit Innigkeit an ihm. Tatjanas Gatte war seit einigen Jahren aus den Botschafterposten in Paris berusen wor den. Zwei Söhne waren ihrer Ehe entsprossen; und diese Söhne waren jetzt im Alter von acht zehn und sechzehn Jahren. Tatjana und ihr Gatte lvaren von Berlin aus auf Jahre nach Petersburg zurückgekehrt, bis Wladimir nach Paris berufen wurde. Sie hatte der Mutter treu zur Seite gestanden, als diese durch die Eröffnung, wie Sascha gestorben war, aufs neue der Verzweiflung nahe kam. Inzwischen war ein neuer Zar aus den Thron gekommen, und die ausbrechenden politi schen Unruhen machten es Tatjana lieb, daß sie mit ihrem Gatten und ihren Söhnen in Paris verhältnismäßig ruhig leben konnte. Sie hatte ihre Mutter bereden wollen, stän dig mit nach Paris gehen zu wollen; aber Ma ria Petrowna fürchtete sich vor dem lauten, ge selligen Treiben, zu dem ihre Tochter dort ver pflichtet war. Sie zog sich ganz nach Schloß Roschnow zurück, und erst als wieder Ruhe im Lande herrschte, verlebte sie wieder einige Win termonate im Palais Kalnoky und widmete sich ihren Wohltätigkeitsbestrebungcn, die ihr Be dürfnis geworden lvaren, um die Schuld des Sohnes zu sühnen. Aber jedes Jahr ging sie, trotz ihres Alters, auf einige Wochen nach Paris, um ihre Lieben zu sehen; und jeden Sommer kani Fürst So gareff mit Gemahlin und Söhnen auf einige Zeit nach Schloß Kalnoky. So sahen sich Mutter und Tochter doch zwei mal im Jahre auf längere Zeit. An ihren beiden Enkeln hing Maria Pe trowna mit großer Zärtlichkeit; aber ihren ver lorenen Sohn l>ermochten ihr diese doch nicht zu ersetzen. Sascha lebte noch heule in ihrer Erinnerung als der schöne, glänzende Offizier, der mit fro hem Uebermut dem Leben entgegengestürmt war. Sein Vergehen erschien ihr so gering, sein Tod so grausam. Wenn sie eine Ahnung gehabt hätte, in welch dürftigen Verhältnissen Sascha noch achtzehn Jahre gelebt hatte! Ach, sie be weinte ihn schmerzlicher, seit sie wußte, wie er geendet. Wenn Maria Petrowna nach Paris reiste, »lachte sie stets einige Tage in Berlin Station, um die anstrengende Reise nicht ohne Unter brechung zu Ende zu führen. In Berlin Pflegte sie dann allerhand Ge schenke für Tatjana, Wladimir und ihre Enkel einzukaufen. Meist war sie nur von ihrer Kammerfrau und einem Diener begleitet. Tatjana hatte schon alles versucht, die Mutter zu bewegen, eine Ge sellschafterin zu engagieren. Aber Maria Pe trowna war etwas menschenscheu geworden und konnte sich nicht entschließen, eine fremde Per son stetig um sich zu haben. An einem wundervollen, klaren Spätherbst tag war die Fürstin auf der Durchreise nach Paris wieder in Berlin eingetroffen. Sie war in dem stets von ihr bevorzugten Hotel abgestiegen, wo man bereits Zimmer für sie reserviert hatte. Müde von der Reise, begab sie sich zeitig zur Ruhe. Am nächsten Morgen erhob sie sich, wie sie es gewöhnt war, um neun Uhr. Ihre Kammerfrau kleidete sie an und danach servierte ihr der Diener das Frühstück. Nachdem sve dies eingenommen hatte, be stellte sie einen Wagen und befahl der Kammer frau und dem Diener, sich bereit zu halten, sie zu allerlei Einkäufen zu begleiten. Als sie allein war, trat Maria Petrowna an das Fenster ihres Salons und sah aus das rege Straßentreiben hinab. Sie trug, wie im wer, seit dem Verlust ihres Sohnes, ein schwar zes Kostüm, das in seiner vornehmen Schlicht heit die Daine aus hohen Kreisen verriet. Noch immer war die Fürstin eine imponierende Er scheinung; und wer in ihr stilles, mildes Antlitz sah, enlpfanb, daß dieser Frau das Leden keine Schmerzen schuldig geblieben. Nach einer Weile wurde ihr gemeldet, daß der Wagen vorgesahren sei. Von Diener imd Kammerfrau geleitet, schritt die Fürstin gleich darauf, in einen kostbaren Mantel gehüllt, die leppichbelegten Treppen nach dem Vestibül hinab. Die Angestellten des Hotels ließen den vor nehmen Gast mit einer tiefen Verbeugung pas sieren. Der Diener öffnete den Wagenschlag und die Fürstin stieg ein. Auf dem Rücksitz nahm die Kammerfrau Platz, und der Diener schwang sich auf den Bock neben den Kutscher. Die Fürstin hatte ihm eine Notiz gegeben, wo sie vvrzusahren wünschte. Unter anderem hielt der Wagen vor einem der ersten Juweüergefchäsle Unter den Linden, in dessen Auslagen Geschmeide von schier mär chenHafter Pracht ausgestellt waren. Hier pflegte die Fürstin stets ans ihrer Durchreise Einkäufe zu »rachen. Die Bedienung in diesem, von Hoskreisen besuchten Geschäft Ivar eine sehr feine, unauf dringliche. Einige Herren und Damen von gu ter Erziehung verkauften; und da auch viel Ausländer zu den Kunden gehörten, mußten sie immer einige Sprachen beherrschen. Als die Fürstin eintrat, erkannte der Be sitzer die alte Kundin sofort. Er wußte, daß er eine reiche, russische Fürstin vor sich hatte, und gab unbemerkl einer der Verkäuferinnen, einer noch sehr jungen Dame, einen Wink. Als diese an ihm vorüberging, um die Fürstin nach ihrem Begehr zu fragen, flüsterte er ihr zu: „Russin, Durchlaucht." Unmerklich fast nickte die junge Dame, zum Zeichen, daß sie verstanden hatte. Es war eine schöne, schlanke Erscheinung mit prachtvollem Haar in einem satten Gold- to», und großen, dunklen Augen. Ueber diesen Augen wölbten sich eigenartig gezeichnete Brauen. Die Züge des Gesichts waren außerordentlich sein geschnitten, der Teint klar und frisch, aber nur an den Wangen ganz zart gerötet. Ein schwarzes, schlichtes, dock) elegant sitzen des Kostüm umschloß die feinen, schlanken For men der sich anmutig bewegenden Gestalt, und ihr Wesen wirkte so vornehm und ruhig, daß man eher eine Dame der höchsten Gesellschafts kreise vor sich zu haben glaubte, als eine An gestellte des Geschäfts. Der Juwelier pflegte seinen Angestellten ein hohes Gehalt zu zahlen, verlangte aber mich außer guter Bildung und Sprachkenntnissen ein tadellos gepflegtes Aeutzere und elegante Klei düng, aus Rücksicht für seine vornehme Kund schaft. Die ;unge Dame war zu der Fürstin her angetreten und fragte sogleich in russischer Sprache nach ihrem Begehr. Fürstin Maria Petrowna blickte überrascht in ihr schönes Gesicht. Das geschah nicht nur deshalb, weil sie in einem tadellos geläufigen Russisch und mit dem ihr gebührenden Titel angeredet wurde, sondern auch, well dieses Gesicht sofort den Eindruck in ihr erweckte, als sei es ihr nicht fremd. Und doch wußte .sie bestimmt, daß sie die junge Da me noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Vor allen Dingen fesselten sie die großen dunklen Augen und die Brauen, die so seltsani und reizvoll mit dem Goldton des Haares kon iraslierien. Während sie ihren Wünschen Ausdruck gab, und die junge Dame ihr allerlei vorlegte, sah sie immer wieder in das Gesicht derselben. Aber auch die schlanken, weißen und schön gepflegten Hände betrachtete sie mit Wohlgefallen. Die Fürstin hatte sich niedergelassen, uni in Ruhe ihre Auswah zu treffen. Außer ihr war momentan kein anderer Käufer in dem Laden, und der Besitzer und die andern Verkäufer hat ten sich diskret zurückgezogen. Seltsam interessiert, lauschte die Fürstin der klaren Mädchenstimme, die so leicht und graziös die russische Sprache beherrschte. Sie konnte sich schließlich, ganz gegen ihre Gewohnheit, nicht enthalten, ein Gespräch mit der jungen Dame anzuknüpfen, das nicht unbe dingt mit deni Kaus zusammenhing. „Sie sprechen das Missisch so vorzüglich und rein, daß man annehmen möchte, es sei Ihre Muttersprache", sagte sie, einem unerklärlichen Zwang nachgebend. „Eure Durchlaucht werden das natürlich fin den, wenn ich mir zu bemerken erlaube, daß mein Vater geborener Russe war und auch meine Großmutter mütterlicherseits aus Rußland stamm te", antwortete die junge Dame artig. „Ah — so sind Sie Russin?" „Doch nicht unbedingt. Ich bin in Deutsch land geboren und erzogen worden und habe noch nie russischen Boden betreten." (Fortsetzung folgt.)
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