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«mtSblatt Rr, 7, Freitag, den 10. Januar 1913 Beilage. Deutscher Reichstag. Sitzung am 9. Januar 1913. Zu Beginn der Sitzung teilt der Präsident Dr. K a e m P f, nachdem er die Abgeordneten begrützt hatte, mit, daß für die Anteilnahme des Reichstags beim Hinscheiden des Prinzre genten Luitpold von Bayern Danktelegramme vom Prinzregenten Ludwig, vn den beiden bayrischen Kammern und rni dem bayrischen Ministerpräsidenten Frhrn. v. Hertling cinge- gangen sind. Der Präsident fuhr dann, wäh rend sich die Abgeordneten von ihren Plätzen erhoben, fort: „Am 30. Dezember ist der Staats- Sckrerär des Auswärtigen Amtes v. K i d e r- l e n - W ä ch t e r, der 2^ Jahre hindurch un ter schwierigen Verhältnissen das Auswärtige Amt geleitet und dem Vaterlande große Dienste geleistet hat, nach kurzem Krankenlager verstor ben. Ich habe der Schwester des Entschlafenen, der Freifrau v. Gemmingen, das herzliche Bei leid des Reichstags übermittelt und an der Bahre des Entschlafenen einen Kranz niederle- gcn lassen. Freifrau v. Gemmingen hat dem Reichstag für seine Anteilnahme ihren herzlichen Dank ausgesprochen." Darauf trat das Haus in die Tagesordnung ein und lehnte die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen, den Abg. H c st e r m a n n ab. Es folgte die sozialdemokratische Inter pellation über den Wagenmangel auf preußischen Eisenbahnen, die der Abg. König (Dortmund) begründete. Präsident des Reichseisenbahnamts W a k kerzapp: Die Wagennot besonders im !ktuhrgebiete ist eine preußische Angelegenheit. Ich gehe daher auf Einzelheiten nicht ein. Nun fragt man nach den Ursachen der Schwierigkei ten. Don verschiedenen Seiten wird der an geblich im Ruhrgebiete vorhandene Personal nrangel dafür verantwortlich gemacht. Man sagt, daß in der preußischen Eifenbahnverwaltung die Vermehrung des Materials mit der Zunahme des Verkehrs nicht gleichen Schritt gehalten habe und daß speziell im Ruhrgebiete das Personals dem dort vorhandenen besonders starken Ver-^ kehr nicht angemessen sei. Beide Momente sind nicht gerechtfertigt. Wirtschaftlich ist es nicht zn rechtfertigen, wenn jeder Verkehrszunahme so fort eine entsprechende Vermehrung des Perso nals folgen würde. Ein Hauptgebot jeder ra tionellen Wirtschaftsführung ist doch, mit mög lichst wenig Personal möglichst viel zu leisten, selbstverständlich unter Vermeidung jeder Ueber- lastung des Personals. Das wird erreicht durch Verbesserung und Vervollkommnung der Be triebseinrichtungen. Auf anormalen Erscheinun gen, wie wir sie im Ruhrgebiete in der letzten Zeit gehabt haben, kann die Besetzung des Per sonals nicht ausgebaut werden. Das Personal kann nur dem normalen Verkehr angepaßt sein unter Vorbehalt einer ausreichenden Reserve. Der Wagenmangel ist überhaupt nicht eigentlich die Ursache der Schwierigkeiten. Gerade in der Zeit der größten Not waren die größten Bahn Höfe im Ruhrgebiete vollgepfropft mit Wagen, die nicht abgefertigt werden konnten. Das Reichseisenbahnamt erblickt die Hauptursachc der Schwierigkeiten in der außergewöhnlichen, nicht voraus zu berechnenden Steigerung des Verkehrs und darin, daß dieser außergewöhnlichen Ver kehrssteigerung die Einrichtungen des Betriebs, namentlich die Bahnhofseinrichtungen, nicht re- ivachscn waren. Eine Vermehrung und Verbes serung der Betriebsmittel wird alljährlich vor genommen. Für eine normale Verkehrssteige rung hätten die Verkehrserleichterungen und auch die baulichen Anlagen vollständig ausgereicht. Es sind für die Erleichterung des Jnlandsvcr- kehrs viele Millionen ausgegeben worden. Die Bahnhöfe sind leistungsfähiger gemacht worden, neue Linien sind nach Holland und England ge legt worden. Die preußische Verwaltung hat also ihre Pflicht getan. Auch für die Zukunft ist Sorge getragen. Abg. Dr. Bell (Ztr.,: Wir haben seit Jahren auf die Mißstände des Wagenmangels hingewiesen. Die Aussprache des Eisenbahnmi nisters mck den Beteiligten an Ort und Stelle wird ersprießlich wirken. Man sollte auch Be amte und Arbeiter zu solchen Aussprachen hin zuziehen. Die eingetretene Verkehrssteigerung konnte die Regierung voraussehen. Leider ent sprechen d e Betriebsmaßnahmen im Industrie gebiete nicht annähernd dem tatsächlichen Ver kehr. Als Abhilfe der bestehenden Not ist zu ¬ nächst die vollständige Trennung des Güter- vom Personenverkehr zu fordern, weiter der Bau von Ausfuhrstrecken aus dem Ruhrgebiet, eine Vermehrung des Wagenparks, der Bau von Wa gen mit großem Ladegewicht. Die Güterwa gengemeinschast in Deutschland muß ausgestaltet werden. Abg. Schwabach (Natl.): Die großen Verkehrsstockungen sind auch aus die unzuläng lick-en baulichen Anlagen zurückzuführen. Da diese Kalamität schon Monate anhält, sind schwere soziale Schäden für Industrie und Land Wirtschaft, auch für weite Schichten der Arbei terschaft die Folge. Die Erneuerung des Be triebsmaterials erfolgt in einem viel zu lang samen Tempo. Die preußische Verwaltung ver fährt nach einem gewissen System, ohne aus die Bedürfnisse des Landes Rücksicht zu nehmen. Die Leistungsfähigkeit der baulichen Anlagen ist zu gering. Dadurch kommt der ganze Betrieb zu Zeiten außer Rand und Band. Die indu striellen Kreise müssen bei Neuanlagen gehört werden. Die Ausstattung unserer Eisenbahnen mit Betriebsmitteln hat seit Jahren zu Beden ken Anlaß gegeben. Die jetzige preußische Ei senbahn-Finanzpolitik führt zu schweren Schä digungen des Staatsvermögens und des öffent lichen Wohls. Wir wünschen, daß Zuständen, wie sie jetzt herrschen, vorgebeugt wird. Abg. Graf Kanitz (Kons.): Auch wir bedauern die Kalamität, unter der auch die Ar beiter erheblich zu leiden haben. Aber kein Land der Welt ist so mit Eisenbahnmaterial versorgt, wie wir in Preußen. Die Verwal tung trifft keine Schuld. Man sollte die Eisen bahnen dadurch entlasten, daß man die Güter mehr als bisher auf dem Wasserwege befördert. Abg. Dove (Vp.): So unschuldig, wie der Präsident des Reichseisenbahnamtes meint, ist der preußische Eisenbahnminister an den heu tigen Zuständen nicht. Der Herr Präsident meinte, die Schuld trage der niederträchtige Ver kehr. (Heiterkeit.) Es geht eben bei den Eisen bahnen so, wie bei jedem staatlichen Gebäude: Wenn es fertig ist, hat es nicht Platz genug für alles, was hinein soll. Es fehlt das richtige Augenmaß. Der Redner fordert ein Reichsei - senbabnqesetz. Abg. Sosinski (Pole) verbreitet -sieh über die nachteiligen Wirkungen des Wagenman gels in Oberschlesien. Das Haus vertagt sich. — Morgen 1 Uhr: Wciterberattmg; Wahlprüsungen; Konkurrenz- klausel. Schluß Uhr. Sächsisches Hohenftein-Ernsttha», Januar 1 13 —: Der Kreisausschuß hat in sei ner letzten Sitzung den Rekurs des Herrn Handelslehrer Kleeberg hier, Stadtverord- neten-Wählbarkeit betr., als unbegründet ver worfen. Die Umbezirkung eines Tei les der Flurparzelle 1342 von Oberlung witz in den Gemeindebezirk Hohen st ein- Ernstthal fand Genehmigung. Der gestrige Trefftag der Tex- til i n t e r e s s e n t e n in Chemnitz war sehr gut besucht. Es herrschte feste Tendenz, da die Spinner infolge der von der amerikanischen Spekulation diktierten hohen Baumwollpreise ge nötigt sind, ebenfalls aus Preis zu halten. In folgedessen kam es in der Hauptsache nur zu kleineren Geschäften, umsomehr, als für die nächsten Monate der Hauptbedarf bereits gedeckt ist. Die Beschäftigung ist allgemein gut. Der nächste Trefftag findet statt am Mittwoch, 12. Februar. — Oelsnitz i. B., 8. Januar. Montag abend brach im odervogtländischen Orte Tir- schendorn ein Großfeuer aus. Infolge des hef tigen Windes wurden die aus acht Gebäuden bestehenden Bauernwirtschaften von Seeling, Wettinge» und Herold vollständig zerstört. Nur das Vieh konnte mit großer Mühe gerettet wer den. Seeling und Mettingen hatten ihre beweg liche Habe nicht versichert. — Dresden, 8 Januar. In der Villa des Konsuls von Costarica, des Pianosortefa- brikanten Rönisch, wurde ein großer Diebstahl an Juwelen und Schmucksachen im Werte von über 12 000 Mk. ausgeführt. Als Täterin kommt eine 25 Jahre alte, aus Böhmen ge- bürtige Köchin in Betracht, die am 1. Dezem ber die Stellung angetreten hat und seit Per-