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und Uv Unterhaltungs-Beilage Nr. ,06 ISIS MM hohenstein-EmMaler Tageblatt Zlrntsblatt Erscheint wöchentlich zweinral. Druck und Verlag von I. Ruhr Nachfolger vr. Alban Krisch, Hohenstein-Lmstthal. Das Glück von Oelmenkorlt Roman von Marie Walter. 8 ss3Z Uv l19. Fortsetzung.) Die beiden jungen Männer starrten Wally verwundert an, entwickelte sie doch plötzlich eine Energie und Selb ständigkeit, wie sie es nicht von ihr erwartet hatten. Seebach gab ihr das Versprechen, Santen unbehelligt zu lassen, und nachdem er die Depesche aufgegeben hatte, lief er noch eine Weile ruhelos durch die Straßen. All seine Gedanken waren bei Wally. Ob Gustav wohl für sie sorgte? Ob die Wirtin ihr die nassen Kleider abgenommen und ihr ein warmes Getränk gegeben hatte? Wie schrecklich mußte die arme Frau unter der Tyrannei ihres brutalen Mannes gelitten haben! Und wie sehr hätte sie in ihrer jetzigen Lage eines freundlichen Wesens bedurft, dem sie ihr übervolles Herz ausschütten konnte! Während er diesen Gedanken nachhing, fiel ihm plötzlich seine Kusine Nora ein. Die wäre jetzt die rechte Stütze für Wally gewesen. Wie schade, daß letztere nicht mit ihr harmonierte! Er wußte, die beiden hatten sich seit dem Sommer nicht gesehen, es war daher mehr als zweifelhaft, daß Nora sich bereit zeigen würde, da Beistand zu leisten, wo man sie nicht gern sah. Trotzdem, dachte er. wäre es gut, sie in das Geschehene einzuweihen — auf ihre Verschwiegenheit konnte er ja bauen. Würde er sie aber um 9 Uhr abends zu Hause treffen? Sie erhielt stets so viele Einladungen. Als er die Villa erreichte, sah er zu seiner Freude Licht in ihrem Boudoir, und wenige Minuten später stand er ihr gegenüber. Bevor sie noch nach der Ursache seines späten Besuches fragen konnte, sprudelte er die ganze Leidensgeschichte feiner kleinen Freundin hervor, ohne in seinem Eifer zu bemerken, welch schmerzlichen Eindruck sein Bericht über Santens brutale Handlungsweise auf Nora machte. Als er geendet, hatte sie sich wieder gefaßt. »Du hast also ihrem Vater telegraphiert?" fragte sie. „Ja. Sie will morgen früh abreisen." „Ist sie denn wohl genug?" Max zuckte die Achseln. „Es gibt ja keinen andern Ausweg. Bei Gustav kann sie nicht bleiben und auch nicht zu Santen zurückkehren." „Nein, allerdings nicht", stimmte Nora zu. „In Delmenhorst ist sie jedenfalls am besten aufgehoben. Weshalb bist du denn aber zu mir gekommen, Max?" „Ich dachte", stotterte der junge Leutnant mit heißer Verlegenheit, „du würdest — du könntest ihr ein wenig helfen. Sie kam ganz durchnäßt in einer leichten Abend toilette zu Gustav und für eine Reise im Winter." Er brach verwirrt ab, dann sagte er in überstürzter Hast: „Ich dachte, es sei besser, wenn sie den Beistand einer Frau hätte, jemand, der liebevoll gegen sie wäre . . ." „Du bist ein guter, vernünftiger Junge!" lobte ihn Nora mit einem so freundlichen Blick ihrer wundervollen Augen, daß ihm ganz warm ums Herz wurde. „Ich werde morgen früh um acht Uhr bei ihr sein und sehen, waS sie braucht. Heute abend hat's ja keinen Zweck mehr." „Tat ich recht, zu dir zu kommen, Nora?" fragte Max zögernd. „Ich wüßte wirklich nicht, an wen ich mich sonst hätte wenden sollen." «r ? s -r 2 -r " r- S. (Nachdruck verboten.) „Du hast sehr recht getan", entgegnete sie ernst, „ich bin stets bereit, den Santens zu helfen, soweit ich es vermag." — „Frau Santen", verbesserte Seebach rasch. Nora sah ihm forschend inS Gesicht. „Und ihm auch", sagte sie mit Betonung. „Siehst du nicht, daß er der Hilfe fast noch mehr bedarf als Wally? Doch — das ver stehst du nicht. Und nun geh heim, lieber Max, ich werde bestens für deine kleine Freundin sorgen." Erleichtert aufatmend verließ Seebach die Villa. Er hatte seinen Zweck er-eicht und wußte, baß Nora Wort halten und Wally in dieser schweren Lage die beste Stütze sein würde. Was er aber nicht wußte, war, wie schwer Nora selbst unter dem, was geschehen, litt. Sie empfand es als eine bittere Herzensyual, daß der Mann, der einst ihr Jugendgespiele dann ihr Freund gewesen, so tief ge sunken war. Von ihm getrennt zu sein, konnte sie er tragen, sogar den Gedanken, daß er eine andere lieben könnte, was ihr aber schier unerträglich schien, war die Tatsache, daß er sich der Liebe eines guten Frauenherzens unwürdig gemacht batte. Ihr Gesicht jedoch zeigte keine Spur dieser Seelenpein, als sie am folgenden Morgen mit freundlicher Miene an Wallys Bett Kat. „Max Seebach kam gestern abends zu mir", sagte sie sanft. „Er hat mir alles erzählt, und ich möchte Ihnen nun gern ein wenig helfen, wenn Sie mich auch nicht be sonders leiden können." Wally brach in Tränen aus, doch Nora redete ihr liebreich zu und bot ihr sogar an, sie einige Tage bei sich aufzunehmen, falls sie sich zum Reisen noch nicht wohl genug fühle. Wally dankte ihr, sprach jedoch den Wunsch aus, so bald als möglich nach Delmenhorst zu fahren. „Gut, dann begleite ich Sie", entschied Nora. „Sie?" fragte Wally verwundert. „Weshalb wollen Sie sich soviel Mühe machen?" „Weil es nicht ratsam wäre, Sie allein reisen zu lassen", lautete die bündige Antwort. „Die Begleitung Ihres BruderS erscheint mir nicht als genügend, ich halte es in jeder Hinsicht für besser, wenn ich mit Ihnen gehe." „O, wie unrecht habe ich Ihnen getan!" murmelte Wallu reuevoll. „Verzeihen Sie mir!" „Was haben Sie denn von mir gedacht?" forschte Nora. „Das — das kann ich nicht sagen." „Ich errate es. Sie glaubten, ich hätte Ihnen bas Herz Ihres Gatten gestohlen. Darin irren Sie sich aber, Wally! Ich habe täglich gebetet, Paul möge Ihre Lieb« in gleicher Weise erwidern, und ich hegte keinen sehn licheren Wunsch, als Sie beide glücklich zu wissen. Wollar Sie mir das glauben?" Statt aller Antwort umschlang Wall, ihr« neue Freundin und küßte sie innig. 13. Kapitel. Eine Stunde vor Wallys Abfahrt traf ein Telegramm aus Delmenhorst ein. Es kam von Marga und lautete: „Ich erwarte dich, dein Vater ist verreist, wird dich aber bei seiner Rückkehr willkommen heißen."