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Stämme mit der provisorischen Regierung in Valona darzutun. Da vor einigen Monaten ein völliges Einvernehmen zwischen der provisori schen Regierung und dem Haupt der Mirvite» erzielt wurde und vor kurzem auch der Präsi dent der interimistischen Regierung in Alessio Jezuku seine Solidarität mit der hiesi-zeu Regie rung bekundet hat, da weiter die provisorische Regierung in Valona in der Verwaltung von Skutari keinen Gegner hatte, ist Albanien mit Ausnahme der kleinen Einslutzsphäre Essad- Paschas im Bezirke Durazzo als geeini g- tes Land anzusehen, was in politischen Krei sen mit Rücksicht auf die Ankunft des neuen Fürsten als günstiges Symptom betrachtet wird. Sschlilchks Hohenstein-Ernstthal, den 23. Dezember 1913. — Eine Schunck-Stiftung in Höhe von 380 000 Mk. hat durch letztwillige Verfügung Fräulin Julie Elisabeth s Felicitas Helene Schunck aus Leipzig, verstorben am 25. April 1913 zu Fasano in Italien, für im Kö nigreiche Sachsen wohnhafte,! dem evangelisch- lutherischen und evangelisch-reformierten Be kenntnisse angehörende bedürftige und würdige Frauen und Jungfrauen aus gebildetem bürger lichen Stande — also insbesondere Witwen und Töchter von Kaufleuten, Gelehrten, Künstlern und Beamten —, welche ihren Ernährer verlo ren haben, errichtet. Die Gesuche um Unter stützung sind an das Kultusministeriums zu richten. — St. Egidien, 22. Dez. Die hiesige Tur- nerschaft wird, wie schon seit vielen Jahren, auch Heuer wieder am 1. Weihnachlsfeiertag im Gasthof „Zur schönen Burg" eine öffentliche Aufführung zum Besten des Turnhalleubausonds veranstalten. Da werden turnerische Aufführungen mit musikalischen und theatralischen Aufführungen abwechseln und ein dreiaktiges Heimatsspiel „Die Völkerschlacht anno 1813" soll an die ernste Zeit vor hundert Jahren erinnern. — Die Hauptversammlung der Turner schaft wird am 11. Januar 1914 abgehalten, und am gleichen Tage findet ein Christbaumvergnügen statt. — Lttgau i. E., 22. Dez. Der in Lugau bestehende Erzgeb Schnitzverein beabsichtigt in der Zeit vom 1. Weihnachlsseiertag bis mit Hohneujahr eine große Weihnachtsberg-, Krippen- und Pyra miden-Ausstellung zu veranstalten. Der Verein hat weder Mühe noch Kosten gescheut, um ein gutes Gelingen zu verwirklichen. An allen Feiertagen und Sonntagen finden Unterhaltungs-Konzerte statt. Geöffnet ist die Ausstellung täglich von nachm. 2 Uhr an bis abends 11 Uhr. Ein recht reger Be such wäre der schönste Lohn für die große Arbeit. — Burgstädt, 21. Dez Beim Einbiegen von einer Straße in die andere stieß Herr Tierarzt Uhle mann von hier mit seinem Automobil an die Deichsel eines vor einem Grundstück stehenden Wagens und erlitt hierdurch eine Kopfverletzung und Gehirn erschütterung. — Burkersdorf bei Frauenstein, 21. Dezbr. Als der Gutsbesitzer Otto Sohr gegen zwei Burschen einschritt, die nachts in seinem Grundstück mit zwei Dienstmädchen allerlei Unfug trieben, erhielt er vier Messerstiche in den Kopf und einen Slick in die Brust. Die Täter wuroen verhaftet — Zwickau, 21. Dez. Der 26 Jahre alte Fördermann Georg Köck wurde bei der Kohlenförde rung von einem Hunt gegen den Stempel gedrückt und erlitt einen Bruch der Wirbelsäule, der seinen sofortigen Tod zur Folge hatte. — Crimmitschau, 21. Dez. Nach Unter schlagung von mehreren hundert Mark flüchtig ge worden ist der 23 Jahre alte Kutscher und Markt- Helfer Ludwig Seidel aus Geiselhörig in Bayern. Er war bei einem hiesigen Geschäftsinhaber in Stel lung, hatte Gelder vereinnahmt, aber nicht abge liefert, sondern ist damit verdultet. — Chemnitz, 21. Dez. Die Chemnitzer Rad rennbahn, auf der seit dem Konkurs der Sport- und Lunapark G. m. b. H. im Sommer d. I. keine Ren nen mehr stattfanden, ist jetzt in neue Hände über gegangen. Herr Hermann Müller, bisher Leiter der Radrennbahn in Plauen i. V. und Erfurt, hat die Chemnitzer Radrennbahn auf drei Jahre gepachtet. Die ersten Rennen unter der neuen Leitung finden am ersten Osterfeiertaq des nächsten Jahres statt; insgesamt finden in der kommenden Radrennsaison acht erstklassig besetzte Rennen auf der Altendorfer Bahn statt. Neben den radsportlichen Konkurrenzen wird der Sportplatz auch wieder anderen Acten des Sportes dienen, vor allem dem Fußballsport. In der großen Ausstellungshalle des Sportplatzes ist übrigens die Anl ge eines Wintervelodroms geplant — Leipzig, 2l. Dezbr. Ein lustiges Stück berichtet die „Bauwelt" aus Leipzig. Dort wurde im Oktober in Gegenwart des Königs auf dem Platze an der Karl Sigismund-Straße der Grund stein zu dem von Geheimrat Waldow entworfenen Gebäude der deutschen Bücherei gelegt. Es blieb aber bei diesem einen historischen Stein. Kein Spa ten und keine Hacke regte sich, um den Platz für die Fundamente herzurichten. Die Leipziger zerbrachen sich die Köpfe, bis ihnen endlich vor wenigen Ta gen des Rätsels Lösung geworden ist. Die deutsche Bücherei wird überhaupt nicht auf diesem Platze errichtet werden, sondern an der Straße des 18. Oktober. — Naveberg, 21. Dez. Der Arbeit fern geblieben waren wegen Lohndifferenzen die in dem HartglaSwerk von Petrich beschäftigten Frauen. Die Leitung sah sich deshalb veranlaßt, andere Frauen einzustellen. Infolgedessen ünd sämtliche im ge nannten Glaswerk tätigen Arbeiter in den AuSstand getreten. Der Betrieb wird nur mit Hilfe der Werk meister und Lehrlinge ansrechterhalten. — Altenburg, 21. Dez Eine Bären jagd" gab es in den letzten Tagen im Garten des „Ma rienbades". Durch irgend einen Umstand war ein junger Bär, der dort in einem Hundezwinger gehal ten wurde, ausgebrochen. Sofieich gingen einige Männer daran, den drolligen Burschen wieder ein zufangen! Sie nahmen ihn schließlich am Kragen, was er sich auch ganz ruhig gefallen ließ. Ist der Bär erst etwas mehr ins Fleisch gewachsen, dann soll er von einem hiesigen Kegelklub, der daS Tier zum Geschenk erhallen hat, als leckerer Braren ver zehrt werden. — Magdeburg, 21. Dez. Im hiesigen Ge- richtsgefängniS erhängte sich ein dreizehnjähriger Schulknabe, der tags zuvor wegen mehrerer Dieb stähle verhaftet worden war. Akllkltes vom Lüge. *Schweres Eisenbahnunglück. Am Sonnabend entgleisten von dem von Hagen kommenden Personenzug Nr. 719 bei Lottring- Hausen die Lokomotive und mehrere Wagen und stürzten den sehr hohen Bahndamm 'hinab. Kurz daraus fuhr in den entgleisten Zug ein anderer Persouenzug hinein, sodaß von beiden Zügen mehrere Wagen meinandergefchobeu wurden. Es sollen mehrere Personen getötet und zahlreiche verletzt worden sein. Von Dortmund und Ha gen wurden telegraphisch Hilfszüge und Aerzte verlangt. * E i tl brennendes Dorf. Aus Kassel, 20. Dezember, wird geschrieben: Das Dorf Bringhaufen im Bereich des Eddertalstau-- sees ist von dem Unternehmer, der es abbrechen sollte, heute in Brand gesteckt worden. Das ganze Dorf steht in Flammen. * Große Schadenfeuer. Das der Berliner Landbank gehörige, bei Glogau liegende Schloß Bansau ist völlig niedergebrannt. Der Schaden wird auf etwa 80 000 Mark geschätzt. — Eino fuchtoare Feuersbrunst hat sich in Dakar in Französisch-Westafrika ereignet. -Die Lager schuppen einer der größten westafrikanischen Han- delsiompagmen, der Koloniatzesellschast „Fran zösisch-Afrika", sind denl Brande zum Opfer ge- lallen. Der Schaden beläuft sich auf über 1^ Millionen Franks. Die Schuppen enchielten rie sige Vorräte von Petroleum, Oel, Dynamit usw. Angehörige der Kolonialtruppen versuchten unter eigener Lebensgefahr, einen Teil der Waren zu retten. Auch die im Hafen liegenden Schiffe be teiligten sich am Löschwerk. Trotzdem gelang es erst nach 24stündiger Arbeit, des Feuers Herr zu werden. * Durch Kohlengaserstickt. Die. Witwe Kruk in Hohonsalza und ihre Nichte, die Gewerbeschülerin Kanzler, wurden von den Haus bewohnern vermißt. Man fand sie schließlich tpt in ihren Betten vor. Sie hatten vor dem Schla« sengehen mit Steinkohle geheizt und durch sich in der Folge entwickelndes Kohlenoxyd den Tod gefunden. * Schlechte Reisernte, in Ia - p a n. In Hokkaido und Aomori ist infolge des kalten Sommers und frühen Winters die Reis ernte mißlungen. Unter der Bevölkerung herrscht große Not. Deshalb wird gefordert, daß der Staat durch öffentliche Arbeiten Abhilfe schafft. * Schwere Erdbebonkata st rö st h e. Eine Nachricht aus Konstantinopel, 20. Dezember, besagt: Der Wali von Erzerum be richtet, daß ein Erdbeben den Ort Schevrik zer stört hat. Alle Häuser liegen in Trümmern, zwei Frauen und zwei Männer sind tot, zwei Frauen verletzt. Auch in anderen Orten hat das Erdbeben Schaden angerichtet. * Die verunglückte Linkskul t u r. An 2600 Kindern in Berliner Hilfsschu len sind Versuche angestellt worden, sie zu be- sähigcn, die linke Hand ebenso wie die rechte beim Schreiben, Zeichnen usw. zu gebrauchen. Nach einem Berichte des Stadtschulinspektors Dr. Dickhoff sind diese Versuche ganz erfolglos ge wesen. Der Nutzen aus der Linkskulrur stehe in keinem Verhältnis zu der aufgewendeten Mühe und Arbeit. Besonders ungünstig seien die Versuch? bei dein Linksfchrecben ausgefallen. Die Berichte hierüber sprechen sogar von einer Schmiererei auf Kosten des Schönschreibens und der Rechtschreibung. Selbst die Kinder baten, doch wieder mit der rechten Handschreiben zu dürfen. Gelcbäftlickes. Wer die Wahl hat, hat die Oual! Für teures Geld erhält man oft mittelmäßige Ware und uni diesem zu entgehen, sollte man nur zu bestbekannten Firmen gehen. Wer z. B. eine Nähmaschine für den Hausgebrauch kaufen will, der wird immer gut tun, sich die altbe währten Siuger-Familiennächmaschinen attzuse- hen, deren Fabrikation stets mit der Zeit fort schreitet. Ein Bestich der hiesigen Niederlage der Singer Co. Nähmaschinen Akt. Ges., Weinkeller- straße 29, wird ihn davon überzeugen und er wird dort in der neuesten Singer Näh maschine „66" sein Ideal vorfinden. Jeden falls wird diese „66" Maschine von der Damen welt bevorzugt, denn sie näht nicht nur vorzüg lich, sondern fertigt auch mit Hülfe von Neben astparaten noch alle möglichen sonstigen Haus arbeiten an. So besorgt sie u. a. mit dem neuen Stopfapparat die kunstvolle Ausbesserung, jeglicher Art von Wäsche — Strümpfe, Unter zeug, Tischwäsche, Gardinen — sie faltet, kräu selt, säumt mit dem verstellbaren Säumer, wat tiert leicht und schnell und ist auch fähig, die herrlichsten Kunststickereien so schön herzustellen, wie es die Hand der geschicktesten Stickerin nicht besser auszusühren vermag. Handel und Gewerbe. Kammwolle. Kreme», 2V Dezember. Upland middling loko 65'/, Pi Kuh«.' zioerpool, 20 Dezember TageSumsatz 5000 Baller. Lieferungen slettg. Dezember 6,78, Dezember.Januar 6 78, Sek uar Mr» 6,81, April. Mat 6,rS, Junt-Zuli 6,80, August- September 6 64. Keel im, 20 Dezember. ProdmktrmdSrs«. Weizen Dk- ember 189 50, Mat 126 7b, Juki —,— Roggen Dezember 159,—, Mat t-'ä,—, Juli —,— Hafer Dezember 151,—, Mat 157,7b, Jult —. MaiS amerikan. mixed Dezember , Mat —. Rüböl Dezember , Mat —,—. Zahl ungSetnftellungen: Naufmanu Franz Alfred WetSler in Zwt^au Früh, BierLSndler Gmiav Barer tu DreS en. Nachlaß LeS Bäckermeisters und Konditors Ernst Hugo Goldammer in Geringiwalde. 8 . 30 GebirgSroggen, säch.bes^- 6 . beregnet K 7 . 80 . bO . 2 1 . 70 . 40 2 7ö auSlündische — Butter, I Kilo 70 2 SO 50 II S 3 20 80 lO 8 . 8 . 1 . 30 3 . — Krummstroh Karrofseln, inländische 8 . 8 - 8 - 6 . 7 - 80 . 10 . 35 . 80 . 15 . 25 . 80 . 75 . 10 . ! S . 8 . 3 . 2 . . 25 . . 5» . . 80 . 20 . 80 . 8 . 7 - 8 - 2 - SO 25 . 80 . I» . 75 . SO . 80 . 75 . 10 . LZ Roggen fremder Gerst», Brau-, fremde . . sächsische » Futter- Hafer, sächsischer . sächsischer Roggen, - Preuß. . 7 . . 8 . . 10 . - 8 . . 7 . - 7 - . 6 - . 8 - Marktpreise. Chemnitz, 20. Dezember 1913. pro bO Kilo Setzen, fremde Sotten 10 M. 7b Pf. btS I> M. iOP> - preußischer » ausländischer Erbsen, Koch- - Mahl- u. Futter- Heu, neu - gebündelt Stroh, Flegeldrusch » Maschtnendrusch Skl MWM WM Roman von H. Courths-Mahler. 2s tNachdruck verbot n. Neßdors hatte Frau Marianne Limbach be reits bemerkt, ehe sie ihn sah, und hatte ihr Zögern beobachtet. Bei ihrem Anblicke war es einen Moment wie Wetterleuchten iiber sein Ge sicht gezuckt, und dann hatte ein ironisches Lä cheln sein Gesicht umspielt. AVer nun sie ihn ansah, waren seine Zuge ruhig und unbewegt und seine Augen blickten kühl und ernsthast. Als er sah, daß sie ihn bemerkt hatte, tieß er die ineinander gekreuzten Arme auseinander- gleiten. Er griff zuin Hut und verneigte sich mit einer stummen Verbeugung. Sie errötete jäh. Das stand ihr gut — er kannte diesen schnellen Farbenwechsel an ihr, der ein leicht erregbares Naturell verriet. Einfl «hatte er enl„ückt und be glückt dieses Farbenspiel beobachtet und es für den Ausfluß einer riesen Gemütsart gehalten. Das war damals, als sie noch Marianne v. Wollin hieß, als er sie liebte und für das Ideal seines Herzens hielt. Wie jung und Vumm war er damals ge wesen! Jetzt ließ ihn ihr Erröten kalt. Er war längst fertig geworden mit der heißen, jungen Leidenschaft, die er für sie gehegt und die ihn voll Verzweiflung aus der Heimat getrieben hatte. Die Erkenntnis, daß sie kalt und berech nend einem andern die Hand gereicht, als der törichte Johannistrieb eines alten Mannes seine Erbaussichten zunichte machte, hatte ihn bald ge heilt. Da drüben in der neuen Welt blieb ihm auch im Kampfe um das Dasein keine Zett, sich in Erinnerungen zu versenken. Nun betrachtete er sie seelenruhig, wie man ein schönes Bild betrachtet. Daß sie schöner war als je, verhehlte er sich nicht. Trotzdem lag ihm nichts daran, die Bekanntschaft zu erneuern und sortzusetzen. Er hoffte, sie würde schnell voriibergehen mit einer stummen Erwiderung sei nes Grußes. Seiner Meinung nach mutzte sie ebenso sehr danach trachten, diese Begegnung ab zukürzen, als er selbst. Aber er irrte sich. Marianne blieb stehen und sah ihm mit einem koketten, bittenden Blick in die Augen. „Hans Retzdorf. Wirklich — Sie find es? Also endlich wieder in die Heimat zurückgekehrt!" sagte sie mit weicher, zärtlicher Stimme. Ach, der kannte diesen Tonfall nur zu gut. - Einst hatte diese Stimme ihm so siitz in die I Ohren geklungen, hatte ihn um Sinn und Ver stand gebracht. Heute quittierte er mit einem kleinen ironischen Lächeln über ihre „koketten Mätzchen", die sie ihm vorspielte. Sich leicht verneigend, sagte er ruhig: „Ich habe die Ehre, Sie zu begrützen, gnä dige Frau." Er grollt noch, dachte sie und lächelte noch verführerischer. Laut suhr sie dann sort, zärt lichen Vorwurs in der Stimme: „Und das mutz hier im Walde geschehen, gewisscrmatzen aus der Straße? Ich erfuhr erst gestern abend durch Herrn v. Diesterfeld von Ihrer Rückkehr. Be reits seit vierzehn Tagen sind Sie zurück." Reßdorf lächelte mokant. „Herr v. Diester- seld scheint noch immer sehr genau über das Lun und Treiben seiner Mitmenschen orientiert zu sei». Es stimmt ausfallend. Seit vierzehn Tagen bin ich wieder in Reßdorf." „Und trotzdem haben Sie uns noch nicht besucht?" fragte sie lieblich schmollend. „Ich hatte keine Ahnung, daß Ihnen mein Besuch erwünscht sein könnte. Ueberhaupt habe ich noch nirgends Besuche gemacht. Es ist auch nicht meine Absicht, dies zu tun — vorläufig wenigstens nicht. Mancherlei hält mich davon zurück Und ich möchte mich in der Einsamkeit erholen von allerlei Strapazen." Der arme Schelm möchte sich mit seiner Armut verstecken. Wie schwer ihm das Leben wohl geworden sein mag? Schrecklich zu denken, daß ich mein Schicksal an das seine hätte ketten können, dachte die schöne Frau mit einen leisen Schaudern. Voll wirklichen Mitleids blickte sie in sein interessantes, rassiges Gesicht und sagte herzlich: „Aber mit Wollin müssen Sie doch eine Ausnahme machen, Herr v. Retzdorf. Wollin ist Ihnen doch immer wie eine zweite Heimat gewesen." Er matz sie mit einen, dunklen Blick und seine Stirn zog sich finster zusammen. Hatte sie wirklich den Mut, ihn daran zu erinnern, was ihm Wollin einst gewesen war?" „Inzwischen hat sich doch manches geändert, gnädige Frau", sagte er kiihl abwehrend. „Ihre Eltern sind, wie ich hörte, gestorben. Und der jetzige Besitzer — Ihr Herr Gemahl — ist mir fremd. Was soll ich da noch in Wollin?" Sie trat näher zu ihm heran. Die Seide ihrer eleganten Dessous rauschte, ein ganz fei ner Dust stieg aus ihren Kleidern zu ihm em ¬ por und das schöne Gesicht mit dem wunder vollen Teint leuchtete dicht vor ihm. Mit einem geschickten Griff raffte sie die Schleppe ihres Klei des so, datz der zierliche Fuh in, Halbschuh und elegantem Seidenstrumpf sichtbar wurde. Er blickte daraifi nieder und dachte, datz diese Ge wandung sür eine Waldpromenade recht jchlecht gewähtt sei. Die schöne Frau Limbach war überhaupt sehr unzweckmätzig gekleidet. Die kost baren Spitzen schleiften achtlos über das feuchte Gras und kamen sicher zu Schaden. Man merkte datz sie es nicht nötig hatte, sich um eine ver dorbene Toilette zu grämen. Sie machte grotze, schmachtende Augen und neigte das Köpfchen mit dem reizenden, Neid samen Hut, der sicher eine horrende Summe ge kostet hatte, zur Seite. „Und ich, Hans Retzdorf — bin ich denn nicht auch in Wollin?" Ec presste einen Moment die Lippen sest aufeinander, um ein bitter ironisches Lachen zu unterdrücken. Sie deutete das als ein Zeichen großer seelischer Erregung. „Sie werden sicher sür Ihre kostbare Zeit bessere Verwendung finden, als sie an einen wegmüden. Wanderer zu verschwenden", sagte er kühl. „Oy — so sollten Sie nicht sprechen, Herr von Retzdorf", rief sie vorwurfsvoll uud dachte, datz er sich wohl nur bitten lassen wolle. „Toch, gnädige Frau — ich bin kein guter Gesellschafter. Der lustige Hans Retzdors ist ein ernster, stiller Mann geworden, dem das Leben mancherlei genommen hat, wenn es ihm auch manches gab. Zur Unterhaltung und Kurzweil für eine so schöne junge Frau eignet er sich nicht." Sie bemerkte nicht den leicht ironischen Bei klang und quittierte mit lieblichem Lächeln sür das Kompliment. „Darüber möchte ich mir doch gern eine eigene Meinung bilden. Sie können ganz sicher sehr interessant von Ihren Reisen erzählen." „So sehr viel, als Sie anzunehmen sck-ci- neu, bin ich gar nicht gereift." „Aber Sie waren doch in Amerika?" „Allerdings — aber wer ist heute nicht al les in Amerika gewesen! Da gibt es kaum Neues zu berichten. Und mein Leben ist sehr uninteressant verlaufen. Ich habe gearbeitet, das ist für niemand von Interesse als für mich." „Doch — auch für mich", sagte sie rasch, sich an seiner Gelassenheit immer mehr erregend. „Hans — warum sind Sie so zurückhaltend, so kühl und förmlich? Haben Sie alles vergessen, was uns einst verband?" Er richtete sich jäh aus seiner verbindend höflichen Stellung auf, um seinen Mund grub sich ein scharfer Zug. „Nein — vergeßen habe ich — nichts", sagte er schroff. Sie frohlockte innerlich. Er liebte sie noch — ganz sicher liebte er sie noch. Seine Kälte war nur angenommen, war nur Schein. Sein verletzter Stolz sprach daraus. Sie streckte bittend die weitze, ringgeschmückie Hand nach ihm aus, an der sie keinen Hand schuh trug. Edle Steine blitzten ihm entgegen, und diese Frauenhand war sehr schön. „Hans — zürnen Sic mir doch nicht länger, datz ich für uns beide vernünftig war. Schwer ist Ih nen das Leben da drautzen gewiß geworden. Bedenken Sie doch, wenn ich mich auch noch au Sie gehängt hätte, wieviel schlimmer wäre der Kampf umS Dasein für Sie geworden. Danken sollten Sie es mir, datz ich Sie nicht mit noch schwereren Ketten niederdrückte. Nicht wahr — Sie haben das Glück, das Sie erringen wollten, nicht gefunden?" Es zuckte wieder wie Wetterleuchten in sei nem Gesicht. Aber sein Blick blieb ruhig. „Tas Glück? Neiu, ich sand es nicht. Piel leicht gibt es für mich kein Glück." Sie seufzte auf, von warmem Mitleid er griffen. Schlecht war sie ja nicht, diese Frau — nur leichtsinnig und kokett, weil noch nie ein ernstes, tieferes Gefühl ihr Innerstes erfüllt hatte. „Wem« ich Ihnen doch helfen könnte. Ach, mein Gort — welch ein drückender Gedanke für mich, datz ich im Reichtum schwelge, während Sie — ach Hans — das ist sehr schlimm, datz die Güter des Lebens so ungerecht verteilt sind." Einen Moment stutzte er. Dann flog ein Lächeln uni seinen Mund, ein anderes Lächeln als zuvor. Vielleicht hörte er einen echten Ge sühlston aus ihren Worten, vielleicht auch trieb ihm ein anderer Gedanke dies Lächeln ins Gesicht. „Beruhigen Sie sich, gnädige Frau, die Ar mut drückt mich ganz sicher nicht, sie hat mit meinem Glück nichts zu tun", antwortete er mit einem humoristischen Beiklang. (Fortsetzung folgt.)