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Es verstrichen mehrer« Minuten, bevor Nora das Schweigen brach. „Und du — du hast Wally wegen ihres Geldes geheiratet?" „Ja", nickte er mit gesenktem Blick. „Hast du mir nicht selbst oft geraten, ein reiches Mädchen zu suchen?" „Ich riet dir aber nie", unterbrach sie ihn scharf, „Delmenhorsts Tochter zu entführen — ein Kind von siebzehn Jahren! Welch' unbegreifliche Torheit! Und welch' unehrenhafte Tat! Jeder wird dich verurteilen — die Gesellschaft am meisten." „Pah!" fiel er wegwerfend ein, „die Welt ist stets nachsichtig, wenn eS sich um eine Liebesheirat handelt." „Ja, aber nur, wenn die Liebe auf beiden Seiten ist. Man wird bald genug ausfindig machen, daß du das Mädchen wegen seines Geldes geheiratet hast." Santen zuckte verächtlich die Achseln. „Mir ist's im Grunde einerlei, was die Welt denkt und sagt. Ich will nur wissen, ob du mich auch verurteilst, ob du mich in meinem Unglück in Stich lassen wirst." „Ich weiß wirklich nicht, waS ich jetzt noch für dich tun könnte", gab sie ernst zurück. „Soll ich es dir sagen?" Er trat dicht auf sie zu und sah ihr fest in die Augen. „Du bist nicht die Frau, die sich an den konventionellen Schranken der Gesellschaft stößt, Nora. Wenn du mich liebst, wenn dir mein Glück am Herzen liegt, so durchbrich diese Schranken^" „Es scheint, du ziehst nur dein eigenes Glück in Be tracht", erwiderte sie mit bewunderungswürdiger Zurück haltung. „Bedenkst du aber auch das meine und dasjenige — deines Weibes?" „Das deinige gewiß, denn ich weiß, daß du mit mir glücklich werden würdest. „Verstehst du, was ich meine?" Sie richtete sich plötzlich zu ihrer vollen Höhe auf. „Ich kann mir absolut nicht denken, was Sie meinen, Paul", sagte sie mit jäher Kälte. „Genügt Ihnen diese Antwort?" Jedem andern hätte sie genügt, nicht aber einem so frivolen Mann, wie Santen es war. „Warum willst du mich nicht verstehen, Nora?" rief er heftig aus. „Begreifst du nicht, daß ich dich begehre? WaS kümmert unS die Welt? Laß uns noch heute von hier fortgehen, weit fort — einerlei wohin, nach Griechen land oder Amerika — wohin du willst! Weshalb sollen wir uns zu Märtyrern des Schicksals machen? Das Leben ist so kurz, und wir haben es beide noch nicht recht genossen." „Und was beabsichtigen Sie mit Ihrer Frau zu tun?" hielt ihm Nora unbewegt entgegen. In seinem Ungestüm merkte Santen gar nicht, daß sie das vertrauliche „du" fallen ließ. „Es wird natürlich zur Scheidung kommen", entgegnete er rasch. „Wally kehrt zu ihrem Vater zurück, erhält dessen Verzeihung und heiratet den Mann, den er für sie wählt. Dann stünde nichts mehr zwischen uns, Nora." „Und was würde Wally dazu sagen?" „Sie ist nur ein Backfisch. Da hat man noch kein Herz, das darüber brechen könnte." „Ihretwegen gab sie alles — Heimat und Freunde preis, folgte Ihnen blindlings, als Sie sie aus dem Vaterhause lockten, und Sie sagen, sie habe kein Herz?" „Denken wir doch jetzt nicht an Wally", unterbrach er sie ungeduldig, „wildern allein an uns, an die herrliche Zukunft, die vor uns liegt. Wir halten jetzt das Glück in Händen und wollen es unS nicht entschlüpfen lassen." Er sprach mit einer Leidenschaftlichkeit, mit einem Feuer in den Augen, das eine weniger starke Natur wie Nora hingerissen hätte. Sie aber richtete nur einen halb bedauernden, halb zürnenden Blick auf ihn. „Ich hätte nicht gedacht, daß Sie ein so schlechter, egoistischer Mensch wären, Paul", sagte sie ernst, „allein nach Ihren letzten Worten muß ich Sie für gänzlich Herz- und ehrlos halten. Ich liebte Sie und liebe Sie wohl noch — jedoch in anderer Weise als vorher. Die frühere Liebe haben Sie in mir ertötet, weil ich Sie nicht mehr achten kann. Es tut mir leid für Sie — noch mehr für Ihre arme Frau, daß Sie solche Gesinnungen bekunden." Er murmelte einige unverständliche Worte, deren Sinn sie jedoch erriet. „Wally trägt nicht die Schuld an Ihrem Unglück, sondern Sie allein", sagte sie in herbem Ton. „Sie haben daS Mädchen überredet, mit Ihnen zu fliehen, Sie zu heiraten. Das Opfer, das es Ihnen gebracht hat, können Sie gar nicht genügend vergelten. Und nun hören Sie mein letztes Wort: Wenn die Welt wüßte, was ich weiß, so würde man Sie geradeheraus einen Schurken nennen. Daß ich es nicht tue, geschieht nur, weil ich in Ihnen noch immer den Jugendgespielen lehe, und weil ich hoffe, Sie werden mir eines Tages Gelegenheit geben, Ihnen wieder sine Freundin sein zu können. Für den Augenblick müssen wir uns aber fremd bleiben." „Und Sie werden mich verdammen und mich fallen lassen wie die anderen?" grollte Santen. „Nein — ich werde für Wally tun, was ich vermag. Ihr will ick gern meine Freundschaft schenken — Mr Sie bin ich nur eine - Bekannte. Ich trage Ihnen nichts nach Paul, aber ich möchte Ihnen klar machen, wie un ehrenhart Sie vorhin gesprochen haben. O Paul", fuhr sie schmsrzbewegt fort, „wie konnten Sie mir eine solche Beleidigung zuMgen! Wenn ich Ihnen — bevor ich um Ihre Heirat wußte — meine Gefühle für Sie verriet, so durfte Sie dies nicht veranlassen, mir einen so unwürdigen, entehrenden Vorschlag zu machen. Sie haben sich damit selbst erniedrigt, und ich rann nur wünschen, daß Sie erkennen mögen, wie tief Sie gesunken sind und wie sehr jeder eh-renhafte Mensch Sie verachten muß." Einer scharfen Geißel gleich fielen diese richtenden Worte auf den verblendeten Mann, den sie zwar tief ver letzten, der seiner Richterin aber doch nicht zu zürnen ver mochte, weil sein Gewissen ihm sagte, daß sie recht habe. „Ich sehe meine Schuld ein", äußerte er mit einem Anflug von Bedauern, „das ändert aber nichts mehr an dem Geschehenen. Wenn Sie erlauben, will ich jetzt gehen." Sie nickte nur stumm, und so ergriff er seinen Hut und schritt langsam der Tür zu. Nora blickte ihm nach: trotz der herben Vorwürfe, die sie ihm gemacht hatte, sehnte sie sich danach, ihm noch ein freundliches Abschieds wort zu sagen. An der Tür wandte er sich noch einmal um, und der Blick, den er in ihren Augen gewahrte, zog ihn wieder zu ihr zurück. „Ich kann nicht von Ihnen gehen, Nora", sagte er in gepreßtem Ton. „bevor Sie mir nicht verziehen haben." Sie legte ianft ihre Hand auf seinen Arm. „Ich ver zeihe Ihnen, Paul", erwiderte sie bewegt, „wenn Sie mir versprechen, freundlich gegen die arme kleine Wally zu sein. Machen Sie Ihre Frau glücklich, Paul, dann will ich vergessen, was Sie gesprochen haben." Er küßte ihre Hand, entschlossen, um Noras willen seinem Versprechen gegenüber Wally nachzukommen. Wie er dann auf die Straße gelangte, wußte er selbst nicht. Planlos irrte er umher, unfähig, an etwas anderes zu denken als an sein Unglück. Der Abend brach schon herein, als er endlich in das Hotel zurückkehrte, wo ihn seine junge Frau sehnsüchtig erwartete. 10. Kapitel. Vier Wochen waren verstrichen. Paul Santen hatte sich nach Berlin gewendet, weil er dort noch einige Freunde besaß. Er lebte vorerst in den Tag hinein, immer noch die Hoffnung nährend, Delmenhorst werde seiner Tochter verzeihen und ihr die Mitgift ausliefern. Erfüllte sich diese Hoffnung nicht, so kam er in recht große Ver legenheit, denn seine Hilfsmittel waren nahezu erschöpft. In seinem Leichtsinn dachte er zunächst aber nicht weiter an die Zukunft, wohnte in einem teuren Hotel, besuchte Theater und Konzerte rind schaffte Wally elegante Toiletten an. Eines Abends wartete er im Salon auf seine Frau, die sich im Nebenzimmer für das Theater ankleidete. Als sie fertig war und zu ihm hineintrat, betrachtete er sie einen Moment mit unverhohlener Bewunderung. Sie sah auch in der Tat reizend aus in dem durchsichtigen mattweißen Gewand, das auf einem Untergrund von meergrüner Seide ruhte. Ein Strauß gelber Marschall Niel-Rosen war an ihrem Gürtel und eine gleiche Rose in ihrem schimmernden dunklen Haar befestigt. Wally war sich ihrer Schönheit bewußt: dennoch fand sie keine Befriedigung darin, weil sie in den kurzen Wochen ihres jungen Ehestandes bereits gemerkt hatte, daß sie trotz dieser Schönheit nicht so starke Anziehungskraft auf ihren Gatten ausübte, wie sie gehofft.