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deinem besseren Selbst vertrauen konnte. Und nun muß ich dir noch eine Frage stellen. Es gilt, ein Geheimnis aufzuklären. Willst du mir sagen, was Wally bei ihrer Flucht mit sich nahm?, „Was sie mitnahm?* wiederholte Santen verwundert. „Nichts als ein Kleid.' „Keine Juwelen, keine Wertpapiere?' „Ich habe nie dergleichen bei ihr gesehen. Warum fragst du?" „Weil in der Nacht, als sie das Haus verließ, der Schmuck ihrer verstorbenen Mutter sowie Wertpapiere aus dem Schreibtisch ihres Vaters gestohlen wurden. Der Verdacht lenkte sich auf Wally, und deshalb mar ihr Vater so unversöhnlich gegen sie. Ich bin aber überzeugt, daß sie unschuldig ist." „Natürlich!" versicherte Santen. „Wie konnte Delmen horst so etwas von seiner Tochter denken!" „Möller scheint den Verdacht auf sie geworfen zu haben." „Möller?" „Ja, er. Gustav sagt, er spiele eine sehr zwei deutige Rolle und suche den Vater gegen seine Kinder aufzuhetzen.' Santen blickte nachdenklich vor sich hin. „Ich verstehe es eigentlich nicht", bemerkte er kopfschüttelnd. „Weshalb sollte Moller seine Nichte verdächtigen?" „Vielleicht um seine eigene Unredlichkeit zu verdecken." (Schluß folgt.) 6ine kluge frau. Eine Ehestandsgeschichte von W. M. Lucas. (Nachdruck verboten.) „Leicht wirst du es aber nicht haben", bemerkten alle Verwandten und Freunde zu Marie, als sie sich mit dem jungen Zimmermann Holz verlobt hatte. „Der Fritz Holz ist ja ein liebenswürdiger und herzensguter Mensch; auch muß man ihm lassen, daß er sein Handwerk meister haft versteht, aber seine unheimliche Heftigkeit! Das ganze Haus möchte er in Stücke schlagen, wenn ihn die Wut packt." „Er ist noch jung genug, um sich das abgewöhnen zu können", entgegnete darauf Marie. „Na, dann gewöhne es ihm nur ab, ehe ihr heiratet", meinten die andern. Marie schwieg hierzu, allein sie dachte bei sich, daß es doch wohl ratsamer sei, ihre Erziehungsversuche bis nach der Hochzeit zu verschieben. Ihr Fritz hatte sie ja so lieb und war so gut zu ihr, aber doch bemerkte sie zu weilen ein warnendes Aufblitzen in seinen Augen, das wohl das Vorzeichen eines Sturmes gewesen wäre, wenn sie es nicht jedesmal noch schnell vermocht hätte, einen solchen abzuwenden. Die Heftigkeit ihres Verlobten aus eigener Überzeugung kennen zu lernen, hatte sie nur ein einzigesmal Gelegenheit. Da führte sie ihr Weg dickt an seiner Wohnung vorbei, und in der Hoffnung, er möchte sie gewahr werden und zu ihr hinauseilen, lenkte sie ihn noch näher zu dieser hin. Plötzlich vernahm sie einen furchtbaren, aus dem Hause kommenden Lärm. Es war seine Stimme, und dazwischen ein entsetzliches Krachen und Poltern. Erschrocken hörte Marie eine Weile zu, dann zog sie sich vorsichtig und unbemerkt zurück und äußerte zu niemandem etwas über das, was sie gehört, auch zu ihrem Verlobten nicht. — Der Hochzeitstag kam heran und ging vorüber. Marie waltete in ihrer eigenen neuen Häuslichkeit so anmutig und flink ihres Amtes, daß Fritz in seiner freien Zeit genug damit zu tun hatte, sich daran zu ergötzen. Sie sang, lachte und scherzte von früh bis spät; sollte er da nicht gleichfalls guter Laune sein? Es gibt ja gar keinen Grund für ihn, heftig und ärgerlich zu werden. Aber solch richtige Heftigkeit braucht auch gar keinen vernünftigen Grund. Sie kommt, wenn es ihr eben paßt, und so war es auch hier. Eines schönen Tages kam es so, wie es kommen mußte. Er kehrte von seiner Arbeitsstätte heim, auf der er heut Arger gehabt. Noch hielt er an sich und war nur ein bißchen unwirsch und unliebenswürdig, aber in seinem Innern lag der Grimm wie ein Tiger zum Sprunge bereit. Marie merkte das wohl, doch sie tat ganz unbefangen, wenn sie auch wohlweislich jedes Wort, ehe sie's aus sprach, dreimal überlegte und selbst ihr Lachen hütete, damit es nicht an unrechter Stelle erklänge. Indes alle Vorsicht war der verborgenen Wut ihres Mannes gegen über umsonst. Als sich ihm sonst kein Anlaß bot, aufzubrausen, fragte er, ob das Heu nun herein sei, das schon ein paar Tage lang am der kleinen Wiese hinter dem Hause aus gebreitet lag. Die Antwort, die Marie ihm geben mußte, konnte er natürlich vorher wissen, denn es hatte ja heut früh geregnet, und naß durfte das Heu unter keinen Umständen hereingebracht werden. Marie sagte ihm dies selbstverständlich und mit ruhigen Worten. Nun fuhr er auf: „Schauderhafte Wirtschaft das!" Ob er damit die seiner Frau meinte oder die von Sankt Peter, der den unzeitigen Regenguß gesandt hatte, darüber ließ er sich nicht näher aus. Er wetterte dagegen fort, daß das Haus bebte, und als auch das seiner Wut noch nicht genügte, ergriff er eine auf dem Tisch stehende große irdene Schüssel und warf sie mit voller Wucht zu Boden, daß die Scherben in der ganzen Stube umher sprangen. Das gefiel ihm, so war er's gewohnt, und er griff nach der zweiten. Er wollte doch einmal zeigen, wer Herr im Hause sei. Allein, ehe noch die zweite Scküssel das Schicksal der ersten teilte, gab's einen Krach. Er sah sich um. Da stand Marie am Geschirrichrank, und vor ihr am Boden lag ein zerbrochener Teller. Ein erneuter Krach folgte, es war ein zweiter Teller. Gar nicht sehr wuchtig war der Wurf, mit dem seine Schüssel die Erde erreichte. — Seelenruhig und scheinbar mit kindlicher Freude ließ Marie den dritten Teller folgen. „Zum Donnerwetter!" schrie er. „Krach!" der vierte, und sie nickte ihm freundlich zu. „Sie bringt es fertig, den ganzen Stoß Teller zu zertrümmern", dachte er staunend. Denn die Verblüffung hatte seine Wut so weit gedämpft, daß er bereits wieder imstande war, klar zu denken. „Was soll denn das heißen?" rief er. — So etwas war ihm denn doch noch nicht vorgekommen. „Krach!" wieder ein Teller. „Nun ja", sagte sie treuherzig. „Ich helfe dir, weil wir uns doch so ärgern müssen." Und dabei iah sie aus, als wollte sie gern ein ärgerliches Gesicht machen — aus Pflicht. „So laß das doch." Aber der sechste Teller lag schon da. „Warum denn?" fragte sie in bedauerndem und er stauntem Tone. Er nahm ihr den siebenten Teller aus der Hand, und schloß energisch den Schrank. „Ach du — es war so nett", schmollte sie. Er entgegnete nichts, er sah sie nur bedenklich von der Seite an. Er konnte ja doch nicht gut sagen — ob wohl dies seiner eigentlichen Überzeugung entsprochen hätte —, „Geschirr zerwerfen darf nur ich, der Hausherr, hier!" Brummend griff er nach seiner Mütze und ging aus dem Hause. Als er sich in der Stubentür noch einmal nach Marie umsah, stand sie mit der harmlosesten Miene unter den Scherben, die wie die Trümmer eines Schlacht feldes umherlagen, — und er wußte, daß er auf diesem Schlachtfelde eine Niederlage erlitten hatte, daß die zwei irdenen Schüsseln die ersten und letzten während seines Ehelebens einem Wutanfall geopferten Gegenstände bleiben würden — und daß er eine sehr kluge Frau besaß. Die hübsche Siegerin lächelte nur ein wenig, als sie sich allein sab. „Ein halbes Dutzend bloß", sagte sie zu sich selbst. — Sie hätte nötigenfalls ihren ganzen Geschirrschrank mit all den herrlichen, bunten Hochzeitsgeschenken geopfert, aber es war doch gut, daß sie billiger davonge kommen war. „Wenn er mir nicht so gut wäre —" meinte sie nach denklich, „wer weiß, wie dann alles ausgegangen wäre!" Und dann räumte sie die Scherben hinweg, und sie hatte an diesem Tage mehr aus dem Wege geräumt als Scherben.