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„Du, Nora?" murmelte er, indem er stöhnend den Kopf auf die Brust sinken lieb. „Bist du krank, Paul?" fragte sie freundlicher, ihre Hand auf seinen Arm legend. „Ja", nickte er mechanisch. „Weshalb kamst du hierher?" „Um dir zu helfen", sagte sie warm. „Du bist krank, Paul, und als deine Freundin möchte ich dir beistehen." Ihre Worte schienen ihn aus seiner Betäubung auf zurütteln; er strich sich mit der Hand über die Stirn, als suche er sich zu besinnen, dann aber griff er nach der Kognakflasche. Blitzschnell entzog Nora sie ihm. „Nein, nein", wehrte sie ab. „Du tötest dich damit." „Was liegt daran?" stieb er, augenscheinlich durch ihren Widerspruch gereizt, heftig hervor. „Hast du so große Lust zu sterben?" fragte Nora, den Tisch in eine entfernte Ecke stellend. Er erhob sich schwerfällig, als wollte er ihr nach gehen. „Ich habe wohl geträumt?" lallte er mit blödem Lachen. „Ich weib gar nicht, was ich tue. Der Kognak ist's nicht und Krankheit auch nicht." „Was denn?" warf Nora besorgt ein. „Ich glaube — das Opium. Gib mir ein GlaS Master, dann wird's vorübergehen." Sie brachte ihm das Verlangte und er trank in gierigen Zügen. „Weshalb bist du gekommen?" fragte er nochmals, jetzt aber mit klarem Bewußtsein. „Meine Frau ist nicht zu Hause." „Weil du sie auf die Straße gejagt hast", erwiderte Nora gerade heraus. „Ich war seitdem mit ihr." Wie von einem Messerstich getroffen, zuckte Santen zusammen. „Ich — ich hatte es nicht so gemeint", stotterte er, „ich rief sie gleich wieder zurück. Sie hatte mich gereizt, und ich war von Sinnen." „Anstatt aber dein Unrecht einzusehen", hielt ihm Nora eindringlich vor, „ergibst du dich nun auch noch dem Trunk, ruinierst du dich an Körper und Geist, so daß selbst deine besten Freunde sich mit Verachtung von dir abwenden müssen." Santen lachte bitter auf. „Desto bester also, wenn es bald zu Ende geht! Hilft die Flasche nicht rasch genug, so tut's vielleicht eine Kugel." „Sprich nicht so, Paul!" wies ihn Nora unwillig zurecht. „Du hast dich abscheulich benommen, das steht außer Frage, aber du sollst es nicht so weiter treiben. Sage mir nicht, daß du auf dem eingeschlagenen Wege bleiben willst — ich müßte mich zeitlebens deiner schämen. Ich habe ebenso gut ein Anrecht auf dich wie Wally. Können sie und ich aber keine Macht über dich gewinnen, so ist da noch ein anderes Wesen, dem du vielleicht eher Gehör schenken wirst." „Wer?" fragte er mit momentan erwachtem Interests. „Weißt du es nicht?" entgegnete sie verwundert. „Erfuhrst du nicht, daß du eine Tochter hast? Um ihret willen mußt du ein besserer Mensch werden, Paul." Sie sagte das so ruhig, so einfach, und doch machten die wenigen Worte einen tiefen Eindruck auf Santen. Seufzend sank er in den Sessel zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Nora störte ihn nicht. Eine Weile brütete er vor sich hin, bis er plötzlich in bitterem Tone ausrief: „Was würde es mir nützen? Ich werde doch nie das Kind und dessen Mutter sehen dürfen. Delmenhorst wird das schon verhindern. Nein, für mich gibt es kein Zurück mehr, überlaß mich also meinem Schicksal, Nora." „Niemals!" erklärte sie fest. „Du sollst dich nicht absichtlich zugrunde richten." „Warum nicht?" gab er düster zurück. „Ist es nicht auch deine Schuld, daß es so weit mit mir gekommen? Wärst du in früheren Jahren freundlicher gegen mich ge wesen, hättest du nicht darauf geachtet, als man dir ein redete, wir seien zu arm, uns zu heiraten, so stände es jetzt besser um uns. Du selbst hast mich so weit gebracht, und nun ist es zu spät " „Ja", fiel sie ein, „die Vergangenheit zu ändern ist's zu spä^ mit der Zmun't hat das aber nichts zu tun. Ich bekenne es offen — wäre ich weniger weltlich und furchtsam gewesen, so würden wir beide glücklicher ge worden sein. Doch — noch ist es nicht zu spät für dich. Du bist jung und gesund — du kannst ein neues Leben beginnen." Er schüttelte mutlos den Kopf. „Doch, doch", versicherte sie ernst, wechselte dann aber jäh das Gespräch. „Weißt du, daß ich in Delmenhorst war? Ich begleitete Wally dorthin. Sie wurde sehr krank, so daß wir für ihr Leben fürchteten, und dann kam das kleine Mädchen. Wally will es nach mir nennen." „Ja", nickte er zustimmend, „es soll deinen Namen erhalten." „Wally und ich", fuhr Nora fort, „sind jetzt sehr be freundet — sie gab mir eine Botschaft an dich mit." „Eine Botschaft — an mich?" wiederholte er stockend. „Ja. Ehe ich fortging, sprachen wir von dir. Wir wußten nicht, wo du dich aufhieltest, aber Wally bat mich, falls ich dich irgendwo treffen würde, dir zu sagen, du möchtest ihr verzeihen, was sie getan habe " „Sie braucht mich doch nicht um Verzeihung zu fragen", fiel er ungestüm ein. „Jedermann weiß, wie schlecht ich gegen sie handelte. Ich bereute es ja gleich, aber trotzdem wird mich alle Welt verdammen. Mir bleibt schließlich doch nur eine Kugel, um dies elende Dasein zu enden." „Das wäre ein feiger Ausweg!" tadelte Nora. „Sei ein Mann, Paul. Geh' zu deiner Frau, versöhne dich mit ihr und versuche, sie glücklich zu machen. Sie sagte mir, daß sie dich sehen möchte. Also geh' zu ihr!" „Ich soll nach Delmenhorst gehen?" fuhr Santen auf. „Um Wallys willen wird dich ihr Vater sicher empfangen." „Nein, nein", wies er unwirsch zurück. „Das kann ich nicht." „Ah, so sprecht ihr Männer stets!" rief Nora un geduldig aus. „Eher laßt ihr eine Frau sterben, als daß ihr etwas tut, was euch nicht zusagt. Natürlich wird es dir nicht leicht fallen — das gebe ich zu —, wenn du nur einen Funken von Ehrgefühl besitzst, mußt du ja wissen, wie schlecht du dich benahmst. Und doch willst du dich nicht dazu aufraffen, deiner Frau zu sagen, es täte dir leid? Geh', Paul, für diese Art Stolz habe ich kein Ver ständnis! Das ist weder männlich noch charaktervoll — das nenne ich einfach — feige! Glaube mir — nicht der Mann, der irrt, ist's, den ich achten könnte, sondern den, der nach dem Fall den Mut hat, sich wieder aufzuraffen und zu sagen: Ich bereue es. Solch einen vermag ich zu schätzen, nicht den, der keine Versuchungen kennt." Schweigend hörte Santen ihr zu, aber ihre in steigendem Affekt gesprochenen Worte machten sichtlich Eindruck auf ihn. Er schien mit sich zu kämpfen, obgleich seine ganze Haltung noch Unentschlossenheit ausdrückte. „Und kannst du dich nicht wie ein Mann benehmen", fuhr Nora nach einer Pause eindringlich fort, „so sei wenigstens vernünftig genug, dem Alkohol und dem Opium zu entsagen. Verlaß Berlin, wandre aus, arbeite für deinen Lebensunterhalt, werde ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft. Deine Freunde werden dir in jeder Weise beistehen, es bedarf von deiner Seite nur des guten Willens, der Energie. O Paul", ihre Stimme nahm einen bittenden Klang an, „kannst du, willst du mich verstehen? Erscheint es dir nicht der Mühe wert, einen letzten Versuch zu machen?" „Nur so lange ich dich sprechen höre", murmelte er mit gesenktem Kopf. „Nun, so denke, ich sei immer in deiner Nähe", sagte sie mit überströmendem Gefühl. „Tag und Nacht werde ich ja an dich denken, werde sch für dich beten. Wir sind alte Freunde, und meinen Freunden bleibe ich immer treu. Um unsrer Freundschaft willen, Paul, flehe ich dich an, geh' zu Weib und Kind, versöhne dich mit Wally und beginn' ein neues Leben mit ihr zusammen. Es ist mein einziger Wunsch, der einzige, der mich glücklich machen würde." „Wirklich?" Er sah sie ungläubig an. „Nun gut — um deinetwillen will ich es tun, Nora. Ich werde Wally um Verzeihung bitten und versuchen, ein anderer Mensch zu werden — um deinetwillen! Wirst du dann zu frieden sein?" Sie streckte ihm beide Hande entgegen, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. „Ich habe nie an dir gezweifelt, Paul", sagte sie warm, „ich wußte, daß ich