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WMkU-EliWer NMM Tlrntsblcrtt. Nr. 2S4. Freitag, den 19. Dezember 1913. Zweites Blatt. Lschlilcher Landtag. Dresden, 17. Dezember. Die Erste Kammer erledigte in ihrer 6. öffentlichen Sitzung, die heute vormittag 11 Nhr begann, folgende Kapi tel des ordentlichen Staatshaushalts- Etats für 1914/15: 1. bei Kap. 29, Land- lagskosten und 2. bei Kap 30, Stenographisches Landesamt, hob der Berichterstatter Präsident a. D. v. Kirchbach hervor, das; beide Kapi tel einige bedeutende Neuerungen erfahren haben. Der hierzu erstattete Bericht der zweiten Depu tation, der sich bei beiden Kapiteln mit den Beschlüssen der Zweiten Kammer deckt, wurde ohne Debatte einstimmig angenommen. Schließ lich erstattete Kammerherr LLirkl. Geh. Rat v. Schönberg Anzeige über einige für unzu- lässig erklärte Petitionen. Die Sitzung wurde ^12 Uhr geschlossen. Die nächste Sitzung findet am 13. Januar 1914, vormittags 11 Uhr, statt Die Zweite Kammer nahm in ihrer heutigen 21. öffentlichen Sitzung den mündlichen Bericht der Gesetzgebungs deputation über den dvrch das Königl. Dekret Nr. 6 vorgelegten Gesetzentwurf über die Ab änderung des Gesetzes vom 20. März 1894, die Unterstützung der in den Rüheftand versetzten B e z i r k s h e b a m m e n bett., in Beratung. Der Entwurf wurde nach der Vorlage unver ändert angenommen. Als zweiter Punkt stand auf der Tages ordnung die von der nationallibcralen Partei eingereichte Interpellation: Ist die Königliche Staatsregievung bereit, über die Grundsätze Auskunft zu geben, die für sie bet her Besetzung der Lehrstühle der Theol o- gischen Fakultät der Landesuniverisität maßgebend sind und insbesondere bei der letzten Besetzung des zweiten Lehrstuhls für praktische Theologie maßgebend gewesen sind? Die Interpellation wurde von dem Abg, Nitzschke eingehend begw'indet. In weite sten Kreisen des Volkes mache sich ein Gefühl der Gleichgültigkeit geltend, das nicht zum min desten durch die einseitige Mchtung in unserer Landeskirche hervorgerufen fei. Bei der Be setzung der theologischen Lehrstühle müßten Ver treter verschiedener Richtungen herangezogen werden, um so vo^uckeilstreie und duldsame Die ner der Kirche zu erziehen. Zurzeit sei jedoch, die Ansicht des liberalen Teiles unserer Geist lichkeit in der Theologischen Fakultät nicht ver- rreten. Der Interpellant ging weiter auf die letzte Besetzung des zweiten Lehrstuhls der theo logischen Fakultät ein. Er machte insbesondere dem Kultusministerium den Vorwurf, mit der Besetzung des orthodoxen Herrn Dr. Frenzel ini Sinne der Minderheit unseres kirchlich gesinn ten Volkes gehandelt zu haben, während sich mit der Berufting des von der theologischen. Fakultät zuerst vorgeschlagenen liberalen Pastors. Naumann ein gangbarer Weg eröffnet hätte. Er sprach weiter sein Befremden darüber aus, daß die Berufung im vergangenen Winter er folgt sei, nachdem der Landtag bereits ausein andergegangen sei. Kultusminister Dr. Beck: Durch eine möglichst vollkommene Berücksichtigung der Fakul tätsvorschläge erfüllt das Ministerium am sicher sten seine vornehmste Pslicht, die tüchtigsten und geeignetsten Dozenten auszuwählen. Soweit es such um Professuren der theologischen Fakultät handelt, ist nach dem Kirchengesetz von 1873 das evangelisch-lutherische Landeskonsistorium mit feinem Gutachten zu hören. Das Ministerium verfolgt den Grundsatz, daß den Studierenden, eine möglichste Vielseitigkeit der Zusammen setzung geboten werden muß, und ich darf Ihnen versichern, daß die verschiedenen Rich tungen auch gegenwärtig innerhalb unserer Fäul- tät vertreten find; die Mehrzahl gehört der ver mittelnden Richtung an. Die diesmalige Be setzung des Lehrstuhles für praktische Theologie bot außergewöhnliche Schwierigkeiten. An. 2. Oktober 1911 verfügte das Ministerium an die Fakultät wegen Erlangung von Vorschlägen Erst ain 15. Januar 1912 erfolgte der Vorschlag eines Herrn, der mir als ein gemäßigt libe raler Mann geschildert wurde. (Widerspruch.) Die Verhandlungen zerschlugen sich jedoch, am 1. Juli 1912 erfolgte die Absage. Nur kam am 24. Juli 1912 ein neuer Vorschlag einer jüngeren, in unserer Landeskirche sehr geachteten Persönlichkeit. Dem Mini sterium erschien es nicht angeniessen, diese be deutsame Professur mit einem Extraordinat zu besetzen. Es erfolgte ein neuer Vorschlag zu gleich eines außerdeutschen Gelehrten. Als das notwendige Gutachten an der zuständigen Stelle eingeholt wurde, ward auch betont, daß eine, solche Berufung bei der gegenwärtigen Span nung eine Versöhnung zu bewirken vermöge. Als von Fakultät und Landeskonsistcaium ein einstimmig angenommener Vorschlag einging, konnte das Ministerimn nicht aus eine Ableh nung zukommen. Das Gerücht, die Berufung, sei ohne oder gegen die Fakultät erfolgt, ist vollständig unberechtigt. Von einer Tendenz der Regierung kann gaic nicht die Rede sein. Der Betretende ist ja auch bereits im Sommer zum. Ehrendoktor der theologischen Fakultät ernannt worden. In diesem Fall hat ein vertrauensvol les Zusammenwirken zwischen Fakultät uns Regierung obgewalter und wird auch in Zu- tunft Beachtung finden Maßgebend für die Be rufung war das Erfordernis hervorragender wis senschaftlicher Tüchtigkeit und die vollste Ueber- einslimmung mit der auf möglichst umfassende Ausbildung der Studierenden hinzielenden Fakul tät. (Bravo!) Vizepräsident Opitz (kons.): Tie Dar legungen des Ministers haben unsere Fraktion im allgemeinen befriedigt. An der Korrektheit des Verfahrens des Ministeriums kann man. aum noch zweifeln. Das Wort „orthodox" wird vom Interpellanten als „bekenntnistreu" aus gelegt, es hat aber einen Beigeschmack, der diese Richtung als einseitig hlnslcllt. Wann ist ein Geistlicher orthodox? Ich verstehe darunter einen, der unter Ablehnung der Errungenschaften der modernen Wissenschaft sich lediglich auf den starren Standpunkt des Bekenntnisses versteift. Der Berufene gehört aber dieser Richtung durch aus nicht an. Ich sitze mit ihm in der Synode und weiß, daß bei ihm davon auch nicht der leiseste Anklang gefunden werden kann. (Wider- Spruch.) Ich möchte durchaus nicht ein abträg- ttches Urteil über die liberale Richtung unserer Orthodoxie fällen, aber ich hatte es nicht für angezeigt, diese Richtung in unserer theologischen Fakultät mehr hervortreten zu lassen. In dem Umstande, daß diesmal nicht ein orthodoxer, aber ein bekenntnistreuer Mann gewählt wurde« liegt nicht, daß dadurch eine Schädigung einge- tteten sei. (Unruhe.) Wir sinken nicht nur, daß das formelle Verfahren des Ministeriums durchaus zweckentsprechend gewesen ist, sondern wir sind auch überzeugt, daß in der betreffen den Persönlichkeit ein Mann getroffen ist, der am gegebenen Orte seine Pflicht voll erfüllen wird. Abg. Brodaus (fortschr. Vpt.): Der Kultusminister hat sich in seiner heutigen Er klärung nicht darauf beziehen können, daß er die Zusage eingehalten hätte, die er am 26. Januar 1912 dem Hause gegeben hat. Die Be rufung Pfarrer Naumanns würde in weiten Kreisen der Bevölkerung mit großer Freude auf- zenommen worden sein. Es muß befremden, daß das Ministerittm aus Gründen, die doch schließlich nur formeller Natur sind, von dieser Berufung Abstand genommen hat. Nin prak tische Theologen auszubilden, erscheint ein Mann, der im Berufe praktisch tätig gewesen st, geeigneter als ein solcher, der jederzeit Schul mann war. Kultusminister Dr. B e ck: Zwischen mei nen Worten vom 26. Januar 1912 und dem, was hinterher geschehen ist, besteht kein Wider spruch. Das einstimmige Urteil des Konsisto riums und der Fakultät durfte für die Staats regierung maßgebend sein. Wenn es nicht zu einem Abschluß mit den beiden ausländischen Herren gekommen ist, lag dies an den Aner bietungen, welche ihnen von ihren dortigen Regierungen gemacht worden sind. Sie hatten vorher ihre Bereitwilligkeit erklärt, zu kommen. Ich muß wiederholen, daß in deni betreffenden Fall die Parität vollständig gesichert worden ist. Abg. Dr. Niethammer (natl.): Wir haben aus den Erklärungen des Ministers keine Beruhigung schöpfen können. Wir hätten ge glaubt, daß der Minister bei seinen Verhand lungen sich vergegenwärtigen würde, daß er am 26. Januar 1912 gewissermaßen ein Ver sprechen der Berücksichtigung gegeben hatte. Es sind aber die Wünsche der Naiionalttberalen nicht bevüäsichtigt worden. Wir haben keine Erklärung dafür gehört, daß das Ministerium nicht auf den Mann gekommen ist, den die Fakultät empfohlen hatte. Die Fakultät dürfte diesen Vorschlag auf, die Rückfrage des Ministeriums hin doch nicht schlankweg fallen gelassen haben. Es scheint, als ob der Minister als der mächtige Mann, der er ist, hätte seinen Willen zur Geltung brin-. gen wollen. Abg. Dr. Böhme (kons.): Ich bedaure, daß die Berufung von Hochschullehrern zum Gegenstand einer parlamentarischen Verhand lung gemacht wird. Wir müssen uns schließlich über die bei den Berufungen befolgten Grund sätze Gewißheit verschaffen, aber es ist unrich tig, wenn ein einzelner Fall behandelt und da bei zu der wissenschaftlichen Befähigung der ein zelnen Hochschullehrer Stellung genommen wird. Wenn dann wissenschaftliche Kapazitäten eine. Die „Mona Lisa" von Leonardo da Vinci, ist, nachdem sie vor etwa zwei Jahren in Paris gestohlen wurde, jetzt in Florenz aufgefunden worden. Nunmehr sind alle Zweifel darüber, ob das in Florenz entdeckte (Gemälde tatsächlich die „Mona Lisa" ist, behoben. Der angebliche Ma ler Perugia hat selbst eingestanden, das Bild aus dem Pariser Louvre gestohlen zu haben, um es wieder in italienischen Besitz zu bringen. Nach 406 Jahren ist die „Gioconda" nach Flo renz zurückgekehrt, und den Florentinern kommt es fast wie ein Wunder vor daß sie ihre be rühmte Landsmännin, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder in ihren Mauern haben und sie in der ttffiziengalerie begrüßen dürfen. Perugia sagte vor dem Untersuchungsrichter aus: „Während meinet' langjährigen Tätigkeit im Louvremuseum empfand ich mit großer Bitterkeit, daß die herrlichsten Meisterwerke ita lienischer Kunst uns geraubt und dort ausge ¬ stapelt waren. Wenn die Besucher immer und immer wieder sagte,:: „Das ist italienisch, je nes ist italienisch!", dann überkam mich Zorn und Wut; ich sagte mir: Ich bin kein Italiener, wenn ich nicht versuche, eines dieser Meisterwerke nach der Heimat zurückzubringen. Ich schmug gelte mich mit anderen Arbeitern in den Louvre ein, ging direkt in den „Gioconda"--Saal, nahm das Gemälde von der Wand und dann aus dem Rahmen, den ich im Souterrain verbarg, steckte das Bild unter meine Bluse und verließ unge hindert das Museum. Ich beabsichtige nicht, die „Gioconda" zu verkaufen. Ich will sie Ita lien zum Geschenk machen und verlange nur eine kleine Belohnung für das Risiko, das ich lies, und für den Dienst, den ich meinem Vaterland leistete." ! Berufung nach Leipzig erhalten, werden sie sich die Fruge vorlegen, ob sie sich einer Kritik in, Landtage aussetzen wollen. Die Wünsche des Abg. Hettner an sich sind erfüllt worden. Der Nachfolger Rietschel gehört nun der vermitteln den Richtung an. Darum handelt es sich allein. So kommen wir in der Diskussion nicht weiter. Herr Abg. Hettner. Ich gründe mein Urteil auf das Zusammenarbeiten mit diesen Herren, in der Synode; da es sich hier um Katechetik und Pädagogik handelte, konnte keine glück lichere Wahl getroffen werden. Abg. Bleyer (natl.): Ich bin mit den Ausführungen meiner politischen Freunde ein verstanden; nur einige Schlußfolgerungen kann ich nicht billigen. Wenn Abg. Nitzschke behaup ret, daß durch die orthodoxe Richtung Vie Kir chenflucht verschuldet sei, so habe ich eine andere ! Ansicht. Sonst würden nicht die vielen Setten 'entstehen. Nach meiner Ueberzeugung gibt es ttein liberales Christentum. Auch der Erttärüng, was orthodox ist, vermag ich nicht zu folgen. (Unruhe.) Wir sprechen auch von orthodoxen Juden, und ich glaube, es ist hier niemand, der nicht einem orthodoxen Juden den Vorzug gäbe vor einem Reformjuden. Abg. Dr. Zöphel (natl.): Vorredner sieht den Kern unserer Sorge nicht. Wir glau ben, daß in den Kirchen die Zuhörerschaft aus bleibt, weil dort etwas geboten wird, was von. der Wissenschast überholt ist, was nicht mehr zeitgemäß ist, weil es nicht wahr ist. Zujr Bil dung der Sekten trägt der Drang zum Urtext bei. Der Landtag ist zur Erörterung berufen. Die Konservativen hätten sich gewiß nicht so rtlhig verhalten, wenn z. B. der Pfartrer Traub berufen worden wäre. (Heiterkeit.) Kultusminister Dr. Beck erwidert dem Ab geordneten Dr. Zöphel, daß er dessen Behaup tung zurückweisen müsse, daß er mit keinem Worte einen Rechtfertigungsversuch seinerseits unternommen habe. Er betone nochmals, daß Professor Frenzel von der Fakultät selber als gemäßigt liberal bezeichnet worden sei. Er habe den Pastor Naumann nicht abgelehnt, sondern die Kandidatur dieses Herrn nur zur nochmali gen Erwägung an die Fakultäten zurückverwie sen. Er müsse Widerspruch erheben, daß man aus seiner Erklärung vom Januar 1912 mit seinen heutigen Erklärungen einen Widersprach konstruieren wolle. Wenn man gerecht urteilen wolle, werde man zugestehen müssen, daß das Kuttlusministerium und die Regierung kein Vor Wurf treffe. „W ir sin d", so schloß der Mini ster, „in unserer Gegenwart ohnehin außer ordentlich besorgt u in die ch r i st- liche Kirche und unsere ch r i st I i ch e Religion. Wir können tagtäglich beob achten, wie unsere Religion den schärfsten An feindungen von allen Seiten ausgesetzt ist, so daß wir wirklich das Gefühl und Verständnis dafür haben sollten, daß wir im eigenen Lager- fest zusammenstehen müssen, um diesen äußeren Feind, der die Religion und die Kixche unter graben will, abzuwehren. Wir sollten nicht mit einer gewissen Intoleranz uns gegenseitig immer Vorwürfe machen, sondern dahin gelangen, daß wir den Schutz unserer christlichen Religion wie der in den Vordergrund stellen, denn das ist das allgemeine Band, das uns alle umschließt." Vizepräsident Opitz (kons.): Die Worte des Abgeordneten Bleyer waren mir eine form liche Erquickung. Wir müssen dahin wirken, daß innerhalb unserer Kirche nach außen mög lichste Einigkeit herrscht. Abg. Hettner (natl.): Es liegt uns