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Amtsblatt. Nr. 292. Mittwoch, den 17. Dezember 1913. Zweites Blatt. JUS WWW EisMlWW dkl tiWWM, nachdem nach weitere Steinmassen M3 »cvck)gestürzt den ersten, der Arztwagen von Döbeln zur Stelle, und alsbald war das Rettungswerk im Gange. Zunächst galt es, den Schwerverletzten schnelle Hilfe zn bringen und d.Ze auG ihren schmerzhaften Lagen zu befreien. Dies war mit unter sehr schwierig, da Banke lollgeschlagen, Eisenteile abgehauen oder zersägt werden mutz ten, um den gräßliche Schmerzen erleidenden Schwerverletzten Hilfe angedeihen lassen zu kön nen. Es gehörten starke Nerven für die Hilfs mannschaften dazu, mn diese Arbeit in rechter Weise dirrchMsühren und keiner, der an dem Solma- riterwerk aufopferungsvoll teilnahm, wird diese Stunden größten menschlichen Jammers ver gessen. Die Nettungsarbeiten wurden auch da- drwch erschwert, daß wegen der starken Gas ansammlung im Tunnel zunächst nicht mit of fenem Lichte gearbeitet werden konnte. Den Ber geschoben, daß sie indem vorhergehenden Wagen 3. Klasse standen. Ein Wagen 3. Klasse ist völ lig zerdrückt, ebenso sind ein Wagen 4. Klasse und ein Wagen 2. Klasse teilweise zersplittert. Insgesamt sind sechs Personenwagen schwer be schädigt. Durch später noch nachstürzendes Ge stein, das de» Tunnelansgang nach BUaunsdorf zu völlig versperrte und somit den Rettungs dienst erschwerte, sind die Maschinen völlig von den Schuttmassen verschüttet. Die etwa 4 Meter hoch aus dem Gestein Herausschauende erste Maschine des Zuges, die man von Braunsdor fer Seite aus sieht, gibt ein interessantes, den Beschauer ganz eigen berührendes Mld. Die Schwere des alle Augenzeugen furcht bar erschütternden Unglücks ließ sich Wnächst gar nicht übersehen, da man in die ineinanderge schobenen Wagen nicht gelangen und später. letzten wurde an Ort und Stelle durch die von freiwilligen Sanitätern unterstützten Aerzte erste Hilfe zuteil. Sie wurden mit Notverband ver sehen und dann in die Krankenhäuser Franken berg und Chemnitz gebracht. Das schreckliche Unglück hat weithin Auf sehen hervcrgerufen und Teilnahme mit den, Opfern geweckt. In großen Scharen zogen noch in der Nacht und am gestrigen Tage die Men schen hinaus nach der Unfallstelle, die noch einen Anblick grausiger Verwüstung bietet. Be reits in der Nachr traf der Präsident der K S. Ztaatseiscnbahnen, Dr. Ulbricht, mit meh reren Referenten aus der Generaldirektion und andere zuständige Beamte an der Unfallstelle ein und nahm die Tatsachen, sowie die Ret tungsarbeiten in Augenschein, die seine volle Befriedigung fanden. Der Herr Präsident be suchte darauf in den Krankenhäusern Franken berg und Chemnitz die Schwerverletzten. Das Zugspersonal blieb wunderbarerweise unverletzt. Auch die Maschinenbeamten konnten sich noch in Sicherheit bringen, bevor die völ lige Verschüttung eintrat. Ein Verschulden an dem Unglück dürfte niemandem zuzuschreiben lein; es ist auf ein elementares Ereignis zu- rückzusühren, gegen das menschliche Vorsehung ohnmächtig ist. Die A n f v ä u m u n g s a r b e i t c n dürf von dem wir unsern Lesenr bereits gestern aus-- fühMch Kenntnis gaben, stellt sich in seinen Folgen noch als weit schli m m e r heraus, als gestern angenommen. Die Befürchtung, datz unter den Trümmern sich noch weitere Tote befänden, hat sich leider bewahrheitet, indem bis gestern abend 8 Tote geborgen waren. Da einige Schwerverletzte mit dem Tode ringen, so ist nicht abzusehen, ob das Unglück nicht noch weitere Opfer fordert. Unter den Verunglückten befindet sich n i e- mand aus unserer Gegend, die mei sten stammen aus Frankenberg und den benach barten Orten sowie aus Chemnitz. Von den Getöteten konnten bisher folgende 6 fest- gestellt werden: Walter Bäßler- Chemnitz, 18 Jahre alt; Frau Oberlehrer H a uv ,-Cqem- nitz, deren Mann schwer verletzt wurde, Elektro Monteur Münzner- Frankenberg, Fräulein Erler- Oberwiesa, 20 Jahre alt, die Braut des schwer verletzten Wirtschaftsgehilfen Krebs; Lehrling Ranft- Niederwiesa, 16 Jahre alt; Oskar Reichelt-- Frankenberg, 16 Jahre alt. Im Krankenhause zu Frankenberg ist am Montag abend noch als 9. Opfer der Schlosser Münzner aus Chemnitz-Schönau den erlittenen schweren Verletzungen erlegen. Die bedauerns werte Familie Münzner verliert somit durch de» Unfall zwei hoffnungsvolle Söhne. Die Zahl der Schwerverletzte», die im Frankenberger Krankenhaus lie gen, beträgt sieben. Es sind Mechaniker Amendt aus Chemnitz, Zimmermann Drechsler aus Eüöa, Oberlehrer Moritz Haupt aus Chemnitz, Steuerexpedient Ernst Oskar Lochmann aus Braunsdorf, Wirtschastsgehilfe Emil Krebs aus Dittersbach, Fritz Glaß aus Dresden und Hand lungsgehilfe Nitzschke aus Hainichen. Die Ver letzungen des letzteren sind wohl schweb, aber nicht lebensgefährlich. Im Chemnitzer Krankenhause liegen folgende Schwerverletzte: Fräulein Marta Wild aus Frankenberg, der 21jährige Fleischer Alfred Norberger aus Frankenberg, ein Chemnitzer Arzt, Fräulein Müller aus Chemnitz, Maschinenbau- schüler Klug aus Chemnitz, Musterzeichner Hart mann. Ueber die Zahl der leichten Verletz- t e n läßt sich zurzeit kein genaues Bild gewinnen. Sie dürste mit 30 nicht zu hoch gegriffen sein. Erdmassen derart auf, daß die vorderste j Wagen Vordringen konnte. Der Rettungsdienst Maschine etwa 3 bis 4 Meter hoch stieg und die wurde in einer beruhigenden Schnelligkeit orga- zweite Maschine, sowie die nächsten Wagen eben-/»isiert und durchgeführt. In Frankenberg wurden falls bis zum Tunnelscheitel hochzog. Durch die die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz starke» Erschütterungen stürzte weiteres Gestein und die Freiwilligen Feuerwehren zur Hilfelei- nach. Herzzerreißende Schreie lind Klagerufe stung alarmiert. Ebenso kamen auch Chemnitzer hallte» durch den Tunnel. Die Wagen des ersten, freiwillige Sanitäter zur Hilfeleistung herbei. Zugteiles wurden ineinandergeschoben; so waren Mit anerkennenswerter Schnelligkeit waren die die Bänke eines Wagens 4. Klasse so weit vor-. Rettungszüge von Chemnitz und Leipzig und In Ergänzung unserer gestrigen ausführ lichen Mitteilungen wollen wir noch folgende zusammenhängende Schilderung des Unglückes hier folgen lasten: Das Regenwetter der vergangenen Woche, besonders aber das mit starkem Gewitter ver bundene Unwetter des Sonntagabends hat an scheinend am Harrasfelsen Erdmassen gelockert, die schließlich an der Tunnelausfahrt auf Braunsdorfer Seite niedergingen. Don pri vater Seite wird behauptet, daß einer der Blitzschläge in den Harrasfelsen gegangen sei und den Erdrutsch verursacht habe. Der Felssturz ist in der Zeit zwischen 10 und X11 Uhr erfolgt. Als der mit 10 Minuten Ver spätung 10.20 Uhr von Frankenberg abgegan gene Personenzug, der mit zwei Maschinen be spannt war und 39 Achsen zählte, in de» Tun- irel" einfuhr, bemerke der Maschinenfühver, daß am Ausgang des 80 Meter langen Tunnels das Licht fehlte. Er bremste sofort, doch ver ¬ mochte er auf die kurze Strecke den schweren Zug »icht zu genügend langsamer Fahrt zu. bringen. Der Zug fuhr auf die auf den Glei sen liegenden etwa 100 Kubikmeter umfassenden' waren, überhaupt nicht mehr zu ten etwa eine Woche in Anspruch nehmen. Die Felsbildungen am Harrasfelsen sind gegenwär-, tig derart, daß umfängliche Sprengungen nötig sind, um überhängende Spitzen abtreiben zu kön nen. Der alte, durch die Körnersche Ballade be rühmt gewordene Haustein wird zu einem Teile, verschwinden, da die Abtragung des ganzen, von der Katastrophe betroffenen Teiles aus Gründen der Verkehrssicherheit vorgenommen werden muß. Sehr unangenehm macht sich gerade in der. Weihnachtszeit die Störung des Verkehrs be merkbar. Die Züge fahren nur bis zuck Halte stelle Gunnersdors und dann ist Verbindung nach Chemnitz von Braunsdorf aus. Zwischen Gun- »e-rsdorf und Braunsdorf mutz der Verkehr vor läufig ruhe». Namentlich die gestörte Postver bindung niit Chemnitz macht sich rechr nachtei lig wirksam. Ueber die Oertlichkeit der Unglücksstätie sei noch folgendes erwähnt: Der Harras- felsen oder H a u st e i n besindet sich am rechte» Ufer der Zschopau, etwa eine Viertel stunde unterhalb des Schlosses Lichtenwalde, das bekanntlich dem Präsidenten der Ersten Stände kammer Grafen Vitzthum v. Eckstädt gehört und, nachdem es einem Brande zum Opfer gefallen war, im Jahre 1905 wieder aufgebaut worden ist. Der alte herrliche Park mit seinen berühm ten Wasserkünsten, sowie überhaupt das ganze Zschopautal in der dortigen Gegend bilden ein beliebtes Ausflugsziel. Dem Harrasfelsens ge genüber befinden sich die mindestens 500 Jahre alte Harraseiche, deren Stammumfang in Brusthöhe Meter beträgt, und das Har ras-Denkmal. Sie erinnern mit dem Felsen an die Sage von „Harras", dein kühnen Springer", der einst, um seinen Verfolgern zu entgehen, mit seinem Rosse vom hohen Felsen in den dort mehrere Meter tiefen Flutz gesprungen sei» und wohlbehalten das jenseitige Ufer er reicht -haben soll. Theodor Körner hat diese kühne Tat in seinem bekannte» Gedichte ver herrlicht. Auf dem Harrasfelsen har inan dem Dichter ein Denkmal in. Forni eines großen eisernen Kreuzes errichtet. Beim Bau der Bahn linie Cshemnitz—Frankenbergs- Hainichen—Roß wein machte sich die Durchbrechung des Felsens mit einem etwa 80 Meter langen Tunnel not wendig. Da er direkt aus dem Wasser empor ragt, konnte er von der Bahn nicht umgangen werden. Infolgedessen ist hier auch eins Um- steigemöglichkett nicht vorhanden. Wie wir nachträglich noch aus Frankenberg er fahren, ist in vergangener Nacht noch der schwer verletzte Norberger gestorben, sodaß sich die Zahl der Todesopfer auf zehn erhöht. Da sich im Tunnel aber noch zwei Personen wagen und der Zugführerwagen befinden, die vollständig zertrümmert find und den Tunnel verrammelt haben, so ist nicht aus geschlossen, datz dem Unglück noch weit mehr Personen zum Opfer gefallen sind. Wie uns weiter mitgeteilt wird, fehlt noch der Nachweis über siebzehn Personen, die sich wahrscheinlich noch in den zertrümmer ten Wagen befinden. Das Gerücht, daß sich i» den noch im Tunnel befindlichen Wagen ein Fuß ballklub aus Chemnitz befinde, soll falsch sein. Viel mehr soll sich der Klub in einem der letzten Wage» aufg halten haben und dadurch gereitet worden sein. Unsere beiden Bilder verdaute» wir der Liebenswürdigkeit des Ver lags des „Chemnitzer Tageblattes", der sofort einen seiner Photographen an- die Unsallstelle entsandte. Auf dem ersten Bilde ist in der Mitte die Stirnseite der vorderen Lokomotive und der oberste Teil der Tunnelwölbung an der Braunsdorfer Seite sichtbar. Die den Schienen- sträng sperrenden riesigen Felsplöcke lafssen er kennen, welch gewaltige Massen der Bergrutsch in Bewegung gesetzt hat. Dabei sei erwähnt, daß, als die Ausnahme gemacht wurde, durch Aufräumungsarbeiten bereits ein Teil der Stein- lrümmer beseitigt war. Die zweite Aufnahme (Frankenberger Seite) stellt einen Wagen zweiter Klasse dar, der in dem Zuge lief und von dem ein Ende bei dem Zusammenprall bezw. bei den später vorgenommenen Rettungsarbeiten steige, legt worden ist und in den bei dem Zusammen stoß Teile des vor ihm lausender, Wagens hin eingepreßt worden sind.