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„Du hast es erraten." »Gegen wen?" »Gegen dich." Der Rechtsanwalt sah seinen Freund iefsr-t an. „Ja", sagte dieser, „ich bin noch ganz bei Sinnen." .Also, was habe ich denn verbrochen?" „Noch nichts, du sollst erst etwas verbrechen, — ich hüte dich um diesen Freundschaftsdienst —, du sollst mich 1« Gegenwart von Zeugen beleidigen." Einen zweiten besorgten Blick des Rechtsanwalts de- sMigte Sturm durch eine ausführliche Auseinandersetzung, tMd schließlich sagte der Jurist: „Es ist ein toller Plan, Hans, aber was tut man reicht einem Freunde zuliebe! Und schwer wird es mir »«beli, denn so lange wir uns kennen, ist noch nie ein Wort zwischen uns gefallen." Der ganze Stammtisch war versammelt, darunter Haler und Sturm. Rechtsarrmalt Flint trat ein, und kaum hatte er die Gasellschaft begrüßt und sich niedergelassen, als er sich an den Bauführer wandte: „Ich kam eben an euren, neuen Bau vorbei, das ist echer eine miserable Pfuscharbeit, das sieht man auf den »asten Blick." Sturm warf ihm einen zornfunkelnden Blick zu. „Was verstehst du davanl Jeder kehre vor seiner Air. Ich habe noch nie gehört, daß du einen Prozeß ge wannen hast." „Infame Verleumdung!" zischte der Rechtsanwalt. „Das kommt davon, wenn dumme Jungen hier an, Stammtisch geduldet werden." Zum Glück waren beide Streiter nicht Reserve- »fstziere. Es erfolgte daher kein Kartenwechsel. Aber «rch keine Prügelei. Der Bauführer stieß hervor: „Sie werden noch von mir hören", und verließ eiligst das Lokal. Er kehrte aber nach einer halben Stunde wieder. Der Rechtsanwalt war schon fortgegangen — er wollte die entrüsteten Vorhaltungen der anderen nicht hören — und die übrigen Stammgäste debattierten über das große Ereignis. „Sie müssen ihn verklagen — wegen schwerer Be leidigung und Verleumdung", rief ihm Heller sogleich ent gegen. „Das wollte ich auch", sagte Hans Sturm, luden, er mit einem Seufzer in seinen Stuhl sank, „aber ich habe es mir überlegt, ich würde gegen den Juristen im Prozesse stets den kürzeren ziehen, er würde die Gegenklage ein reichen und schließlich wäre ich der Verurteilte und hätte noch eine Mengs Kosten zu bezahlen." „Ja, das wäre wohl möglich", entgegnete Heller hastig, „aber wie, wenn ich Ihnen den Prozeß führe?" Ganz, wie der Fabrikant erwartet hatte, sprang der Bauführer freudestrahlend auf: „Ja, dann — dann weiß ich meine L>ache in sicheren Händen. Wie soll ich Ihnen danken, verehrter Herr Heller " „Keine Ursache, keine Ursache", wehrte dieser ab, „es müßte doch kurios zugehen, wenn ich diesem Rechts verdreher nicht zeigen könnte, daß der praktische gesunde Menschenverstand zehnmal mehr wert ist als alles Studieren." * * * Heller saß beim Kaffee, als seine Tochter eintrat. „Vater", sagte das junge Mädchen mit bebender Stimme, „ich bitte dich nun ernstlich, deine Einmischung rn den Prozeß Sturm gegen Flint aufzugeben." „Aber weshalb", rief der Fabrikant erstaunt. „Ich habe gerade einen so vorzüglichen Schriftsatz verfaßt, daß Sturm den Prozeß unter allen Umständen gewinnen muß." „Das soll er aber niche — das will ich nicht. Du zerstörst mein Lebensglück." „Das begreife ein anderer, Kind. Es ist ja doch der Bauführer Sturm, für den ich den Prozeß so glücklich führe — derselbe, ohne den du vor einigen Monaten nicht leben zu können glaubtest." „Vor einigen Monaten! Inzwischen habe ich ein- gesehen, daß du damals recht hattest, Vater. Die Zeit heilt alle Wunden, und nun mache ich mir auS Sturm wirklich nicht mehr viel. Dagegen spiel« ich schon seit einigen Wochen mit Rechtsanwalt Flint Tennis, und dai hat dazu geführt, daß wir so gut wie einig geworden sind. Gegen ibn wirst du doch nichkS einzuwenden Haden. Er hat eine gute Praxis. Aber in letzter Zeit hat er sich merklich abgekühlt — offenbar, weil du den Prozeß gegen ihn führst — und das ist ihm auch nicht übel zu nehmen. Ich bitte dich also ernstlich " „Und ich bitte dich ernstlich", rief der Fabrikant mit der Hand auf den Tisch schlagend, „mir solche Zumutung nicht zu stellen. Eher heiratest du den ersten besten Straßenkehrer als diesen Recht-verdreher, der überall herumschreit, er hätte meinen Prozeß gegen Schulze u. To. schon gewonnen gehabt, als ich ihn zu führen begann. Und auch jetzt sind seine Schriftsätze gegen Sturm von einer Bosheit — sogar eine ganz gemeine Anspielung auf mich hat er gemacht — na warte, ich will es ihm zeigen — und du schlägst dir diesen Flausenmacher aus dem Kopf — ! sonst verstoße ich dich." „Mein lieber Herr Heller, ich danke Ihnen für alle ! Ihre Mühe, aber ich muß mit dem Prozeß ein End« - machen. Die Sache regt mich zu sehr auf. Nun hat der ! Rechtsanwalt mir einen Vergleich angeboten, er schrieb I mir, ich würde doch einsehen, daß ich den Prozeß niemals ; gewinnen könne, besonders, da Sie in Ihren Schriftsätzen ! einige Fehler gemacht hätten — " „Ha!" unterbrach Heller den Bauführer, der j Elends! Nun gerade ist es für mich Ehrensache, ihm zu zeigen - " „Nein, nein, Herr Heller, es ist bei mir beschlossene Sache. Den Ausschlag gibt das Gerede der Leute. Sie sagen, ich müßte nickt das geringste Ehrgefühl haben, daß ich mir von Ihnen den Prozeß führen lasse, nachdem Sie mich bei der Bewerbung um die Hand Ihrer Tochter so energisch zurückgewielen haben." „Hm! Hm! Herr Bauführer, ich habe mich in Ihnen getäuscht. Sie glauben, weil es mir eine Ehrensache ist, diesen Prozeß zu Ende zu führen, würden Sie mich nun damit ködern können, Ihnen die Hand meiner Tochter zu - bewilligen?" „Sie irren, Herr Heller", erwiderte der Bauführer : kühl, „darum kann es sich kaum mehr handeln. Es scheint ! Ihnen entgangen zu sein, daß Ihr Fräulein Tochter mit j Rechtsanwalt Flint — " „Ich weiß, ich weiß — aber Sie wissen ja am besten, j daß meine Tochter noch einen Vater hat, der sich sehr energisch seine Bestimmung über den Zukünftigen seiner Tochter vorbehält. Wie also", setzte Heller lauernd hinzu, »wenn ich nun meinen Einwand gegen Ihre Bewerbung fallen lasse — würden Sie dann den Prozeß weiter führen? " „Aufrichtig, Herr Heller, ich liebe Ihre Tochter noch > zu sehr, um ihr nicht jedes Opfer zu bringen, aber ich habe bereits verzichtet. Ich weiß, was es heißt, ein j Liebesglück zerstören, und ich möchte daher nicht zwischen Marie und Flint treten " ! „Papperlappapp, ich werde die Sache in Ordnung ! bringen, verlassen Sie sich darauf." Marie sträubte sich zwar fürchterlich, aber schließlich mußte sie den Befehlen und Drohungen ihres Vaters nachgeben. Sie sank an die Brust des Bauführers, und Heller hielt ihr glückliches Lachen für Schluchzen. Da der Rechtsanwalt merkwürdigerweise — aus Furcht, sagte Heller — seine Klage zurückzog, wurde nur er verurteilt. „Der Prozeß ist wieder einmal glänzend gewonnen", jubelte der Fabrikant, seinen Schwiegersohn umarmend. Das wußte er aber nicht, daß Flint Berufung ein gelegt hatte, und daß der Bauführer in dieser zweiten Instanz seine Klage zurückzog. Nur ein Glück, nur eines gibt's hinieden. Fast für diese Welt zu gut und grsb: Häuslichkeit! in deines Glücke- Frieden Liegt allein der Menschheit grotzr« Los-