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Nr. 103 Pulsnitzer Tageblatt. - Dienstag, den 5. Mai 1931 Seite 6 Aus dem Gerichtssaal Das Todesurteil gegen Ulbricht bestätigt. Leipzig. Der 1. Strafsenat des Reichsgerichts hat das Urteil des Schwurgerichts Freiberg vom 24. November 1930, durch das der Wirtschastsgehilfe Paul Arno Ulbricht wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde, bestätigt. Das Reichs gericht ist der Ansicht, daß in dem Urteil der Vorinstanz ein Nechtsirrtum nicht zu erkennen ist. Das Todesurteil ist damit rechtskräftig. Oer Artist unter Mordanklage. Vor dem Gericht in Berlin soll in diesen Tagen die Bluttat an dem Geschäftsführer Schmöller aus dem Mercedes-Palast in Neukölln ihre Sühne finden. Die Tat ist noch in aller Erinnerung. Schmöller wurde am 20. Januar dieses Jahres in seinem Büro erschossen aufgefunden. Nach langem Bemühen der Polizei wurde der Artist Urban ver haftet, da er unter dem Verdacht stand, Schmöller ermordet zu haben, um sich des Geldes, das Schmöller in Verwahrung hatte, zu bemächtigen. Als Beweismaterial diente eine Pistole amerikanischen Fabrikats, die Urban gehörte. Urban ist geständig, d. h. er gibt zu, daß er damals geschossen hat, bestreitet aber die Absicht, Schmöller haben töten und das Geld rauben zu wollen. Der Angeklagte möchte also aus einem Raubmord einen Totschlag' im Affekt für sich herausschlagen. Den Affekt glaubt er dadurch beweisen zu können, daß er seinen Seelen zustand an jenem 20. Januar sehr eingehend schildert. Urban ist bereits einmal vorbestraft. Zweieinhalb Jahre hat er wegen schweren Diebstahls verbüßt. Sein Bruder hat ihn zum ordentlichen Menschen zu machen versucht. Urban schloß sich einer Artistengruppc an, die eine Amerikareise machte. Dabei sparte er sich etwa 400 Dollar. Nach seiner Rückkehr aus Amerika lernte er einige Wochen vor der Tat eine Grotesktänzerin kennen und ver liebte sich in sie. In ihrer Gesellschaft gab er viel Geld aus und erweckte den Eindruck, als habe er auf seiner Amerika reise viel Geld gemacht. Beide beschlossen sich zu heiraten. Di« Hochzeit war bereits angesetzt, aber Urban wurde es, je näher der Termin kam, immer unbehaglicher. Denn er hatte kein Geld, getraute sich aber nicht, seiner Braut die Wahrheit ei«- zugestehen. Dann kam jener Abend des 20. Januar, den Urban in sehr breiter Ausführlichkeit schilderte. Er erzählte dem Gericht, daß er in seiner Verzagtheit sehr stark dem Alkohol zu- gesprocheu habe, und daß ihm dabei der Gedanke gekommen sei, sich an dem Geschäftsführer des Mercedes-Palast zu sanieren. Er wollte ihm eine „anständige Backpfeife" geben, nach der man, wie er sagte, gleich umfalle. Nun kommt der Affekt. Er fuhr nach Neukölln, traf aber dort nicht den ihm von früher bekannten Geschäftsführer Silbermann, sondern einen anderen. Er erschrak furchtbar. Plötzlich knallte es, er floh, irrte in Berlin umher und warf schließlich dir Pistole in die Spree. Geburtenüberschuß von fast 400 OVO in Krankreich. Pari». Das Statistische Amt veröffen.,.cht jetzt den Be- völker' 'szustand Frankreichs im Jahre 1930. Daraus geht unter a.werem hervor, daß in den 90 französischen Departe ments im Laufe des Jahres 748 911 Lebendgeburten (gegen 728 540 im Vorjahre) und 649125 Sterbefälle (gegen 741104 im Vorjahre) zu verzeichnen waren. Der Geburtenüberschuß betrug somit 99 786 (gegen einen Unterschuß von 12 564 Ge burten im Jahre 1929). Tatsächlich hat die Zahl der Geburten gegenüber dem Vorjahre um 20 371 zugenommen, während die Zahl der Todesfälle um 91979 zurückgegangen ist. Börse und Handel Amtliche sächsische Notierungen vom 4. Mai. Dresden. Lustlose Stimmung und Mangel an jeglicher An regung ließen die Kurse zur Schwäche neigen. So verloren Sächsische Bodencredit 3,5, Neichsbank und Darmstädter Bank je 3, Dr. Kurz 5, Dresdner Albumin 3, dergl. Genußscheine 10, Ver. Photo-Genußschcine 12, Mimosa und Peniger je 5 Pro zent. Fester lagen dagegen mit Ich Prozent Ver. Holzstoss und Papierfabriken. Ferner waren rückgängig Berliner Kindl 5, Schöfferhos 4,5, Radeberger Export Ich, Schubert u. Salzer 5, Union-Werke Radebeul 2,5, Europa-Hof 5 und Polnpbon 4,5, Deutsche Ton, Triptis, Siemens-Glas, Glasfabrik Brock witz je 1 Prozent, während Somaa 1,5 Prozent gewinnen konn ten. Auch der Anlagemarkt lag schwach. Dresdner Ablösungs schuld-Altbesitz verloren 1,8 Prozent. Leipzig. Die Börse verkehrte in schwächerer Haltung. Po lyphon und Leipziger Hypotheken verloren je 4 Prozent. Än-- lagemarkt und Freiverkehr schwächer. Chemnitz. An der Effektenbörse war die Haltung lustlos. Banken waren etwas abgeschwächt, der Fretverkehr bei nicht veränderten Kursen ruhig. Leipziger Schlachtviehmarkt. Auftrieb: 81 Ochsen, 288 Bullen, 241 Kühe, 67 Färsen, 414 Kälber, 843 Schafe, 2249 Schweine. Preise: Ochsen 1.4K--50,2.40—45; Bullen 1.42—45,2 38—41, 3. 36—37; Kühe 1. 36—39, 2. 33—35, 3. 30-2; Färsen 1. 45—47, 2. 36—44; Kälber 2. 60—63, 3. 55—59, 4. 48—54, 5. 40-47; Schafe 2. 50—52, 3. 43-47, 4. 38-42, 5. 30-37; Schweine 1. und 2. 46, 3. 45-46, 4. 43—44, 5. 42—43, 7. 42 bis 45. Geschäftsgang: Schweine langsam, das übrige schlecht. Chemnitzer Schlachtviehmorkt. Auftrieb: 84 Ochsen, 231 Bullen, 471 Kühe, 8 Färsen, 4 Fresser, 730 Kälber, 276 Schafe, 1847 Schweine. Preise: Ochsen a) 44—46, b) 38—42, c) 35 bis 37, Bullen a) 40-42, b) 37—39, c) 33-36, Kühe a) 38-42, b) 32—35, c) 25—30, di 18—24, Kalber b) 58-63, c) 52—56, d) 45—50, Schafe a) 2. 49—50, b) 44-47, c) 38—42, Schweine a) und b) 44—46, c) 45—47, d) 44—46, e) 42—44, g) Sauen 40—43. Geschäftsgang: Rinder schlecht, Kälber schleppend, Schafe langsam, Schweine mittel. Dresdener Produktenbörse. 4. 5. 27. 4. 4. S. 27. 4. Wetzen Weiz-Kl. 13,3—13,8 14,0-15,0 13,3—18,8 77 Kilo 293—29v 295-300 Rogg.-Kl 14,0-15,0 Roggen 73 Kilo Wintergste 204—209 202—206 Katseraus- zugmehl Bäcker ¬ 53,0-55,1 53,0—55,0 Sommer«. 238-260 236—253 mundmehl 47,0—49,0 47,0—49,0 Hafer, inl. 197-202 193—198 Wetzen- Raps, tr. — — nachmehl 18,5-20,0 19ch—20,5 Mats Inland- Laplata —— «E wetzenm. 49,0—51,0 49,0—51,0 Ctnqu. — —- Type 70 N Notklee — — Roggen ¬ Trocken- mehl 01 schnitzel 8,80-8,50 8,30—8,50 Type 60 9L 33,0—34,0 32,5—33,5 Zucker ¬ Roggen- schnitzel —— mehl I Kartofsel- Type 70 H 11,5—32,5 31,0-82,0 flocken 16,0-16,2 16,0—16,2 Roggen- Futtermehl 15,0-16.0 15,0—16,0 nachmehl 20,0—21,0 18,5—20,0 Berliner Börse vom Montag: Allgemei« verstimmt. Gerüchte, die von neuen Schwierigkeiten im amerikanischen Droßbairkgewerbe sprachen, hinterließen den stärksten Eindruck. Es drückte die Tatsache, daß wieder starkes Auslandsangebot vorlag, sehr erheblich auf die Stimmung, weil sie nach Ansicht der Börse zu zeigen scheint, daß die amerikanischen Jnvestments- trust im Augenblick wieder einmal vorziehen, deutsche Effekten statt ihrer eigenen Aktten an den Markt zu bringen. Die Ab wärtsbewegung erstreckte sich gleichmäßig auf sämtliche Markt gebiete. Besonders bemerkenswert ist, daß davon auch die fest verzinslichen Papiere nicht verschont blieben. So hatten Reichs schuldbuchforderungen, und zwar offenbar ebenfalls im Zusam menhang mit Auslandsabgaben, Rückgänge, die bis zu 1,5 Pro zent betrugen. Auch die übrigen Wette dieses Marktes waren außerordentlich schwach. Auf die mutlose Stimmung übten Be trachtungen, die über das zu ermattende Defizit des Reiches an gestellt wurden, einen neuen Druck aus. Effektenmarkt. Derkehrswerte: Ziemlich schwach lagen A.-G. für Ver kehrswesen, Lokalbahn und Kraftwerke. Am Bankenmarkt waren insbesondere Reichsbank scharf gedrückt. Bemerkenswert sind die zum Teil recht starken Rückgänge am Montanmarkt, die beispielsweise für Vereinigte Stahlwette einen bisher wohl noch nicht erreichten Tiefkurs brachten. Am Kalimarkt gingen die Verluste bis zu 6 Prozent. Die Farbenaktie war erneut, zeitweise nicht weniger als 3 Prozent, niedriger. Berliner Produktenbörse: Abwartend. Regierungsseitige Roggenabgaben wurden versprochen. Markt reagierte nicht hierauf. Man wartet tatsächliche Abgaben ab. Roggen gefragt, Weizen vernachlässigt, Gerste desgleichen, Hafer fest bei kleinen Umsätzen. Roggenmehl gefragt, Weizenmehl still. Amtliche Notierung der Mittagsbörse ab Station. Mehl und Kleie brutto einschl. Sack frei Berlin. Mit »g 4. 5. 31 2 5. 31 100 kg 4 5. 31 2. 5. 31 Weiz märk. Mai Juli Sepl. Mehl Weizen 34.2-40.2 34.2-40.2 283.0 285.0 298.00 303 7-303.0 253.5-253.0 283.0-285.0 299.00 305.0-304.0 254.00 Roggen Weizenkleie Roggenkleie Weizenkleie melaffe 27.5-29.2 14.0-14.2 14.7-15.0 27.2-29.2 14.0-14.2 14.5-14.7 Rogg. — Raps (1000 kg) — — märk. 199.0-201.0 199.0-201.0 Leinsaat (do) — — Ma 206.5 205.5 207.0-206.5 Erbsen, Viktoria 24.0-29.0 24.0-29.0 Jul, 204.5-202.5 205.5-205.2 KI. Speffeerbsen 23.0-27.0 23.0-27.0 Sept. 191.5-191.0 193.5-1930 Futtererbscn 19.0-21.0 19.0-21.0 Peluschken 25.0-30.0 25.0-30.0 Gerste Ackerbohnen 19 0-21.0 19.0-21.0 Brau — — Wicken 24.0-26.0 23.0-26.0 Füll. BO.O-244.0 230.0-244.0 Lupinen, blau 15.0-16.5 14.0-16.0 Neue — - gelb 22.0- 26.0 22.0-26.0 Winter — — Serradella, neu 66.0-70.0 66.0-70.0 Rapskuchen 9.8-10.2 9.80-10.2 Hafer Leinkuchen 14.0-14.2 14.0-14.2 märk. 192.0 196.0 190 0-194.0 Trockenschnitzel 8.2- 8.3 8.21-8.30 Alai 202.0-204.0 202.5 201.2 Soya-Exwatt.° Juli 209.5 210.0 20 05-2 8.5 Schrot 12.7-13.9 12.8-13.9 Sept. — 184.0-182.q Kartoffelflocken — — Preisnotierungcn für Eier. (Festgestellt von der amt lichen Berliner Eiernotierungskommission.) Deutsche Eier: Trink eier (vollfrische, gestempelte) über 65 Gramm 8,50, über 60 Gramm 8, über 53 Gramm 7,50, über 48 Gramm 6,75, frische Eier über 53 Gramm 7,25, aussortterte kleine und Schmutzeier 6. Aus landseier: Dänen 18er 8,75, 17er 8,25—8,50,15X>—16er 7,75, Hol länder 68 Gramm 9—9,25, 60—62 Gramm 8,25—8,50, Litauer, große 7, normale 6,50, Rumänen 6,50—6,75, Ungarn und Jugo slawien 6,75—7, Ruffen, normale 6,25—6,50, kleine, Mittel-, Schmutzeier 5,75—6. Die Preise verstehen sich in Reichspfennig je Stück im Verkehr zwischen Ladungsbeziehern und Eiergroß- händlern ab Waggon oder Lager Berlin nach Berliner Usancen. Witterung: schön, Tendenz: freundlich. (Ohne Gewähr.) Amtliche Berliner Kartoffelpreis-Notierung je Zent ner waggonfrei märkischer Station: Weiße Kartoffeln 1,70 bis 2 RM, Rote Kartoffeln 2—2,30 RM. Odenwälder Blaue 2,10 bis 2,50 RM, Gelbfleischige (außer Nierenkartoffeln) 2,90—3,30 Reichsmark. Fabrikkattoffeln 8X>—9 Pfg. je Stärkeprozent. Meiallpreise in Berlin (für 100 Kilogramm in Reichs mark): Elektrolptkupfcr wirebars 91, Orig.-Hüttenalumininm 98 bis 99 Prozent, in Blöcken 170, do. in Walz- oder Drahtbarren, 99 Prozent 174, Reinnickel, 98—99 Prozent 350, Anttmon-RegU- lus 51—53, Feinsilber für 1 Kilogramm 39—41. Alle Achtung... Es macht der deutschen Hausfrau alle Ehre, das; sie das wirklich Gute und Preiswerte mit unfehl barer Sicherheit erkennt, denn das ist gar nicht so leicht. Don allen Seiten dringen die Ankündigungen dräuend auf sie ein: Preissenkung, unerhörte Billigkeit, noch nie dagewesene nied rige Preise. Daß die moderne Frau sich aber kein T für ein Ll vormachen läßt und neben Preiswürdigkeit auch auf Qualität sieht, hat der ungeheure Erfolg der neuen Mar garine Sanella gezeigt. Jeder Hausfrau ist binnen kurzem Sanella wohlvertraut worden, da sie nicht nur zeitgemäß im Preise ist, sondern selbst die Ansprüche des verwöhntesten Geschmackes erfüllt. Lop,rigdt 1830 d, Karl Köhler L Co., Berlin-Zehlendorf. 28 (Nachdruck verboten.) „Da wird wohl irgend etwas mitspielen, was sich unserer Beurteilung entzieht. Jedenfalls ist die Ehe nicht glücklich, und Frau Liane war über den auftauchenden Gemahi noch weniger entzückt als wir." — Am Nachmittag lag Liane, die heftige Kopfschmerzen vorge täuscht hatte, allein vor ihrer Capanna. Die anderen waren allesamt einer Einladung Peter Kellers gefolgt, sich die Jacht an zusehen, aber sie wollte eine Stunde der Ruhe, der Ueberlegung haben. Die Berg saß hinter ihr und behielt sie im Auge, denn die treue Seele fühlte sehr wohl, daß ihre geliebte Komtesse unglück lich war. Lauttos aus dem Sande war Francesco an die Capanna gekommen und bedeutete Frau Berg, daß er Liane sprechen wolle. „Gnädige Frau, Francesco ist hier. Ich glaube, er will! Hie sprechen." I Liane richtete sich auf. »Francesco?" .Einen Brief für Sie." Lin fremder junger Mann, der auf Antwort wartet." Gut, Francesco, warte hier." Kit zitternden Händen öffnete Liane das kleine Briefchen, h. . sie doch sofort die Handschrift ihres Bruders erkannt. Schnell las sie die wenigen Zeilen, die er schrieb. „Liane, bitte, laß Dir, wenn Du mich nächstens irgendwo siehst, nichts merken, daß Du mich kennst. Glaube mir, daß ich nichts Schlechtes vorhabe, ich spüre einer Sache nach, die von großer Wichtigkeit für uns alle sein kann. Unterrichte auch die Berg, damit sie mich nicht verrät und sage Deiner Freundin Ruth, sie soll auch gesälligst den Schnabel halten, wie ich ihr heute morgen bedeutete. Beinahe hätte sie mich verraten, als ich an Deiner Capanna vorbeiging. Wie ich dann hinter der Ta- pannawand hörte, gab sie mich sür einen venezianischen Tonte aus. Phantasie hat das Mädchen, das kann man nur bewun dern. Die beiden Jungens, die in Deiner Gesellschaft sind, ge fallen mir aut, scheinen vernünftige Kerle zu sein. Der famose Francesco, den ich mir gelangt habe, wird gegen Keller Still schweigen bewahren. Gib ihm auf alle Fälle noch ein paar Lire, ich hatte nicht sehr viel bei mir. Unsere Mutter glaubt mich aus einer Erholungsreise, also halte da dicht, wie gegen jedermann. Viel Vergnügen zur Seereise, hoffentlich schmeckt Dir das Essen gut. Gib mir kurzen Bescheid, daß Du alles verstanden hast. Francesco weiß, wo ich bin — Du aber sollst mich jetzt nicht sehen. Ahoi, altes Mädchen, bald sehen wir uns wieder. Kuß Dein Ernst." — Liane starrte fürs erste wie konsterniert aus diese rätselhaf ten Zeilen, dann rief sie hastig: „Berg, ist noch etwas Briefpapier unten?" „Gleich bringe ich es." Und dann schrieb Liane mit sliegender Hast, immer in der Angst, daß sie überrascht würde: „Lieber Junge! Du kannst Dir denken, daß ich wie vor den Kopf geschlagen bin. Ich finde für alles keine Erklärung, aber ich verspreche Dir, so zu handeln, wie Du es willst. Aber bitte, Junge, mache unseren alten Eltern nicht etwa durch irgendeine Tollheit neue Sorgen. Ruth und die Berg unterrichte ich. Be hüt' Dich Gott, Junge. Deine Schwester." — Dann kuvertierte sie den kurzen Bries und gab ihn Francesco und zugleich noch ein beträchtliches Trinkgeld. Francesco lachte über das ganze Ge sicht, glaubte er doch, daß er eben ein Postillon ci'smour gewesen sei, und eilte davon. Und nun war es vorbei mit dem ruhigen Nachdenken Lianes, die Gedanken jagten nur so durch ihren Kopf. Was war es, was Ernst vorhatte? Wenn es nur keine von seinen vielen Dummheiten war; ach, zu viel schon hatte er deren be gangen. Sicherlich war es etwas, was Ernst sür wichtig hielt, aber was nur konnte das sein, mit wem hing es zusammen? Ob es mit ihrem Manne zusammenhing, da Ernst ausdrücklich ge schrieben hatte, daß Francesco gegen Keller schweigen würde? — Soviel sie auch nachdachte, sie kam zu keinem Resultat und so gab sie das Grübeln als nutzlos auf. Hätte sie nur einen Menschen, mit dem sie über dies alles hätte reden können. Ruth deswegen anzugehen, war zwecklos, sie konnte auch nicht raten, ihr wollte sie nur sagen, was Ernst von ihr wünschte. Nach langem Hin- und Herdenken entschloß sie sich, sich Sven Mogens anzuvertrauen und ihn auch den letzten Brief von Ernst lesen zu lassen. Da Peter Keller auf der Jacht über nachtete, sand sie vielleicht am Abend eine Gelegenheit, mit Sven zu sprechen. — Als sie sich sür das Diner umgekleidet hatte, kam Ruth in ihr Zimmer und setzte sich auf ihren Diwan. „Was ist mit dir, Ruth, du siehst aus, als möchtest du mir etwas sagen, wüßtest aber nicht, wie du die Sache anfangen sollst." „Stimmt, Liane, stimmt auffallend. Ist eine ganz verteu felte Sache. Ich möchte nicht, daß du dich aufregst — aber wenn ich dir sage, wen ich heute unten am Strand gesehen habe, regst du dich bestimmt auf." „Liebling — willst du mir erzählen, daß du Ernst gesehen hast?" Liane sah der Freundin lächelnd in das total verdutzte Gesichtchen. „Du — du hast ihn auch gesehen?" „Nein, Ruth, das nicht." „Aber woher weißt du denn . . .?!" „Woher ich weiß, daß er hier ist? Er hat mir geschrieben." Und Liane erzählte der Freundin mit kurzen Worten, ihr Bruder habe ihr mitgeteilt, er befinde sich auf einer Ferien reise, möchte aber nicht mit Peter Keller zusammentreffen, da er sich mit ihm nicht eben glänzend stehe. Falls die Damen ihn in nächster Zeit einmal sehen würden, dann möchten sie ihn nicht ken nen und verraten. — Mehr wollte Liane der Freundin nicht er zählen, da sie fürchtete, diese könne ängstlich werden. „Na, das ist gut! Der Junge kann mir gefallen. Wozu läßt er sich denn einen Vollbart wachsen?" Liane, die dadurch eben erst hörte, daß der Bruder einen Vollbart trug, sagte leichthin: „Vielleicht will er das Geld sür den Raseur sparen." Dann wandte sie sich an die Berg: „Also, hörst du, Berg, wenn wir hier auf der Reise den jungen Herrn einmal treffen, kennen wir ihn nicht." Die alte Frau schlug die Hände über den Kops zusammen und ries aus: „Der junge Herr! Sicher hat er wieder einen tollen Streich im Kopf! Wissen Sie noch, gnädige Frau, wie er, damals in die junge Zigeunerin verliebt war und wochenlang mit den Zigeunern in ihrem Wagen herumgezogen war und an Ihre Eltern immer von irgendwoher Telegramme schickte, daß er sich glänzend amüsiere." „Ich weiß, Bergchen, ich weiß. Papa war damals furcht bar ärgerlich über Ernst, aber als er dann wiederkam und uns erzählte, da mußten wir doch alle lechen. Denkst du noch daran, wie Ernst einmal das ganze Diner gekocht hatte, weil unsere Köchin sich verbrannt hatte? Er kochte doch so gern." „Und wie gut hatte er gekocht! Die Gäste waren alle be geistert." (Fortsetzung folgt.)