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Pulsnitzer Tageblatt Beilage zu Nr. 89 Freitag, 17 April 1931 83. Jahrgang Die Freude am Gesunde«. Ueberall in Natur und Gristcswclt übt Las Gesunde eine ungemein erfrischende Wirkung auf seins Umgebung aus. Unsere Pflicht ist es, die Freude zu wecken am Willen zur Ge sundung. Oftmals führt uns der Weg an unfruchtbaren Land strichen, an verkümmerten Waldungen, an kläglichen am Stra ßenrain absterbenden Bäumen, verwilderten und verwahr losten Gärten vorüber. Ist es Gleichgültigkeit, ist es Unkennt nis oder Bequemlichkeit gewesen, hier nicht beizeiten Hand an zulegen und durch geeignete Pflege, durch Zufuhr besserer Nahrung, durch Aufbesserung des Bodens eine Gesundung zu schaffen? Wir sehen Tiere allerlei Arten, deren Pflege in Menschenhände gelegt ist, und die doch durch Verschmutzung und Nachlässigkeit zu kranken Tieren wurden, die eine An steckungsgefahr für andere und kein Wohlgefallen für den Be schauer sind. Der Mensch maßt sich die Herrschaft über das Tier an und hat die Verantwortung für Gedeih und Verderb desselben, wenn es in seinem Besitz ist. Leicht kann hier Krank heit vermieden werden durch eine einfache Zauberformel: Sau berkeit und Pflege. Und nun erst der Mensch! Gegen ein Heer von Gebrechen aller Art ist er täglich im Kampfe, um seinen Leib gesund, die Glieder heil zu erhalten. Und doch könnten viele Erkran kungen vermieden werden, wenn die einfachsten Regeln der Hygiene innegehalten werden. Von all den Unvollkommenheiten aber führt der Sehn suchtsgedanke zu den Gestaden des blühenden Lebens, zum Willen zur Kraft, zum Gefunden. Von der Stadt angekrän kelte Menschen suchen die in der Fülle der Gesundheit stehende Landschaft auf, die brausende, in ihrer Naturkraft ungebärdige See und das zur Erhebung und zur inneren Reinigung füh rende große Schweigen auf den Höhen der Berge. Ueberall aber ist es das Gefühl, daß die Urkraft im Weltall liegt, die der Hoffnung Raum gibt, von dieser Kraft schöpfen zu dür fen, um sich zu kräftigen und zu stärken. Auch Baum und Strauch, wenn sie gepflegt und kräftig das Gezweig zur Sonne richten, und der Garten im Sonntags kleide reden die Sprache des Gedeihens und das Behagen der Gesundheit. Gefälliger und edler wird auH der Schritt des Tieres, und das Wohlgefallen an seiner Schönheit ist zu gleich ein Wohlgefallen an seiner Gesundheit. Der Mensch ist der Hüter der Schöpfung, sei er vor allem zunächst ein Hüter feinet selbst, dann aber auch seiner Um gebung. M. Gröhn. Häuslicher Zwisi bei Den Sozialdemokraten. Borgest chlc für den Leipziger Parteitag. Die Sozialdemotrattschc Partei Hal schon seit längerer Zeit keinen Reichspariettag mehr in Sachsen abgehalten. Dieses Jahr aber sinder der Parteitag in Leipzig stall; am 31 Mai , wird er eröffne. Und wenn auf den lehien Paneilagen die Sachsen stets eine große Rolle spielten, so wird eS auch dieses Mal nicht anders sein. Damals, besonders in Heidelberg und Kiel, stand der sächsische Parieikonslikt im Vordergründe des Streites. Davon ist es ruhig geworden, die Alisozmldemokra- ten sind ja so gut wie verschwunden und die radikalere Richtung ist, obwohl sie nicht die Sympathie» des Parieivorstandes und der Parteimehrheit im Reiche besaß, Sieger geblieben. Heute geht es überhaupt nicht um eine sächsische Angelegenheit: viel- „KunstauSstellung" in Kürbissen. Alljährlich strömen die Bewohner der ftanzö-, fischen Riviera und zahlreiche Fremde zur alten, Arena von Eimiez, um dem Kürbis-Fest, einem der ältesten Volksfeste von Nizza, beizuwohnen. Aus den getrockneten Kürbisschalen werdet, alle/ möglichen Gegenstände hergestellt und dann mit kunstvollen Malereien oder Kerbarbeiten versehen,, die entsprechend gut bezahlt werden. Buntbemaltes Flaschen, Gefäße, originelle Figuren und Masken, ja sogar Musikinstrumente werden, wie unser Bild zeigt, bei diesem Volksfest in Cimiez an Ständen feilgeboten. mehr wird um die Reichspolittl gekämpft werde» Um Vie Reichspolitik der Sozialdemokrale» schlechthin, um die Ei» stellung zum Kabinett Brüning — und der Panzerkreuzer gibl dem Streit eigentlich bloß den Namen. An der Reichstagsabstimmung über de» Panzerkreuzer B aber habe» sich die Meinungsverschiedcilhetten innerhalb der Partei eben doch besonders deutlich gezeigt, und so braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn sich die Auseinander setzungen besonders um diese Angelegenheit drehen Bekanntlich hat sich die sozialdemokratische Reichstagsfraktion bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten, weil nach dem Auszug der RcchlSoppositton sonst keine Mehrheit für den Panzer kreuzer zu haben gewesen wäre, die Regierung Brüning aber aus dem Bau dieses Schisses unbedingt bestand. 21 Abgeord nete der Partei nahmen nun an der Sitzung überhaupt nicht teil, weil ihre Gegnerschast gegen den Panzerkreuzer so groß ist, daß ihnen auch die Slimmenthaltung noch ein zu großes Ent gegenkommen bedeutete. Unter diesen 24 befanden sich sämt liche sächsischen Abgeordneten — bis aus vier. Und diese vier wieder gehörten zu de» neun Sozialdemokraten, die zusammen mit den Kommunisten offen gegen den Panzerkreuzer stimm te» und sich damit den in scharfer Form erhobene» Vorwurf des Disziplinbruches znzogen. Der Parteitag in Leipzig hat Mil die Aufgabe, zu diesem Disziplinbruch Stellung zu nehmen, und das heißt: er wird den neun wahrscheinlich eine scharfe Mißbilliauno anssprechen Darüber sind sich liu» die Parteiverlretungei! aller drei säch sische» Wahlkreise voltkommen einig, daß die Stimmenthaltung der Rcichstagssraklion unrichtig gewesen sei. Die sächsische So zialdemokratie steht also zunächst geschlossen gegen die Rcichs- parlel oder doch wenigstens gegen deren überwiegende Mehr heit. Diese Geschlossenheit geht aber freilich nicht sehr weit: innerhalb der sächsischen Sozialdemokratie streitet man sich nun darüber, ob nicht die Abgabe der Neinstimmen durch die neun „Disziplinbrccher" die „allein mögliche" Haltung gewesen sei. Dieser "Ansicht ist man vor allem in Westsachsen, im Wahlkreis Ehcumitz Zwickau, wo eine ganze Anzahl entsprechender Ent schließungen gesaßt worden ist; so hat beispielsweise eine Funk- tionärskonferenz in Zwickau das volle Vertrauen für diese „be- sreieude Tal" ausgesprochen. Nun sind allerdings die westsäch- sischcn Sozialdemokraten schon immer besonders radikal ge wesen, und so sicht man auch jetzt wieder, daß die beiden anderen sächsischen Wahlkreise, Ostsachsen <Dresden-Bautzcn) und Leipzig, sich mehr zurückhalten .Kundgebungen, die von dort vorliegeu, begnügen sich damit, das Fernbleiben der 24 Ab- gcordnele» von der Abstimmung — oder richtiger: von der Stimmenthaltung — zu billigen. Im übrigen aber steht die ganze sächsische Partei eben doch geschlossen gegen die von der Reichstagsfraktion getriebene Politik, und sic Hal offenbar die Absicht, scharfe Vorstöße auf den, Leipziger Parteitag zu unternehmen. Der Parteivorstand aber hat auch schon zum Gegenstoß ausgeholt und die säch sischen Genossen daraus hingewiesen, daß ihre eigene Politik gegenüber der Regierung Schieck im Grunde nichts anderes sei als die RcichSpolitik gegenüber Brüning. Die sächsischen Parteiblättcr nennen diese Behauptung ein „unsachliches Ma növer" — ohne sreilich klar nachweisen zu können, daß wirklich ein großer sachlicher Unterschied besteht. Jedenfalls kann man jetzt schon sagen, daß es auf dem Parteitag wieder lebhafte Auseinandersetzungen geben wird, bei denen die sächsischen Ver treter in Angriffssront gegen den Parteivorstand stehen werden. Ob sic viel Unterstützung aus anderen Teilen des Reiches, finden werden, ist freilich sehr unsicher. Aber sicher ist es, datz der Parteivorstand, der ja Meister der Taktik ist, abermals als Sieger hervorgehen wird. Der Beiilerbankier von Böhmen. Die Suche nach dem Aussig or Doppel mörder. Die Nachforschungen nach dem Aussiger Doppelmörder sind bisher ergebnislos geblieben. Es wurde eine Verhaf tung vorgenommen, jedoch stellte sich heraus, daß der Ver haftete der Täter nicht sein konnte. Interessant ist, daß der ermordete Jodlowetz der sogen. Beltlerkönig von Nord- westböhmen war. Er war der Finanzier dieser Leute und organisierte namentlich den Straßenbcttel in den nordwest böhmischen Kurorten, indem er die Fechtbrüder mit Reise mitteln ausstattete und nach der Heimkehr ein Zehntel des Gewinnes vom Bettler einstrich. Er soll aber dieses Metier mit sehr viel Wohltätigkeitssinn für seine Klientel verbun den haben. Der Verdacht, daß der Mörder aus ihren Reihen stamme, dürfte indes unbegründet sein. Flammen im Schnee. Roman von Friedrich Zeüendorf. Vrtttteb: Earl Duncker Bettried. Beilin W 62. 44. krort/e«- »« Bei der Eifenbahnkurve war Lärm. Unterhalb der Wold kurve war in einem unbewachten Augenblick ein Mann ohne Hut im grauen Sponanzug mit einem einfachen Rodelschlitten auf der Bahn erschienen, was streng verboten war. Ehe es noch einer der Posten hätte hindern können, iaß der Mann auf dem Rodel und jauste unaufhaltsam mit fliegenden, blonden Haaren auf die Eifenbahnkurve zu Der Mann warf die Hände hoch in die Lust und raste, den Körper zurückgelehnt, mit erstarrtem Gesicht, ohne zu steuern, in die Kurve, von aufgeregten Rufen und fuchtelnden Armen umtost. Ein Akkord von Schreien gellte auf Dann wurde es toten still. Der Rodel war in der Eisenbahnkurve gestürzt. Baby preßte den Arm der Baronin und konnte nicht vom Fleck. Sie war kalkweiß und stammelte: ,stWas war das?" Eie konnte nicht sehen, was geschehen war. Menschen liefe» auf die Bahn Die Vordersten beugten sich nieder. Bon der reitzendenden Wucht der eigenen Gefchwindig- keit geschleudert, war der Robel die überhöhte Kurvenwand hinabgeschleudert worden. Er streckte die eisenbeschienrcn Ku fen in die Luft neben einem menschlichen Körper, der mit dem Rücken nach oben, das Gesicht auf der Seite, regungslos auf der vereisten, harten Fläche lag. Aus dem Mund des Verunglück ten strömte Blul, warmes, rotes Blut, das in roter Lache im silbrigen Grund gerann. Der Sanitätsbob kam schon von der Höhe, vor der Unfall stelle bremsend. Der Arzt sprang heraus und bemühte sich um den leblos Daliegenden. Freiherr von Wechmar, der Klub- fekretär, stürmte mit erschrockenem Gesicht von unten herauf. Zwei Männer stellten eine Tragbahre nieder. Vorsichtig wurde ein widerstandsloser, schwach atmender Körper auf die Bahre gebettet. Die beiden Träger streckten die Köpfe in die Trag- gurien und gingen mir schaukelnden Schritten bergab zwischen einem schweigenden Spalier von Neugierigen und Erschütterten. Die Bahre wurde über einen Schlitten gelegt. Langsam fuhr der Schlitten davon in der Richtung nach Sörensens Haus. Sörensens Haus lag im Wald gebettet, fast verdeckt von dunkel aufstrebenden, Sichten Tannen. Eine einfache, ältere Frau hielt ihm Ordnung, iührle Sic Wiriichasl. Nun stanv sie, die verweinten Augen fortwährend mit der Schürze wischend, im einfach eingerichteten Wohnzimmer neben dem Arzt, der leise mit Tandi sprach: „Wird es Ihnen nicht zu viel werden. Frau Baronin?" „Nein. Herr Doktor, ich bm beim Roten Kreuz als Pflegerin ausgebildet und habe während des ganzen Krieges Kranke ge pflegt. Siehl's sehr schlimm um Sörensen?" Der Arzt zuckte mit der Achsel. „Es kann heute Nacht zu Ende sein, es kann Wochen oder Monate dauern. Ich lasse mich nicht auf Prophezeihungen ein. Wenn die ärztliche Wissenschaft immer recht hätte, müßte der da drin seit einem halben Jahr schon tot sein. Es steckt eine un erhörte Lebensenergie in diesem ausgemergelten Leib" Das Schlafzimmer war der größte Raum des Haufes, mit großen, bequemen, weiß lackierten Möbeln eingerichtet- Eine verhängte Lampe gab dämmeriges Licht. Söremcii lag mit geschlossenen Augen im breiten Bett, das fahlblondc Haar wirr um eingefallene Schläfen. Schweitz- rropten standen am seiner Stirn. Die abgemagerten großen Himoe mit dem gerankten Geäst der Adern lagen leblos auf der weißen Decke. Baby, die sich den Eingang zu ihm trotz des Arztes er zwungen hatte, saß aut einem Stuhl neben dem Bett und streicheile die ihr zunächstliegende Hand Tränen, die sie nieder- zukämpien juchte. rollten ihr von der Wange auf die Decke. „Söremen, warum ham's das getan?" Ihre Stimme erstickte tast. Der Kranke bewegte kraftlos die freie Hand und hauchte mehr, als er sprach: „Ich wollte wie ein Gesunder sterben. Es — ging — nicht — mehr." Eine Uhr tickte. Tickte unermüdlich, wie ein lebendiges Herz. Sörensen schlug die Augen auf, und so leise flüsterte er, daß sie ihm das Gesagte von den Lippen lesen mußte. „Baby — das war mein schönster Winter — — An sich selbst verbrennen Alle brennen wi--r hier Flammen im Schnee " Er war vollkommen erschöpft und schwieg. Fieber steckte seine Wangen im Brand. Baby preßte den Mund zusammen, um ihren Jammer nicht laut hinauszuschreien. Etwas Tröst liches wollt« sie ihm sagen, brachte aber kein Wort aus der Kehle. Und die Uhr tickte tickte Baby rührte sich nicht. Sörensen lag mit röchelndem, rasselndem Alem, die blauverschatteten Lider über den Augen. Nach einer langen, unendlich langen Weile bewegte er den Mund. Er wollte noch irgend etwas sagen, Baby verstand nur die letzten beiden Worte: „Abschied — nehmen." Sie saß und saß. Die große Schwäche tauchte Sörensen in erlösenden Schlaf. Es war neun Uhr abends, als Baby laullos aujstand. Sie beugte iränenüberströml den schönen Kopf über Sörenfen und küßte den Todkranken auf die Stirn, die von Schweißperlen glänzte. Baby ging ohne Abendbrot auf ihr Zimmer Sie riß das Fenster auf und ließ milde, nasse Luft Hereinströmen, die ihre heißen Augen kühlte. Es sing draußen zu rauen an. Die Schauspielerin nahm vom Toilettentisch den Silberrahmen mit der Photographie, letzte sich und stellte ihn vor sich auf den Tisch Sie starrte das Bildnis des jungen Mädchens an, das mit klarem runden Blick de» ihren zu erwidern schien. Und Baby hieli lange, stumme Zwiesprache mit dem Bild. Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. Joachim, der den ganzen Abend besorgt nach ihr ausgeschaut hatte, trat ein. Er nahm sie in die Arme, als er ihre verweinten Augen sah > „Nicht weinen, Babylieb, bitte, bitte, nicht weinen. Es war doch richtig, daß der arme Sörensen das getan hat. Ich hätte es auch so gemacht. Man muß gesund und stark sein für das Leben." „Nicht, nicht." Sie machte sich gequält los. Tränen brachen wieder aus. „Und ich hab mich so gefreut auf heute Abend. Liebste, Schönste, ich bin doch so glücklich, so unausjprechlich selig. Vabylieb, ich habe einen Vertrag, ich gehe mit nach Amerika, du. weißt du. was das heißt? Ich werde bei dir sein, ich darf bei dir bleiben. Bist du denn nicht ein bißchen froh darüber?" Sie wandte keinen Blick von ihm. Schlank, freudig, mutig stand er vor ihr. So schön war das. Sie warf sich ihm an den Hals und küßte seinen Mund mit geschloßenen Augen, saugend, gierig, stürmisch, in einer leidenschaftlichen Zärtlichkeit ertrin kend, die ihm den Atem nnhm.