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Nr. 9. Pulsnitzer Tageblatt. — Montag, den 12. Januar 1931. Eene 7 Ltnbekannie Krankheitserreger. Untersuchungen Lber Krebskrankheit und Gelenk rheumatismus. Wien. In einer Sitzung der Gesellschaft der Aerzte sprach dieser Tage Professor vr. Sternberg über die Frage der Infektion des Krebses. Als die bakte rielle Aera begann und in rascher Folge eine Reihe von Krankheitserregern entdeckt wurde, dachte man auch an einen Erreger der Krebskrankheit. Hervorragende Gelehrte haben mit den verschiedensten Methoden den angeblichen Krebserreger gesucht. Viele glaubten auch, den Krebserreger entdeckt zu haben. Immer wieder aber zeigten die Kontrollversuche, daß es sich um einen Irrtum handele, daß der vermeintliche Krebs erreger nichts mit der Krankheit zu schaffen habe. Heute muß erklärt werden, daß wir einen lebenden Erreger des Krebses nicht kennen. In der gleichen Sitzung sprach Professor vr. Reitter über einen Fall von Gelenkrheumatismus, bei dem er Tuberkelbazillen im Blut nachweisen konnte. Eine derartige Krankheit erlaube zwei Auffassungen, die eine geht dahin, daß es sich um eine kombinierte Erkrankung handelt, daß ein Fall von Rheumatismus daneben Tuberkulose habe oder umgekehrt. Aber diese einfache Auffassung hätte die Voraussetzung, daß der akute Gelenkrheumatismus eine eigene Krankheit sei mit einem eigenen, den Aerzten freilich heute noch unbekannten Erregern. Andere glauben, daß der Gelenkrheumatismus kein eigentliches Krankheits bild, sondern eine Summe von Symptomen darstclle. — Prof. vr. Straßer stellte einen Mann vor, der jahre lang an den heftigsten Schmerzen im rechten Dein litt. Die Schmerzen hörten nur bei Bettruhe auf. Der Professor stellte fest, daß die Schmerzen von dem rechten Hüftnerv aus- gingen, dadurch entstanden, daß dieser Nero durch eine Verschiebung der Wirbel beeinflußt wurde. Durch eine ein fache Erhöhung eines Steckels am Schuh gelang es, die kranke Seite zu entlasten, und die Schmerzen waren endgültig ver schwunden. Bei einem Schneidermeister, der zwanzig Jahre lang gewohnt war, eine bestimmt« Kopfhaltung beim Zu- schneiden einzunehmen, wurden infolge dieser Kopfhaltung heftige Schmerzen der Halsnerven verursacht. Eine Heilung wurde dadurch erzielt, daß man den Mann daran gewöhnte, daß er den Kopf und den Oberkörper beim Zuschneiden nach der rechten Seite wendete. Terfren Laila weissagt. Oesterreich erhält einen Diktator. — Luthers vierjählge Dik- tatur beginnt. — Französische Finanzkrise. — Kleiner Krieg auf dem Balkan in zwei Jahren. Die bekannte Hellseherin Tre freu Laila, die sich gegenwärtig in Wien aufhält und von der ihre Anhänger behaupten, sie habe seinerzeit die kommende Inflation irr Frankreich und den späteren Zeitpunkt der Wiederstabilisie rung der französischen Valuta richtig vorausgesagt, hat wieder einmal geweissagt. Wer an ihre Prophezeiungen glaubt, der höre: Oesterreich wird noch in diesem Jahre einen Diktator bekommen. Die Diktatur in Oesterreich wird auf durchaus unblutigen Wegen förmlich über Nacht aufge- richtet werden. Zuvor aber gibt es noch einen kleinen Krach mit Deutschland. Italien wird nämlich gegen Mitte des Jahres in einen Konflikt mit Frankreich geraten, und Oesterreich wird neutral bleiben. Zur Belohnung wird Oesterreich auf Grund eines Vertrages, den Mussolini mit England abschließen wird, den grüßen Teil Süd- tirols zurückerhalten. Hier wird aber Oester reich auf den Anschluß an Deutschland verzichten müssen. Auch Deuts chland wird noch während dieses Jahres einen Diktator bekommen. Aber während die Auf- stellung der Diktatur in Oesterreich schnell und ruhig ver laufen wird, wird sie in Deutschland viele Opfer kosten. Der erste Diktator in Deutschland wird vr. Luther sein, der seine Würde vier Jahre lang innehat, während die Diktatur in Oesterreich 25 Jahre dauern wird. In Oesterreich werden gewisse Kreise versuchen, vr. Seipel als Diktator aufzustellen. Aus dem oberfthlesischen Streikgebie«. Auch in Oberschlesien wurde von kommunistischen Agitato- cen uns vem Ruhrgebiet eine auch» Streikbewegung oeran- laßr oie allerdings ohne Er- solo vlieb Di» Gruben wur- o?n von Polizeimannschaften leichützl — Starkes Po Izeiautgebot zum Schutze der Arbeite. M ' It 1 gen vor einer Grube bei S-ndenburg Daraus wird aber nichts werden, und gegen Ende d«s Jahres wird ein anderer hervorragender Staatsmann als Diktator an die Spitze der österreichischen Republik treten. Auch sonst werden die nächsten Monate bedeutende po litische Umwälzungen in Europa bringen. Frankreich wird durch den Tod zweier prominenter Po- litiker sowie durch zwei furchtbare Luftkatastrophen, eine Erd bebenkatastrophe und eine Finanzkrtse schwere Erschütterun gen erleiden. England wird unter großen Streiks und unter Arbeitslosigkeit zu leiden haben, die dagegen in Deutsch land und Oesterreich noch in diesem Jahre infolge der er wähnten Umwälzungen und durch den Zustrom ausländischen Kapitals ihr Ende finden werden. Auf dem Balkan wird es in zwei Jahren einen kleinen Krieg geben, der jedoch der Ruhe Europas nicht sehr gefährlich werden wird. AufregungimMmpara-iesHollytvoo- Hollywood. Hollywood ist in Angst und Aufregung. Zahlreiche bewaffnete Ueberfälle auf prominente Filmschau- spieler in den letzten Tagen haben di« Befürchtung wachgeru- fen, daß die amerikanischen Vcrbrecherbanden aus New Port und Chicago ihren Terror bereits auf das Filmparadies aus gedehnt haben, dessen Bewohner bisher noch von den „Ge- schäftsmethoden" Al Capones und anderer Unterweltkönige verschont blieben. Zahlreiche Filmschauspieler haben sich für kommende Fälle bis an die Zähne bewaffnet. Viele haben sich für die kommenden Kämpfe gegen die „Gang» ster" freiwillig den Polizeibehörden als Hilfsbeamte zur Per- fügung gestellt. Die weiblichen Filmstars schweben wegen ihrer Juwelen und Schmucksachen in ganz besonderer Angst. Janet Gaynor und Bebe Daniels z. B. haben sich besondere Leibwachen engagiert, die ständig schwer bewaffnet, sie auf allen ihren Ausgängen begleiten müssen. Ihre Chauffeure haben bei Autofahrten ständig g e - laden« Revolver neben dem Führersitz. Die Landsitze von Douglas Fairbanks und Gloria Swanson sowie von Harold Lloyd stehen Tag und Nacht unter stärkster Bewachung. Hollywood gleicht einem bewaffneten Lager. Unter den letzten Raubübersällen haben besonders diejenigen gegen die Filmschauspieler George O'Brien und Ben Lyon großes Aufsehen erregt. O'Brien wurde in seinem Hause von zwei Verbrechern überfallen. Es gelang ihm je doch, die Verbrecher durch Boxhiebe niederzustrecken. Ein jugendlicher Verbrecher unternahm auf den Schauspieler Ben Lyon im Filmatelier während einer Aufnahmepause einen Ueberfall. Als sich der Schauspieler zur Wehr setzte, schoß der Verbrecher, ohne jedoch zu treffen. Der Mammui-Prozeß gegen Gklareks und Genoffen. Der größte Prozeß, der je von einer Justizbehörde sertiggestellt wurde. Den Angeklagten aus der Sklarekaffäre ist die Anklage schrift zugegangen. Die Schrift ist 1500 Umdruckseiten stark und bedeutet wohl die größte Anklageschrift, die je von einer Justizbehörde fertiggestellt worden ist. Die Untersuchung, die 1>t Jahre dauerte, hat ergeben, daß sich die Anklage im wesentlichen auf den Komplex der Stadtbank beschränken konnte. Deshalb ist gegen 13 Personen Anklage erhoben worden, die mit den Krediten der Berliner Stadtbank zu tun gehabt oder die von den Sklareks als Beamte Gelder angenomnien haben. Die Anklage geht gegen Leo Sklarek, Willi Skla - rek, Max Sklarek, Buchhalter Lehmann, An gestellten Tuch von der Kleidervertriebs G. m. b. H., Stadtrat Gäbel, Stadtrat Degener, Stadtrat Benecke, Bürgermeister Schneider vom Bezirksamt Mitte, Bürgermeister Kohl vom Bezirksamt Eöpenick, Stadlbankdirektor Schmidt, Stadtbankdirektor Hoff mann, Stadtbankrendant Ludwig. Die 13 Angeklagten werden sich wegen Betruges, Unterschlagung, Urkundenfälschung, wegen aktiver Bestechung, Beihilfe zum Betrug, passiver Bestechung und wegen Untreue im Amt zu verantworten haben. Den Stadtbankdirektoren wird außerdem mangelnde Aufsicht im Amt vor geworfen. Die Reichshaupkstadt um 15 Millionen betrogen. Leo, Willi und Max Sklarek haben die Berliner Stadt bank um rund 15 Millionen Reichsmark be trogen, indem sie seinerzeit die vorgedruckten Rechnungs- sormulare der einzelnen Bezirksämter fälschten und diese der Stadtbank zur Bezahlung vorlegten. Berlin. Der Beleidigungsprozeß gegen vr. Goebbels. Die Zweite Große Strafkammer beim Landgericht III Berlin unter Vorsitz des Landgerichtsdirek tors vr. Siegert hat beschlossen, daß vr. Goebbels vor dem Schöffengericht Charlottenburg vorgeführt werden soll. Schlichtuugsverhandlungen für Behörden-Angestrlltc. In dem Tarifstreit um die sechsprozentige Gehaltskürzung bei den Reichs- und preußischen Staatsangestellten hat der Reichsar beitsminister Schlichtungsverhandlungen auf deu 15. Januar anberaumt. Zumpe macht Karriere Eine» Pechvogel» lustige Geschichte von Aritz Söcuee l3 „Knallroter Dreß! Dort links von der Startmaschine."' Da schrillte die Startglocke. Ab waren die Pferde. * Zumpe stand am Toto. Er schwitzte Blut und Wasser. Vor ihm waren wohl noch zehn Leute und das Rennen mußte jeden Augenblick beginnen. Richtig . . . kurz bevor er dran kam . . . schrillte die Glocke. Zumpe stöhnte auf. Da hörte er plötzlich, wie sein Vordermann schimpfte. „Sie haben mir falsche Tikets jegeben! Ick will nicki den Schinder, die Uschi! Ick will die dreie, den „Mayer"." Der Beamte bedauerte. Da sprang Zumpe ein. „Mein Herr, ich wollte Uschi wetten! Wollen Sie mir die Tikets ablassen? Hier sind zwanzig Mark!" Der Rennbahnonkel guckte ihn an, warf einen Blick auf das Feld, sah, daß Uschi nicht vorne lag und schob sie ihm rasch zu: „Jemacht!" Zumpe zahlte das Geld und atmete auf. Gottlob ... ob Uschi gewann oder nicht ... er hatte die Tikets. Er verließ rasch den Toto und steuerte der Barriere zu. Aber da standen soviel Menschen, daß es zunächst un möglich war, bis zu dem reizenden Blondkopf durchzu dringen. So wartete Zumpe. Uschi kam in Aufregung, als die Pferde in das Geläuf einbogen. Sie suchte nach ihrem Pferd. Es lag hinten. Plötzlich hörte sie eine Stimme neben sich: „Det Rennen jeht vakehrt! Die haben sich man alle die Köppe abjeloofen! Paßt man uff, Herrschaften ... die Letzten soll'n die Ersten sin!" Und wahrlich, es war so. Die vornliegenden Pferde wurden Opfer des überhitzten Tempos und klappten noch vor der Distanz zusammen, mußten die anderen widerstandslos vorbeiziehen lassen. Usch! sah, wi« der knallrote Dreß sich mit einem Male nach vorn schob . . . Uschi . . . nahm die Spitze. Sie jubelte auf. Endkampf. Uschis Reiter war aus dem Posten und blieb in Front bis ins Ziel. Uschi, das Pferd, hatte gesiegt. Uschi, das Mädel, war überglücklich. Ihre Blauaugen strahlten, „Mama, soll man das für möglich halten! Ganz hinten lag er und gewinnt noch!" Um sie ivar alles in Aufregung. Uschi war ein Außenseiter! Der brachte Geld! Das blonde Mädel sah sich um. Plötzlich sagte sie kleinlaut: „Aber das Tiket — Mama, ob er jetzt wiederkommt?" Die Mama blieb -r 'sic; und sagte: „Der junge Mann kommt wieder, verlaß' dich drauf, der ist unbedingt ehrlich!" Da sahen sie ihn auch schon, der mit glückstrahlendem Gesicht durch die Massen ruderte. „Gewonnen!" rief er den Damen zu. Mit sehr frohen Mienen wurde er empfangen. Er überreichte Uschi das Tiket, erhielt seinen Zehnmarkschein, dann erzählte er, wie er beinahe ohne die Tikets gekommen wäre. Uschi sah ihn dankbar-glücklich an. Die Mama sagte lächelnd: „Es ist ja nicht wegen des Gewinns, den braucht meine Tochter nicht . . . aber!" „Da irrst du dich, Mama! Da kann ich mir schon wie der was Nettes anschaffen! Was denkst du, was Uschi bringt?" „Ich glaube es dir! Aber die Hauptsache ist doch die Freude darüber, meinen Sie nicht auch, Herr . . .!" Anton stellte sich vor. „Ich bitte um Verzeihung, daß ich mich noch nicht vor stellte . . . Anton Zumpe aus Buxtehude!" Die Damen sahen sich erstaunt an, dann mußten sie herzhaft lachen. Zumpe war aber nicht böse. „Ja, es nützt nichts . . . es ist mein ehrlicher Name, den mir mein Vater mitgegeben hat und Buxtehude ist ganz reizend." „Aber. Herr Zumpe, bitte nehmen Sie uns das Lachen nicht übel. Aber Sie Machten es so drollig heraus. Der Name tut ja auch nichts zur Sache ... der Mensch macht es aus." „Besten Dank, gnädige Frau! Und werden Sie es mir übelnehmen, wenn ich mir jetzt erlaube. Sie zu einer Tasse Tee auf der Terrasse einzuladen." Die Mama lächelte, dann sah sie auf Uschi, die mit ge röteten Wangen und blitzenden Augen dastand. Sie nickte gewährend. „Wir werden es Ihnen nicht abschlagen, Herr Zumpe. Jetzt wollen wir uns auch vorstellen; Frau Margot von Zedtlitz mit Tochter Uschi!" Einen Augenblick benahm es Zumpe die Luft. Herr gott, wie feudal! Aber er ließ sich nichts merken, sondern verbeugte sich. „Es ist mir eine Ehre, meine Damen." * (Fortsetzung folgt.)