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01-Ausgabe Erzgebirgischer Volksfreund : 21.06.1944
- Titel
- 01-Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1944-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-19440621015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-1944062101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-1944062101
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Erzgebirgischer Volksfreund
-
Jahr
1944
-
Monat
1944-06
- Tag 1944-06-21
-
Monat
1944-06
-
Jahr
1944
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Sufattterre — di» Kvuigr«. Die Geburt jeder neuen Waffe Ist -er Lod -er Infan terie. Allerdings wird ihr der Tod immer nur prophezeit. Jedesmal überlebt die Infanterie ihre Todesanzeige. Die der Bogel Phönix erhebt st« sich au, der Asch«. Syr« Zukunft wird nicht ander» fein al» ihre Vergangenheit. Sie wird immer wieder totaesagt werden, um desto kräftiger «etter -u leben, und endgültig sterben wird wird sie erst dann, wenn die Völker sich zum Sterben ntederlegen. Di« Geschichte der Infanterie ist di« Geschichte der Menschheit. Die Qual und die Not, der Lebenswille und die Tatkraft der Völker spiegeln sich in der Infanterie. Wenn sich der Mensch in die Vergangenheit zurückträumt, bann sieht er sich al» Ritter in der Stechbahn reiten oder sieht sich auf den roten Hacken de» Senator» durch die antiken Städte schreiten. Daß er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein einfacher Infanterist gewesen sein wird, wie e» auch Sokrate» war, bas fällt ihm nicht «in. Dieser Traum ist ihm nicht schön genug. Nur ganz wenige Menschen haben genug Phantasie, um sich den Reiz und di« Schvnh«it b«» Geringen vorzu» stellen. Der deutsche Deneralfeldmarschall von der Goltz- Pascha beschwor einmal da» Andenken Alexander» des Großen. Er sagte, wir wüßten, wie Alexander der Große gewesen ist, wenn auch nur der geringste seiner Infanteristen aus seinem Grabe aufstehen und vor uns hintreten könnte: alles, was Alexander war, würde sich in den Schritten, in den Gesten, in den Blicken, im Gelächter und im Zorn dieses In- fanteristen wiederfinben lassen. Der Ma«« vor» de« D-Werke«. Eine große Entscheidung ist gefallen, die Stimmung der Menschen ist erregt, von Tisch zu Tisch fliegen di« Gespräche. Jeder hat etwa» Neues gehört. Einer weiß mehr als der andere, keiner will schweigen, die Meinungen erhitzen sich, wider sprechen sich. ,Za, wenn man alles sagen könnte, was man weiß." Zögernd, fast schüchtern fallen dies« Worte in di« Runde. „Mann, machen Sie sich nicht interessant! Was können Sie schon groß wissen. So toll wird das Geheimnis nicht sein", fährt ihm ein anderer in die Rede. — „Was ist denn hier los? Geheimniskrämerei? Lächerlich, wir sind doch hier unter uns. Mann, schießen Sie los, wenn Sie Pulver auf der Pfanne haben! Wenn Sie aber bloß angeben wollen . . ." „Angeben? Ich angeben? Herrschaften! Wenn ihr es nicht wissen solltet, ich bin Vorarbeiter bei den D-Werken, ihr habt ja keine Ahnung, was da gemacht wird!" „Hallo! Ober, noch «ine Runde! — So, und was ist mit den D-Werken?'' „Was ist? Das kann ich euch nicht sagen. Rüstungsbetrieb, ihr wißt ja Bescheid. Aber soviel kann ich verraten, wenn die neue Fertt- gung herauskommt . . ." In di« plötzlich« Still« haut scharf und kur- «ine Stimme vom Nachbartisch: „Nun aber gefälligst Schluß, wenn ich bitten darf!" Der Mann von den D-Werken ist verstummt, ängstlich kriecht er in sich zusammen. „Wer hat denn hier zu sagen, der oder Sie?!" stößt ihn sein Nebenmann in die Rippen. „Kennen Eie den überhaupt, ist das vielleicht Ihr Vorgesetzter?" „Der mein Vorgesetzter?! Kommt nicht in Frage. Aber wir wollen nicht so laur reden, sonst hat man noch Schwierigkeiten." Ein verständnisvolles Schmunzeln geht durch di« Rund«. Dann stecken st« die Köpfe zusammen; die Sache mit den D-Werken ist doch zu interessant. Die kleine Gesellschaft vom Nachbartisch ist inzwischen auf. gestanden. Noch einmal richtet der Zwischenrufer von vorhin seinen Blick fest und mahnend auf ven Sprecher. Aber der läßt sich nicht weiter stören. Am nächsten Morgen wird der Vorarbeiter W. zum Ueberwachungsbeamten gerufen: Kennen Sie diesen Herrn?" Vorarbeiter W. wird es plötzlich weich in den Kmen; denn vor ihm steht der Herr vom Nachbartisch, der mit der scharfen Stimme. Vorarbeiter W. hat Pech gehabt. Der Warner aus dem „Büraerbräu" war ein Ingenieur seines eigenen Werkes und hat ihn nicht umsonst zurückgepfiffen. Aber W. hat ja nicht hören wollen, nun kommt die Entschuldi- gung zu spät. „Machen Sie sich fertig! Sie müssen gleich zur Staatspolizei, dort können Sie weitererzählen, was Sie auf dem Herzen haben, aber ich fürchte, daß man Ihnen zunächst «ine sehr lange Schweigepflicht auferlegen wird .. ." * Seife für Knochen. Der Reichsko-mmistar für Alt- materialverwertung veröffentlicht im Anzeigenteil «in« Be kanntmachung für die Inhaber von Einzelhandlesgeschäften, die Seife führen, nach der diese verpflichtet sind, sich sofort die Kernseife zu besorgen, die für fünf Kilogramm abgelieferte Knochen gegen di« von den Annahmestellen oder Schulvor- sammelstellen ausgegebenen Gutschein« verkauft wird. Damit wird jede Hausfrau in Kürze ihr Stück hochwertiger Kernseife «rhalt«n können, wenn st« fünf Kilogramm Knochen L«t den Annahmestellen oder an di« Schulkinder abg«lirf«rt hat. * Die -eimarbeitestnb« b« Deutsche» Frauen»»»!«« im Httlechau» Aue, Earolastraß«, ist morgen, Donnerstag, wie- b«r ab 14 Uhr geöffnet. N«b«n den Näh- und Stickarbeiten werben diesmal auch eine Kartonnagenfertigung sowie Näh arbeiten an Kinderkleidung gezeigt. * Die nächst« Kreiolehrstund« i« Franentnrneu muß vor- verlegt werden und findet am Sonnabend, 24. Juni, ab 17 Uhr in der Halle der Turnerschaft Aue (Pestalozzischule) statt. Uebungsstoff: Wettllbungen für da» Gauturnfest in Limbach. Anschließend eine kurze Besprechung. Jeder Verein muß mit mindestens einer Turnerin vertreten sein. * Frischkost, vor den Mahlzeiten genossen, bereitet den Magen für die Aufnahme der Speisen vor. Die im Gemüse enthaltenen Mineralsalze und Vitamine regen die Magen- säst« an und erleichtern so die Verdauung von schwereren Speisen. Rohkost muß gut gekaut oder besonder» sein zer kleinert werden. Dadurch werden die einzelnen gellen des Gemüse« zersprengt und der gellinhalt freigelegt, der sich dann schneller mit den Derbauungssästen im Magen mischt. Täglich sollte man 12S Gramm Frischkost verzehren. Im Früh jahr können Wildgemüse, sowie Kräuter wie Schnittlauch, Petersilie, Kerbel, wesentlich zur Aufwertung der Kost bei tragen. Später sind es Rapünzchen, grüner Salat, der erste Spinat oder Radieschen, dann folgen Gurken, Tomaten, Möh ren, Kohlrabi. Im Herbst und Winter ißt man Wurzelgemüse und Kohl als Rohkost. * Rundfunk am Donu«r»tag. 7.30—7.46: Dichtung des Auslände«. 11.30—11.40: Frauenspiegel. 14.16—16: Mer lei von zwei bis drei. 16—17.60 Musik. 17.60—18: Er zählung. 18—18.30: „Ein schönes Lied zur Abendstund." 20.15—21.15: Melodien aus dem „Zigeunerbaron" und Aus- schnitte aus Lortzing-Opern. 21.15—22: Solistenkonzert. D S.: 17.15—18.30: Musik von Raff, Liszt, Spohr und Reger. 20.15—22: Filmmusik von gestern, heute und morgen. Schneeberg, 21. Juni. Dom Gefr. W. G. wirb uns ge- schrieben: Einen unterhaltsamen Abend mit Humor und Froh- sinn boten am Montag Neustäbtler HI. und BDM. den Kran ken und Verwundeten des Teillazaretts Schneeberg II. Neben musikalischen Darbietungen unb Ghorgesängen verdienen vor allem die Leistungen des in allen Lazaretten unseres Kreises bereits bekannt gewordenen HI.-Oberscharführers Kempf-Neu- stA>tel hervorgehoben zu werden. Seine im besten Erzgebir- gisch vorgetvagenen Schnorken, wie z. B. „De Aavdäppelkur" und „Marmelade", haben wie auch die Verse vom „Spuck- napf" bei den Zuhörern stärksten Beifall gefunden. Unser Wunsch unb der der Kameraden der anderen Lazarette ist nur: Kommt recht bald wieder! Schneeberg, 21. Juni. Die Mütterberatung fällt, morgen, Donnerstag, aus. — Zu seinem 40jährigen Dienstjubilaum wurde der Postbetriebsassistent Kurt Dörfelt durch den De- triebsführer und die Gefolgschaft des Postamts beglückwünscht und beschenkt. Schneeberg, 21. Juni. Die Stadt veranstaltet am Sonn abend, 24. d. M-, um 20 Uhr im Kasinosaal einen Serenaden abend, ausgeführt vom Städt. Orchester Aue unter Leitung von Musikdir. Hans Fischer. Herta-Maria Böhnie-Eollum aus Dresden singt alte Arien und Volkslieder mit Jnstru- mentenbegleitung. Das Orchester spielt alte und neue Sui- t«nmustk. Grla, 21. Juni. Der Oberwachtmstr. der Gendarmerie Paul Fritzsch, -. Z. im Lazarett, wurde im Osten mit dem E. K. 2. Klasse und der Obergeft!. Fritz Wörner in Italien mit dem Kriegsvevdienstkreuz 2. KI. mit Schwertern ausgezeichnet. Sosa, 21. Juni. Der Feldwebel Werner Preiß, Bockauer Straß« 40, wurde im Osten mit dem E. K. 2. Kl. ausgezeichnet. * * * Marienberg. Im Reitzenhainer Wald wollte der 55jährige Geschirrfuhrer Biedermann beim Holzabfahren den Wagen, den die Pferde in einen Graben gefahren hatten, wie der herausziehen. Dabei rollten einige Holzklötze vom Wagen und trafen ihn tödlich an Brust und Schläfe. * * Ehemnitz. Aus der Zwickauer Straße lief ein sechs jähriges Mädel hinter einem Straßendahnzug über die Fahr bahn, wurde dabei von einem in entgegengesetzter Richtung fahrenden Lastkraftwagen ersaßt und tödlich verletzt. " Dresden. Regierungsrat a. D. Prozessor Ahnert, der Senior der Deutschen Stenographenschast, Gauverband Sach sen, vollendet heute in körperlicher und geistiger Frische sein 85. Lebensjahr. Er hat wesentlich mit dazu beigetragen, daß Sachsen den Ruf als ,chas stenographischste Land der Welt" bekommen hat. Al» Systematiker und Theoretiker schuf er die deutsche Ginheitskurzschrift mit. «ettfthttfS — da« Gebot der «tuude. Die Dauer de» Kriege» hat gerade in den bäuerlichen Haushaltungen einen Reparatur- und Ersatzbedarf an Haus- rat aufgestaut, der durch Handel und Handwerk nicht befrie- oigt werden kann. Dazu kommt der erweiterte Bedarf durch die Aufnahme der Bombengeschädigten und Umquartierten. Wenn auch die Bombengeschädigten den ersten Anspruch haben, so kann doch der Handel die Bedürfnisse nur zum Teil decken. Eine vermehrte Selbsthilfe ist deshalb notwendig. Der Bauer war früher stets sein eigener Handwerker. Erst aus dem Bauernstand entwickelt« sich da» Handwerk, Handel und Industrie haben dazu geführt, daß dies« natürlichen An lagen vernachlässigt und verschüttet wurden. Die Arbeit»- gemeinschoft zur Förderung oes landwirtschaftlichen Bau- wesens im Reichsernährungsministerium arbeitet seit langem daran, daß diese Anlagen wieder geweckt und der Bauer wieder maßgeblich an der Gestaltung des Hofes und der Ein richtung beteiligt wird. Diesem Ziel und insbesondere der Lösung der vordringlichen Kriegsaufgaben dienen auch die Reichslehrgänge, die seit einigen Monaten von der Arbeitsgemeinschaft In Wriezen (Mark) veran- staltet werden. Zu den vierwöchigen Kursen werden zunächst überwiegend Landwirtschaftslehrertnnen berufen, später auch andere Kreise, die am Werkschaffen interessiert sind. Mädel aus allen Landesbauernschaften lernen hier praktische Selbst- Hilfe, um ihr Wissen dann auf das Land hinauszutraaen und es den Bäuerinnen und Umquartierten, nicht zuletzt aber auch den Dorfhandwerkern weiterzugeben. Der Unterrichtsplan umfaßt Arbeiten an der Baustelle, in der Tischlerei, im Korb flechten und Strohflechten. So lernen die Mädel, wie man au« ein paar Kiefernknüppeln ein« Liegestatt baut, aus Knüppeln und Brettern, Stühle und Tische, eine schrankartige Kleiderablage oder eine Kommode, wie man aus Abfallholz kleinen Hausrat schafft oder mit einfachsten Mitteln zur Ge winnung von Raum eine Wand ziehen kann. Sie erfahren, daß man zum Glätten einer Tischplatte durchaus nicht einen Hobel braucht, sondern daß es ein Stein und eine Handvoll Sand auch tun. Als Material für die Arbeiten dienen Reisig, Knüppelholz, Kistenbretter und Abfallholz, wie es auf jedem Bauernhof zu finden ist, ferner Stroh. Gelehrt wird neben der Nagelbindung vor allem die einfache Holzbindung. Als Werkzeuge genügen die Geräte, die jeder Bauernhof besitzt. Die Stücke werden aufs einfachste und ihrem Zweck ent sprechendste gefertigt, ohne daß sie primitiv genannt werden könnten. Vielleicht sind sie der Anfang einer neuen ländlichen Wohnkultur! Es ist nur eine Frage des Mutes und des Wollens. Insbesondere bietet die Selbsthilfe vielseitige Mög lichkeiten für die Ausstattung des Behelfsheimes. Durch Ver zicht auf das laufende Band kann die Einrichtung eigen ge- staltet und gleichzeitig die Industrie entlastet werden. Auch das Behelfsheim gehört zum Arbeitsplan der Wriezener Kurse. Jede Lehrgangsteilnehmerin muß die Errichtung und Aus stattung eines Behelfsheims leiten können. Die Mädel schaf- fen eigenhändig Behelfsheim« in Holz-, Ziegel- und Lehm bauweise. Fünf Kurse haben in Wriezen schon stattgefunden, und auch die nächsten Monate sind voll belegt. In mehreren Landesbauernschaften hat das Erlernte bereits Früchte getra- gen, und das Landvolk wie seine städtischen Gäste haben mit Erfolg den Weg der Selbsthilfe beschritten. So manche still gelegte Dorfwerkstatt ist zu neuem Leben erwacht. Die innere Befriedigung, die Selbstgeschaffenes vermittelt, tragt nicht zu- letzt auch zur Gesundung der Menschen bei und weckt Lebens freude und Zuversicht. Auch für die Nachkriegszeit wird diese Arbeit ihre Bedeutung behalten, da es angesichts des gewal- Ligen Baubedarfs der Städte weiterhin an Handwerkern auf dem Lande fehlen wird. Bettes -am -aAei — Eine Sturmflut richtete in einem nordportugiesischen Bade- und Fischerort erheblichen Schaden an. 35 Häuser wur den von den Wogen fortgerissen. — Ein Zyklon suchte die Gebiete von Dakota und Min nesota (USA.) heim. Neben umfangreichen Sachschäden, Zer störungen von Verkehrsverbindungen und Gebäuden wurden auch zahlreiche Personen getötet oder verletzt. — Die Goethemedaille erhielten der Maler Professor Josef Jungwirth in Wien zur Vollendung seines 75. Lebens jahres und der Professor Dr. Ing. Fritz Lubberger in Berlin- Grunewald Hum 70. Geburtstag in Würdigung seiner wissen schaftlichen Verdienste auf dem Gebiet der Fernsprech-Wähl- technik. — Die „Großostasien-Zeitung", das amtliche Organ des Großostasten-Presseverbandes, wird demnächst in Tokio er scheinen. Sie ist in vier Sprachen (Japanisch, Chinesisch, Malayisch und Englisch) gedruckt. Der Heerwurm. Von Annie FrancL-Harra r. Es war im Münchener Alpenvorland, in der einmal sehr waldeinsamen Gegend zwischen dem Dachauer Moos und dem Ammersee. Wir gingen über den schlüpfrig glatten, ebenen dunklen Boden eines alten Fichtenwaldes. Es war dämmerig, still und blumenleer. Der warme Harzdust wölkte sich um uns wie Weihrauch. Dann und wann blitzte ein messerscharfer Sonnenstrahl durch eine Lücke hoch oben im finsteren Geäst. Der Grund war voll von bunten Pilzhüten. Sie standen da wie Wächter eines geheimen, unterirdischen Lebens, rot, braun, eiergelb, milchweiß, kupferblau, butterfarben und gold orange. Die Schnecken saßen auf ihnen und ließen sich'» wohl sein, denn Schnecke und Pilz sind nun einmal seit Urzeiten unzertrennlich. Aber da war noch ein anderes Leben, ein unsichtbares, von dem wir zunächst nicht das mindeste ahnten. Denn plötzlich bewegte sich ein lichter Streifen langsam, langsam über den Waldboden hin. Sein Ende war im ersten Augenblick nicht abzusehen, es verlor sich in der Fichten schonung des Waldrandes. Es sah aus, als woge und walle ein Band auf uns zu. Es war noch einmal so breit, wie meine Hand lang ist, aber es schien ganz lückenlos und von wenigstens einem halben Zentimeter Dicke zu sein. Die gleichmäßige Bewegung löste sich in der Nähe in ein wurm artiges, nach vorwärts gerichtetes, wimmelndes Kriechen auf. Die einzelnen weißlichen Würmchen waren kaum einige Milli- mcter lang. Fußlos, wälzten sie sich auf ihrem nackten Bauch dahin. Aber sie schienen auch augenlos, sie glichen unaebo- renen, wächsernen Keimen, man dachte überhaupt nicht an Tiere. Jählings sagte einer von uns: „Lieber Himntel, bas ist ja ein Heerwurm! Ist das aber merkwürdig!" Wir schwiegen, irgendwie beklommen von der blinden Masse von Leben, da» sich neben unseren Füßen vielleicht fünf Meter lang wimmelnd dahinbewegte. Wir wußten, es waren die Larven winziger Pilzmücken oder dunkler Schattenmücken, die bisher von den Pilzen dieses Fichtenwaldes gelebt hatten, in dem feuchten, weißen Gewebe, wo sie Tag und Pacht ge nagt. Nun standen sie vor der Verpuppung. Aus jeder würde ein Miniaturtönnchen werden, aus dem dann nach ein bis zwei Wochen ein elfenzartes, geflügeltes Wesen stieg, das mit seinesgleichen, zu Zehntausenden vereint, als schwebende Säule in der Hellen Mittagsluft stehen würde. Oder wie weg- geweht im verhangenen grünen Dämmer des Waldrandes, gleich einem unabsehbaren Spinnennetz in die Zweige ge- hängt. Aber warum wanderten sie, zahllos, plötzlich in einem geschlängelten Band davon? Neben- und übereinander, weg von diesem guten Ort, wo es so viele Pilze als Nahrung gab? Warum? Wozu? Sie hatten sich sattgefressen. Sie waren reif zur Verpuppung. Die Mücken selber essen kaum noch. Stechende Säugrüssel haben sie nicht. Ihre Fühler sind unbeschreiblich zart, ihre düstergefä«bten Hüften lang, haar- dünn die sechs Bein«. Und ihr ganzes Dasein ist nur noch ein wirbelnder Hochzeitstanz. Die Mücke hat mit ihrer Larve so wenig zu tun wie ein Ei mit der fertigen Schwalbe. Man kann nicht annehmen, daß der blinde,''fußlose, mühselig kriechende Heerwurm den fertigen Mücken zuliebe irgendwo hin zieht, denn die können ja fliegend viel leichter den Ort wechseln als er. Was also treibt ihn? Von wpher kam der Befehl an alle die Hundert- tausende, Millionen, ihre Pilz- und Erdschlupfwinkel zu ver lassen und sich anderswo zu verpuppen? Dieser Kopf, den sie haben, ist doch gar kein Kopf, der irgend einen Entschluß fassen, irgend «inen Sinneseindruck verwerten könnte. Und überhaupt: Sinneseindruck? Eine Mückenlarve ist einzig -um Fressen da, nicht der Sinneseindrücke wegen! Es gab keine Antwort« Auch die Wissenschaft hat keine. Aber der Heerwurm wanderte aus dem Schatten heraus, unaufhaltsam . . . Im nächsten Sommer kamen wir auf einem Studienaus flug wieder zu jenem alten Fichtenwald. Aber er war fort. Eingefahrene Wagengeleise, die Erde dürr, bedeckt mit Rin denstücken, harzgleißende Stümpfe über dem zerschundenen Grund. Nicht ein einziger Pilz im wild aufgeschossenen Ge- kräut. Und plötzlich sagte wieder einer von uns: „Der Heer- wurm! Erinnert ihr euch, wie er davonging? Die Larven wußten also . . ." Der Sprecher stockte verwirrt. Nein es war lächerlich! Es war unsinnig! Man darf so etwas nicht sagen, man darf so etwas nicht denken. Und doch, diese Mückenlarven können nur in Pilzen leben und die Pilz« wieder nur mit den Wurzeln und im Schatten der Bäume. Und die Larven zogen wirklich fort, wir hatten es selbst mit eigenen Augen gesehen. Ein unzähl- bares Volk wanderte weg. Wir sprachen nicht mehr. Der Heerwurm fiel uns aufs Gemüt. Ich-erinnerte mich an die törichte kleine, dumme Angst ferner Kinderjahre. Und fühlte etwas anderes, Riesen großes, das sich über uns hinwälzte wie ein Alp, der keine Worte hatte, keine Erklärung, der nur da war und den man in seinem Anfang und seinem Ende nicht leugnen konnte, mochte der Zusammenhang dazwischen wie immer sein. Verl, und Kauptichrlstl. Dr sur. Paulus vstarhlld ln Schneeberg. Druck und Verlag L M DSrlner ln Vue g. K MUg PI 8. Verdunklung von 22.23 bis 4.19 Uhr. B«de»k«r Wer ohne zwingende Gründe reist, vergeht sich gegen di« Forderungen de« Krieges.
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