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Djenstag, den 22. November 1982 84. bzw. 2. Jahrgang, Nr. 278, Seite ö Pulsnitzer und Ohorner Tageblatt EW MM l cin ,r vc> diHobl.,piust »I Urheber-Rechl,schuh für dk deutsche Au,gab», Drei Vuellen Verlog. LSnlgibrück/La. 1. Der Onkel au, Amerika, Pukkenau ist ein« klein« Stadt in der Mark, mehr der Provinz Sachsen al« Berlin zugelegen. E» hat 6000 Ein» wohner, und e» war ein ganz unbescholtene» Fleckchen, in dem man sich ungestört zur Ruhe setzen konnte. Bi» e» Bad wurde! Jawoll I Pulkenau kriegte, wie so viele kleine Städte, den Größenwahn, als man eine unbedeutende Mineral quelle, die wohl Eisen und Schwefel enthielt, entdeckte. Da schwoll den Stadtvätern der Kamm. Pulkenau muß Bad werden! Da das Städtchen auch über einen Se« verfügte — sonst Pulkenauer Pfütze genannt —, war ja alles da, was man für ein Bad sich wünschen konnte. Also wurde unter dem sehr aktiven Bürgermeister Iustus Kirsch das unbescholtene Pulkenau zum Bad. Man kann nicht sagen, daß es besonders mit Natur schönheiten gesegnet war. Die Wälder um Pulkenau herum waren dürftig« Fichten- und Kiefernwälder, wie man sie so oft in der Mark findet und wirkten weder imposant noch idyllisch. Wehmut packte einen, wenn man in ihnen prome nierte. Die Stadt selbst war eine der typischen Markstädte, kleine niedrig« Häuser ohn« irgendwelche individuelle Prä gung. Tine richtige kleine Ackerbürger- und Handwerker stadt. Baudenkmäler und andere architektonische Schönheiten fehlten restlo». E» fehlte eigentlich so ziemlich alle», wa» dies« Stadt reizvoll machen könnte, aber sie wurde doch Bad. Halt, ein» habe ich vergessen! Pulkenau war der Geburtsort de» großen Dichter- phtlosophen Gerstenzoll! Kennen Sie Gerstenzoll? Nein? Ich auch nicht! Keiner kennt ihn, aber in Pulkenau preist man ihn jedes Jahr einmal gründlich und möchte seine Welt bedeutung durchsetzen. Ein Werk von Gerstenzoll? Keine Ahnung! So viel sei nur gesagt, daß Gerstenzoll sich strebend bemühte, das Nicht» philosophisch nach allen Richtungen zu durchleuchten, und da» soll Ihm auch fabelhaft gelungen sein. Er hat nichts entdeckt. Also kommen wir zum Bad Pulkenau zurück. Keine Einzelheiten jetzt! Späterl Kehren wir jetzt im 'm Hotei „Zum grünen Kranze" in Pulkenau auf dem Markt ein. Frank Käsebier heißt der Wirt, nicht schön, aber un vergeßlich. Er ist ein Mann in den Blerzigern, groß, dunkelhaarig, immer etwas in Erregung, mit den Allüren eines inter nationalen Hoteldirektors und doch ... Kleinstadt. Er tut immer äußerst wichtig, und sein Ehrgeiz Ist es. wie ein Grandseigneur aufzutreten. Er möchte da« von seinen Gästen auch. Wenigsten» im Geldausgeben. Frank Käsebier ist eben sehr aufgeregt in die Küche ge kommen, wo lein« gestrenge Gattin Antonie waltet, der nichts entgeht und die sich ehrlich müht, ihren Untergebenen schon im Diesseit» einen Vorgeschmack von der biblischen Hölle zu geben. »Was ist los, Frank?" fragt sie erstaunt, denn er schaut heute einmal so unbefangen überrascht au» wie an dem Tage, da sie ihn zur Werbung durch Überrumpelung zwang. »Hast du einen Augenblick Zeit, Antonie?" »Ja! Was Ist denn los? Lina, passen Sie auf die Rumpsteak, auf. St« wissen, Assessor Scholl will seins immer gut durchgebratenl" Lina, dl« Köchin, die einzige, die sich von Antonie nichts gefallen läßt, nickt und sagt gleichmütig: »Det wees ickl Un' der Herr Aktuar, der frißt » halb roh!" Frank» Stirn legt sich in Falten. , »Fräulein Lina ... ich muß doch bitten, sich einer feineren Art der Aussprache über unsere Gäste zu bedienen!" »Wat denn, wat denn! Ick habe doch jarnischt jesagt! Iottene« ick bin eben 'ne Frau au» det Bolt, nich so feudal wie Sie, Herr Thefl" Das versöhnt Frank immer wieder. Sie weiß -da». Wenn sie ihn feudal und Herr Thef nennt, da ist immer alle, gut. Er nickt ihr wohlwvllend zu und verläßt mit der Gattin Vie Küche. Sie gehen in das kleine Büro. »Was hast du denn, Mann?" »Etwa« . . . ungeheuer Wichtiges! Du wirst staunen!" »Denn rede doch man!" »Es ist ein Brief aus Amerika gekommen. . . Onkel Otto hat geschrieben!" spricht Frank feierlich. »Onkel Otto? Wa» du nicht sagstl Was schreibt er oenn?" antwortet Frau Antonie aufgeregt. Er zieht den Brief hervor und liest: »Lieber Neffe! Dl« Sehnsucht nach der Heimat hat mich gepackt. Da» alte Deutschland will mir nicht aus dem Kopf, und ich habe drum beschlossen, nach der Heimat zurückzukehren. Ich fahre in >4 Tagen mit dem Dampfer .Bremen' ab und bin am ! April drüben in Deutschland bet Euch! Ich such« «in ' chäne», stille» Plätzchen, wo ich meine paar Jahre in Ruhe --erleben kann. In einem amerikanischen Blatt las ich von dem neuen Kurort Bad Pulkenau. Wie ist es? Wollt Ihr mich aufnehmen? Schreibt nicht erst, schickt mir ein Tele gramm, und ich komme dann zu Euch. Holt mich nicht in Bremerhaven ab. E« ist nie sicher, wann «in Dampfer an- >egt. Ich fahre von Bremen au« ohne Aufenthalt nach Üulkenau. Benachrichtige m-In« anderen Verwandten von meinem Kommen. Herzlichst grüßt Euer Qatel Otto." WI« «Inem Evangelium hat Antonie gelauscht. Der reich» Onkel au» Amerika kommt! »Wa, sagst du nun, Antonie?" fragt Frank Käsebier stolz. »Unser lieber Onkel hat un» nicht vergessen! Das wird eine Sensation für Pulkenau! Natürlich wird er bei un» seinen Lebensabend beschließen." »Natürlich, Frank!" „Die lieben Verwandten werden ja meutern! Diese... Erbschleicher... da möchte ihn jeder bei sich haben, um fein Schäfchen in Ruhe zu scherenl" »Weißt du ... sag' es ihnen einfach nicht!" „Das geht nicht, Frau. Onkel schreibt ausdrücklich ... ich soll's den anderen mitteilen. Tue ich's nicht, dann ... kann er falsch von mir denken! Das will ich vermeiden! . Nein, nein! Heute sage ich's ihnen. Theodor kommt ja doch 1 heute zum Skat und August arbeitet den Nachmittag sowieso bet mir! Du weißt, die beiden Fremdenzimmer lasse ich neu malen. Bai der Gelegenheit sage ich's ihnen." »Ja ... und ... Peter Lenz ...?" »Peter Lenz? Existiert nicht für mich!" »Er ist aber Onkels Schwager! Wir müssen ihn unter richten." > »Das besorgt Theodor schon, mach dir keine Sorgen! Peter Lenz ... diesem ... diesem ungehobelten Burschen ... kommt mcht in Frage. Dieser Mensch existiert nicht für mich!" * Aufregung geht durch den „Grünen Kranz". Es wird bekannt, daß der reiche Erbonkel der Familie Käsebier Im Anrollen ist. s Auf den Treppen flüstern sich'« die Dienstboten zu. Der Ober härt'» gnädig vom Piccolo an. August Nolte, der Malermeister, hält im Pinseln Inne, ! al, er hört, wa» sich da Große» tut: Theodor Käsebier, dem Bauunternehmer, wird die Nachricht beigebracht, als er einen »Grand mit Vieren" In der Hand hat. Er verspielt ihn in der Aufregung. August Nolte — er hat eine Nichte Onkel Otto« zur Frau — und Theodor Käsebier laden den Wirt „Zum grünen Kranze" zu einer Flasche ein, und al» Dank gibt der ihnen den Brief zum Lesen. Es Ist Ihm ein Vergnügen, zu sehen, wie sie rote Köpfe kriegen. Sie ärgern sich ünd denken: »Warum will Onkel Otto nicht bei mir wohnen?" Nolte legt die Stirn In würdige Falten und sagt wie nebenher: „Hm 2. April ... hm ... kommt etwas un günstig für dich, lieber Frank. Dann kommt die Saison, wo du kein Zimmer frei hastl Na, tut ja nichts. Ich kann Onkel zwei Zimmer einräumenl" " Hastig fällt Theodor ein. „Aber Aujust, det überleg' dir doch: Onkel hat drüben sicher einen Palast gehabt. Jawoll, einen Palast, der will doch hier auch entsprechend wohnen. Ich hab 'n Gedanken ... ich werde Onkel in den Neubau, du weißt, i'n den die Stadt bant kommt, eine feudale Fünfzimmerwohnung einbauen." Frank fällt ein. „Laß doch das sein! Onkel hat mir geschrieben, folglich wird er bei mir wohnen. Onkel Ist mir natürlich lieber als jeder andere Gast." . „Klar, det denk ich oochl Onkel mit sein klotziget Ield!" lagt Theodor giftig, und Nolte nickte ihm zu. Frank reckt sich und tut ein stolzes Wort. „Und wenn er der ärmste Teufel wär« ... mir ist er willkommen! Onkel Otto ist reich, das wissen wir alle. War er mit seinem Mammon einmal macht, da« wissen wlr nicht. Da» ist seine Sache." Damit endet die Aussprache. Gegenüber vom „Grünen Kranz" auf dem Markt, da liegt da» Gasthaus »Zum blauen Ochsen". Das Gasthaus gehört dem immer vergnügten Peter Lenz, einem Manne Mitte der Fünfzig, groß, breit und mit einem hübschen Bäuchlein gesegnet. > Er hat zum Arger der Stadtväter den ganzen Bad- Rummel nicht mitgemacht, hat verzichtet, sich umzustellen und sein ältestes Gasthaus am Orte der Neuzeit anzupassen. E» wirkt wie eist Fremdkörper im Stadtbild. Wie ein biedere» Dorfwirtshau» schaut «« au». Und ist e» eigentlich auch noch. Die Fassade ist schmucklos, e» ist nur einen Stock hoch, und ein sehr hohes Ziegeldach drückt es zu sammen. gibt ihm aber gleichzeitig etwa» Behagliches. Vor dem »Blauen Ochsens steht nach wie vor die Kripp«, aus der die Pferde fressen. Garage ist nicht vor- Händen. Die Zimmer sind einfache, saubere Bauernzimmer, mit geschnitzten Möbeln. Jenseits der neuen Zeit steht da» Gasthau». E» wirkt, als habe man vergessen, es wegzunehmen Wie Dorf in der Stadt. Vor d«m Gasthof »Zum blauen Ochsen" steht ein mächtiger Nußbaum. Der Stolz der Familie Lenz, der Stolz des jetzigen Besitzers. Die Stadt wollte Ihn weghaben, es kam zu einem großen Prozeß. Peter Lenz siegte; denn er wie» bet der Verhand lung vor dem Kammergericht nach, daß der Nußbaum auf eigenem Grund stehe und daß durchau, kein öffentliche» Interesse bestehe, den Baum zu beseitigen. Da« kostete die Stadt viel Geld, und e« war kein Wunder, daß man Ihm nicht grün war. Die Stadtväter mieden den „Blauen Ochsen", es zog weitere Kreis«. Die Sache wurde zu einer Angelegenheit - jede» Puttenauer». E» gehüt^ entfach zuw ^uten Lon. t-e - j Mann zu melden, der durch seinen Querkopf die Entwick lung der Stadt aufhielt. Peter Lenz' Geschäft ging sehr zurück, und Frank Käse biers Hotel florierte immer mehr. Aber Peter Lenz verzog darob keine Miene. Erstens war er nicht ganz unvermögend, und zweiten« langte es bei seiner bescheidenen Lebensführung für ihn und den Sohn vollkommen. Die Bauern der ganzen Umgebung unterstützten ihn sehr. Für die gab'« kein „Hotel zum grünen Kranze", die kehrten nur im »Ochsen" ein, und das schaffte einen Aus gleich. Frank Käsebier war aber Peter Lenz aus zwei anderen Gründen nicht grün. Peter Lenz hatte Ihm als jungem Mann einmal eine Ohrfeige gegebey, die er nicht vergaß, und dann ... zwischen Peter» Sohn und Franks lieblichen Tochter Dixi hatte sich etwas angebahnt. Lieblos war eingegriffen worden, und man hatte Dixi in die Pension getan. Seit einem Vierteljahr war sie nun wieder zu Hause. Scheinbar hatte sie das Intermezzo von einst vergessen. * Peter Lenz sitzt am Abend diese« Tage« mit einem seiner wenigen Pulkenauer Getreuen in der Gaststube beim Bier. Es ist dies der Stellmachermelster Seyder, «in alter Herr. „Peter," sagt Seyder bedächtig, „was sagst du zu der Sache? Ich meine mit deinem Schwagerl" »Was ist denn mit Otto los? Der sitzt drüben fidel und munter!" „Nicht mehr lange! Der ist doch auf der Reise nach Deutschland." Peter schüttelt den Kopf. „Davon weiß ich nichts." „Aber er hat's doch dem Frank vom «Grünen Kranze' geschrieben!' »Was? Der will nach Pulkenau kommen?" »Jawoll! Am 2. April trifft er voraussichtlich ein! Die ganze Stadt spricht doch davon, und der Frank läuft wie ein Pfauhahn herum. Ich glaube, der fühlt sich schon als halber Millionär!" Peter Lenz Ist In Gedanken Dann lächelt er. „Also der gute Otto kommt zurück nach der Heimat! Heimat- sehnsucht! Daß er mir da nicht geschrieben hat!" „Das wundert mir auch!" „Ausgerechnet dem Frank! Mit Franks Vater hat er sich nicht gut gestanden! Na, mir soll'» gleich sein! Mir ist er willkommen!" „Was denn! Die lasten ihn wohl zu dir? Wo denkst du Hins Die rechnen jetzt schon au», was er für Vermögen hat. Ist er denn überhaupt sehr vermögend?" „Das muß er schon sein. Die drüben haben mal eine Auskunft eingeholt, und die hat gesagt, daß man ihn auf einen Mann von einer Million Dollar schätzt, es könnten aber auch noch mehr sein!" „Mit was hat er denn das viele Geld verdient?" spricht Seyder ruhig weiter. Ihn macht die Summe nicht erregt. Er ist alt und sehnt sich nicht nach Reichtum. „Da fragst du mich zuviel! Onkel Otto — wir nennen ihn alle nur so, selbst ich al» sein Schwager — hat «ine abenteuerliche Laufbahn hinter sich. Er Ist nach drüben ge gangen, um Gold zu graben, dann war er in Lhikago in den Fleischhäusern tätig und auch al» Llown in einem Zirku»!" „Elown? Nicht möglich!" „Nicht wahr, da staunst du! Clown! Wie ich sagt«! Soll sogar viel Geld damit verdient haben, soll berühmt gewesen sein. Dann hat er «in Theater gehabt. Da« ist alles, wa» Ich weiß." »Wie stehst du mit Ihm?" „Gut! Aber wir haben un« zu selten gesehen! Drei mal nur!" »Und was wirst du jetzt tun?" „Ich?" fragt Peter erstaunt. „Wa» soll Ich tun! Daß «r mir immer willkommen ist, da» weih er!" »Willst du ihn denn in den Händen deiner lieben ver wandten lassen?" Peter winkt ab. „Laß, Seyder! Nicht darüber sprechen! Ich w«ih ja daß ihnen allen am Onkel nur ein» lieb und wert ist. Sein Geld! Nur jein Geld! Aber ich denke mir, ein Mann wie ! Onkel Otto ... . der hat offene Augen, der wird den Leuten ins Herz sehen können und wird sich danach richten. Mir ist er Immer willkommen, auch wenn er ganz arm wäre!" „Wenn du er sagst, Peter, dann glaub' ich'»!" Die Tür geht auf, und Rudi, Peter Lenz' Sohn, tritt ein. Wohlgefällig gleitet da» Dateraug« über den hübschen Burschen, der wohl 26 Jahre alt ist. Vater Lenz hat ihm alles angedeihen lasten, wa» er konnte. Hat ihn aufs Gymnasium geschickt, wollte ihn sogar studieren lassen: denn er Ist sehr stolz auf ihn und liebt ihn aufrichtig. Aber al» es dann schlechter mit dem Geschäft wurde da hat der Rudi sich al» ganzer Mann gezeigt. Lr hat sein Studium unterbrochen und ist heimgekehrt Er hat dem Vater gesagt, daß er auf» Studium verzichte und daß er ihn von jetzt ab in der Arbeit unterstützen werde. Vater Lenz war ganz gerührt, hat ihm dann abreden wollen, aber dann hat er nachgegeben, und der Sohn ist in da« Geschäft «mg«tret»u.