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Sonnabend/Sonntag, den 10./11. Dezember 1932 Pulsnitzer und Ohorner Tageblatt 84. bzw. 2. Jahrgang, Nr. 28S, Sette 18 Äu> engen Wegen der Entbehrung sind wn zu den Dezemberheimlichkeiten gekommen. 2e mehr wir uns dem köstlichsten aller Feste nähern, desto geheimnisvoller wiipert es in den Ecken und Winkeln. Alle miteinander die Alten und tausendmal mehr noch die Zungen und die Jüngsten, sind in Zwiesprache verliest mit ihren Lieb- lingswünschen und Hoffnungen Soviel Abstriche wir uns auch von unseren Gewohnheiten und von unierer Lebens- einleilung Haden gefallen lassen müssen worele Weisen aus besserer Zeit auch in unseren Herzen verklungen lern mögen, das Hohelied vom Wunder in Bethlehem wirb immer ein Ereignis bleiben für Memchenherzen und Memchenjeelen. sa das Ereignis wächst und wird inhalts schwerer, wie tief wir auch in Schatten wandeln müssen und je mehr wir nach Rettung und Erlösung schmachten. Heute klimpert es von Silber. Der Geschäftsmann hofft, daß des Klimperns Segen diesmal bestimmt nicht enttäuscht. Man ist schon froh, wenn sich die Kasse wenig stens einigermaßen füllt. Sollte es notwendig werden, die Kassenichublade gar mit einem Anbau zu versehen, diese Anbaukosten würden wer weiß wie gerne getragen. Doch w überspannte Erwartungen läßt man am besten schon gar nicht hochkommen, denn ein Sturz aus Wolkenhöhen ist ia immer gefährlich Optimismus ist schön, zu weit- greisender Optimismus aber bringt Enttäuschung, — ,ee- liche Komplexe, die man heutzutage nicht mal aus grüße, rer Entfernung sehen will, weil sie die letzte Kraft zum Durchhalten untergraben. Thristkindchen ist viel ärmer geworden. Eine Tatsache, mit der wir alle rechnen müssen, ob wir die Kaufenden oder ob wn die Verkaufenden find. Wer den Tatsachen, wie ste nun mal vor uns liegen, offen in» Auge steht, der hat auch den Mut, mit ihnen fertig zu werden. Der wird auch, eben weil er Tatsachen und nicht Luftbilder tn seine Rechnung einsetzt, Wünsche und Wirklichkeit recht mit ein- ander tn Einklang bringen. Menschen, die noch mit beiden Füßen auf der Erde stehen und die schwerwiegenden Pro- vlenie des Alltage» mit Verstand und nicht mit Ünver- «SNst zu meistern versuchen, werden, wenn ste sich zu die le» drangvollen Zett seelisch richtig etnstellen, auch fetzt netz recht glücklich fein können, so viel Trübseligkeit auch draußen ven öden Tag beherrscht. Der Kerzenglanz des nahen Festes leuchtet schon fetzt jo hell tn den Tag, daß wir viel, viel milder denken, selbst über diese böse Zeit. , einer riesigen Schaufensterauslage sah ich gestern einen Adventskranz mit brennenden Kerzen draus Es var ein ganz großer Kranz und dennoch kam er sich in der schmuck- und warenüberladenen Auslage fast wie ver- loren vor. Wie manche arme Stube, dachte ich mir, könnte dieser Kranz tn märchenhaften Weihnachtszauber tauchen, wie vielen armen, alltagsmüden Menschen käme von die sem Kranze «in neues Leuchten der Zuversicht, de» Ver trauens. Und doch ist dieser Kranz nicht ohne Ziel, nicht ohne Zweck tn da» Schaufenster gewandert. Man sagt sich vohl. daß in allen Memchenherzen die Symbolik des Ad vent und der Weihnacht schwingt, man jagt sich, daß die- ser Mensch von heute, dieser verzagte, enttäuschte, — wenn noH etwa» starken Eindruck machen kann, — am aller- eheiten noch durch die glückhaften Zeichen des Advent und der Weihnacht zu gewinnen und umzustimmen ist. RR VW Gleichnis vom Schneeball, der im Weiterrollen ständig größer und größer wird, ist in dielen Tagen besonder» aktuell. Nicht etwa nur, weil Schneebälle zum Winter ge hören. Auch Worte und Ansichten wachsen, fe weiter sie rollen, fe mehr sie fortgetragen werben. Do ist ein Wort tm Rollen begriffen, da» man unbedingt aufhalten lollte, da» Wort: „Das Wemae, da» wir zu Weihnachten noch schenken können, läßt sich noch eine halbe Stunde vor der Bescherung lausen.' E» stimmt, ein bißchen was bekommt man auch tn der letzten Stunde noch Aber ganz geht die Rechnung doch nicht auf, wenn man an das Problem etwas näher her angeht. Wenn dunderttamende Andere ähnlich denken, wenn hunderttauiende genau io ihren Einkauf bis zur letzten Stunde vor dem Fest anstehen lasten, das müßte ein heilloser Wirrwarr werben! Ein bißchen was findet man zwar in letzter Stunde noch, wer aber gibt eine Ge währ dafür, dag das Geschenk, das man sich oorgemerkt hat. tn dieser letzten Stunde tatsächlich noch erreichbar ist? Gerade in diesem Jahre, da das Geld ohnehin lehr knapp tst, werden an sich schon viele, wohl oder übel, gezwungen sein, ihre Einkäufe auf die letzten Tage vor dem Fest zu verlegen Es wird also unter den Zeitschwierigketten ohne- hin schon eine nicht gerade gesunde Kurvenveränderung der Kaufwell» eintreten, ein» Zusammenballung aus die letzten Tag,, dl, unter Umständen ven recht weitgreisen dem Einfluß auf den Seschenkmarkt werden kann. Ls ist also gerade in dreiem Jahre nicht ganz bedenkenlos, den Weihnachlseinkauf länger als unbedingt nötig zu ver- lagen. Ein zu langes Zuwarten hat aber auch meistens zur Folge, dag man sich in der letzten Stunde auf das erst beste Geschenk stürzt. Das widerspricht jedoch aller ver nünftiger Einkaufskunst und schafft nur zu häufig bösen Verdruß. Wer die Lage am Eeschenkmarkt genügend „abge tastet" hat und nicht erst noch auf flüssige Geldmittel zu warten braucht, der nütze unter allen Umständen den „Silbernen" und verlege seine Einkäufe gar nicht erst auf den Hauptansturmstag, auf den „Goldenen". Schließlich liegt im frühzeitigen Einkauf fa auch ein wichtiges sozia- les Moment: man soll dem ohnedies überanstrengten Verkaufspersonal die Lage nicht noch unnötig durch eine ipäte Erledigung der Weihnachtseinkäufe erschweren. Es kommt immer auf die Perspektive an, aus der wir etwas betrachten Das Tier, das aus dem Käfig heraus guckt, steht die Dinge anders, als wir, die wir in den Käfig hineiniehen. Auch die Menschen vor und hinter dem Schaufenster sind nicht ein und dieselbe Welt. Um nicht erst ins Ein zelne zu gehen: es gibt zum mindesten Kunden von höchst- oerschiedener Einstellung. „Se. Majestät, der Kunde," hat zwar immer, unter allen Umständen recht. So hat erst jüngst wieder ein Newyorker Großkaufmann, der zugleich Silberner AmMg, Kling- Kling! A'laM von jern und E» Mk Mbkker winkle inMcken5HMM» funkelnd und lockend im MeiTMLaE Nid rufet: hier Lind mir, die Freude bringen, trompeten. TaM§ien MäAMeuMwingen, Nlrblank nockinMtie und HolnpaknwM, Daß HäMen äemVlEäi äie Erfüllung rolle. Lock 80Ü8 nickt beimMndern Ml Staunen bleiben, Aber will blicken M?rMe treiben! ein großer Psychologe ist, erklärt. Wenn der Kunde be hauptet, die Kreise auf dem Blusenstoff seien nicht rund genug, dann ist das ein Dügma, gegen das die Verkäufe, rin keinen Widerspruch erheben darf, denn ein Kunde, der recht behält, ist auch ein freundlicher, ein williger, ein kauflustiger Kunde. Freilich darf e» nicht so weit gehen, daß der Kunde au» wichtigen psychologischen Erwägungen einen Miß brauch konstruiert. Es gibt Grenzen, die ichon das ein- iachste Rückstchtsgefühl ganz von selber zieht Ein Kunde, der — vielleicht gar noch tn den Stunden der vorweih nachtlichen Hochflut — die Bereitschaft der Verkäuferin wett mehr tn Anspruch nimmt, als es sich mit den gültigen Gejchäftsprinzipien vereinbaren läßt, jetzt sich selber in ein schiefes Licht. Man erlebt da Wunderdinge Eine Dame läßt sich den ganzen Vorrat an Hüten heranholen Es stört sie nicht tm Mindesten, daß sich inzwischen ein Berg von zwanzig und dreißig Hüten angesammelt hat. Bei >edem neuen Hut wiederholt sich eine umständliche Spiegelstudie, dir Ver käuferin muß lang und breit ihr Gutachten abgeben Der weilen stehen sich andere Kunden die Beine ein. schließ, lich, nachdem die Kundin ein paar Dutzend Hüte durch ihre Hände har wandern lassen, erklärt ste kurz und bün- dig: „Nein, da bleibe ich vorläufig doch lieber bei meinem — alten Hut." Spricht's und empfiehlt sich. . . Diele „Sehleute" komplizierter Form kennt man über all. Es sind vielfach Leute die durch ihre fingierte Kauf lust sich wichtig machen und sich für eine halbe Stunde in den Mittelpunkt besonderen Interesses stellen wollen. Sind auch solche „Kunden" dem Geschäftsinhaber eine reichlich vertraute Erscheinung, io ist das Gebaren dieser Menschen, die aus Prinzip die Rolle von „Sehleuten" spielen, doch nicht ganz ohne Gefahr, vor allem dort, wo ste als Neu linge auftauchen Hat eine Verkäuferin das Pech, viel an derartige berufsmäßige „Sehleute" und „Nichtskäufer" zu geraten, dann kann unter Umständen der Ruf ihrer Tüch tigkeit darunter leiben Also eine doppelt schlimme Ange legenheit in einer Zett, da jeder mit der letzten Herzens- faser an seiner Brotstelle hängt. Selbstverständlich kann der Fall eintreten, daß selbst bei größerer Auswahl das passende Stück, das man kau fen möchte, nicht zu finden ist. Diese Zeilen richten sich lediglich gegen die „Wühler aus Prinzip " die einen hal ben Laden auf den Kopf stellen, obwohl ste — nicht einen Pfennig Geld in der Tasche haben. Als am Silbernen Sonntag früh der Maler Etriebel aus dem Bett kroch, meinte seine Frau besorgt: „Ader, Emil, wie stehst du aus?" Da holte Maler Strrebel ganz tief Atem und krächzte: „Einen Traum hab' ich gehabt, Frieda, einen Traum, daß mir noch jetzt der ganze Schade! brennt!" „Eigenartig! Du träumst doch sonst so wenig." „Das ist richtig Aber ich habe mich die ganzen letzten Tage >o lebhaft mit dem Gedanken beschäftigt, wie ich dich zu Weihnachten überraschen »oll, daß mir die ganze Grü belei auf den Traum geschlagen ist Und weil es doch nun heut' Silberner Sonntag ist und ich heute auch schon dein Geschenk aussuchen wollte, ist mir gestern Abend vor dem Schlafengehen die ganze Sache noch mal besonder» nach gegangen und jo konnte es natürlich nicht ausbleiben, baß ich sogar tm Schlaf noch mit meiner Tagessorge spazieren ging. „Ich kann mir aber wirklich nicht oorstellen, daß ein Träumen von Geschenken so sehr anstrengend jein soll." „Erst mal ausreden lasten! Als ich kaum eingejchlum- mert war, zog mit einemmale das ganze lange ABC der Geschenke an meinem Geiste vorüber Aller Wahlschein- lichkeit nach hat mir der Traum quasi einen Katalog der vielen Tausenden von Weihnachtsgeschenken vorlegen wollen, weil ich gar nicht schlüssig werden tonnte, was ich dir kaufen sollte Mit Armbanduhren fing s an, dann ka- men Astrachanmäntel, Autos. Badewannen Bestecke, Bett wäsche, Blusen, Bonbonnieren, Bügeleisen. Butterdojen. Champagner, Christbaumfüße, Damenhüte, Diamanten, Eisschränke, Elfenbeinschnitzereien. Faltboote. Fayencen, Gardinen, Gasbadeöfen, Elaswaren, Eoldwaren, Gram mophone, Gummischuhe, Handtaschen, Hemdenstoffe. Husten pastillen " „Hör auf, hör auf, mir wird's schon vom Zuhören übel," jammerte Frau Striekel. „Aber, ich habe dir doch schon vorhin gesagt, Frieda, laß mich erst mal ausreden. Ich bin ja noch gar nicht fer tig. Die Hauptsache kommt ja erst. Als der Eeschenkefilm beim Buchstaben „K" angelangt war. da sind auf einmal auch Kleiderschränke aufgetaucht. Kleiderschränke, jag ich dir, so was Prachiv0t.es yaoe ich überhaupt noch nicht g»- irhen Unter diesen Kleiderlchränken war aber einer, der, ledenfalls weil der Geichenkesilm schließlich immer schnel ler oorbeigerollt «ft. plötzlich umstllrzte und ausgerechnet mir auf den Schädel fiel. Du kannst dir» vorstellen, was es auf sich hat, wenn einem plötzlich solch ein Koloß von schrank auf die Eehirnmauer prallt" „Emil Emil." meinte Frau Strtebel halb ironisch, halb mitleidig, „sogar ,m Schlat noch schlägt dich da» Mißgeschick mit Knüppeln Damit dir aber nicht noch ein mal solch ein Ungetüm von Kleiderichrank auf den Schä del stürzt, werde ich dir freimütig bekennen, wa» meine große Weihnachsiehnsucht ist Bleib beim ,,P" stehen, Emil, und schenk' mir einen Pelzmantel Weiter nichts." „Was. weiter nichts? Dann schenk mir bitte ein Hal- be» Dutzend Rasierklingen. Und weiter nichts" „Emil!" Frau Striekel blickte dem geknickten Gatten entgeistert ins Gesicht „Weiter nichts?" „Na, mehr wird ja dann von unirrem Weihnachts geld nicht übrig bleiben. Und vom himmlischen Thrtstkind haben wir al» erwachsen» Leut» doch nicht» zu erwarten.