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84. bzw. 2. Jahrgang, Nr. 290, Sette 4 GKMKL GMG llrheber-Rechlsschuh für die deutsche Ausgabe: Drei Quellen-Verlag, Königsbrück/Sa ISt Sie haben sich sehr viel Mut angetrunken. Die Reden werden schlimmer. Ja, Theodor drängt sogar auf den Onkel zu und will ihn packen. In dem Augenblick haut ihm aber Peter Lenz eine runter, die ihn der Länge nach hinlegt. Rudi springt hinter dem Büfett vor, und was dann geschieht, ist Sache von ein paar Sekunden. Rudi Lenz reißt mit einem kräftigen Ruck den ganz verdatterten Theodor hoch, Rudi packt den Malermeister, der keinen Widerstand leistet, und in unglaublich kurzer Zeit sind beide an der frischen Luft. Theodor randaliert draußen erneut und versucht sich Eintritt in den Ochsen zu verschaffen. Wie er aber die Tür öffnet, da steht er vor Lina Schulze, die einen Wassereimer in der Hand hat, und mit einem kräftigen Schwapp ergießt sich das Wasser über Theodor. Das ernüchtert so gründlich, daß sich Theodor von seinem Kumpan fortziehen läßt. * Am nächsten Tag« schließt man den Markt im Ochsen» saale endgültig. Peter Lenz wußte es. Ingrimm plagte seine Seele, aber er war machtlos. Und um den Prozeß begann er sich auch Sorgen zu machen. Drei Termine waren schon vorüber, und es hatte den Anschein, als wenn sich die Meinung der Richter der Auf fassung der Stadt zuneigte. Die Kosten kletterten zu einer schier gigantischen Höhe. Onkel Otto hatte Peter Lenz sein Geld angeboten, aber Peter wollte nichts davon wissen. »Das hebe dir auf fürs Alter!" hatte er gesagt. Nun rüstete auch Magda noch zur Abreise. Es tat allen weh, das liebe Mädel scheiden zu sehen. Alle hatten sie in ihr Herz geschlossen. Peter Lenz konnte vor Bewegung beim Abschied kaum sprechen. Rudi brachte sie zur Bahn. Die Bitternis des Scheidens ergriff auch ihn. Ihre Hände liegen zum Abschied ineinander. Ihre Augen finden sich noch einmal. „Wirst du ... bald einmal wiederkommen?" Magda schüttelt mit zuckenden Lippen das schöne Haupt. .Hat's dir nicht gefallen?" Da lächelt sie unter Schmerzen. „Gefallen? Ach, unbeschreiblich schön war es ... zu schön, Rudi. Bliebe ich noch ... nur zwei Wochen länger, ich fände mich in mein hartes Leben nicht wieder zurück." Sie weint leise auf. »Du ... du ... vergiß mich nicht! Ich will die Er innerung an die Tage immer in mir tragen. Habe Dank für alles, was du an mir getan hast." «Mich dünkt, ich habe dir das Herz schwer gemacht!" „Nein, nein, Rudi! Das hast du nicht! Du hast ihm Glück gegeben. Soviel Freude. An der will ich zehren mein ganzes Leben ... und ... aus der Ferne ... da will ich dich . . liebhaben in meinem Herzen. Das ist doch nicht schlecht?" „Nein, Magda, das ist nicht schlecht." Der Zug fährt ein. Rudi versucht, ein frohes Gesicht zu machen, um ihr den Abschiedsschmerz zu nehmen, aber es will nur schlecht gelingen. Qualvoll sind die letzten Augenblicke. Er gibt ihr den Koffer ins CoupL, noch einmal finden sich die Hände. Der Zug ist schon im Fahren, da küßt ihn Magda noch einmal. Alle ihre Liebe und Sehnsucht ist in dem Kuß. Dann springt Rudi ab und winkt der Scheidenden nach. Bis der Zug nur noch ein Pünktchen ist. „Vielleicht ... hat mich das Glück in diesem Augenblick verlassen!" denkt Rudi. 6. Mein armer Nußbaum . . .l Es ist am 15. August! Bullenhitze brütet über Pulkenau. Der Badebetrieb am „See" ist sehr stark im Gange. Es herrscht ein Leben ohnegleichen in der Stadt. Aber einer, der sieht das alles nicht, der hat sich still in eine Ecke seiner leeren Gaststube zurückgezogen und sitzt da mit versteinertem Gesicht. Das ist Peter Lenz. Er hat eben die Mitteilung bekommen, daß die Stadt in dem Prozeß gesiegt hat. Ergo wird der „Ochse" enteignet! Ergo ... muß der alte Nußbaum fallen! Rudi kommt eben aus der Küche und schaut erschreckt auf den Vater. Geht rasch zu ihm hin und fragt: „Ist dir nicht gut, Vater?" „Nicht gut ... ja, ja, mir ist wirklich nicht gut ... aber um die Seele, mein Junge, ums Herz. Da lies den Wisch! Ich habe den Prozeß verloren! Unser .Ochse' wird ver schwinden. Das älteste Gasthaus in Deutschland ... einfach weg, weil'» den Herren nicht paßt. Und der alte Nutz baum ... weg muß er. Der Nußbaum ... der da ist, so lange unser Geschlecht hier lebt!" Die Stimme zittert. Rudi weiß keinen Trost, und er atmet auf, al» Onkel Otto und Lina herantreten. Sie sind fassungslos, als sie hören, daß der Prozeß verloren ist. „Dann gehst du bi» zum Reichsgericht!" sagt Onkel «regt. Peter Lenz schüttelt den Kopf. „Das ... kann ich nicht! Dazu fehlt mir erstens das Geld ...l" „Nimm mein ganzes Geld, Peter! Ich brauch'» nicht!" „Guter Kerl, das Geld ist das wenigste. Ich habe mein Wort gegeben, daß ich mich dem Urteil unterwerfe. Ich kann als anständiger Mensch nicht Revision einlegen. Mein Wort hat immer gegolten." Das sehen sie ein, und sie sind traurig, daß es bald scheiden heißt. Bald wird der Markt aussehen, glatt, nüch tern, wie viele andere Plätze in anderen Städten. Und ihnen allen geht eine Heimat verloren. Lina ist außer sich, sie schimpft wie ein Rohrspatz auf die Stadtväter. Sie will die Frauen von Pulkenau mobi lisieren, daß sie dem Treiben Einhalt tun. „Wird wenig nützen, gute Lina!" „Oho ... wir Frauen können viel, wenn wir wollen. Pulkenaus Frauen freuen sich nicht, det Pulkenau so jroß jeworden is. Denn wat is'n injetreten? Die Mannsleute tun's den Fremden nach. Spielen und verprassen das Geld. Nee, nee, die Frauen, die verwünschen, det Pulkenau so in die Höhe jeschossen ist. Ick mache sie mobil!" Die Bauern um Pulkenau herum hielten den Boykott der Stadt durch, nur der „Ochse" war verschont, den be suchten sie noch und gern. Als sie erfuhren, daß die Stadt den Prozeß gewonnen und daß die Tage des „Blauen Ochsen" gezählt seien, da war die Empörung einmütig, und, am nächsten Tage strömten sie herein, daß der „Blaue Ochse" sie kaum fassen konnte. Peter Lenz tat es im Herzen wohl und weh zugleich. Die ganze Woche kamen sie aus der Umgebung. Rudi aber war nicht faul, er versuchte noch zu retten, was zu retten war. Er bestellte einen Filmreporter, der den „Blauen Ochsen" von innen und außen samt seinem Nutz- bäum aufnahm. Irene versprach ihm schriftlich, dafür zu sorgen, daß der Film in der Wochenschau der Ufa untergebracht würde. Rudi Lenz schrieb an die Heimatschutzvereine, machte sie mobil. In der Stadt herrschte durchaus keine besondere Freude über den gewonnenen Prozeß. Im Grunde genommen be- dauerte die Bevölkerung doch, daß der herrliche Nußbaum, der dem Marktplatz eine ganz besondere Note und den An blick eines Idylls gab. verschwinden sollte. Iustus Kirsch und die um ihn feierten natürlich den großen Sieg. Der Bürgermeister hätte am liebsten binnen acht Tagen Enteignung und Fällen des Baumes durchge führt. aber man riet ihm davon ab. „Lassen Sie das bis zum Ende der Saison, in den ersten Oktobertagen. Solange mag der Ochsenwirt noch auf seinem Grundstück sitzen." sagte der Kurdirektor. „Ist es nicht fein, daß wir ihm nur eine Entschädigung von 40 000 Mark zu zahlen brauchen?" „Das ist schon viel, Herr Bürgermeister. Was wird ihm von dem Gelds noch bleiben?" „Wenig, denn er muß ja die ganzen Kosten bezahlen, die sich zusammen mit den Kosten des ersten Prozesses auf über 18 000 Mark belaufen." „Bestrafter Trotz!" „Oh. dem Peter Lenz, dem gönne ich's. So muß es jedem gehen, der die Entwicklung Pulkenaus aufhalten will!" sagte Iustus Kirsch und blähte sich wie ein Pfau. Dixi ist Rudi Lenz begegnet. Rudi hat den Hut höflich gezogen und stumm gegrüßt und ist dann weitergegangen. Es gab Dixi förmlich einen Stich! Sie sah an seinem ernsten Gesicht, daß er litt, und das tat ihr weh. „Herr Lenz ...?" Rudi bleibt stehen und wendet sich um. „Fräulein Dixi?" „Ich ... ich wollte Ihnen nur sagen, daß es mir sehr weh tut, daß Sie den Prozeß verloren haben." „Wirklich? Das tut Ihnen leid? Es war doch immer der sehnlichste Wunsch Ihres Vaters, daß der »Blaue Ochse' verschwindet, samt seinem uralten Nußbaum." „Schon längst nicht mehr! Vater ist ganz anders ge worden. Ihm gefällt das neue Pulkenau. wie es sich ent wickelt hat, nicht, und ... er hat schwer bereut, daß er einst Mutter den ganzen Besitz überschrieb. Jetzt ist er gebunden, kann nicht tun, was er will. Mama regiert. Nein, Vater tut's genau so weh, daß es so gekommen ist." Die Worte tun Rudi wohl. Seine Miene ist etwas freundlicher. „Wie geht's Ihnen so, Fräulein Dixi?" „Nicht schlecht, nicht gut! Ich fühle mich so grenzenlos überflüssig in dem ganzen Treiben. Sie wissen ja ... Pulkenau ist ein Spielernest geworden." „Ich weiß! Alle die Hasardeure aus Berlin sind jetzt hier. Ist ja so bequem. In einer Stunde ist man da. Spieler! Das Gezücht! Das unsere Stadt mit ihren ein fachen Menschen verdirbt. Man «zählt sogar ... daß im Klub Roulette gespielt wird!" Dixi sieht zu Boden. „Ich weiß es nicht! Wir kümmern uns alle nicht um den Klub. Selbst Vater und Mutter nicht. Sie haben ihre eigene Bedienung. Die bringen sie immer von Berlin mit. Aber ... vielleicht spielen sie Roulette! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gleichgültig mir alle» ist." „Bis auf den Herrn Generaldirektor! Wird sich neti machen ... Frau von Bossewitz, Frau Generaldirektor!" Dixi sieht ihn mit einem wehen Lächeln an. „Ich bin nicht eitel, Herr Lenz. Das war einmal. Da mals als ich aus der Pension kam, als ich mir einbildete, ich kann wunder was. Diese Eitelkeit hat aber nur kurze Zett angehalten. Vorbei! Ich werde wohl den Grafen hei raten. Er hat mir einen Antrag gemacht. Aber ... das ist ja so belanglos. Es ist ja alles egal. Das Leben ist lang weilig. Finden Sie nicht auch?" Rudis Gesicht ist wieder hart und finster geworden. „Die weltschmerzlerische Pose steht Ihnen nicht, Dixi. Langweilig habe ich das Leben noch nie gefunden. Höchstens manchmal ... etwas hart. Aber es hat sich noch immer gelohnt zu leben. Auch für uns Bauernlümmels!" Jetzt lächelt Dixi. „Haben Sie das immer noch nicht vergessen?" „Nein, darüber wird erst noch abgerechnet." „Rudi, machen Sie einen Strich drunter. Graf Ugo hat mit mir darüber gesprochen und hat sich sehr geschämt. Offen hat er zu mir gesagt, daß Sie ihm im Grunde ge nommen ... imponiert hätten!" Rudi hört es erstaunt und schüttelt den Kopf. „Wenn er das gesagt hat, dann hätte ich ihn falsch ein geschätzt. Gut. Strich drunter!" Das Gespräch stockt. Da denkt Dixi an Magda. Ihr ist zugetragen worden, wie herzlich der Abschied auf dem Bahnhof war. „Ihre Braut ist nun auch abgereist, Rudi?" „Meine Braut? Von wem sprechen Sie, Dixi?" „Don Ihrer Kusine?"' Rudi lächelt ernst. „Die Magda? Die ist nicht meine Braut! Da hat das Städtchen wieder einmal umsonst ge klatscht." „Vielleicht wird sie es noch?" „Nie, sie ist gebunden, an einen anderen Mann ... einen Kranken. Es gibt noch solche Frauen, die im Leben Treue beweisen" Sie empfindet die Worte halb wie einen Vorwurf, sie tun ihr weh und erfreuen sie zugleich. Sie sieht Rudi an, und die alte Zeit erwacht wieder, da sie Hand in Hand durch den Frühling gingen, das Herz er füllt von der Seligkeit der jungen Liebe. Wie Romeo und Iulia kamen sie sich vor. Was war das einst für eine tiefinnerliche Glückszeit? Jetzt Ist aller Glanz nur außen, das Herz ist arm, es friert. „Rudi ... ich habe eine Bitte an Sie." „Und die wäre?" „Sie sollen kommen, zu meinem Verlobungstage. Ich bitte Sie drum. Ich werde ... ich mutz ihn ja heiraten. Ich bin gebunden an ihn. Das Geld, das mein Vater an Onkel zahlte ... es stammt doch von ihm. Mir hat er's geliehen Das drückt. Schuld will bezahlt sein. Nicht wahr, das verstehen Sie!" „Schuld will bezahlt sein, ja. Das verstehe... nein, das verstehe ich trotzdem nicht. Geld ist so wenig, ein Leben ist alles." „Ich ...!" spricht der kleine Mund traurig. „Ich er warte nicht mehr viel. Ich denke immer ... ich mutz zu frieden sein, wenn sich ein Mensch, der gut ist, meiner an- nimmt. Ich komme dann von zu Hause weg. Das ist schon so viel. Ich kann den Kampf zwischen Vater und Mutter nicht mehr ansehen. Ich werde irre an der ganzen Welt." Er suchte ein gutes Wort. Sie tat ihm leid in dem Augenblick. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Dixi!" „Und Sie werden kommen, wenn ich Sie einlade?" „Dixi, was soll Ich unter den Gästen, von denen mich jeder verwünscht? Und Ihrem ... Verlobten würde es pein lich sein." Da steht sie ihn flehend an. „Du mußt kommen, Rudi! Ich habe doch nur einen Jugendfreund ... der warst immer nur du ... und heute fühl' ich's .. du bist mir nicht mehr gram, du bist mir noch ein lieber guter Freund. Du mutzt kommen!" „Wenn ich dir wirklich eine Freude mache, Dixi?" „Jal" sagt sie, und Tränen sind in ihren Augen. „Eine ... ganz große Freude, Rudi." Was ist mit Rudi los? Er ist wie verwandelt. Das. sonst immer so heitere, lachende Gesicht ist mit einem Male verschlossen, hart und finster. Er schweigt sich au». Auf alle Fragen des Vaters hat er ein: „Nichts! Was soll mit mir sein? Daß wir rau» müssen, das quält mich." Aber Onkel Otto bringt Ihn doch zum Aussprechen. „Es ist um die Dixi. Junge!" sagt er ihm auf den Kopf zu. „Wie kommst du darauf. Onkel?" „Das fühle ich! Was ist denn mit ihr? Sprich dich doch zu mir aus/ „Mich ärgert, daß die Dixi den Trafen heiraten will!" Er erzählt dem Onkel alles, was ihm Dixi gesagt hat. Onkel Ottos Gesicht wird immer ernster. Dann schüttelt er den Kopf und sagt: „Das darf nicht sein! Das Mädel soll nach ihrem Herzen wählen." Garrsttzung folgt.)