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Um keinen Preis hätte sie die Eltern jetzt bitten mögen, an die Heimkehr zu denken. Mit aufrichtiger Freude nahm sie wahr, wie der Vater lebhafter und leb hafter wurde, und als er nun gar mehrmals herzlich lachte, da war sie glücklich. Ihr Blick suchte den der Mutter, und als sich beide trafen, da huschte eine nie geahnte Hoffnung und Freude über beider Gesichter. Endlich ist das Eis gebrochen, dachten sie. Eine glückliche Zeit brach nun für die Frauen an, war Baumann doch von dieser Zeit an wie umgewandelt. Mehrmals hatte er bereits mit verschiedenen ihm auf dem Korso bekannt gewordenen Herren Ausflüge über den See unternommen, um neue Entdeckungen zu machen für seine Familie, wie er lachend seiner Frau mitteilte. Dann hatte er gar auf über acht Tage eine Fußwanderung in die Berge in deren Gesellschaft unternommen. Getreulich hatte Lieschen ihrem Bräutigam von dem Leben hier in langen Briefen berichtet, und Thieß hatte noch viel längere geschickt. In diesem Briefwechsel lernten beide erst gegenseitig ihren Charakter kennen. Da war auch kein Gegenstand, keine neue Erscheinung in ihrem Gesichtskreis, über die sie nicht ihre Meinung austauschten. So verging die Zeit BaumannS wie im Fluge. Indes näherte sich die Saison ihrem Ende mehr und mehr, ständig nahm die Schar der Fremden in Riva ab. Die italienische Sonne meinte eS in letzter Zeit auch gar zu gut. Die Sehnsucht nach der Heimat war allgemach stärker und stärker auch in Lieschen Baumann geworden, oder ob es die nach dem Verlobten war? (Fortsetzung folgt.) Aus äer Klappe eines Kriminalisten. Von HanS Hyan. (Nachdruck verboten.) Taschendiebe. Das ist eine Gaunerspezies, der jeder Mensch so zusagen jeden Augenblick preisgegeben ist, in dem er sich nicht in seinen vier Pfählen befindet. Der wirksamste Schutz vor der oft von der unheimlichsten Geschicklichkeit zeugenden Tätigkeit des Taschendiebes besteht in der Aufmerksamkeit des Publikums der eigenen Person gegen über. Der Taschendieb bildet eine Art Kaste unter seinen Anhängern. Man kann nicht so ohne weiteres Taschen diebstähle ausführen, dazu gehört eine Lehrzeit, wenngleich es gerade bei Kindern schon im sechsten und siebenten Lebensjahre vorkommt, daß sie mit größter Routine Taschendiebstähle ausführen. Fast alle diese Leute fangen ihr Gewerbe, gerade wie die Akrobaten, sehr jung an. Sie stammen wohl schon aus einer Diebesfamilie oder schließen sich als Herren- und elternlose Kinder an alte Gauner an und werden von ihnen ausgebildet. Besonders in Rußland scheinen solche Diebesschulen heute noch in Flor zu stehen. Die Berliner Kriminal polizei hat immer wieder Gelegenheit, ganz junge auS Rußland stammende Taschendiebe abzufassen. Für den Taschendieb mehr wie für manche andere Diebesart ist gute Kleidung heute eine unerläßlich« Bedingung, wenn «r irgendwie reüssieren will. Die Hauptsache ist und bleibt für ihn das Herandrängen an seine Opfer, was einem Gchlechtgekleideten an sich schon schwer fällt. Die meisten dieser Leute arbeiten mit der .Wand", d. h. st« decken einander. Zum Beispiel: der eine tritt an den, der be stohlen werden soll, heran und bittet um Feuer; der andere kommt vorbei, rennt scheinbar absichtslos gegen den ersten und schleudert ihn so gegen den zu Bestehlenden. Dies« Sekunde des Herangeschleudertwerdens genügt dem Padden- drücker, um den Osnik (Uhr) oder die Plattmolle (Brief tasche) zu .klemmen". Da manche Herren die Angewohn heit haben, ihre Uhr in der Westentasche zu befestigen, oder an durch den Westenknopf laufender Kette auch wohl zwei Uhren tragen, so bedienen sich die Spitzbuben des ^Kneifers", einer scherenartigen Kneifzange, die mit einem Druck -den dicksten Strang" (Uhrkette) zerschneidet. Für den Fall, daß eine Brieftasche daS ersehnte Ziel ist und der Besitzer seinen Rock geschlossen trägt, nähert sich der Dieb seinem Opfer meist unter dem Vorwande, dieses habe sich irgendwo .weiß' gemacht. Beim nun folgenden Abklopfen fährt der Dieb mit feiner Rechten über di« Stelle des Paletots oder Rockes, unter der die innen angebrachte Tasche sitzt. Die darüberfahrende Hand aber trägt den sogenannten „Ring", einen Talmigoldreif, an dessen innere Seite ein kleines, haarscharf geschliffenes Messer angelötet ist, das den Rock auffchneidet. Der Be stohlene bringt dann die .Plattmolle" durch den eigenen Körperdruck heraus, und der Dieb läßt sie mit zauberhafter Schnelligkeit verschwinden . . . Ein beliebter Trick, Damen gegenüber, ist folgender: Die vor einem Schaufenster stiebende, welche.natürlich" das Portemonnaie im Ledertäschmen trägt, wird von der „Wand" in der höflichsten Weise angesprochen, ist sehr ver dutzt, da ihr ja der Mensch ganz unbekannt ist, und wird in diesem Augenblick von dein „Gannef" (Dieb) aus dem geschickt geöffneten Täschchen ihres Geldes beraubt. Zu den Taschendieben, die am liebsten vor Schaufenstern, in Theatern, überhaupt überall da arbeiten, wo ihr Opfer sich ganz still verhält, gehören die „falschen Hände". DaS sind Leute, die in dem rechten Rockärmel nur eine Arm- resp. Handattrappe haben, während ihre eigentliche Hand unter dem Jackett hervor, in der nachbarlichen Tasche eifrig beschäftigt ist, ein alter, aber erfolgreicher Trick. Weniger höflich ist das „Renkontre" oder „Anstößen": Ein nichts ahnender Passant wird von einem ihm Ent gegenkommenden angerempelt und beschimpft, ja es hat dabei sogar schon eine Ohrfeige gegeben. Aber schon im nächsten Moment bittet jener tausendmal um Verzeihung: er hätte sich geirrt, eine Ähnlichkeit habe ihn getäuscht. Der Angerempelte, der zuerst natürlich sehr alteriert ist, gibt den Entschuldigungen schließlich Gehör, erst später wird ihm klar, daß der Augenblick des Anrempelns d«m Komplizen des Gauners genügt hat, um ihn zu be stehlen . . Der aktive Teil der oft aus mehreren Köpfen be stehenden und gemeinsam arbeitenden Bande sieht stets darauf, die Beute sofort an den die .Wand" machenden Genossen zu verschieben, um bei etwaigem Mewerden (Verhaftetwerden) nichts Kompromittierendes bei sich finden zu lassen. Die Beute bekommt, soweit nicht bares Geld gestohlen ist, der Hehler, der natürlich den Löwenanteil daran verdient. Selten wird der gewöhnliche Taschendiebstahl baldowert, er ist fast immer eine .Zufallskiste". Das weiß auch die Kriminalpolizei, die dementsprechende Vorkehrungen trifft. Berlin z. B. hat eine besondere .Taschendiebstahls kontrolle", eine ganze Anzahl von Beamten, die sich in den belebtesten Straßen vor den Schaufenstern, in den Fopers der Theater und groben Restaurationen, natürlich in Zivil, bewegen und mit einer großen Kenntnis der einschlägigen Personen ausgerüstet, ihre Beobachtungen machen. Diese Kontrolle hat sehr schöne Erfolge zu verzeichnen. Zu den besonderen Abarten des Taschendiebstahls ge hört besonders das Fleddern oder .Leiche machen". Eine häßliche, lichtscheue Sache, die auch nur von den niedersten Mitgliedern der Zunft auSgeübt wird. Des Nachts in öffentlichen Anlagen und Parks, aber auch in der Eisen bahn und in obskuren Kneipen, wo Leute, die .allzuschwer geladen" haben, sich niederlassen oder hinverschleppt werden, findet der Fledderer seine meist selbst recht armseligen Opfer, die den Rausch einer Nacht so mit dem Verlust ihrer Habe bezahlen müfsen . . . Den „Paddendrück.ern" sagt man nach, sie hätten von allen ihren Kollegen den meisten Humor. Es werden da auch recht nette Stückchen erzählt, von denen eins der niedlichsten wohl daS folgend« ist: eine ältere, recht gut gekleidete Dame fährt — vor Jahren — im OmnibuS nach dem Markt und trägt in der offen angebrachten Tasche ihres pelzbesetzten Plüschjacketts ihr Portemonnaie, in dem sich ein Taler und fünf Silbergroschen befinden. Als si« es auf dem Markt öffnet, fehlt der Taler, statt dessen liegt ein Zettel drin, darauf steht: Heute ist erst Freitag, und ich denke, ich fasse Grade so recht kräftig in die Wirtschaftskasse! Daß so grob der Dalles ist, konnte ich nicht wissen...