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1995 Mitteilungen des Vereins der Zellstoff- und Papier- Chemiker Entwicklung und Aufgaben der Papier-Industrie Vortrag, gehalten am 1. Mai 1906 in der Abteilung IVa des VI. internationalen Kongresses für angewandte Chemie in Rom von Dr. A. Klein Die Industrie der Zellstoffe und des Papiers ist ein Stiefkind der angewandten Chemie. Auf diesem Gebiete betätigen sich die wenigsten Chemiker. Ich habe es des halb für nützlich erachtet, Ihnen eine sehr kurz gefaßte Geschichte dieser Industrien zu geben und auf einige un bearbeitete, aber der Forscherarbeit würdige Gebiete hin- zuweisen. In der ältesten Zeit benutzte man zur Uebermittlung von Nachrichten an die Mit- und Nachwelt anorganische Stoffe. Ich erinnere an die assyrisch babylonischen Keil schriften, die ägyptischen Hieroglyphen und die bildlichen Darstellungen in Höhlen aus der älteren Steinzeit. In Aegypten entstand das erste organische Material für Auf zeichnungen, hier entwickelte sich die Kunst der Papyrus- Bereitung. Die Ableitung dieses Namens von papuro (königlich) und paburo (Rose) dürfte unrichtig sein, es er scheint am wahrscheinlichsten, daß diese Bezeichnung von pa-p-yor »Produkt des Flusses« abgeleitet wurde. Aus »Papyrus« entstanden die Wörter Papier, papier, paper usw. Der im Nationalmuseum in Paris aufbewahrte älteste Papyrus stammt aus dem 36. Jahrhundert vor Christo, ist also etwa 5500 Jahre alt und müßte nach der jüdischen Zeitrechnung als ein Zeitgenosse Adams und Evas angesehen werden. Der Papyrus der Aegypter, der später auch in Rom zu Ehren kam und bis etwa um das Jahr 1000 n. Chr. in Ver wendung blieb, bestand aus dünngeschnittenen Markzellen einer Rohrpflanze — Cyparus papyrus L. —, die zu einem Blatt vereinigt, geglättet und mittels Stärkekleisters geleimt wurden. Bei den Hirtenvölkern des Altertums hat sich wahr scheinlich gleichzeitig mit der Entwicklung der Papyrus- bereitung eine andere Erzeugung von Schreibstoff ent wickelt: die Darstellung des Pergaments, das aus den Häuten von Haustieren angefertigt wurde. Nach Herodot schrieben die Jonier seit Urzeiten auf Tierhäute, und die Juden benützten Pergament nachgewiesenermaßen schon 1 100 v. Chr. Die höchste Stufe der Vervollkommnung er reichte die Pergamentfabrikation im 3. Jahrhundert v. Chr. zur Zeit des Königs Eumnes von Pergamon, von dessen Reich sich auch der Name dieses Schreibstoffes ableitet. Das Pergament hat sich bis in die jüngste Zeit im Ge brauche erhalten, aber sein Verbrauch hat seit 1200 n. Chr, seitdem in Europa die Fabrikation des Papieres sich all gemeiner eingeführt hat — rasch abgenommen. Die Kunst des Papiermachens stammt vom fernen Osten, wo es der Erfindungsgabe der Chinesen gelang, aus Pflanzenfasern ein papierähnliches Schreibmaterial herzu stellen. Im 8. Jahrhundert n. Chr. gelangte durch chinesische Kriegsgefangene die Kenntnis dieser Kunst nach Samar kand, wo sie durch die Jranier rasch entwickelt wurde. Diese erzeugten das erste Hadernpapier — aus Leinen- und Hanflumpen — was Karabacck »als Sieg des fremden Ingeniums über die Erfindungsgabe der Chinesen« be zeichnet. Nach neuesten Forschungen Wiesners ent halten jedoch auch altturkestanische Papiere Lumpen fasern, sodaß möglicherweise auch die Bereitung von Lumpenpapieren den Chinesen zu verdanken ist. 795 ließ Khalif Harün äl Raschid Arbeiter aus Samarkand kommen und gründete eine Papierfabrik in Bagdad. Von hier aus wurde die Kunst des Papiermachens durch die siegreichen Araber verbreitet und gelangte wahrscheinlich schon An fang des X. Jahrhunderts nach Spanien. Die Kreuzzüge förderten die Entwicklung des Handwerks, und Ende des XII. Jahrhunderts wurde der Gebrauch des Hadernpapieres immer allgemeiner. Im XII. Jahrhundert werden schon in Italien Papiermacherfamilien erwähnt, und 1290 wurde in Ravensburg die erste deutsche Papiermühle errichtet. Nach dem 1505 die erste abendländische Zeitung entstanden und 1540 Gutenberg seine Druckerei eröffnet hatte und dadurch — wie H. St. Chamberlain sagt — das Denken zu einer Weltmacht erhoben war, nahm auch der Verbrauch von Papieren in vielen Ländern sehr rasch zu. Den Grund zur heutigen Großindustrie des Papiers Legte aber die Erfindung der mechanischen Papiererzeugung, die Inbetriebsetzung der ersten Papiermaschine 1804 in England. Von hier aus fand die Papiermaschine, die später immer mehr vervollkommnet wurde, rasch Eingang in den andern europäischen Ländern (1815 Frankreich, 1820 Deutschland, 1826 Oesterreich). Nachdem das Rohmaterial — die Hadern — bald nicht mehr genügte, wurde nach andern papierbildenden Fasern gesucht und 1840 von dem Sachsen Gottfried Keller die Bereitung von Holzschliff, 1847 von Montgolfier und Wright die Erzeugung von Strohzellstoff erfunden. 1853 erzeugten Charles Watt und H. Burgess Zellstoff aus Holz durch Auf schließen mit Aetznatron, 1860 bereitete Th. Rouledge aus Alfagras (Boehmeria tenac.) Espartostoff, 1863 Tilghman Holzzellstoff mittels doppeltschwefligsauren Kalkes. Diese Stoffe, deren Fabrikation in den letzten 60 Jahren sich sehr entwickelt hat, bilden heute das Rohmaterial für etwa 75 v. H. der gesamten Papiererzeugung, die nach Krawany (wahrscheinlich zu gering) auf jährlich nahezu 6 Millionen Tonnen zu schätzen wäre. Die Eigenschaften der Papiere müssen je nach dem Verwendungszwecke verschieden sein. Der Hauptsache nach wird das Papier entweder als Träger von Bildern und Schriftzeichen — Druck-, Schreib-, Zeichen- und andere Papiere — oder als Saug- und Filtrierpapier, oder als Um hüllung — Pack-, Tüten-, Einschlag- und ähnliches Papier — gebraucht. Die Grundstoffe aller Papiere sind Zellstoffe, also Kohlenhydrate. Obzwar weder die Zusammensetzung noch das Gewicht eines Moleküls auch nur für einen Körper der Zellstoff- und Stärkegruppe unwiderleglich feststeht, ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß die in der Papier industrie Verwendung findenden Zellstoffe nicht gleich zu sammengesetzt sind. (Redner führte nun kurz die Ansichten von Croß, Bevan und Green an, die er in seinem Vortrag »die chemischen Vorgänge bei der Bildung von Pflanzenzellulosen usw.« ausführlich dargelegt hat, vergl. Papier Zeitung Nr. 103 von 1905 und Nr. 5 von 1906.) Im Pflanzenreiche sind weitaus am verbreitetsten die sogenannten Oxyzellulosen, die z. B. im Holz, in verholzten Fasern, im Getreidestroh und Espartogras vorkommen. Diese Zellstoffe sind noch wenig untersucht und auch die zu ihrer technischen Darstellung benutzten Verfahren noch wenig erforscht. Die wichtigste dieser Industrien ist die Sulfitzellstoffabrikation, die schon 1863 vom Amerikaner Tilghman entdeckt wurde, und obgleich Ekman schon in den 70er Jahren fabriksmäßig Sulfitzellulose erzeugte, ihre heutige Blüte dem Prof. Alex. Mitscherlich und seinen ersten Zessionaren verdankt, die das Fabrikationsverfahren ins Einzelne ausarbeiteten und in die Praxis einführten. Bei diesem und dem ähnlichen Ritter-Kellner’schen Ver fahren wird Holz — meist Nadelholz — mit einer Lösung von doppelschwefligsaurem Kalk bei Temperaturen über 1060 C. behandelt, wobei wahrscheinlich zunächst die Holz faser (Zelluloseligninester) hydrolytisch zerlegt, dann das Lignin zum Teil zersetzt, aber der Hauptsache nach in eine wasserlösliche sulfonsaure Kalkverbindung übergeführt wird. Diese sogenannte Ligninsulfonsäure ist im Tollens- sehen Laboratorium aus der Kocherablauge dargestellt worden, ihr käme nach Lindsey die Formel C, H 24 (CH,), - SO,, und nach Streeb dem Kalksalze die Formel C,, H,, (CH,), S, O,, Ca, zu, während Klason die Formel C 18 H„ O, SCa’/ a für richtig hält. Eine endgiltige Beantwortung der Frage, »welches sind die Vorgänge beim Sulfitkochverfahren«, steht noch aus. Außer dem erwähnten teilweisen Abbau des Ligninmoleküls sind dabei folgende Vorgänge möglich: 1. Esterbildung, 2. Kondensation der Bisulfite mit Aldehyd- oder Keton gruppen, 3. Anlagerung der Sulfite an eine Doppelbindung und 4. Sulfierung. Ebenso ungenügend erforscht sind die Vorgänge bei den übrigen technisch wichtigen Verfahren der Zellstoff- Fabrikation. Bei der Herstellung von Natronzellstoff wird die Bildung von wasserlöslichem ligninsaurem Natron und bei der Erzeugung von Strohzellstoff das Löslichmachen