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1238 PAPIER-ZEITUNG Nr. 30 gegen alle Gefahren des Lebens genommen hat, die in der Sozialdemokratie aufgespeicherte Unzufriedenheit und Ver bitterung in gleichem Maße gewachsen ist. Nur in der Berücksichtigung beider Tatsachen liegt da her auch die Möglichkeit des Ausgleichs. Dieser Ausgleich ist aber eine Notwendigkeit, denn es ist eine einfache, aber allezeit gütige Wahrheit, daß die Interessen des Arbeit gebers und Arbeitnehmers unlöslich miteinander verbunden sind. Einer hängt von dem andern ab; einer gewinnt, wenn der andere vorwärtskommt; einer leidet, wenn der andere leidet. Nur in kurzen Zeitabschnitten kann es den Anschein haben, als ob die Entwicklung von dieser Regel abwiche. Am Ende rächt sich doch jeder Verstoß gegen dieses Grundgesetz. Hierin liegen für den Arbeiter die Grenzen seiner An sprüche, für den Arbeitgeber die Ziele seiner Leistungen. Letzterer ist verpflichtet, für ersteren alles zu tun, was ihm seine Mittel, was ihm die besonderen Verhältnisse seines Betriebes gestatten. Nicht bloß in der Erkenntnis, daß dies der wohl einzige gangbare Weg ist, die Sozialdemokratie zu überwinden, sondern auch weil das eigenste Interesse des Fabrikanten darauf hinweist. Treten in städtischen Verhältnissen die persönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer natur gemäß mehr und mehr zurück, so ist denselben in länd lichen Betrieben zum Segen beider Teile ein weiter Spiel raum gelassen. In diesem gegenseitigen Abhängigkeits verhältnis liegt der gesunde Kern sozialen Fortschrittes, ruht die Hoffnung, daß die vielfachen Gegensätze und Ver irrungen unserer Zeit nicht notwendigerweise dem Zu sammenbruch zutreiben müssen, sondern zu einer besseren Zukunft überleiten werden. Papiermacher-Ausbildung In neuer Zeit sind die früheren polytechnischen Schulen zu technischen Universitäten geworden, außerdem wurden eine Reihe von Lehranstalten begründet, deren Zweck es ist, Spezialisten für einzelne technische Fächer heranzubilden. Solche Facbkurse für die Papier-Industrie wurden dank der Opferfreudigkeit der deutschen Papiermacher im letzten Jahre auch in Deutschland errichtet. An der Spitze dieser Fachkurse stehen tüchtige Lehrer, und da diese mit den Männern der Praxis in steter Fühlung bleiben werden, ist für die Ausbildung der kommenden Papiermacher-Ge schlechter hervorragend Nützliches geleistet worden. Diese Papiermacherschulen erfordern aber ebenso wie die verschiedenen Fachschulen in Oesterreich, Skandinavien, England, Italien und andern Ländern von den Schülern regelmäßigen Besuch von Vorträgen und Uebungen. Was auf diesen Schulen gelehrt wird, ist auch je nach der von den Teilnehmern geforderten Vorbildung sehr verschieden. Nehmen wir nun auch an, daß jede dieser Schulen Eigenartiges leistet, so genügen doch diese Bildungsmöglich keiten den heutigen und kommenden Papiermachern nicht völlig. Ich habe in meiner bisherigen Papiermacherlaufbahn diesseits und jenseits des Ozeans manchen denkenden und lernbegierigen Mann kennen gelernt, dessen Schulbildung garnicht gründlich war, der aber durch eigenen Fleiß unter großen Schwierigkeiten bedeutendes Wissen erworben hat. Auch unter unseren heutigen Werkführern und technischen Leitern gibt es viele, die — wie es in den Stellengesuchen heißt — von der Pike auf, richtiger vom Schmierjungen und Pressensteher, heraufgearbeitet haben. Und unter diesen Leuten, die jahrzehntelange Praxis hinter sich haben, gibt es viele, die nie Gelegenheit hatten, sich die Grund lagen des einfachsten technischen Wissens anzueignen. Andere wieder haben sich durch fleißiges Studium in der dienstfreien Zeit durch »Ratgeber«, »Führer« oder wie sonst die schönen Bücher benannt sind, durchgearbeitet oder auf andere Art einige Bekanntschaft mit den Elementen der Mechanik, Maschinenkunde, Elektrotechnik usw. gemacht. Und für diese Leute könnte besser gesorgt werden. Das Seibstudium sollte erleichtert und der großen Menge der Lernbegierigen, die wegen ihres Erwerbes nicht daran denken können eine Fachschule zu besuchen, könnte nach amerikanischem Vorbild geholfen werden. In den Vereinigten Staaten wird all denen, die durch ihre Ver hältnisse am regelmäßigen Schulbesuch gehindert sind, die Möglichkeit sich durch Seibstudium theoretisch zu bilden', durch »correspondence schools« geboten. In England allerdings konnte dieses Lehrsystem nicht viel Erfolge aufweisen. Dies liegt aber am englischen Arbeiter. Wie mir seiner Zeit einer der Führer auseinander gesetzt hat, betrachtetes im allgemeinen der englische Arbeiter als für ihn am vorteilhaftesten das »go easy«-System (sich's leicht machen). Er bekennt sich zu dem Satze »to do as little work as possible and to get as big wages as possible« — möglichst wenig Arbeit und möglichst hoher Lohn! — Dadurch kommt eine gewisse geistige Trägheit auf, der man beim amerikanischen Arbeiter selten begegnet. Der Ameri kaner trachtet vorwärts zu kommen und arbeitet hart. Deshalb sind, auch in Amerika unverhältnismäßig viele »Praktiker« in den meisten Industrien, besonders aber in der Papier- Fabrikation tätig. Ich behaupte durchaus nicht, daß die technische Bildung des durchschnittlichen amerikanischen Papiermachers der seines deutschen Fachgenossen entspricht, aber was sich drüben bewährt hat und bei uns ohne Opfer zum Wohle der Gesamtindustrie eingeführt werden könnte, verdient doch ausführliche Besprechung und eingehende Ueberlegung. Heute wird von jedem gebildeten Menschen, der auch kaufmännisch tätig ist, erwartet, daß er englisch und fran zösisch wenigstens versteht. Da die wenigsten Deutschen Zeit und Gelegenheit haben, diese Sprachen in den Ländern zu erlernen, wo sie gesprochen werden, und häufig auch keine entsprechenden Lehrkräfte vorhanden sind, hat der Selbstunterricht von Sprachen viele Anhänger. Besonders Toussaint-Langenscheidts Lehrbriefe verbreiten bei fähigen und fleißigen Schülern das Verständnis fremder Sprachen. Gute deutsche Lehrbriefe zum Selbstunterrichte in technischen Fächern kenne ich aber nicht. In dieser Be ziehung sind uns die Amerikaner voraus. Die ameri kanischen Korrespondenzschulen erteilen jedem Lern begierigen Unterricht, ohne daß der Schüler an einen bestimmten Wohnort gebunden wäre. Es gibt außer Lehr kursen für technische Fächer auch solche für allgemeines Wissen, wie Geschichte, Literaturgeschichte usw. Diese Korrespondenzschulen arbeiten etwa auf folgende Art: Für jedes Lehrfach ist mindestens ein Lehrer angestellt, der den Lehrplan ausarbeitet. Wer durch Agenten oder Anzeigen oder durch Empfehlung eines Schülers zur Teil nahme an einem Kursus gewonnen wird, erhält den Lehrplan. Wenn dieser ihm zusagt, entrichtet er einen Teil des Lehr geldes. Die Schule sendet ihm dann den ersten Lehrbrief, der in den Lehrgegenstand einführt. In diesem Briefe sind gewisse Aufgaben gestellt, die der Schüler zu lösen hat. Er schickt die Lösung der Aufgaben der Schule und erhält seine Arbeit verbessert zurück. Hat der Schüler für die Sache genügendes Verständnis bewiesen, erhält er einen zweiten Brief mit neuen Aufgaben usw. Nachdem der Lernbegierige einen Kursus durchgearbeitet hat, der als Vorbereitung für weitere Studien dient, tritt er an höhere Aufgaben heran, und wenn auch das durch die Korrespondenzschulen gebotene Wissen nur als Lücken büßer anzusehen, und mündlicher Unterricht stets höher einzuschätzen ist, sind doch die Erfolge der amerikanischen Korrespondenzschulen durchaus nicht zu unterschätzen. Der Hauptgrund liegt wohl darin, daß jeder Schüler, der nach elf- bis dreizehnstündiger harter Arbeit noch genügend Energie besitzt, um an Hand schriftlicher An leitungen geistig zu arbeiten, über dem Durchschnitt steht. Da aber das Verständnis für technische Fächer eine Gabe ist, die auch durch den tüchtigsten Lehrer nur geweckt und gefördert, niemals aber geschaffen werden kann, ist anzunehmen, daß diese Leute ohne angeborene Neigung für das Fach auch nicht die Willensstärke hätten, um auf Kosten der knappen Erholungsstunden ihrem Lerneifer zu folgen. Ob für solche Korrespondenzschulen in Deutschland ein geeigneter Boden vorhanden ist, wird sich wohl erst zeigen, wenn irgend ein geschäftstüchtiger Pädagoge den Versuch macht, diese echt amerikanische Lehrweise hier einzuführen. Daß aber den Leitern unserer Fabriken das Arbeiten erleichtert würde, wenn unsern Meistern und Werkführern Gelegenheit geboten wäre, technische Kennt nisse zu erwerben, ohne auch nur zeitweise am Erwerbe verhindert zu sein, wird wohl jeder, der an der Spitze