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1320 PAPIER-ZEITUNG Nr. 36 Das Heilverfahren in den ersten 13 Wochen nach dem Unfall und die Berliner Unfallstationen Die Novelle vom 10. April 1892 zum Krankenversicherungsgesetz hat in § 76 c den Berufsgenossenschatten ein höchst bedeutsames Recht verliehen, indem es ihnen anheimgab, gleich vom Tage der Verletzung an in das Heilverfahren nach eigenem Gutdünken ein zugreifen. Vorher erfuhren sie von einem Unfall, und zwar häufig viel zu spät, nur durch die Unfallmeldung des Betriebes, die, so ge wissenhaft sie auch ausgeführt war, doch nur ein in den gröbsten Umrissen gehaltenes Bild von dem gab, was die Berufsgenossenschaft nach Verlauf von 18 Wochen als Unfallsfolge aus der Hand der bis dahin fürsorgenden Krankenkasse usw. empfing. Macht- und thaten- los stand sie in den meisten Fällen diesem Ergebniss gegenüber und hatte nur die Verpflichtung, ihren Beutel weit zu öffnen, wenn es der Fürsorge der Krankenkasse nicht gelungen war, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu erzielen. Die erwähnte Aenderung wurde von den Leitern der Berufsgenossenschaften überall aufs Freudigste begrüsst, denn sicherlich lag darin eine gewisse Härte, dass man dem jenigen, der für einen geschehenen Schaden aufkommen muss, die Möglichkeit nimmt, auch selbst auf die zweckmässigste Beseitigung desselben Einfluss zu üben. Nach Veröffentlichung der Gesetzesänderung wurde von den Berufsgenossenschaften eine fruchtbare Thätigkeit entfaltet. Sehr verschiedenartig waren die Maassnahmen, durch welche die Einzelnen das neue Recht für sich am besten zu benutzen gedachten. Am rich tigsten handelten wohl diejenigen, welche sich entschlossen, das Heil verfahren gleich vom ersten Tage an zu übernehmen, ohne auf Art und Schwere der Verletzungen Rücksicht zu nehmen Dies that unter Anderen mit Beginn des Jahres 1894 die Sektion VI der Brauerei- und Mälzerei-Berufsgenossenschaft, indem sie nicht nur die ärztliche Fürsorge vom ersten Augenblick an übernahm, sondern auch dafür sorgte, dass diese für den Verletzten jederzeit sofort nach dem Unfall in ausreichendster Weise bereit stehe. Zu diesem Zwecke errichtete sie zugleich mit Berliner Sektionen der Norddeutschen Holzberufs- genossenschaft und der chemischen Industrie die Berliner Unfall stationen, die zunächst 10, jetzt 17 au der Zahl, ständigen ärztlichen Tages- und Nachtdienst boten, geeignet, dieser grossen und dankens- werthen Aufgabe gerecht zu werden. Später trat eine Anzahl anderer Berufsgenossenschaften bei. Hierdurch hatte man Zweierlei erreicht. Erstens konnte man dem Verletzten sofort sachgemässe Hilfe angedeihen lassen, und von welcher Wichtigkeit dies auf den Heilerfolg ist, braucht nicht erst ausgeführt zu werden. Zweitens aber gelangte und blieb der Ver letzte in den Händen eines Arztes, der mit den betheiligten Berufs genossenschaften in dauernder Verbindung steht, jederzeit bereit, der Genossenschaft über den Stand der Dinge in jedem einzelnen Falle zu berichten. Auf die Frage, ob die grossen Opfer an Arbeit und Geldauf wendung den erwünschten Erfolg haben, geben nachstehende amtliche Zahlen so deutliche Antwort, dass der beschrittene Weg als richtig an erkannt werden muss. Laut amtlichen Berichten der Sektion VI der Brauerei- und Mälzerei-Berufsgenossenschaft wurden in 1892, also vor Einführung der Unfallstationen, von 660 gemeldeten Unfällen in Berlin 99 entschädigungspflichtig. Nach Einführung der Unfallstationen stellten sich die Zahlen folgendermassen: Zahl der Arbeiter Zahl der gemeldeten Unfälle Zahl der entschädigungs. pflichtigen Unfälle 1892 4483 660 99 1893 4905 886 86 1894 5076 1043 61 1895 5250 1182 40 1896 6600 1450 49 1897 6750 1678 42 Demnach entfielen in 1892 auf 1000 Arbeiter an zu entschädigen den Unfällen 22,08 und in 1897 nur noch 6,22. Die für Uebernahme des Heilverfahrens während der Karenz Zeit entstandenen Kosten sind erheblich, aber sie werden mehr als aufgewogen durch Ersparnisse an Rentenkapital. Der Leiter der chemischen Berufsgenossenschaft berichtete auf dem Berufsgenossenschaftstage 1896, dass durch die Erfolge in den Unfallstationen der durchschnittliche Prozentsatz der Erwerbsunfähig keit der aus dem Heilverfahren Entlassenen von 78 pCt. auf 58 pCt. zurückgegangen sei. Das Reichs-Versicherungsamt hat immer wieder die Berufs genossenschaften auf den Vortheil der Uebernahme des Heilverfahrens in den ersten 18 Wochen hingewiesen und die noch fernstehenden Berufsgenossenschaften zu gleichem Vorgehen aufgefordert. Erst kürzlich hat das Reichs-Versicherungsamt und zwar in besonderem Schreiben vom 21. v. M. dem Vorstande der Brauerei-Berufsgenossen schaft, insbesondere aber der Berliner Sektion seine besondere An erkennung für die eifrige Durchführung dieses sorgsamen Heil verfahrens aussprechen lassen und hervorgehoben, dass die Berufs- genossenschaft. welche jahrelang die höchste Unfallsziffer unter allen erufsgenossenschaften einnahm, von der 64. zur 56. Stelle hinauf gerückt war. Auch die anderen Sektionen wurden aufgefordert, wo möglich gemeinsam mit anderen Berufsgenossenschalten derselben Gegend gleiche Einrichtungen zu treffen. Die Zahlen führen eine deutliche Sprache. Sie sprechen nicht nur von geminderten Renten und gespartem Kapital; wer die ganze Unfallsgesetzgebung unter einem höheren Gesichtspunkte betrachtet, dem bedeuten sie, dass es durch diese neue Einrichtung möglich wird, den Verunglückten in weit höherer Zahl als früher Gesundheit und Erwerbsfähigkeit wiederzugeben und zu erzielen, dass, wie s. Zt. Präsident Bödiker hervorhob, anstelle der Pflicht, Krüppel zu erhalten, nunmehr die produzirende Arbeit der Genesenen getreten ist. Neuerdings hat auch Sektion I der Papierverarbeitungs-Berufs genossenschaft hinsichtlich der sich in Berlin und seinen Vororten ereignenden Unfälle das Heilverfahren in den ersten 13 Wochen über nommen. Auf Grund der in den ersten Jahren zu machenden Er fahrungen wird der Vorstand der Sektion in eine Prüfung darüber eintreten, ob die Erfolge für diese Berufsgenossenschaft gleich günstig sein werden wie bei den vorgenannten. Papiermaschinen-Filze aus Asbest Bisher wurden Filze für Papier- und Pappenmaschinen aus Wolle, Baumwolle, Hanf oder ähnlichen Faserstoffen hergestellt. Nach dem französischen Patent Nr. 272477 von Mettrier- Chaffotte und Strüver soll vorgenannten Faserstoffen Asbest in bestimmten Mengen beigemischt oder Asbest allein zur Filz fabrikation verwendet werden. Die Mischung kann derart er folgen, dass man abwechselnd Asbest- und andere Fäden nimmt, oder dass man Asbestfäden mit Fäden aus anderen Fasern umspinnt. Derartige Filze sollen nach Angabe der Er finder die bisher üblichen vortheilhaft ersetzen und dieselben besonders an Dauerhaftigkeit im Gebrauch übertreffen. (La Papeterie) Papier industrie in Italien Unter dem Titel »L’Industria della Carta-, auf Deutsch: Papier-Industrie, erschien am 15. v. M. in Milano, Via Manzoni 10, die erste Nummer einer Fach-Zeitung, die sich Wahrung der Interessen der Papierfabrikation und -Verarbeitung sowie aller verwandten Industrie-Zweige, auch der graphischen Gewerbe, zum Ziel gesetzt hat. Der Herausgeber und verantwortliche Schriftleiter, Herr L. Zuanelli, besitzt in Mailand ein Geschäft für Papierfabrik-Bedarf und ist im Fach seit Jahren bekannt. In der Vorrede betont er, dass gute Fachzeitungen in anderen Industrie-Staaten der Papier-Industrie nützliche Dienste geleistet haben. Papierfabrikation und -Verarbeitung haben in Italien in den letzten Jahren so grosse Fortschritte gemacht, dass die Gründung eines Fach-Organs zeitgemäss erscheine. Die erste Nummer ist in ähnlichem Format wie die Papier- Zeitung auf Kunstdruckpapier sehr gut gedruckt, hat zwölf Seiten gut zusammengestellten, lehrreichen Text — darunter Vieles der Papier-Zeitung entlehnt — und zwölf Seiten Anzeigen, meist von deutschen Firmen. Der Bezugspreis des monatlich zweimal erscheinenden Fachblattes beträgt für Italien 20, fürs Ausland 22 Lire. Wir entnehmen der Probe-Nummer nachstehenden Bericht der grössten italienischen Aktien-Papierfabrik, der Cartiera Italiana in Seravdlle-Sesia bei Novara, über das Geschäftsjahr 1897. Diese Fabrik stellt auf zehn Langsiebmaschinen von 160—180 cm Arbeitsbreite Zeichen-, Schreib-, Briefmarken- Papier und dergl. her. Der Zustand des Papiermarktes hat sich seit vorigem Jahr nicht gebessert. Die Erträgnisse der Fabrik waren nahezu gleich den vorjährigen. Die Arbeiten für bessere Ausnutzung der Wasserkraft des Flusses Sesia durch Anlage einer Kraftstation in Roccapietra werden fortgesetzt und sollen erhöhte Erzeugung gestatten. Es gelang zu verhindern, dass die Regierung einen Ausfuhrzoll auf Lumpen festsetze. Die Fabrik musste auf das Recht verzichten, in Zeiten guten Wasserstandes auch den Ueberfluss des Flusses Sesia benutzen zu dürfen. Die Bilanz gestattet Vertheilung von 33 Lire Dividende auf die Aktie, wie im Vorjahr. (Nennwerth der Aktie ist uns nicht bekannt. D. Red.) Lohnkampf in Schweden In der Skärblacka Papierfabrik wurde durch den Vorstand des Vereins »Einer für alle, Alle für Einen« Lohnerhöhung ver langt. Als die Direktion dies mit Hinweis auf die hohen Löhne entschieden ablehnte, legten 200 Arbeiter sofort die Arbeit nieder. (Geller Dagbladet) Wie bereits gesagt, fangen in Schweden die Ausstände an, sich auf alle Gebiete auszudehnen, besonders in den Städten. Die Kämpfe werden beiderseitig mit grosser Schärfe geführt, die aber nur selten den Ausständigen genützt hat. Das Papier fach ist bis jetzt nur in einzelnen -Fällen heimgesucht worden und wird hoffentlich im Allgemeinen verschont bleiben.