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1208 PAPIER-ZEITUNG Nr. 33 Russlands Papierindustrie Fortsetzung zu Nr. 80 lieber die Zellstofffabrihen in Russland liegen nur unvollständige Angaben vor; auch in den zollamtlichen Registern über Ein- und Ausfuhr ist bis zum Jahre 1888 keine Trennung von Zellstoff und Holz schliff durchgeführt. Es kann also keine vollkommene Uebersicht über Herstellung und Verbrauch von Zellstoff in Russland ge geben, immerhin aber ein merklicher Aufschwung der Zellstoff- Industrie bestätigt werden. Da zur Erzeugung von Zellstoff gegen wärtig fast überall das Sulfitverfahren in Anwendung ist, darf be hauptet werden, dass in einem holzreichen Lande, welches ausgedehnte Schwefel- und Kolchedan-Lager besitzt, das Gedeihen dieser Industrie gesichert ist. (Welches Mineral unter »Kolchedan« gemeint ist, konnten wir nicht ermitteln. D. Red.) Auf den Holzreichthum Russlands wurde schon hingewiesen. Für die Zellstofffabrikation bilden Wasser kräfte keine so wesentliche Bedingung wie für Papiermühlen. Reiche Kolchedan-Lager giebt es im Osten am Ural und im Norden im Gouvernement Olonez, ebenso in den Gouvernements Simbirsk, Kasan, Pensa, Tambow, an den Flüssen Moskau und Wolga, sowie an den Ufern des Don Kolchedane sind reich an Schwefel; es giebt Stellen, wie z. B. das Soimenski-Thal im Flussgebiet des Kutaiwa, wo sein Schwefelgehalt 5 pCt. erreicht. Schwefel kommt in Daghestan und Transkaspien vor. Trotz UnVollkommenheit der russischen Verkehrsmittel und trotz der stellenweise theuren Heizstoffe ermöglicht der an vielen Orten vorhandene Holz- und Schwefelreichthum die Entwicklung einer aus gedehnten Zellstoff Industrie, welche nicht nur den heimischen Markt befriedigen, sondern noch bedeutende Mengen ausführen könnte. In Russland, mit Ausnahme von Finland, befinden sich sechs Zellstofffabriken und zwar in den Gouvernements Livland, St. Peters burg, Nowgorod, Twer und Kiew; dieselben erzeugen fast ausschliess- lieh Sulfitzellstoff. Die Gesammt-Erzeugung dieser Fabriken beträgt etwa 1 Million Pud. Im Gouvernement Livland wird sizilischer Schwefel verwendet, während andere Fabriken in den inneren Gou ¬ vernements einheimischen Kolchedan verarbeiten. Die obengenannte Menge reicht aber für die heimische Papierfabrikation nicht aus, viel- zur Verwendung gelangt sizilischer Schwefel, und erzeugt wird haupt sächlich ungebleichter Stoff. Vor zehn Jahren hatte Finland noch keine Zellstofffabriken; 1890 waren deren bereits sechs vorhanden mit mehr müssen roch etwa 50 pCt. aus Finland und dem Auslande ein- geführt werden. Einfuhr aus Jahr dem Ausland Einfuhr aus Finland Insgesammt 1889 39 000 Pud 119 000 Pud 158 000 Pud 1890 106 000 „ 148 000 „ 249 000 „ 1891 169 000 „ 110 000 „ 279 000 „ 1892 118 000 „ 110 000 „ 228 000 „ 1893 107 000 „ 169 000 „ 276 000 „ 1894 509 000 " 185 000 " 694 000 „ Auffallend ist die Steigerung der Einfuhr im Jahre 1894. In Finland arbeiten sämmtliche Fabriken nach dem Sulfitverfahren; 249 Arbeitern und einer Jahres-Erzeugung von 240000 Pud. 1894 war die Anzahl der Fabriken noch dieselbe, allein die Zahl der Arbeiter hatte sich nahezu verdoppelt (427). Vom eingeführten Zellstoff war der deutsche der beste, auch theurer als jeder andere, und zwar kostete gebleichter über 3 Rubel, die besten Sorten aus der Waldhofschen Fabrik bis 4 Rubel. Nor wegischer gebleichter Zellstoff wurde in St. Petersburg mit 2 Rubel 80 Kopeken verkauft. Für russischen gebleichten Zellstoff zahlte man 8 Rubel, für ungebleichten 1 Rubel 95 Kopeken bis 2 Rubel 20 Kopeken. Fabriken zur Herstellung von Strohzellstoff giebt es in Russland nur sehr wenige und von sehr geringem Umfang. In Deutschland bestehen trotz des hohen Preises für Stroh und dessen vielfache anderweite Verwerthung 40 Fabriken für Strohzellstoff, welche ein Erzeugniss von hoher Güte und reiner Faser liefern, das mit anderem Halbstoff gemischt sehr feine Papiersorten ergiebt. In St. Petersburg wird deutscher Strohzellstoff mit 8 Rubel 50 Kopeken das Pud bezahlt. Noch vor Kurzem geschah es und wird wohl noch häufig geschehen, dass infolge reicher Getreide-Ernten und wegen des geringen Vieh bestands im Gebiete der Schwarzerde (Grossrussland) ungeheure Mengen Weizen- und Roggenstroh zu einem Spottpreise verkauft und viele Millionen Pud verbrannt werden mussten, um die Scheunen zu räumen. Die neuerbauten und geplanten Eisenbahnlinien und Zufuhr strassen dürften es ermöglichen, jenen werthvollen, für die Papier fabrikation so geeigneten Rohstoff besser als bisher zu verwerthen. Während für die Erzeugung von mittleren und geringeren Papieren, ebenso von Pappen und Tapeten vorzugsweise Holzschliff und Zellstoff in Betracht kommen, bleiben für feinere Papiere, wie Zigaretten-, Post- und besonders dauerhaftes Papier Leinenlumpen nach wie vor der unersetzliche Rohstoff. Die Gouvernements Kursk, Orel, Pensa, Tschernigow, Charkow, Poltawa, Woronesh, die Krim u a liefern alljährlich hunderttausende Pud verschiedenartiger, vorzugs weise leinener Lumpen. Tausende von Menschen beschäftigen sich in Stadt und Dorf mit dem Sammeln von Lumpen, welche zum Theil im Lande selbst verarbeitet werden, zum Theil ins Ausland gelangen, wo die russischen Lumpen, zumal die leinenen, eine sehr begehrte Waare bilden. In Anbetracht der starken Ausfuhr von Lumpen nach dem Aus ande und in der Absicht, diese zu Gunsten der heimischen Papier industrie im Lande zu behalten, ist die Ausfuhr dieses Artikels bereits seit vielen Jahren mit einem Zoll belegt, während die Einfuhr frei ist. Zum Theil infolge dieser Maassregel, hauptsächlich aber infolge Ersatzes der Lumpen durch Zellstoff ist die Ausfuhr von Lumpen allmälig gesunken. Ein- und Ausfuhr in den letzten 15 Jahren gestalteten sich folgendermaassen: Jahr Einfuhr Ausfuhr 1880 215 000 Pud 746 000 Pud 1885 75 000 „ 556 000 „ 1890 39 » 244 000 „ 1893 24 „ 293 000 „ 1894 63 000 „ 139 000 „ Gegenwärtig bestehen in Russland über 160 Papier- und Pappen fabriken, hiervon 12 in Finland. In Bezug auf die Art des erzeugten Papiers kann die russische Fabrikation in folgende Gebiete eingetheilt werden: Finland, die Ostsee provinzen einschliesslich des Gouvernements St. Petersburg und des Königreichs Polen, Mittel- und Südrussland und die südöstlichen und östlichen Gouvernements. In der Entwicklung der Papierfabrikation hat im letzten Jahrzehnt Finland besondere Fortschritte zu verzeichnen. Der für die Entwicklung der Holzschliff- und Zellstoff-Industrie förder liche Holz- und Wasserreichthum sowie günstige Zollbedingungen gaben dieser Gegend die Möglichkeit einer so massenhaften und billigen Papierfabrikation, dass dieselbe nicht nur den engeren heimischen Markt befriedigen, sondern auch noch jährlich steigende Mengen nach dem Reich und ins Ausland ausführen kann. Das in Finland erzeugte Papier ist vorzugsweise Druckpapier mittlerer Art mit einem Holzschliffgehalt von 60 —80 pCt. Es bestehen dort indess auch Fabriken, welche seit jeher feinere Sorten Post- und Schreibpapier sowie besonders feines Zigarettenpapier erzeugen. Letzteres erfreut sich in Russland, wohin es in grossen Mengen ge langt, derselben Beliebtheit, wie das weltbekannte französische Erzeugniss. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Fabriken fast gleich geblieben. 1885 waren es 11, 1889 9 und 1895 12. Die Zahl der Arbeiter betrug im letztgenannten Jahre 2051. Die Erzeugung ist bedeutend gestiegen, wie folgende Tabelle zeigt: Jahr P apiererzeugung Ai nach Russland isfuhr nach dem Auslande 1888 763 000 Pud 426 000 Pud 26 000 Pud 1890 793 000 „ 644 000 „ 84 000 „ 1892 829 000 „ 610 000 „ 174 000 „ 1898 1 220 000 „ 692 000 „ 539 000 „ 1894 1 400 000 » 730 000 „ 485 000 „ Die baltischen Provinzen, St Petersburg und das Königreich Polen liefern allerverschiedenste Papiere, von Pack- und Zeitungs papier bis zu den feinsten Arten. Der hohe Zoll, welcher die Einfuhr ausländischer Waare einschränkt, sodann die höheren Ansprüche der Bewohner der Residenz und der westlichen Grenzgouvernements spornten viele Fabrikanten an, ihre Erzeugnisse derart zu vervoll kommnen, dass sie den feinsten ausländischen Papiersorten wenig nachstehen. Die polnischen Erzeugnisse von Bristol - Karton, Post-, Zeichen-, Schreib- und Kopirpapier befriedigen den verwöhntesten Geschmack. Dasselbe gilt von den Fabriken des Gouvernements St. Petersburg, deren Erzeugung im Jahre 1893 in 13 Fabriken 1200 000 Pud, das sind ungefähr 20 pCt. der gesammten Papier erzeugung Russlands, betrug. Infolge der günstigen Bedingungen, unter welchen die fast aus schliesslich mittlere Sorten herstellenden finländischen Fabriken arbeiten, sind sie gefährliche Mitbewerber für diejenigen St. Peters burger Fabriken, welche dieselben Sorten erzeugen; dagegen werden jene Fabriken, welche feinere Sorten erzeugen, von diesem Mitbewerb wenig getroffen. Diese haben in nicht ganz fünf Jahren ihre Er zeugung nahezu verdoppelt. Grossrussland, ebenso das südliche und westliche Russland haben ausgedehnte Waldungen, sodass Holzschliff und Zellstoff billigen Ersatz für Lumpen bilden. Anderseits ist der Preis für Lumpen hier nicht besonders hoch. In Kiew und den angrenzenden Gou vernements besteht grosse Nachfrage nach Zuckerpapier. Die meisten Fabrikanten dieser Gegend erzeugen Papier von guter Beschaffenheit, aber wenig sorgfältiger Ausstattung. Hier werden gegen 500000 Pud Zellstoff und ebensoviel Holzschliff jährlich erzeugt, manche Fabriken haben ihre Erzeugung in den letzten vier bis fünf Jahren nahezu verdoppelt, und es giebt einzelne Papierfabriken, deren jährliche Er zeugung 400000 Pud beträgt. Die Fabriken in den östlichen und südlichen Gouvernements, in Wjatka, Pensa, Simbirsk und dem Gebiete der Donschen Kosaken verarbeiten fast ausschliesslich Lumpen. Manche von ihnen erreichen eine jährliche Erzeugung von 200000 Pud Post-, Schreib-, Album-, Druckpapier usw. Die Herstellung des Papiers aus Lumpen stellt sich viel theurer als die aus Ersatzstoffen. Die Verwendung von Holzschliff ver schlechtert aber das Papier ungemein, und es haben sich daher ver schiedene Staaten veranlasst gesehen, Untersuchungsstationen für Papier zu errichten. In Russland besteht eine derartige Anstalt seit 1890, jedoch bloss für die Expedition der Staatspapiere, nur ausnahms weise werden daselbst seit 1894 auch für Private Untersuchungen ausgeführt. Schluss folgt