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A-orter Wochenblatt. Mittheil nn gen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Neunter Jahrgang. Preis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post: 1 Thaler, bei Beziehung des Blattes durch Botengclcgcnheik: SU Nettgroschen. 1. Erscheint gede Mittwoche. 3. Jan. 18-44. Betrachtungen am Neujahrsmorgen. ,,Wir thun weise, mit unseren verflossenen Stun den zu sprechen" — sagt ein treffliches Dichterwort. Hat dasselbe irgendwenn Geltung, so hat cs selbige bei dem Wechsel des Jahres, bei dem Uebertritt in einen neuen Zeitabschnitt, der eben so dunkel ist, wie die ihm vorausgcgangenen. Wissen wir von dem Kom menden nichts, so steht es dagegen in unserer Macht, bas Vergangene vor unsern Biiken aufzurollcn. Weise ist es, wie der Spruch sagt, dies zu thun. Denn aus dem Bilde der Vergangenheit entnehmen wir Regeln sür unser Verhalten in der Zukunft — Trost, Weisheit und Muth, wenn wir selbst dies wollen. Was ein Jeder von uns während des nun ge schiedenen Jahres im häuslichen Kreise erfahren, er lebt, erlitten oder gewonnen hat, das bleibt der Ab rechnung jedes Einzelnen überlassen. Hier davon zu sprechen, ist der Ort nicht. Mancher von uns wird bei dieser Abrechnung Verluste zu beklagen und Stun den des Leids und der Trauer, der Verkennung und Täulchung, der Lieblosigkeit und Verfolgung herauf zu beschworen haben. Aber Wenige wird es geben, die dagegen nicht auch süser Freuden zu gedenkest, die nicht mindestens Eine Blüthe der Wonne vom Bau me ihres Schiksals gebrochen, die nicht auch an ge nossene Liebe und Lust sich zu erinnern, die nicht Ur sache haben, dankbar aufzubliken zu Dem, der die Stürme und die Lhränen, wie die Blumen und Ge sänge uns gcschikt hat. Wer ganz unzufrieden wäre mir dem, was das verflossene Jahr ihm gebracht hat, würde wahrscheinlich selbst und allein die Schuld tra gen. „Einen so grosen Erdschollen, als der Mensch zum Grabe braucht, hat er auch nur nüthig, um froh zu sein", sagt Einer unserer verstorbenen teut- schcn Dichter, und wir meinen, er hat Recht. Widmen wir aber der Betrachtung dessen, was im öffentlichen Leben geschehen ist, und zwar zunächst im öffentlichen Leben unserer nächsten Umgebung, was im Kreise der Gemeinde an uns vorübcrgegangen ist, ci< ncn Augcnblik, so haben wir vor Allem dankbar zu bekennen, dass uns grose Unglüksschläge im verflosse nen Jahre nicht getroffen haben. Noch hat das ver heerende Element unsere Wohnungen, wie unsere Flu ren unversehrt gelassen; noch freut sich Jeder von uns seines schüzcnden Obdachs und seiner grösercn oder geringeren Habe; noch wohnt Thcilnahme und Anhänglichkeit am heimischen Heerde; noch frisst nicht innerer Bürgerkrieg am Marke unseres Wohlstandes und verbittert den Feierabend der Zusammenlcbenden. Zwar gicng der allgemeine Nothstand des vergange nen Jahres auch an unserer Stadt nicht spurlos vor über. Aber wir können nunmehr wenigstens sagen, er gieng vorüber. Auch mögen wir uns freuen, dass noch die eigene Kraft stark genug war, das Uebel mildern zu helfen, dass noch das Scherflcin, welches das Mitleid der Burger gewährte, ausgcreicht hat, die Stunden der Noth zu verkürzen, dass wir nicht, wie so viele andere Gemeinden, fremde Hülfe in An spruch zu nehmen gcnöthigt gewesen sind. Dass noch ausserdem Manches zu wünschen übrig bleibt, wer möchte das leugnen? Aber wo wäre das glükliche Eiland, dessen Bewohner gar keine Wünsche mehr hätten? Dass Misverstandnisse und Jrrthümer auch an uns sich wagen, wer wird es nicht zugcstehcn? Aber wv wären die Menschen, die dergleichen nickt zu beklagen hätten? Hoffen wir daher, dass die ge sprungenen Fäden in jeder Hinsicht wieder geknüpft und alle Beziehungen eines frischen, freien Gemeinde lebens wieder hergestcllt werden. Der Baum ist breit, der Schatten giebt, Und Keiner braucht den Andern zu verdrängen; sang Göthe. Möge daher unter dem Laubdache deS Bürgerthums kein Gedränge entstehen, als das deL "