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Pulsni her Tageblatt 84. Jahrgang, Ar. 195, Seite 9 Sonntagsbeilage für das Pulsnitzer Tageblatt und das Ohorner Tageblatt HAÄe m öen M-nö» Und wenn du denkst, Der Mond geht unter — Der geht nicht unter, Das scheint bloß so. In der Tat geht er ja auch nicht unter, ebensowenig wie er aufgeht, weil es im Weltall kein Oben und Unten, kein Hinten und Vorne gibt; aber er ist ein interessanter alter Herr, und es ist schon besser, man guckt ihm erst ins Gesicht, wenn man auf der Sternwarte steht, als etwa auf der Straße, wo man überfahren werden könnte. Die Trep tower Sternwarte, die ich mir zu einem längeren Nacht- befuch auserwählte, ist insofern bedeutsam, als sie immer Noch das längste Fernrohr der Welt besitzt, was uns Laien bekanntlich gewaltig imponiert. 1896 hat man es für rund 250 000 Mark erbaut; es ist 21 Meter lang, mit einer Linse von 68 Zentimetern Durchmesser, und würde heute rund 600 000 Mark verschlingen. Das Treptow-Rohr ist 3 Meter länger als das der amerikanischen Derkas-Warte und 6 Meter länger als das drittgrößte auf dem Observatorium Lick bei San Franzisko. Abends um 10 Uhr erschien ich und wurde zuerst einmal zu den kleinen Rohren geführt, weil der Mond hinter den Bäumen zu verschwinden drohte und ich gar so gern mal be ruflich in den Mond geguckt hätte. Er zeigte sich in halber Größe mit seinen Kratern und Ringgebirgen, den Seen und Flecken. Seine Anziehung bewirkt bekanntlich auf der Erde Ebbe und Flut. Man weiß es, aber es ist doch seltsam,- dies zu denken, während man durch ein Glas ihm mitten auf den Leib sieht. Mein erster Irrtum wurde berichtigt, als ich glaubte, der Mond müsse mir in einem großen Fernrohr viel größer erscheinen. Das war nicht der Fall. Mit bloßem Auge sieht man ihn in fast gleicher Größe, nur wirkt er durch die Linse wesentlich deutlicher und Heller. Fixsterne werden selbst in den größten Rohren nicht größer, weil die Ent keimungen zu gewaltig sind. Der nächste Fixstern (außer andrer Sonne), Alpha im Zentauren, ist 4,25 Lichtjahre Mtfernt, ein Lichtjahr aber bedeutet 9,5 Billionen Kilo meter. Wer kann sich räumlich eine Strecke von 40 Billionen Kilometern vorstellen? Oder etwa, daß andere Fixsterne 2 Millionen Lichtjahre von uns entfernt sind, also 19 Trillio nen Kilometer weit „in der Luft schweben"? Da kann man ruhig noch längere und ärkere Fernrohre bauen, und die Sterne werden um keinen Deut größer erscheinen. Da starrt man nun hinauf in den unendlichen Himmel und glaubt, wenn man ein Auge schließt und das andere gegen die Linse drückt, man käme der abstrakten Wissenschaft der Astronomie etwas näher und könnte auf diese Weise ein wenig aus den Geheimnissen des Weltalls ergründen. Das Gegenteil ist der Fall: Je länger man schaut, desto mehr gibt's zu sehen. Da sieht man nun den Jupiter, den größten der Planeten, mit seinen 9 Monden, „nur" 777 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Von den Monden sind 2 oder 3 sichtbar; wenn man Glück hat, kann man den vierten auch noch entdecken. Die anderen hat noch nie jemand gesehen; sie sind photographisch entdeckt und dann errechnet worden. So weit sind wir fa seit Kepler, daß wir Sterne, die man nicht sieht, aus dem Einfluß, den sie auf andere ausüben, errechnen kann: auf Größe, Gewicht, Schwere, Masse, Durchmesser, Umlaufzeit und mittlere Entfernung von der Sonne. Auf der anderen Seite des Himmels tritt uns der Saturn ins Rohr mit seinem Ring, der sehr deutlich zu sehen ist, wenn er auch kaum größer erscheint als ein ganz gewöhnlicher Verlobungsring. Das ist ein wahrhaft eigenartiges Bild, wenn man findet, daß dieser Planet mit den 10 Monden und dem gelblichen Ringnebel an der schwarzen Himmelswand zu kleben scheint. Inzwischen waren oben die Wolken verschwunden, so daß man sich auch den Fixsternen zuwendon konnte. Das große Rohr wurde gedreht und auf den Sirius fixiert, das hellste aller Gestirne am Firmament, da „nur" 8 Lichtjahre entfernt. Sein berühmter Begleiter ist auch erst errechnet worden, ehe man ihn zum ersten Male vor die Linse bekam. Erheblich schwächer wirkt der Sternhaufen im Herkules, der 36 000 Lichtjahre entfernt ist und auf den zu sich die Sonn« bewegt. Als etwas Besonderes entpuppt sich die Augen probe der Araber, der Mizar im Großen Bären, denn er ist nicht nur ein Doppelstern, sondern hat auch noch ein „Resterchen", besteht also aus drei „Teilen". Nachdem ich mir noch ein paar Spiral-, Ring- und Gasnebel angesehen hatte, wollte ich natürlich auch einige Sternschnuppen und Kometen erleben. Ersteres gelang mir, allerdings nicht im Fernrohr, und jedesmal habe ich mir nach altem Brauch etwas gewünscht, nämlich, daß recht bald ein Komet auftauchen möge. Doch der Astronom belehrte mich, die Kometen kämen nicht von selber, sondern nur so, wie es die Astronomen ausgerechnet haben. Zum Beispiel erscheint der Halleysche Komet alle 76 Jahre, andere alle 400 oder 2000 Jahre, manche kommen gar nicht wieder. Das Seltsamste aber an solch einer Nacht auf der Stern warte ist jene wundervolle überirdische Ruhe, die einen überkommt. Erst wenn man in die vieltausendjährige Welt (die Sonne allein soll 3 Milliarden Jahre alt sein!) schaut, fühlt man sich als Mensch so furchtbar klein und nichtig. Da sind Sterne, die längst erloschen sind und doch noch leuchten und viele tausend Jahre leuchten werden, weil ihr letztes Licht trotz seiner Geschwindigkeit von 20 Millionen Kilometern in der Minute immer noch nicht zu uns ge drungen ist. Da ist unsere Erde, deren Größe wir kennen, daneben die Sonne, in die man 1 300 000 Erdkuge-n stecken kann, um sie zu füllen, und dann sind da weit entfernt an dere Sonnen, wie der Sdoradus in einem südlichen Stern bild, die sind wieder hundertmal so groß wie unsere Sonne. Sonnenfinsternis Am 31. August dieses Jahres tritt der Mond zwischen Sonne und Erde und wird unser Muttergestirn während 80 bis 100 Sekunden vollständig verdecken. Wir jedoch wer den von dieser totalen Sonnenfinsternis nichts merken, wir werden schlafen, da sich dieser Vorgang auf der anderen Seite der Erdkugel abspielt, nämlich in Kanada und den Vereinigten Staaten nachmittags um 3.30 Uhr. Volksglauben und Sonnenfinsternis sind seit uralten Zeiten eng miteinander verquickt, und die Furcht vor der verdunkelten Sonne ist in vielen Gegenden heute noch nicht gewichen. Zunächst glaubte man, daß durch das Nachlassen der Sonnenkraft die bösen Geister freies Spiel bekommen. Man erwartete Unglück und Seuchen für Mensch und Vieh. So gebot bei der großen Sonnenfinsternis von 1654 der Rat zu Nürnberg, in Speise und Trank sich zu mäßigen und des Wandelns im Freien sich zu enthalten. Eine andere Anordnung vom gleichen Jahre empfiehlt als Vorsorge gegen die Gefahren neben dem Schlucken von be stimmten Pillen ein 12tätiges Fasten. Als in Frankreich für den 1. April 1764 eine Sonnenfinsternis angesagt wurde, mußten die Zeitungen das ängstliche Volk vor den angeb lichen Gefahren beruhigen. Die Pfarrer wurden aufgefor dert, den Gottesdienst früher als gewöhnlich beginnen zu lassen, weil etwa um 10 Uhr die Sonnenfinsternis die ge fürchtete Dunkelheit verbreiten wird. Ja, selbst vor 80 Jahren war man noch nicht frei von dieser Angst. So wurde die Münchener Bevölkerung vor der Sonnenfinsternis am 28. Juli 1851 von Entsetzen ge packt. Man glaubte allgemein an den Untergang der Welt, an das Durchbrechen der oberbayerischen Seen und das Hereinbrechen einer Sintflut. Heute sieht das alles nüchterner aus. Photoapparate und Meßgeräte stehen für den bedeutenden, aber kurzen Augenblick bereit. Wochenlang vorher wird alles geprüft und eingestellt, und als Resultat erhalten wir statt des Welt untergangs ein paar neue astrophysikalische Erkenntnisse. Die auffälligste und für jeden Menschen, der einmal Ge legenheit hatte, sie zu scheu, eindrucksvollste Erscheinung bei einer totalen Sonnenfinsternis ist die Korona. Pech schwarz steht der Mond im Augenblick der Totalität am Himmä. Seinen Rand umzüngeln blutigrote Flammen, die sogenannten Protuberanzen. Ihnen gilt die besondere Aufmerksamkeit, um aus ihrer Beschaffenheit und ihrem Spektrum einiges über die Sonnenoberfläche zu erfahren. Außerdem wird jedesmal die Lichtablenkung der in der Nähe der Sonne befindlichen Sterne nachgeprüft. Sehr viele Aufgaben harren des Astronomen in den wenigen Sekunden, Lie ihm zur Verfügung stehen. Hoffentlich klappt es diesmal am 31. August!