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von kommendem Leid wollte nicht Weichen, und still schlich die Arme heim und schaute nach den vielen Lichtern, die am Abend die Stadt erhellten. Bald drang die Kunde durch die Stadt und kam zur Mutter Hentschel: Drei Soldaten hatten das Leben verwirkt und sollten nm Blascwitzer Tännicht durch Erschießen vom Leben zum Tvde gebracht werden. Da packte die arme Frau billcre Verzweiflung, sie ließ sich ein Gnadengesuch schreiben, sie ging manchen Weg der Bitte, bis endlich der König das strenge Urtcil des Kriegsgerichtes milderte und verfügte, die Verurteilten sollten würfeln, einer von ihnen sei unwiderbringlich dem Tode verfallen, die beiden anderen sollten zu schwerer Hast als Raugefangene eingeschmiedet werden. An dem bestimmten Tage halten sich viele Dresdner auf dem freien Platze am Blasewitzer Tännicht eingesunden, um mit angenehmen Gruseln der Vollstreckung des Urteils beizuwohnen. Mutter Hentschel lehnte an einem Baumstamm, kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten. Würde sie den Sohn fallen sehen? Würde er ihr erhalten bleiben? Unter Tröst: - melwirbel und militärischer Bedeckung nahten, die drei Jnsaw teristen. Der junge Hentschel sah bleich und abgehärmt aus, doch ging er ruhig und gefaßt, und seine Augen suchten, Vergebung heischend, die Gestalt der Mutter. Die leiden anderen waren wilde, verwegene Gesellen, die selbst auf dem Todcsweg ihren Trotz nicht verbargen. Auf einem Tisch stand der Würfelbecher. Einer nach dem andern trat heran, die Würfel rollten. Dem ersten klapperten, im plötzlichen Anblick der todbringenden Gewehre, der atemlos harrenden Menge, die Zähne gegeneinander, seine Hand war kaum imstande, den Becher zu halten. Der zweite warf den Kopf zurück, frech schaute er über die Menge hin. Da trat der junge Hentschel hinzu, schüttelte den Becher, die Würfel fielen, er hatte nur vier! Man band ihm die Hände, legte ihm eine Vinde um die Augen und führte ihn an den Waldsaum Zehn Mann traten vor, die Trommeln wirbelten und übertönten das Krachen der Gewehre, den Todesseufzer des armen Burschen Er fiel, und nicht weit davon brach an dem Stamme einer Fichte eine alte Frau tot in die Knie. Ein Herzschlag hatte sie mit dem Sohn vereint. Die beiden Geretteten aber wurden nach den Kasematten geführt, das waren Gewölbe im massiven Bau der Stadtmauern, die jetzt als Keller die nen, nur erhellt durch das dürftige Tageslicht, das durch runde Lucken in dumpfe Räume eindrang. Eine lange Kette war um ihren Fuß geschmiedet, daran ein schwerer Klotz hing, den die Baugefangenen unter dem Arm mitschleppen mußten, wenn sie zur Arbeit beim Straßenbau, beim Holz sägen oder andrer bestellter Tätigkeit geführt wurden. Dann legten sie ihren Klotz hin, bis der Abend sie wieder in ihr dumpfes Gefängnis brachte. Vergessen, verweht solch Einzelschicksal im großen Ge schehen der folgenden Zeiten. Unbegreiflich der humaneren Aufgeklärtheit unserer Tage! keZmL vertkow. —— Nur keinen Bubikopf... —— Von Olly Ferlin-Wolf Vierzehn Tage nach Weihnachten gab die alte Frau verwitwete Rentmeister Rolle den in der Reihenfolge auf sie entfallenden Kränzchenkaffee. Würdevoll angetan mit schwarzseidener Schürze über kaffeebraunem Tuchkleid und schwarzer Spitzenecke auf dem silberweißem Scheitel, hieß sie ihre Gäste, alles längstver traute Freundinnen aus der Kindheit und Jugendzeit, selbst am Eingang willkommen. Vier Jahrzehnte hindurch war sie örtlich von ihnen getrennt gewesen. Erst nach dem Ableben ihres Gatten war Frau Rentmeister Rolle in die alte Heimat zurückaekehrt und hatte eifrig den alten, lieben Verkehr aufs neue ausgenommen. Ihr einziger Sohn Herbert hatte ihr zuliebe einen aus sichtsreichen Posten an einer staatlichen Kuranstalt aufgegeben und sich in der nahen Kreisstadt als praktischer Arzt selbst ständig niedergelassen. Nach verhältnismäßig kurzem, doch hartem Kampf hatte er sich durchgerungen zu gesicherter Existenz, die alle kleinen und größeren Annehmlichkeiten die ses Daseins sich zu leisten erlaubt. Und — was tat er eben nicht alles seiner alten Mutter zuliebe, der junge Doktor. „Er möchte dir wohl am liebsten die Sterne vom Himmel heruntcrholen, wenn es möglich wäre?" meinten die alten Damen, als sie den überaus reichen Gabentisch, den der Sohn der Mutter beschert hatte, bestaunten und bewunderten. Da stand ein bequemer, mit elektrischen Fußkissen ver sehener, rindlederner Ohrenlehnstuhl. Ueber diesen sorgsam yingcbreitet lag ein kostbarer, skunksverbrämter Persianer- Mantel. Für das leibliche Wohl war durch einen mit allen Gaumeufreuden reichlichst gefüllten Frühstückskorb gesorgt und zu geistigem Genüsse laqeu in Prachteinbänden die Neu erscheinungen auf schöngeistigem Gebiet bereit; denn die Frau Rentmcisterin war leidenschaftliche Literaturfreundin. Auch auf rhre andere Liebhaberei, die Kakteenzuchl, war durch eine reizende Einpflanzung nicht vergessen worden. „Er verwöhnt dich ja, wie ein Bräutigam seine Braut!" „Weil er eine solche eben nicht hat!" „Auch rem gar nichts hat er vergessen!" So schwätzten die alten Damen durcheinander. „Er will mir halt zu gerne alle Entbehrungen, die sein Studium meinen Seligen und mir auferlegt hat, doppelt vergelten, der gute Junge. Bin ja selber sprachlos gewesen über die vielen, schönen Sachen. Könnt mir's glauben, ich habe lachen und weinen müssen zugleich. Für mich alte, siebzigjährige Frau soviel Geld auszugcben. Ich habe vor lauter Aufregung die ganze Nacht nicht einschlafen können. Nur aus der Erfüllung meines größten Wunsches ist halt wieder nichts geworden." Ach, sie wußten es alle, die alten Freundinnen: Mutter Rolle wünscht sich sehnlichst ein Schwiegertöchterchen zugesührt. „Schon unser Vater hat Enkel zu erleben gehofft. Nun liegt er bereits zehn Jahre unter der Erde. Und zuletzt muß auch ich diese Hoffnung unerfüllt mit ins Grab nehmen", seufzte Mutter Rolle. „Wie alt ist er denn eigentlich der Herr Doktor?" „Kommendes Frühjahr wnd er achtunddreißig." „Daß er aber auch so darauf erpicht ist, daß kein Bubi kopf sein darf!" „Es gibt doch so viel nette und reizende junge Mädchen in unserer Gesellschaft. Freilich mit langen Haaren läuft jetzt schwerlich noch cine herum." „Und ob das dann gerade die Richtige wäre, ist noch die Frage" „Na, laßt es nur gut sein, zuletzt nimmt er sich doch noch einen Bubikopf!" — „Pst", dämpfte Mutter Rolle den eifrigen Wortschwall, „er kann alle Augenblicke kommen." „Der Herr Doktor! Da wollen wir nur von etwas anderem reden!" Doch tue Vorsicht war umsonst. Doktor Rolle kam nicht nach Hause. „Man wird ihn zu einem Patienten geholt haben", meinte seine Mutter. „Anna", fragte sie ihre langjährige, bewährte Stütze, „hat mein Sohn angerufen? Nicht, dann wird er keine Zeit dazu gefunden haben " Das geschah in dec ersten Stunde des Kränzchens und als sich dieses über drei Stunden ausgedehnt hatte und sich die alten Damen empfahlen, hatten sie keine Gelegenheit ge funden, den Sohn des Hauses zu begrüßen, da er noch immer nicht erschienen war. „Gib acht, Rentmeisterin, das hat was besonderes zu bedeuten", scherzten sie noch. — Mutter Rolle kam das außergewöhnlich lange Aus bleiben ihres Einzigen selbst nicht mehr geheuer vor. Sie hielt vor Unruhe das Sitzen nicht aus und lief in dem nun wieder friedlich still gewordenen Gemach rastlos her und hin. Endlich — vom Treppenhaus hereindringendes Geräusch, die Flurtür wurde aufgeschlossen — er kam. Mutter Rolle 2 atmete aus, doch bevor sie das Vorzimmer erreichen konnte, trat der Erwartete schon ein. Aber diesmal nicht ernsthaft besonnen, wie gewöhnlich, sondern ins lebhaft aufgeregte ver ändert. — Wie seine Augen glänzten, sein Antlitz gerötet war. Nur an ein einziges Mal konnte die Mutter sich er innern, ihn in ähnlicher Verfassung gesehen zu haben, damals als er seinen Doktor bestanden. Aber diesmal war ihr so gar keine Veranlassung zu dem absonderlichen Ve halten des Sohnes erfindlich. Die vom Vater ererbte Biberfellmütze hatte er achtlos auf den Ttsch geworfen, kam lächelnd auf sie zu und schloß sie in seine Arme. Mutter Rolle erschien nur eines möglich — er hatte getrunken, zuviel getrunken. „Aber Herbert", klagte sie vorwurfsvoll, „duweißt ja, daß du gar nichts vertragen kannst!" Zunächst war der Doktor begriffsstutzig, dann lachte er, bis ihm die Tränen kamen. „Muttchen, Muttchen, das sagst du glänzend! Ein Trunkener bin ich freilich, doch nicht vom Wein, vom Glück, meine gute Mutter! Du staunst, gelt!" „Hier, setz' dich zunächst mal nieder", damit zwang er sie sanft in den neuen Lehnsessel hinein, nahm ihre Hände zwischen die seinen und preßte sie, daß die Greisin mit Mühe ein Stöhnen verbiß. „Denke dir an", so fuhr er weiter fort, „was ich so lange vergeblich gesucht, habe ich nun wirklich gefunden — die herrlichsten, aschblonden Zöpfe, die man sich vorstellen kann!" „So, so. Nun, und die Inhaberin derselben?" „Oben im Klosterholz", durch dasselbe führte ihn der Heimweg, „hatte sie sich auf einer Bank niedergelassen. Sie will zur Uebecraschung der Ihrigen heimlich das Skifahren erlernen und hat sich dabei das Fußgelenk verstaucht. Als sie mich, den Fremden, gewahrte, hat sie sich erheben wollen, sank aber mit einem. Wehlaut wieder auf den Sitz zurück. Ich stellte mich als Mediziner vor und sie HE sich mir, als ihrem gottgesandten Retter in der Not, ohne Prüderie, an- vertraut. Ich habe sie nach vergeblichen Lausversuchen einfach auf die Arme gehoben und nach Schellenbach hinabgetragen." Frau Rentmeister Rolle hatte wiederholt stumm den Kopf geschüttelt. „ Und Zöpfe hat sie, Mutter, ich sage dir, einfach großartig!" „Ja, und wie heißt sie denn eigentlich, wer ist sie und wie alt dürfte sie sein?" „Beim alten Henkel drüben, dem Kommerzienrat, weilt sie zu Besuch Ja und", er legte einen Augenblick den Finger überlegend an die Schlafe, „Gertrud heißt sie, o ja, f den anderen Namen habe ich verschwitzt Wie alt sie sem ' kann? Nun herrsch, jung gerade nicht mehr, aber dafür ist s sie eben auch kein Gänschen und keine Zimperliese. Jeden- - falls, Mutter, die würde mir gefallen, schon die Zöpfe sind was wert." Mutter Rolle faltete ergeben die Hände: „Wenn's Nur die Richtige wäre, niemand würde sich mehr darüber freuen, wie ich!" Aber solange kann das doch gar nicht gedauert haben", meinte sie, während er sich zum Bcquemsein anschickte. Er habe mit seinem Herzglimmen nicht unter die scharfe Lupe der verehrten Kränzchendamen geraten wollen und sei dieserhalb im Ratsstübel eingekchrt, gestand er. „Aha", nickte Mutter Rolle. Also hatte ihr Verdacht doch keinen ganz Unschuldigen betroffen. -I- * -1- Aho geschah es kurz nach Weihnachten vor einem Jahr. Und dieses Jahr nun hat das Christkind der guten Mutter Rolle wirklich ihren größten Wunsch erfüllt. — Unter dem ewig neuen Wunderbaum in ihrem Staatszimmer stand ihr Einziger, der stattliche Herr Or. meck. Herbert Rolle mit einem Bräutchen am krummen Arm. Das war ein hold seliges, jugendzartes Mädel, das vor Wonne erschauernd das Köpfchen an des Dokters Schulter barg. Und dieses Köpfchen verkörperte einen ganz ausgesprochen reizenden, goldflimmernden — Bubikopf! — Auf dem türkischen Plüschsofa aber saß mit Mutter Rolle, Arm in Arm, bescheiden im dämmrigen Hintergrund die hübsche, stattliche Frau mit den starken, aschblonden Zöpfen — Doktor Rolles Ideal. Sie lächelte verschmitzt. Es ist seine — zukünftige Schwiegermutter! Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein. Kuriose sächsische Haussprüche. Die hübsche deutsche Sitte der Haussprüche, die sich, wie in vielen anderen deutschen Gauen, auch in Sachsen und den angrenzenden Gebieten findet, scheint erfreu licherweise hier und da wieder aufzuleben, wie man an manchem Neubau beobachten kann. Kurios muten die nachstehend aufgeführten historischen Haussprüche an. Ein lebenslustiger Spruch aus neuerer Zeit: „Gräulich Wetter, Grämlich Gesicht Graues Gemäuer Passen mir nicht! Lachende Sonne, Lustig Blut, Leuchtende Farben, Die stehen gut! Zur Bekräftigung dieses Spruches ist das alte Haus farb fröhlich renoviert und ein Strauß roter Rosen unter den Spruch gemalt. Torgau. Bäckerstraße. * Ein althistorischer Spruch an einem neuen Hause: „Wenn dies Haus so lang nur steht Bis aller Hatz und Neid vergeht Dann bleibt's fürwahr so lange stehen Bis einst' die Welt wird untergehen. Es wird kein Haus so schön gemacht Es kommt ein Spötter, der's verlacht. Drum laß sie reden, schweig fein still, Es baut ein jeder, wie er will." Erbaut mit Gottes Hand im Jahre 1928. Freyburg/Unstrut, Eckstüdter Straße. Ein historischer Hausspruch gegen das Besser wissen der lieben Nachbarn: „Allen gefallen ist Kunst Bedarfs Weil Meister Klügling urteilt sehr schars Lieber sorge für dich und die deinen, Laß Gott sorgen für mich und die meinen." Am Bürgerhaus des Tanberg von Birn, der die Helen Pröbstin aus Nürnberg freite. Bad Schmiedeberg. 1690. * Historische Haussprüche an Bauten, die nach Brän den neu erbaut wurden: „Dieß Haus willst du, o Gott, in Gnaden stetz behütten. Laß Höchster ja nicht mehr die Flammen grimmig Wütten Wie leider ist geschehen, ach wende Gluth und Gluth Und alles Unglück ab, schütz uns sambt Hab und Guth." Bad Schandau/Elbe, Gasthaus am Markt. 1679. * „Durch Krieg, des Friedens Feind, ward in die Asch verwandt Mein erst geziertes Werk, durch Schwedisch Schwert - und Brand. Bei goldner Friedenszeit hilf Gott dem weisen Nath, der aus dem Asche-Hauff 1648 mich renovieret hat." Schmiedeberg, am Rathausgiebel. * „Nach dem ich Sieben Zwantzig Jahr Ein Asche-Hauff gewesen war Hat mich durch Gottes Gnaden Hand Nun wieder bracht in diesen Stand." Meißen, am Haus „Goldne Sonne" des Jo hann Jacob, Musicus Instrumentalis, anno 1705. * Die Rosenmühle ist der Name aller dieser Ge bäude, zu welchen Lehen jeder Ein- und Ausgang hat. Durch Gottes Schutz und Vorsorge hat sie lange Zeit ihren Besitzern Nahrung und Segen gegeben. Ist sie aber 1754 den 7. November Verbänanis-weise und dunkel des st