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sieht sich der Wald im Kleide des Rauhreifes an; jedes Zweiglcin glänzt dann wie Kristall Die Rehböcke im Walde tragen weiches Bastgeweih; die Raubtiere haben jetzt gutes Pelzwerk. Schneefinken, Krammetsvögel, Nebelkrähen und Nußhäber sind Wintergäste. Die Tage werden langsam länger! o—o Die letzte Vorstellung o—»o Skizze von Heinz Lorenz „Ich habe den Ring vor Jahren bei Drouet in Paris gekauft. Er stammt aus dem Nachlaß des damaligen italie nischen Botschafters." Barbette steht am Fenster und dreht den Ring zwischen den Fingern. Es ist ein breites Goldgeflecht mit einem großen Beryll, in dessen tiefem Grün ein roter Fleck leuchtet. „Merkwürdig", murmelt sie, in den Anblick versunken. „Es sieht aus wie ein eingeschlossener Blutstropfen." „Mag sein, daß Blut an den Ring klebt. Er soll von den Borgias stammen". Er zuckt die Achseln. „Mir hat er nur Glück gebracht. Und das letzte war, als ich Sie, Barbette, kennen lernte." — Er tritt auf sie zu: „Ich möchte Ihnen heute, am letzten Tage Ihres hiesigen Auf tretens, den Ring schenken. Möge er auch Ihnen Glück bringen. — Sicher paßt er Ihnen auf den Zeigefinger." „Wirklich, er paßt. Aber ..." Sie sieht ihn an. Er errät den Zweifel, der in ihre Augen getreten ist, Augen, die sie mit den Tieren, die sie bändigt, gemeinsam hat: die Sterne zeigen das Bernsteingelb des bengalischen Tigers. Lächelnd, aber doch mit einem gewissen Ernst sagt er: „Ich fordere nie Gegenleistungen, Barbette. Nie nehme ich, was mir nicht völlig freiwillig und selbstlos gegeben wird." Impulsiv ergreift er ihre Hand und reißt sie an den Mund. Teufel, wieviele Frauen er auch schon gehabt, diese da möchte er nicht antasten! Und gerade diese da liebte er so, daß er sich für sie opfern könnte. Ehe sie sich trennen, fragt er etwas zögernd: „Sagen Sie doch, mir schien gestern der Tiger nicht ganz so wie sonst. Ich habe jetzt zehn Vorstellungen gesehen, aber ..." Sie beruhigt lächelnd: „Blaja hat manchmal solche Ansälle. Sie ist noch nicht lange in der Arbeit. Man muß sie im Auge behalten. Löwe und Tiger zusammen, das ist keine Kleinigkeit. Aber sie muß, wie ich will." Sie ballt die Hand zur Faust, und ihre gelbbraunen Augen funkeln. „Ist Ihre Nummer fertig?" fragt der Inspizient des Varstes. Der herkulische Mann mit dem entstellten Gesicht nickt. Die eine Gesichtshälfte ist eine einzige Narbe. Glatt und blaurot spannt sich die Haut über die Knochen, das Ohr fehlt. Blaja hat das getan. Ein Raubtier, das Menschen fleisch gefressen, lechzt stets nach mehr, sagen die Jäger. Und wenn es auch nur ein Ohr war — Blaja hat Menschenfleisch gefressen „Auf!" sagt Barbette, die mit zwei deutschen Doggen hühnenfertig neben dem Mann steht. Dieser öffnet die beiden Käfige, die durch einen Gang mit dem Zwinger auf der Bühne verbunden sind. Er hetzt die Tiere, die träge in das Licht blinzeln: „Avanti, Indra! . . . Blaja . . .! Blaja, perbacco!... Eh, Colonel, scht!. . . Blaja. . .! oh questa mal'detta . . .!" Ein Klingelzeichen. Der ehemalige Tierbändiger, Bar bettes Lehrmeister, wendet sich ihr zu: „Acht auf Blaja! Weigert sie das Springen, so laß sie lieber! Barbette . . . hörst Du?" „Ich höre." Barbette Packt die Doggen an den brei ten Halsbändern und geht in das Dunkel der Bühne hinein. Die Masse, dicht gedrängt, wartet auf die große Nummer. Die Musik spannt schon die Nerven mit dumpfen Trommeln, Bässen und Fagott, die den tropischen Urwald vermitteln sollen. Der Vorhang teilt sich, Finsternis klafft auf, aus der nur einige phosphoreszierende Punkte unruhig heraus leuchten. Der scharfe Raubtiergeruch strömt gegen die heißen < Gesichter. Mit einer lebhaften Trompetenfanfare schießen weiße Lichtkegel über die Bühne. Sofort rücken alle Köpfe in einer einzigen Bewegung vor. Vor dem Gitter des Zwingers, in welchem die gelben Katzen rastlos hin und her laufen, steht auf einer Erhöhung Barbette, schlank und statuengleich, die Hände über die Brust gekreuzt. Rechts und links reglos die Doggen, mit breiter tiefer Brust und stolz getragenen Köpfen. Barbettes Haar ist eine glänzende schwarze Kappe. Sie trägt keinen Schmuck, nur einen Ring mit grünem Stein an der rechten Hand. Ein Murmeln geht durch die Menge, die von diesem Bild allein schon behext ist. Nun schreitet Barbette mit den beiden Hunden durch die Doppeltür in den Zwinger. Sogleich nehmen die gelben Tiere die ihnen andressierte Stellung ein. Zwei männliche, zwei weibliche Läwen, in der Mitte der Tiger, hocken sie knurrend, fauchend und mit den Tatzen schlagend auf ihren Podesten. Die ängstliche Spannung im Publikum löst sich bei dem sicheren Arbeiten der schlanken Frau. Aber immer wie der hört man den Namen Blaja. Blaja, ach ja, das ist der Tiger, der immer wieder zurückkriecht. Und^immer wieder tückisch vorschnellt zu einem Ansatz, der nicht Sprung zu werden wagt. Barbette läßt kein Auge von Blaja. Gleiche Augen funkeln sich an. Und immer wieder ist der Blick des Men schenweibes stärker. Zwingt das Tier, in sich zu kriechen und die ungebrochene Kraft und Gier unter Ohnmacht und Feigheit zu knechten. Eine Posse ist zu Ende. Barbette wirft Peitsche und Dressurstock von sich und steht mit gebreiteten Armen zwischen ihren Tieren. Beifall knattert auf und lärmt lange. Es wird wieder dunkel. Feuer flattert im Käfig. Kan delaber mit züngelnden Flammen und feurigen Reifen. Es ist ein Bild ungeheurer, trunkenmachendcr Wildheit, wie jetzt die Tiere um die schimmernde, wehrlose Frau Hetzen und springen. Nur Blaja will nicht. Aber sie muß Muß! denkt Barbette und nimmt die Peitsche auf: „Hopp, Blaja!" Blaja kriecht zurück und zieht die Oberlippe über das Gebiß. — „Blaja . . .!" Barbette dringt mit erhobener Peitsche auf das Tier ein. Ein wütendes Fauchen, dann ein plötzliches Ausbrüllen ist die Antwort. Im Publikum entsteht Unruhe. Barbette zückt die Peitsche zum Schlag. Aus den Kulissen hört sie eine Stimme: „Nicht schlagen! Laß sie!" Da fällt der Schlag schon. Und mit mächtigem Satz springt Blaja über Barbettes linke Schulter hinweg. Sofort wendet sich Barbette. Sie weiß: es wird ge fährlich. Es ist schon gefährlich. Das sieht sie an Blajas Stellung. Sie kriecht nicht mehr in sich. Sie lauert, auf vibrierende Flanken gestützt, mit vorgerecktem Kopf und ge fletschten Zähnen. — „Caesar! Nero!" zischt Barbette leise. Die beiden Hunde stehen wie aus Erz, aber zitternd vor Erregung neben ihr. Sie knurren leise; sie wissen, um was es geht, und sie sind bereit, der gestreiften Bestie an die Kehle zu fahren. Im Publikum herrscht starke Erregung. Der Kapell meister fühlt kalten Schweis auf der Stirn. Ein Herr in der Loge ist aufgesprungen, wird aber auf seinen Sitz zurück gezogen. Er sitzt vorgereckt, die Hände um die Brüstung gekrampft, sprungbereit. Barbette hat in einem Sekundenbruchteil bemerkt, daß der Bändiger in der Kulisse den Revolver auf Blaja gerich tet hält. Sie denkt: „Blaja wird mich jetzt anspringen. Ich muß mich ducken. Ich muß . . . muß . . ." Ihre Gedanken beginnen zu flattern. Aber, sicher ist es der letzte Augen blick, da fällt ihr der Ring ein. „Hilf mir, hilf mir, Dul" hetzt ein Gedanke. Und unbewußt senkt sich die Faust, an welcher der Ring funkelt, gegen die sprungbereite Bestie. Langsam, langsam senkt sie sich. Und Blaja start auf die sich senkende Faust. Das Tier, dessen Instinkt bereits mit dem Sprung gegen die Frau vertraut war, vergißt, was es wollte. Start nur auf den Ring, wendet, als könne es das Funkeln nicht aushaltru, den Kopf und jagt schließlich mit eingezogenen Schweif zwischen Barbette und den Hunden vorbei auf die andere Seite, wo es sich zwischen den zusam mengeschobenen Podesten verkriecht. Barbette hat gesiegt und ist gerettet. — Das Entsetzen' daS den Zuschauerraum befallen hatte, löst sich indes erst, als sie den Zwinger verlassen hat und sich mechanisch ver beugt. Da erst beginnt der Beifall zu toben. Dann liegt Barbette in ihrer Garderobe auf dem Diwan. Ein Schütteln überläuft sie. Jetzt erst wird ihr bewußt, was sie überstanden hat. Die Tür öffnet sich. Sie schnellt auf und fliegt dem, der eintritt, an den Hals. „Der Ring! Ihr Ring hat mich gerettet!" „Barbette . . .!" Er hält sie im Arm. „Barbette, geh nicht mehr hinein! Nie mehr! — Nie mehr! Hörst Du! Bleib bei mir . . ." Der beliebte üWersW-mim ist jederzeit zu beziehen durch die beschäftsstelle des Pulsnitzer Tageblattes Vom Anfug -er Schönheit. Es gibt „Wissenschaftler", die mit schönen Worten ihrem Publikum in Schrift und Wort vortragen, daß die „Pflege der Schönheitsideale der Frau je länger je mehr in allen zivilisierten Ländern sozusagen zu einer kultu rellen Bewegung geworden ist und ihren Ausdruck u. a. in — Schönheitskonkurrenzen der verschiedenen Staaten fin det." Das mag sehr schön klingen und besonders die Lese rinnen, von denen „natürlich" jede einzelne sich schon selbst als Kandidatin für einen solchen Schönheitspreis im Geiste sieht, für diese Art modernen Ritter „Frauenlob" einneh men. Hin und wieder ist dann ja auch ganz amüsant ge wesen, besonders in Bade- und Kurorten, wo man bekannt- ! lich nie recht weiß, wie man am angenehmsten und geistig bequemsten seine Zeit hinbringt, solche „Schönheits konkurrenzen" mitzumachen, aber wieder in das Werk des Alltags zurückgekehrt, hat man doch nur ein leises Lächeln ! für diese Art Hokuspokus übrig behalten. Dies gilt vor j allem für die nicht nur in Großstädten, sondern m letzter Zeit selbst in kleineren Orten stattfindenden Schönheits- i Wettbewerbe und findet seinen Gipfelpunkt in dem vor einiger Zeit gegründeten „Reichsverband für Schönheits- ! Wettbewerbe e. V.", der in großem Stile zum erstenmal ; als Organisator in Berlin zu Beginn des September eine Schönheitskonkurrenz zwischen den Vertreterinnen der größten deutschen Städte veranstaltet hat. Zu diesem ! Schönheitswettbewerb hatten sich nicht weniger als 5000 Frauen bereit erklärt, als SchLnheitskandidatinnen in Berlin aufzutreten, da ihnen nicht nur eine vom Reichs verband gestiftete Plakette, sondern auch freie Fahrt nach Amerika zu einer im nächsten Jahre in Galveston stattfin denden internationalen Schönheitskonkurrenz in Aussicht gestellt wurde. Eine Filmgesellschaft hatte natürlich die „Schönste" bereits als Star engagiert. Leider nahm diese „großzügig" aufgezogene Veranstaltung ein klägliches Ende, und zwar durch das Publikum selbst, das mit dem Schieds spruch der Richter sich wieder einmal nicht einverstanden erklärt hat und aufs neue den Beweis erbrachte, daß eben die Geschmäcker sehr verschieden find. Außer allgemeinen .Schönheitzkonkurrenzen finden wir äbnlicke wie beisviels« weise der „schönsten Fraüenbeine". Eine solche fand kürz lich in einer großen Stadt Amerikas statt, wobei hinter einem Vorhang nur die Beine der Bewerberinnen zu sehen waren. Nachdem die Preisrichter ihr Paris-Urteil gefällt hatten, zeigte sich unter dem donnernden Applaus und unter noch lauterem Gelächter, daß unter den drei Siegern zwei Männer sich befanden, die in seidenen Damen strümpfen und Damenschuhen hier ihre „Reize" gezeigt hatten und damit am allerbesten den Schönheits-Konkur renzrummel all absuräum führten. Endlich gibt es noch einige sehr geschickte Propagandachefs größerer Firmen, die sich den Konkurrenzfimmel zu eigen machen und unter dem Mäntelchen eines Wettbewerbes für ihre Haarwasser, Schminke oder Toilette-Artikel im Rahmen eines besonders veranstalteten Valles auf diese „moderne" Art Reklame machen. Der Reichsverband für Schönheitswettbewerbe e. V. wird vermutlich noch des öfteren seine Daseinsberech tigung nachzuweisen bemüht sein. Vielleicht sind einige einflußreiche Männer gewillt, sich zu einem Änti-Reichsver- band für Schönheitswettbewerbe zusammenzuschließen, oder was noch wirksamer sein dürfte, schauen einmal die Behörden auf diese neue Art der Schaustellung menschlicher „Gebrechen", wiewohl wir uns durchaus bewußt sind, daß wir hier ein Paradox geprägt haben. So kann der grobe Unfug jedenfalls nicht weitergehen. Lob -es Cislaufs. ' O Jüngling, der den Wasserkoturn Zu beseelen weiß und flüchtiger tanzt — Laß der Stadt den Kamin. Komm' mit mir Wo des Kristalls Ebne dir winkt. (Klopstock, Ode an den Eislauf.) „Als wennste schwebst", sagte der Berliner weniger lyrisch, aber nicht weniger treffend. — Wißt ihr noch, wie viel Aengste wir ausstanden, als wir zum ersten Male die Geheimnisse des Bogenlaufens ergründeten und zierlich auf einem Fuß schwebten, kräftig den anderen vorschwangen und kräftig auf der Nase lagen? Wißt ihr noch, wie unser ar mer Korpus einer Landkarte glich und auf dem linken Knie immer ein blauer Fleck war, so groß wie Frankreich aus der Landkarte? Die Ellenbogen bluteten sogar manchmal, und die Kehrseite, Gott, die Kehrseite! Glückliche Zeit. Mit blauen Backen und roten Nasen, mit wattierter Kapottmütze mit seidenen Bindebündern, in martialischer Lederkappe und wärmenden Ohrklappen forderten wir das Jahrhundert in die Schranken. Wie beneidet war der, der einen richtigen Anzug fürs Eis besaß! Wer kennt nicht die Wonnen des „B iegee i se s"? Wenn man auf das streng verbotene Iungeis kroch und in langer Kette mit verschränkten Händen auf dem leise sich wie genden Eise auf und ab sauste. Immer laufen mußte man, ja nicht stehenbleiben; denn Stehenbleiben, brachte den Tod, er lief mit uns unter unseren Füßen mit. Wie herrlich auf regend war das! Und die Prügel, die man dafür bekam! Nun egal. Die Prügel sind vergessen, aber die schöne Er innerung bleibt. Und die Tücken des Schlittschuhs, der gerade im seligsten wonnevollen Dahingleiten- abging, dann, wenn man gerade Bogelleichtigkeit und Körperlosig- keit erreicht hatte, uns in die rauhe Wirklichkeit zurückwarf und man mit dem Schwerpunkt eine lange schlitternde Bahn über das leichtbepuderte Eis zog! — Ach ja! Manchmal lag man auch in tiefer Bersunkenheit platt auf dem Bauch und sah unter der blanken, grünlichen Eis decke die Fische hin und her schwimmen, und Algen und See rosenstengel standen unbeweglich und verwunschen unter dem gläsernen Sargdeckel. Manchmal krachte das Eis, und ein leiser Schauder lief uns über den Rücken, und breite Spalten zogen sich durch die blanke Bahn. Wer hat nicht den Zauber der Mondnacht auf dem Eise empfunden? Selma Lagerlöf läßt in der Gutsgeschichte ihren geistes kranken Helden Linderung und Beruhigung bei seinem Da hingleiten über die Eisdecke des Sees finden, und Goethe lobt den Reiz der Hellen, klaren Frostnacht über der locken den, glatten Bahn. Er selbst lief bis ins hohe Alter hinein Schlittschuh, und er sagte in einem Vers an die Jahres zeiten: „Ohne Schlittschuh und Schellengeläut ist der Ja nuar ein böses Heut'." Fritz Reuter spricht gern von „Schlittschauhlopen" und „Slädenführen". Und Storm erzählt von der übermütigen Menschheit, die sich sogar auf das gefährliche, wilde Meer hinauswagt, um mit Lust Schlitt schuh zu laufen und seine Kreise zu ziehen über dem schla fenden Ungeheuer der Tiefe.