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Hohenstem-Ernstthaler Tageblatt. Amtsblatt. 57 Donnerstag, den 10. März 1904. Beilage. Deutscher Reichstag. Berlin, 8. März. Auf ver Tagesordnung steht zunächst die erste itung deS Gesetzentwurfs betr. die Rechtsstell- k des herzoglich holsteinischen Kürsten- ses. Die Vorlage will den Mitgliedern des tenhauseS dieselben Vorrechte verleihen, in deren s sich gemäß Einsührungsgesrtz zum Bürgerlichen sbuche und Nebengesetzen die Mitglieder der fürst' i Familie Hohenzollern und der hannöverschen, rssischcn und nassauischen Fürstenfamiliev bi finden. Abg. Stadthagen (Soz.) führt aus, die Ge- e hätten mit vollem Rechte bisher angenommen, dem holsteinischen Fürstenhause jene Vorrechte f zuständen, zu einer Aenderung liege nicht der agste Anlaß vor. Die Vorlage nenne zudem in n Atem mit den anderen Fürstenhäusern auch das mische, das aber nicht nur ein ehemaliges sou- ne?, sondern auch fitzt noch ein regierendes sei. >n diesem das holsteinsche gleichgestellt werde, so iten das die Gerichte leicht dahin auslegen, daß Mitgliedern des holsteinschen Fürstenhauses nun die entsprechenden Vorrechte aus strafrechtlichem iete gewährt werden sollen. Staatssekretär Nieberding erklärt, daß weder Auffassung der verbündeten Regierungen dahin , noch auch die Vorlage ihrem Wortlaute nach so utct werden könne, als ob hier ein Sonderrecht strafrechtlichem Gebiete gewährt werden solle. Im eren Verlaufe der Debatte erklärt der Siaats- tär noch ausdrücklich, daß aus keinen Fall die An- me der Vorlage auch ein Eingreifen in bereits tsanhängige Prozesse zur Folge haben könne. Schließlich wird die Vorlage in erster und lter Lesung angenommen gegen die Stimmen der sialdemokraten und deS Dänen Jessen. Dann wird die Beratung des Militäretats t Titel „KliegSminister" fortgesetzt. Abg. Dr. Sattler (nat.-lib.) bedauert, daß die umssii"- die Oberstleutnantszulagen, sowie die n UnterosfizierSstellen abgelehnt habe. Lebhasten hätten bei seinen Freunden gestern die Aus. igen des Generalmajors v. Endres gesunden, als davon sprach, daß die Psychiatrie mehr als bis- befrag» werden müsse. Die Kritik an der Armee se stets ausgeheu von der Liebe zur Armee, von dem ausrichtigen Wunsche, sie noch strahlender hervor treten zu lassen, als sie schon sei. Unbegreiflich sei ihm diejenige Richtung einer Literatur inaktiver Mili tärs, die daS eigene Nest nicht achte. Erfreulich sei die Versicherung Bebels, daß die Sozialdemokraten in einem gerechten Verteidigungskriege für das Vaterland tämpfm würden; nur sei zu befürchten, daß die Sozialdemokratie da den Vorbehalt mache, selber zuvor zu entscheiden, ob ein Krieg ein gerechter Verteidig ungskrieg sei. Abg. Ledebonr (So:.) ergeht sich über daS Kapitel Mißhandlungen und behauptet dann, daß die Ideale der Sozialdemokratie weit höhere seien als die der anderen Parteien (Heiterkeit.) Ebenso, schließt er, sind unsere Begriffe vom Volke viel höhere. Ihre Vaterlandsliebe treibt Sie an zur Unterdrückung an derer Völker. Einer Verstärkung unseres Heeres be dürfe es nicht mehr. Der einzige Feind, den man noch zu fürchten hätte, sei das despotische Rußland. Bon Frankreich sei künftig um so weniger zu be sorgen, je mehr dort die sozialdemokratische Partei an Einfluß zunehme. Sächsischer Oberstleutnant Krug V. Ri-Va wendet sich gegen die Anspielung B-bels aus einen Fall in Bautzen und sührt aus: Ein Offi zier habe nach einer glücklich abgclaufenen Bsichtig- ung mit mehreren Kameraden sich zusammengetan und dabei deS Guten zu viel getan. Auf dem Heimwege sei es leider zu einem Streite mit einem Civilistev gekommen, wofür der Offizier seine Strafe zu tragen habe. Diese Schlägerei habe aber mit dem anderen Falle, in dem ein Mädchen eine Rolle spielen solle, nichts zu tun. In einem Hotel sollten junge Ossi ziere mit einer BürgerStochter Orgien gefeiert haben und dabei von tum Vater deS Mädchens unliebsam gestört und geschlagen worden sein. Tatsache sei, daß am 28. Januar Leutnant Wild von diesem Gerücht Meldung erstattet und gegen sich die ehrengerichtliche Untersuchung beantragt habe. Dabei sei herauSgekom- men, daß sich ein solcher Vorgang weder im „Fachs- bau" noch in einem anderen Lokale von Bautzen zu getragen habe. Es sei niederträchtige Verleumdung gewesen. (Hört! rechts.) Einen drastischeren Beweis, mit welchen Mitteln hier gegen die Offiziere gehetzt worden fei, könne man kaum vorsührev. Eine Ge- schichte, die von bis 2 erlogen, die verbreitet und geglaubt wurde, insonderheit von einer Partei, welche die Intelligenz gepachtet zu haben glaube. (Große Heiterkeit rechts.) Abg. Müller-Meiningen (sreis. VolkSp.): Der Erbprinz von Sachsen-Meiningen habe jedenfalls wegen seines MißhandluagS - Erlasses aus BceSlau sortge» mußt. Die öffentliche Meinung sei dadurch schwer erregt worden. Die Ernennung zum Generalinspekrcur, die überdies erst vier Wochen später ersolgte, sei nur Salbe auf die Wunde gewesen. In Bayern betrügen die Mißhandlungen nur den 45. Teil derjenigen in Preußen, weil der bayrische Offizier auf e nrr höheren Bildungsstufe stehe, als der prevßische (lebhafter Wider- sprach rechts), und weil Boyern schon seit Dezennien öffentliches Militärgerichtsversahren habe. Die Klagen über Bworzugung des Adels seien zweifellos begründet. Auch in O fizierskreifen selber sei die Unzufriedenheit noch nie so groß gewesen als jetzt. KriegSminister vor» Einem erklärt zu der An- gelegenheit des Erbprinzen von Meiningen: Wen der Kaiser als kommandierender General anst-lltN oder verabschieden will, das ist seine Sache und unterlieg! nicht Ihrer Kritik. Ich lehne es durchaus ab, mich hier darüber uuSzulasfeo. Wenn aber der Abg. Müller sag», die Presse habe erzählt, daß der Erbprinz ver- abschiedet sei wegen seines Erlasses gegen Mißhand lungen, so ist das eine Beschuldigung der allerhöchsten Stelle. Als ob Se. Majestät nicht selbst mit der aller- größten Entschiedenheit gegen die Mißhandlungen vor- gingc? Wo soll das hinkommen, wenn Se. Maj stäi einen kommandierenden General onstellt oder verab schiedet, und dann in diesem Hause solche Erörter- ungen stattfinden. Der Abg. Müller erzählte dann von einem bayrischen Anklagevertreter, der zu einem Angeklagten gesagt habe: Sie bringen hier wohl den Geist der preußischen Füsiliere mit? Wie kommt ein bayrischer Anklagevertreter dazu, so zu sprechen? DaS ist eine Beleidigung der preußischen Armee in Bayern. Ich werde mich erkundigen, was daran wahr ist. Was die angebliche Bevorzugung des Adels anlangt, so fihm Sie sich die Rangliste an, die höheren Stellen, wie viele ausgezeichnete bürgerliche Offiziere sich dar- unter blfinden! Und wenn Se. Majestät das anerkannt und solche Osfiziere adelt, so ist es nicht Ihre Sache, das zu kritisieren. (Große Unruhe links, lebhafter Beifall rechts.) Hinsichtlich der Zustände im Jahre 1806 habe ihm der Abg. Müller falsche Angaben unterlegt; er habe neulich nicht geredet von einem koSmopolischen bürgerlichen Liberalismus, sondern von der kosmopolitischen Bevölkerung. Damals war der ganze Swat von der Regierung herab versumpft. (Be- weguvg.) Aus jeden Fall verwahre er sich dagegen, daß jetzt jeder Beliebige sage, die Armee marschiere nach Jeno. DaS ist nicht wahr. Abg.StöSer (christlich-sozial): Der „Vorwärts" habe heute den Etat der Militärverwaltung als den Etat der erstklassigen Menschen bezeichnet. ES fei eine Bosheit, daß der „Vorwärts" die schlimmen Gestalten dieses RomanS mit den Offizieren identifiziere. Eine Kritik sei nicht nur erlaubt, sondern auch berechtigt und gehöre zu den Pflichten des Parlaments, aber war solle die Regierung mit mehrstündigen Reden von Leuten, die nicht gedient haben und von Mili- lärsachen nichts verstehen? Bei den meisten Reden über Militärjachen habe er daS Gefühl gehabt, daß die Herren dos System unseres MilitärwesenS gar nicht kannten. Unser System sei daS denkbar beste, und alle anderen Völker beneideten unS darum. ES sei in der größten Stunde der preußischen und deut schen Geschichte geboren, in den Freiheitskriegen. Kein anderes Volk würde eine Armee, die so Großes ge leistet, so angreifen, wie eS bei unS geschehe. Ein Instrument für die herrschenden Kreise sei die Armee gar nicht; das fü ein Blechinstrument, daS die So- zialdemokraten bliesen. (Gelächter bei den Sozial demokraten.) Die Disziplin sei die Ordnung, welche mit eiserner Kraft aufrecht erhalten werden müsse; sonst gebe es eine Disziplin, wie wir sie in Dresden hatten, wo Singer von Schulbuben und Klara Zetkin von Altweibergeschwätz sprachen. Buben von einer Judenschule waren eS in Dresden. (Heiterkeit rechts.) DaS ist Ihre (zu den Sozialdemokraten) Disziplin! (Erneutes Gelächter bei den Sozialdemo kraten.) Die Sozialdemokraten besäßen keinen Patrio tismus und keine Liebe zum ganzen deutschen Volke, denn sie seien nur eine kleine Minorität, welche dar ganze übrige Volk hass-. Der Patriotismus sei etwas Geschichtlicher. Die Sozialdemokraten seien durch und durch ungeschichtliche Menschen, Eintagsfliegen, heute geboren und morgen verweht. (Stürmische Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) ES würde Krieg geben bis ans Ende der Welt. (Zurufe links.) Larin stimme er mit Christus genau überein. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Präsident Graf v. Balleftrem: Ich bitte Sie,