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Pulsnitzer Tageblatt Beilage zu Nr. 7V Mittwoch, 23. März 1932 84. Jahrgang Vann im weiteren eine tiefe geistige Erfassung des Lebens und der überragenden Persönlichkeit Goethes, die über alle Zeitalter weit hinausgreift. Sein Grab sei die Stätte der dreifachen Ehrfurcht, die zusammenfließe in der obersten Ehrfurcht, der vor dem deutschen Volk. Die Rede Prof. Petersens fand starken Widerhall. Der Leipziger Thomanerchor, der zu Beginn Goethes Worte von den Freuden und Schmerzen, die die Götter ihren Lieblingen spenden, gesungen hatte, sang am Schluß das Goethelied „Laßt fahren hin das alte Flüchtige" in der Zelterschen Ver- tonung, ganz so, wie cs einst vor 100 Jahren in der Be stattungsstunde am Sarge Goethes erklang. Dann pilgerten die Goethe-Freunde aus aller Welt, die sich in Weimar zur Feierstunde eingefunden hatten, zum Friedhof hinaus: Abgesandte aller Kulturländer der Erde, Botschafter, Ge sandte, Geschäftsträger, Köpfe der Wissenschaft und der Kunst, Vertreter der deutschen Länderregierungen, der Kir chen, der Universitäten, der Städte. Am Sarge des Dichters. Punkt 11^ Uhr begannen sämtliche Glocken Weimars zu läuten: Goethes Todesstunde hatte begonnen. Auf dem Weimarer Friedhof, auf dem Goethe vor hundert Jahren in der Fürstengruft beigeseßt wurde, fand die Gedenkfeier statt, an der die Großherzogin Feodora von Sachsen-Weimar, Staatssekretär Meißner als Vertreter des Reichspräsiden, ten, Reichskanzler vr. Brüning, Minister Groener und Erbprinz Carl August u. a. teilnahmen. Die Versam melten verweilten zunächst an den Stufen der Fürstengruft einige Minuten. Der Präsident der Goethe-Gesellschaft, Pro fessor Or. Petersen, hielt nochmals eine kurze Ansprache. Hierauf sprach die Großherzogin von Sachsen-Weimar die Worte: „Oeffnen Sie die Gruft!" Die Tore gingen auf, und die Anwesenden, voran di« Groß- Herzogin mit ihrem Sohn, traten ein. An der Büste Goethes wurden zum Gedächtnis an den großen deutschen Dichter die Kränze niedergclegt. Auch die Vertreter der ausländischen. Regierungen, an ihrer Spiße der französische Eine Goethe-Medaille. Aus Anlaß der Goethe-Feier hat Reichspräsident v. Hindenburg eine silberne Medaille gestiftet, die an 55 Persönlichkeiten verliehen und als eine Auszeichnung für Verdienste um Kunst und Wissenschaft bezeichnet wurde. Die Medaille ist von Pro fessor Waldemar Raemisch geschaffen worden. Die Medaille erhielten u. a.. Reichskanzler Or. Brüning, Roichs- wehrminister Groener, Stephan Ge orge, Gerhart Hauptmann, Hermann Stehr, Koibenheyer, Wilhelm Schä fer, Wilhelni v. Scholz, Rudolf G. Binding, Ricarda Huch, Handl-Ma- zetti, Walter v. Molo und der Goetheforscher Petersen. Feierstunde an dem Grabe Goethes Von -er Weimarer Gedenkfeier. Der Blick in die Weimar- Halle während der Gedächt nisrede des Präsidenten der Goethe - Gesellschaft, Dr. Julius Petersen. Weimar. Mit dem 100. Todestag Goethes begannen in Weimar die offiziellen Feiern, an denen Vertreter der Be hörden und der Wissenschaft aus aller Welt teilnahmen. 3000 Menschen hatten sich in der Weimarer Halle ange sammelt. Eine Gedächtnisrede des Präsidenten der Goethe- gesellschaft, Prof. Dr. Petersen, leitete die Weimarer Veranstaltungen ein, der in etwa eineinhalbstündiger Rede ein Bild des Menschen und Dichters Goethe entwickelte. Die Veranstaltung wurde durch den mitteldeutschen Rundfunk auf alle deutschen Sender übertragen. Auf dem Wege zu der Gruft, so führte Petersen aus, die an dem heutigen Tage Mittelpunkt des ganzen Weltbewnßt- seins, magnetischer Pol alles Menschengedenkens geworden ist, bleiben wir stehen und suckln nach Sammlung'und Be sinnung. Das Sätulum, das heute endet, das Jahrhundert seit Goetbe kann gleichfalls sein Jahrhundert genannt wer- den soweit es in seinem Anblick lebte. Diesem Jahrhundert war es vergönnt, erst die volle Größe Goethes zu ermessen. Noch heute ist Goethe in der Fülle seiner Unerschöpf lichkeit ein Bild immer neuen Wandels und Wachstums. Die Menschen, die den 22. März 1932 erlebten, standen im Bewußtsein einer Weltwende. Sonnenuntergang särbte das Gewölk, und in der hereinbrechenden Dämmerung schaute malt aus noch neuen Gestirnen. Alle geistigen Schöpferkräfte, so hieß es nun, müssen der Politik zugelenkt werden, alle Er findungen der Technik, da es mit dem Reiche der Dichtung zu End« sei. Der große Einzelne hatte seine Rolle ausgespielt. Die stille Gemeinschaft der schönen Seelen wurde durch For- derungcn der Massen gesprengt, und das Tempo der Ent wicklung erlaubte kein ruhiges Perweilen mehr. Die Hoff ¬ nung aber ist es, die aus dem Gefängnis der Gegenwart zu befreien vermag. Von ihr beflügelt, sprengt der Dichter die Pforten der Zukunft und schreitet vor uns in ihr Dunkel hinein. — Der Redner kennzeichnete dann im einzelnen das tiefe Wissen des Weisen, der alles kommen sah, was nun ge kommen ist. Mißverstanden in seinem vaterländischen Füh len habe Goethe den tröstenden und festen Glauben an die Zukunft seines Volkes niemals verloren. Heute sei dieses große Volk niedergetreten und gedemütigt, auseinander gerissen und in seiner Dauer gefährdet. Aber es werde immer bestehen in seinem großen Lebensglanben. — Petersen gab Sam« «v NWA» le «rl « poksi) LvpicriLdt dx «Santo keortUvunxor, Noll« l§ool«> WA s31 .Hell, wir müssen arbeiten", mahnte Frau Vollwank. Hell erhob sich. „Nirgends gern gesehen, von seinen Söhnen verfolgt, überall vertrieben, irrte Kaiser Heinrich im Lande umher, und fand erst im Jahre 1106 Gelegenheit, in Ingelheim eines geziemenden Todes zu sterben... Es war doch Ingelheim? Und es war doch 1106? Und es war doch Heinrich?" , Mit diesen historischen Erinnerungen verließ Hell das Privatkonto! seiner Mutter. .Du mußt gleich mal nach dem Manne sehen", sagte Frau Voilwank, ehe sie weiterdiktierte. „Die Geschichte kommt mir etwas merkwürdig vor. Ich will nur hoffen, ! daß Hell keine Schlägerei mit dem Manne gehabt hat." .Tante Barbara!" rief Nora entsetzt und vorwurfsvoll. Dir romantische Geschichte Hells hatte ihr zu gut gefallen, daß sie Lust hatte, sie zu bezweifeln. -Bei Hell ist kein Ding unmöglich", seufzte Frau Als iw Betrieb — und so ein Betrieb ist eine Welt im kleinen und eine Welt, in der nichts so üppig gedeiht als der Klatsch —, als im Betrieb Happels Zusammenstoß mit dem jungen Vollwank und sein unvermutbarer Ausgang bekannt wurde — und er wurde es schneller, als einer der Beteiligten ahnte wurden so viel verschiedene Urteile laut, als sich Köpfe oder wenigstens Zungen damit befaßten. Die tiefste, schon jahrelang zurückliegende Ursache wurde allerdings nicht ganz und gar bekannt. Happel war klug und Hell großherzig genug, darüber zu schweigen. Hinter der Affäre lauerten Staatsanwalt und Gericht. Wozu, sagte sich Hell. Es ist ja alles so furchtbar egal, was irgendwie vergangen ist. Skeptiker, der er war, war er ja auch kein Fanatiker dessen, was man so Gerechtigkeit nennt. Die Wolts und Frau Vollwank hatten kopfschüttelnd und resigniert die Wahrheit über Hells neuesten Streich erfahren. Man mußte ihn nehmen, wie er nun mal ge worden war. Mitschleppen! Sehen, wie er unschädlich zu machen sei! .Unbeherrscht und unberechenbar", sagte der alte Wolt eines Tages bei Tisch von ihm. „Zuweilen sollte man meinen, er wäre nicht ganz richtig im Oberstübchem Aber dann auf einmal — selten genug zwar — hat er geradezu genial-praktische Ideen und erweist sich als durchaus brauchbar. Unsere Freundin in allen Ehren — aber ihm mehr als seinen älteren Brüdern hat der Vater gefehlt. Er war kaum sechs Jahre alt, als er ihn verlor. Und seine entscheidendsten Jahre fielen in Frau Barbaras kampf reichste Zeit, als sie noch glaubte, mit ihren sozialen Träumen — uns erschienen sie oft fast sozialistisch — in dieser Welt der Verkettungen persönlich gestalten zu können: Menschen zu befreien, zu erlösen. Sie kümmerte sich nicht genug um ihn!" .Ach, Vater, er war so ein netter und vernünftiger Junge", begütigte Frau Wolt. .Wie heldenhaft hat er das Opfer seines Talentes gebracht, als Frau Barbara es ernstlich von ihm verlangte. Damals sagten wir alle: Welch ein Charakter! Dann kam freilich diese unselige politische Affäre. Wie froh waren wir, als er endlich davon geheilt wurde. Sein wunderliches Wesen begann doch eigentlich erst vor wenigen Jahren, und wuchs sich dann schnell und gefährlich aus." Eigentlich erst, seitdem sein Verhältnis zu Alice sich lockerte, dachte Frau Wolt, doch sie hütete sich, es aus zusprechen. Wer konnte hier Ursache und Wirkung unter scheiden? „Vielleicht hat er eine unglückliche Liebe zu unserer Alice", warf Bob neckend ein, zu welcher Bemerkung diese nur unwillig die Stirn runzelte, »Ik «Süßt Wolt senior aber sagte herzlich und warm: .Franz Rehfisch ist mir der um vieles liebere Schwiegersohn. Als Mensch für Alice — ein besonnener und beherrschter Mann, dem sie ihr Geschick anvertrauen kann! Und auch sonst. Er eröffnet uns neue Beziehungen und Verbindungen, ist selbst ein vorzüglicher Ingenieur, nicht ohne kaufmännische Talente, und seine paar hundert tausend Mark Vermögen können — in dieser Verbindung — der Fabrik nützlicher werden als die Millionen eines notorischen Nichtstuers wie Hell Vollwank." „Vater, vergiß nicht", warf der gerecht denkende Hermann ein, „Hell ist Künstler. Denke daran, mit welcher Energie er auf diesem Gebiete gearbeitet, mit welcher Kraft er um sein Künstlertum gerungen hat! Und dann die furchtbare Enttäuschung. Wären seine Brüder nicht ge fallen: er könnte das Leben leben, das ihm notwendig ist. Er selbst hat eingesehen, daß er das Opfer bringen müsse. Und wie jung war er damals! Es hat wohl eine Kraft in ihm zerbrochen — hoffentlich gewinnt er sie noch wieder. Er ist ja jung. Man erwartet wohl zuviel von ihm." Alice dankte im Herzen dem Bruder für diese Worte. Sie schämte sich zuweilen ihrer Liebe, die, fast gänzlich ein geschlafen — sie hatte selbst geglaubt, gestorben —, von neuem und in schmerzhafter Sehnsucht erwacht war, fett sie dem andern ihr Jawort gegeben, diesem andern, an dem kein Tadel war, diesem wahrhaft männlichen Manne, den ihr Verstand, ihre Vernunft, restlos billigte, den sie achtete, hochschätzte, bewunderte, den sie gern hatte wie einen lieben Freund, einen Bruder — nur nicht liebte. Nein, nicht liebte, noch jemals lieben würde. Sie war entschlossen, dieses Los zu tragen. Er aber? Aber er? Würde es ihr gelingen, ihm ihres Herzens Zu stand zu verhehlen — ihn dennoch, dennoch, wie man so sagte, glücklich zu machen? Restlos und unbedingt zu dem Velber Und Nora. Sie verteidigte ihn jetzt Manchmal AMmd und mit unbewußter Innigkeit.