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Nr. 70 Pulsnitzer Tageblatt — Mittwoch, 23. März 1932 Seite 3 Kundgebung des Evangelischen Bundes. Das Präsidium des EvangelischenBundes erläßt eine Kundgebung, in der es u. a. heißt: „Es ist uns ein herzliches Bedürfnis, dem Evangelischen Oberkirchenrat zu bekunden, daß wir uns in seinem Konflikt mit dem preußischen Kultusminister mit aller Entschiedenheit auf seine Seite stellen. Der Sinn des Kirchenvertragsabschlusses war ohne Zweifel der der friedlichen, auf Gerechtigkeit und Billig keit beruhenden Zusammenarbeit von Kirche und Staat. Die Maßnahmen des Kultusministeriums trugen in letzter Zeit zweifellos dieser Auffassung nicht Rechnung. In der Frage der Einsichtnahme in den Religionsunter richt steht die katholische Kirche auf Grund der von ihr zu erteilenden oder zu entziehenden misslo canonics viel besser da als die evangelische Kirche; um so unverständlicher er scheint uns die Berufung der staatlichen Behörde auf eine angebliche Ungeklürtheit der Rechtslage, um so stärker haben auch wir das .Hinauszögern des Verhandlungsabschlusses und die dabei in den amtlichen Pressestimmen hervorgetretene Verdunkelung des Tatbestandes als eine Brüskierung empfunden. In der Art des Abbaues der Pädagogischen Akademien haben auch wir eine ernste Störung der Parität erblickt. Auch die noch nicht erledigte bedeutsame Personalfrage im Kultusministerium ist Gegenstand unserer starken Besorgnis. Wir müssen fordern, daß zum Leiter des Dolksschulwesens Preußens als eines zu zwei Dritteln evangelischen Staates unter allen Umständen nur eine bewußt evangelische Persönlichkeit ernannt wird. Wir erwarten endlich, daß auch die auf Grund der letzten Notverordnung neu in Angriff genommene Erledigung des Echulstel len abbau es sich so vollzieht, daß die evan gelischen Interessen keinen Schaden leiden. Hierauf scheint noch den uns besonders aus dem Rheinland zugegangenen Nachrichten bei dem ersten Abbauplan seitens des Kultus- Ministeriums nicht genügend Rücksicht genommen zu sein." Neue Parieibildung zu den Preußenwahten. Dir Perhandlungen, die zwischen den Gruppen der Mitte stu> die Vorbereitung der Landtagswahlen in Preußen ge führt sind, sind soweit geklärt, daß die Dentsche Volks - parte l und die S taatspartei sowie die Christlich- Sozialen allein in den Wahlkampf gehen werden. Dagegen scheint die Wirtschaftspartei mit der Landvolkpartei und dem Jung deutschen Orden einen neuen „Block" bilden zu wollen, den man „Ständischer Preußenblock" nennen will. Man will auf diesem Wege ver suchen, Mandate in einigen Wahlkreisverbänden zu retten. Botschafter Gackeits Paris-Besuch. DerStillstandinderReparationsfrage. Der amerikanische Botschafter in Berlin, Sackett, hält sich seit einigen Tagen in Paris auf. Ein offizielles Diner fand beim französischen Ministerpräsidenten Tardieu statt. Die Reise von Sackett dient sicher ebenso wie die Reise, die vor einiger Zeit der amerikanische Botschafter in Paris, Edge, nach Berlin machte, der Aussprache über di« schwebenden politischen Fragen, die Amerika interessieren, also in erster Linie der Aussprache über das Reparations- und Abrüstungsproblem. Die amerikanische Regierung, die zwar auf der kommenden Lausanner Konferenz sich nicht ver treten lassen will, zeigt trotzdem ein ziemlich starkes Interesse an der Reparationsfrage. Nach Auffassung der Paris er Pres s e wird Tardieu, wenn Sackett bestimmte Vorschläge machen oder bestimmte Fragen stellen sollte, sich auf die Behauptung zurückziehen, daß zunächst erst einmal durch die Wahlen in Preußen, Bayern, Württemberg und Anhalt die innerpolitische Lage Deutschlands geklärt werden müsse, daß man außerdem den Ausgang der französischen Kammerwahlen ab warten müsse, und daß eine aktive Revisionspolitik in der Reparations frage nicht möglich sei, solange nicht die amerikanische Regierung ihre Haltung in der Schuldenfragc geändert habe. Die diplomatischen Besprechungen, die in der Form des Be suches von Botschaftern augenblicklich stattfinden, können in gewissem Umfange tatsächlich der Vorbereitung der Lausanner Konferenz dienen. Wie wenig selbst in der angelsächsischen Welt die Tatsache durchgedrungen ist, daß Deutschland Reparationen nicht mehr zahlen kann, ergibt ein Sonderheft der englischen LloydsBank über die Weltdepression und die deutsch-französischen Beziehungen, das in London als offiziöse Aeußerung der englischen Wirtschaft zur Tribut frage aufgefaßt wird. In diesem Heft hat ein eng l i s ch er Wirtschaftspolitiker eine Verlängerung des Moratoriums auf vier Jahre gefordert, worauf Deutschland jährlich etwa 400 Millionen RM zahlen soll, und zwar teils in Sachlieferungen, teils in Reichsbahnobligationen, teils in Aktien der wichtigsten deut- schen Industriekonzerne. Diese Auffassung von englischer wirtschaftlicher Seite wird in diesem Heft nun dadurch noch unterstützt, daß ein deutscher Professor, und zwar das Mitglied der Wiener Universität Professor Schumpeter, einen Beitrag geliefert hat, in dem er die Wiederaufnahme deutscher Tributzahlungen zum Teil in Sachlieserungen, und zwar zur Befriedigung der französischen Wiederaufbau- "Mprüche, nach der Behebung der Wirtschaftskrise für mög- Braunschweig klagt beim Siaatsaerichishsf. . . b u'N 4 wejgjschgStaatsministerium bat bei dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich in einer Verwaltungs^tM. beantragt daß die Notverordnung über den Oster-Burgfrieden Abgehoben wird oder ihre Gültigkeit auf die Zeit, vom 20. bis 28. März statt bis zum 3. April beschränkt wird. Cs wird in der Begründung der Klage be stritten, daß die Voraus, etzung für den Erlaß der Verordnung gegeben sei, und behauptet, daß eine erhebliche Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht eintreten würde, wenn der Oster-Burgsrieden nur bis zum 28. März dauern oder ganz aufgehoben wurde. Zahlungseinstellung -er Zunkerswerke Dessau. Die Junkers-Werke in ihrer Gesamt- Helt, nämlich Junkers-Werk Hauptbüro, Forschungsanstalt Professor Junkers, Junkers L Eo>, Junkers Flugzeugwerk A.-G., Junkers Motorenbau G. m. b. H. und Kalorifer-Werk Hugo Junkers haben ihren Gläubigern mitgeteilt, daß sich Professor Junkers im Interesse der Fortführung seiner Werke und zum Schutz der Gesamtinteressen der Gläubiger für verpflichtet gehalten hat, das gerichtliche Ver gleichsverfahren zu beantragen und daß im Verfolg dieser Maßnahmen die Zahlungen eingestellt worden sind. Diese Maßnahme ist eine Folge der Tatsache, daß die seit Ende vorigen Jahres laufenden Verhandlungen um die Zuführung entsprechender liquider Mittel, welche noch bis vor einigen Tagen als sehr aussichtsreich bezeichnet werden konnten, nicht zu einer Lösung führten. Es besteht die be ruhigende Tatsache, daß, wenn auch die Illiquidität vor handen ist, Ueberschuldung nicht vorliegt. Man ist ent schlossen, das Bestehen der Werke auf alle Fälle sicherzustellen, nicht nur, um die großen in den Junkers-Werken vor handenen Werte zu sichern, sondern auch, um den insgesamt über 3000 Arbeitern und Angestellten ihre Existenzmöglich- leit zu erhalten. Die deutsche Wirtschaft durch Steuern und Lasten unrentabel. In der ordentlichen Generalversammlung der A. E. G. (Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft) erklärte Geheimrat Bücher, daß er vor aller Oefsentlichkeit sich gegenüber den Vorwürfen rechtfertigen wolle, die gegen die A. E. G. erhoben worden seien. Unternehmungen von 15 000 bis 20 000 Arbeitern und Angestellten, ebenso wie Banken von über 100 000 Kunden, können zwar an sich gut oder schlecht ge leitet sein, bleiben aber stets mit den Grundlagen ihrer Existenz eng verbunden mit den allgemeinen Wirtschafts bedingungen des eigenen Vaterlandes. Unter der gleichen Belastung wie in der Vorkriegszeit würde sich der Verlust, oer heute mit 20 Mill, ausgewiesen werden muß, nur auf 2 Mill, stellen, unberücksichtigt davon, daß das Unternehmen unter viel besseren Bedingungen natürlich in die Krise ein getreten wäre. Es sei eben di- Tragik der Situation deutscher Privatunternehmun gen in der Nachkriegszeit, in derartiger Weise zu Steuern und sozialen Lasten zwangsmäßig herangezogen zu werden, so daß jede Rentabilität für einen deutschen Privatunternehmer von vornherein ausgeschlossen sei, wenn es sich nicht etwa um Unternehmungen handele, die über eine Monopolstellung verfügen. Nicht die Unfähigkeit der Leitungen großer deutscher Unter nehmungen sei an der Unrentabilität schuld, sondern die Finanz- und Wirtschaftspolitik des Landes sei ungesund. So lange sich diese Verhältnisse nicht ändern, könne an eine Besserung nicht gedacht werden. Gerade die A.E.G., die seinerzeit von Emil Rathenau gegründet wäre, sei ein Exponent privatwirtschaftlichen Denkens gewesen. Die A.E.G. habe sich niemals wegen Unterstützung an öffentliche Stellen gewandt und werde dies auch in Zukunft nicht tun. Das Aeichsmlnlsterwm zur Zahlungseinstellung hei Zunlers. Das Reichsverkehrsministerium teilt mit: Dem Neichs- verkehrsministerium ist die schwierige Lage bei Junkers schon seit längerer Zeit aufs genaueste bekannt. Für einige Monate gelang es, im Rahmen der üblichen Jndustrie- betreuung, dein Werke über seine Schwierigkeiten hinweg- zuhelsen. Die Hilfe des Reiches durch eine abermalige Beteiligung an dem Junkers-Konzern, wie sie 1925/26 be stand, oder andere Stützungsmaßnahmen kann bei der gegenwärtigen Finanzlage nicht in Aussicht genommen werden. Sie würde erhebliche Mittel erfordern, die nicht zur Verfügung stehen. Dagegen ist die weitere Unter stützung der Firma Junkers beabsichtigt, wenn es nach Beendigung des Vergleichsverfahrens auf privatwirtschaft lichem Wege gelingen sollte, das Unternehmen zu re- koustruieren. Georg Dehio Im 82. Lebensjahre starb in Tübingen der bekannte Kunst historiker Geheimrat Dehio, der Schöpfer der „Geschichte der deutschen Kunst". Vier Universitäten hatten ihm den Titel eines Ehrendoktors verliehen. Außerdem war er mit dem Orden pour le msrlte für Wissenschaften ausgezeichnet. Zum 80. Geburtstag wurde ihm vom Reichspräsidenten der Adlerschild des Reiches verliehen. Sie deutschen Sallonflieger freigelaffen. Die Gendarmeriestation in Feldsberg teilt in Sachen der beiden Flieger des bei Feldsberg gelandeten Ballons „Ernst Brandenburg" mit: Die Akten wurden sogleich nach der Verhaftung der beiden Flieger Schütze und Suck- storff an die Gcndarmeriestation in Ünterlhemcnau weiter geleitet. In den Mittagsstunden erteilte die Bezirksbehörde die Anweisung, die beiden deutschen Flieger sofort frei zulassen, ihnen ihre Dokumente wieder auszufolgen und auch de« Ballonrücktransport nach Bitterfeld freizugebcn. Das geschah; der Abreise der Flieger nach Deutschland steht demnach nichts mehr im Wege. Rücktritt der Regierung Venizelos beschlossen Athen. In der Nacht zum Mittwoch hat die Regierung Venizelos ihren Rücktritt beschlossen, da am 1. April 375 0VO englische Pfund für den Zinsendienst fällig werden. Die Be zahlung Lieser Summe würde die Deckung der Drachme auf- Heben, wofür Venizelos gegenüber Lem Volk die Verantwor tung nicht übernehmen will. Den Ausgang der Pariser Ver handlungen über eine Finanzhilfe für Griechenland hat Veni zelos nicht abgewartet. Der Ministerrat wird am heutigen Mittwoch endgültig beschließen, am Donnerstag dem Staats präsidenten Zaimis das Aücktrittsgesuch zu überreichen. Zusammenschluß -er Gläubiger -er Lan-wirischaft. Die durch die Osthilfe-Notverordnungen entstandene Notlage der gewerblichen Gläubiger hat in den betroffenen Bezirken die Gläubigerschaft der Landwirt schaft veranlaßt, sich zu organisieren. Zwecks einheitlicher Wahrnehmung der Interessen hat beim Neichsverband des Deutschen Groß- und Ueberseehandels eine Aussprache der Verbände stattgefunden, in der beschlossen wurde, gemein schaftlich mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag vor zugehen. Die zuständigen Stellen sollen mit größter Ein dringlichkeit auf die ständige Verschlechterung der Lage der Gläubigerschaft bei der Durchführung der Umschuldung hin gewiesen weroen, wie sie insbesondere durch den Erlaß der Notverordnung vom 17. November 1931 in weitestem Um fange festzustellen sei. Bei der bisherigen Art der Durch- führung der Umschuldung dürfte die Gläubigerschaft nicht mehr in der Lage sein durchzuhalten. Wann geht -as nächste Luftschiff? Das Luftschiff >,Graf Zeppelin" hat am Montag morgen um 0.30 Uhr seine erste diesjährige Südamerika fahrt anzetreten. Im Hegen'atz zu den früheren Flügen, die nur zu Versuchszwecken stattsanden, ist jetzt ein fahr:' planmäßigerLuftschiffverkehr Friedrichshafen--. Pernambuco eingerichtet, nach dem das Luftschiff in regel mäßigen Abständen während der ganzen Sommermonat« seine Flüge nach Brasilien ausführt. Laut Fahrplan soll Las Luftschiff stets an einem Montag eine halbe Stund« nach Mitternacht von Friedrichshafen starten und genau 72 Stunden später in Pernambuco landen. Damit ist der „Graf Zeppelin" in den regelmäßigen Verkehr eingestellt, und man kann ihn — vorausgesetzt, daß man das nötige Geld besitzt — wie jeden gewöhnlichen Zug benutzen. Es wird interessant sein, zu beobachten, wie das Luft schiff die ihm gestellte Ausgabe lösen wird, und ob es tat- sächlich möglich sein wird, die berühmte Pünktlichkeit de« deutschen Eisenbahnen auch jetzt schon auf den Zeppelin- Verkehr auszudehnen. * Friedrichshafen. Der unvermeidliche blinde Passagier. Ein 22jähriger Kunstgewerbler namens Amann aus Augsburg versuchte als blinder Passagier die Zeppelinfahrt nach Südamerika mitzumachen, wurde aber vor dem Aufstieg entdeckt und verhaftet. * Graf Zeppelin auf glatter Fahrt Friedrichshafen. Das Gerücht, das Luftschiff Graf Zeppelin habe auf der Fahrt nach Pernambuco eine Beschädigung er litten, wird von Ler Bodenfunkstelle des Luftschiffbaues für falsch erklärt. Der letzte Funkspruch des Graf Zeppelin besage, daß Las Luftschiff sich gestern um 22 Ahr (MEZ.) aus 11.15 Nord und 25,50 West befunden habe. Das Luftschiff habe gute Fahrt. Alles sei in bester Ordnung. Lieber 100 To-esopser -es Wirbelsturms. New Pork. Wie aus Birmingham im Staate Ala bama gemeldet wird, verwüstete ein Tornado große Strecke» der Staaten Alabama und Mississippi. Besonder» schwer wurden die Ortschaften Northport, Eolnmbiana, Llanton, Linden, Demopolis, Faunsdale heimgesucht. Diese Ortschaften haben durchschnittlich 500 Einwohner. Sie liege« etwa 50 bis 100 Kilometer südlich von Birmingham. Northport hat 24 Tote und 100 Verwundete zu beklagen. Die ganze Ortschaft ist zerstört. Die Trümmer stehen in Flammen. In Columbia na wurden bisher 15 Tote und 75 Verwundete gezählt. 100 Gebäude sind eingestürzt. Clanton meldete zwei Tote und 100 zerstörte Häuser. Die genaue Zahl der Toten steht noch nicht fest. Bisher wurden insgesamt über hundert geborgen. Viele Hunderte sind obdachlos geworden. Da sämtliche Nach richtenverbindungen gestört sind, liegt ein abschließendes Bild über den Umfang der Wirbelsturmkatastrophe noch nicht vor. Aeber 1000 Opfer! des Tornados Nach den letzten Meldungen hat der Tornado über 200 Todesopfer gefordert. Die Zahl der Verwundeten beträgt 1000. Revision im Gchuttheiß-Prozeß. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil im Schultheiß-Prozeß, durch das dem Hauptangeklagtcn Katzenellenbogen 3 Monate Gefängnis und eine Geldstrafe von 10 000 RM auferlegt wuroe, in vollem Umfang von 10 000 RM auferlegt wurden, in vollem Umfang Revision eingelegt. Die Revision umfaßt auch den Freispruch der übrigen Angeklagten.