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Nr. 57. Pulsnitzer Tageblatt — Dienstag, 8. März 1932 Seite 3 Arbettsbeschaffungsprogramm der Regierung Beschäftigung für 600 000 Arbeitslose Berlin. Wie die „D. N. Z." meldet, wird die Reichs- regierung nach dem 13. März ihre Beratungen über die Ar- beitsbeschafsungspläne wieder aufnrhmen, die schon seit längerer Zeit Gegenstand eingehender Ressortbesprechungen gewesen sind. Wie das Blatt erfährt, handelt es sich um folgende Objekte: Reichsbahn 300 Millionen, Reichspost 100 Millionen, Straßenbahn 300 bis 400 Millionen, Landwirtschaftliche Me liorationen 200 bis 300 Millionen, Wasserbauten 50 Millionen Reichsmark. Ler Reichsarbeitsminister hat eine Verkürzung der Arbeitszeit im Bergbau und eine Erweiterung des frei willigen Arbeitsdienstes vorgeschlagen. Er empfiehlt ferner den Bau von Kleinwohnungen mit etwa 200 Millionen Reichs mark zu fördern. Schließlich sollen der Gesellschaft für öffent liche Arbeiten 50 Millionen Reichsmark zur Verfügung ge stellt werden. An unterrichteter Stelle rechnet man mit einem Programm . an zusätzlichen Arbeiten in einem finanziellen Umfange von etwa 1,2 bis 1,4 Milliarden Reichsmark. Lieber die Finanzierung sind noch Erwägungen im Gange. Gelingt es. sd is Mittel für ein Programm von etwa 1,2 Milliarden Reichsmark bereitzustellen, so können etwa 200 000 Arbeitslose für die Dauer eines Jahres direkt und noch etwa 400 000 weitere Arbeitslose mittelbar beschäftigt werden. Um den Nutzeffekt recht groß zu machen, sind auch lohnpolitische Resormmatznahmen ins Auge gesaht. ' Zahlreiche Drohbriefe an die deutsche Botschaft in Moskau. Besserung im Befinden des Botschaftsrat v. Twardowski. — Deutschfeindliche Stimmung in der Sowjethauptstadt. Mitteilungen über die Gründe des Attentats auf den deutschen Botschaftsrat v. Twardowski sind ans Moskau nochnicht bekanntgeworden. Die russische Regierung hat mit dem verhafteten Attentäter Verhöre angestellt, die aber kein Ergebnis gehabt haben. Interessant sind in diesem Zusammenhang Ausführungen, die der deutsche Botschafter v. Dirksen gemacht hat, als eine große Reihe von Ver tretern der deutschen Kolonie in der Botschaft erschien, um ihr Beileid auszusprechen. Er hat erklärt, daß die Er schütterung über das Attentat alle Deutschen in Rußland tief berühre. Amtliche und private Vertreter des Deutschtums im Ausland müßten stets gewärtig sein, das Ziel von An- griffen und verbrecherischen Handlungen zu sein, die aus Krankheit und geistiger Verwirrung einzelner oder auch aus politischen Spannungen auf anderen Gebieten er wachsen. Die deutsche Botschaft habe in der letzten Zeit zahlreiche Drohbriefe erhalten. In Zeiten von Regierungsmaßnahmen, die die russische Öffentlichkeit stark in Anspruch nehmen, seien solche Aeußerungen des Hasses immer besonders zahlreich gewesen. Der deutsche Botschafter hat dann die Mitglieder der deutschen Kolonie zu beruhigen versucht. Man scheint aber bei der deutschen Botschaft doch die Auffassung zu haben, daß das Attentat auf den Bot schaftsrat v. Twardowski mit einer politischen Erregung in Rußland in Zusammenhang steht. Gleich nach dem Attentat haben die Sowjetbehörden vor den für Ausländer bestimmten Lebensmittelgeschäften Polizei posten aufgestellt. Gegner der jetzigen russischen Negierung haben des öfteren Vertreter der deutschen Regierung in Moskau als eine be sondere Stütze der Sowjetbehörden angesehen, und ein in Moskau immer starker Ausländerhaß hat sich stets besonders gegen die amtlichen deutschen Vertreter gerichtet. Nach den letzten Mitteilungen des Auswärtigen Amtes hat der deutsche Botschaftsrat v. Twardowski noch Fieber. Der Gesundheitszustand ist aber im allgemeinen befriedigend, v. Twardowski liegt als Gast der russischen Negierung in einem Sanatorium. Teilgeständnis des Täters. Ter Attentäter Stern, der auf den Botschaftsrat an der deutschen Botschaft in Moskau, von Twardowski, geschossen hat, hat ein Teilgeständnis abgelegt. Er erklärte, er gehöre einer terroristischen Gruppe an, die im Auftrag des Auslands sich zur Aufgabe gemacht hat, die inter nationale politische Lage der Sowjetunion zu verschlech tern und eine Krise in den Beziehungen zwischen dem Deutschen Reiche und der Sowjetunion durch ein Attentat hervorzurufen. Die Untersuchung gegen Stern soll in den nächsten beiden Tagen abgeschlossen werden. Das Programm -er Abrüstungskonferenz. Die deutschen Forderungen. Genf. Das Präsidium der Abrüstungskonferenz hat in einer bewegten Sitzung, in der die deutschen Forderungen von dem stellvertretenden Führer der Abordnung, Staats sekretär zD v. Rheinbaben vertreten wurden, einen Arbeitsplan für die große politische Aussprache im Haupt- ausschuß ausqearbeitet. Der Arbeitsplan, der sich auf einen neuen schriftlichen Bericht des Hauptberichterstatters Benesch stützt, sieht die Behandlung der grundsätzlichen Fragen der Abrüstung in folgender Reihenfolge vor: 1. Der Grundsatz der allgemeinen Abrüstung; u) Durchführung der Abrüstung durch ein einziges Ab kommen, K) Durchführung in Etappen (deutscher, türkischer, sow- . jetrussischer Antrag). " der Abrüstung. 3. verbot der Angriffswaffen, qualitative und quantita- twe Abrüstung (italienischer Antrag). 4' D>e französisch^ Sicherheitsvorschläge: A Dingungen (internationale Streitmacht), Ä^tsbar^ (Organisation der Schieds- gerichtsbarleit^ Hilfsmaßnahmen, Sank ¬ tionen, Unpapung des internationalen Regimes). 8. Allgemeine Abrüstung nach den in den internationalen Verträgen b-sher den b Staaten auferlegten Entwaffnungsbestlmmungen: ' s) die Entwaffnungsbestimmungen der internationalen Verträge als Richtlinien der allgemeinen Abrüstung (deutscher Antrag); b) gleiche Methoden der Abrüstung für alle Staaten (deutscher Antrag); Aristide Briand s Paris. Der ehemalige französische Außenminister Aristide Briand ist am Montag gestorben. Er war schon seit langer Zeit schwerkrank, und man hatte täglich mit seinem Ableben gerechnet. Mit Briand ist ein Mann aus dem Leben geschieden, der gegenüber Deutschland unter der Maske des Biedermannes eine für sein Land erfolgreiche Politik betrieben hat. Aristide Briand. Kurz vor Vollendung seines 70. Lebensjahres ist der alte Fuchs aus dem Leben geschieden. Am 28. März d. I. hätte ihm Frankreich sicherlich große Ovationen gebracht, denn das Frankreich der Nachkriegszeit weiß, was es Briand zu ver danken hat. Wir allerdings missen es auch, und wir Hütten den 70. Geburtstag sicherlich nicht zum Anlaß freudiger Er wähnung machen können. Wenn auch Briands Stern in seinem Vaterland in den letzten Jahren etwas verblichen ist, so bleibt doch noch genügend von seinem Wirken bestehen, was in der französischen Geschichte verzeichnet werden wird. Man wird späteren Generationen den Namen Briand im Zu- s a m m e n h a n g m i t d e r K n e ch t u n g D e u t s ch l a n d s nennen. Denn 'solange Aristide Briand die außenpolitische Geschichte seines Vaterlandes in der Hand hatte, hat er nach einem eigenen System die Niederhaltung des Nach barn im Osten betrieben. Trotz der Maske des Friedfertigen, die er sich allzu gern anlegte, ließ er doch nicht verkennen, daß er ein Franzose rein sten Wassers war, der allein französische Interessen kannte, und dessen Lebensaufgabe unter der Devise stand: Die Macht in Europa gehört d e n F r a n z o s e n. Selbst seine Pläne zur Weltbefriedung, die er zu gern in den Vordergrund schob, können nichts daran ändern. Inter nationale Konferenzen, Völkerbundarbeit und Sonder verträge, für die Briand stets zu haben war, dienten nur dem Ziele, der Machtpolitik Frankreichs möglichst überall maßgeblichen Einfluß zu verschaffen. So wird Frankreich als den schönsten Erfolg Briands stets die Tatsache zu werten haben, daß es ihm gelang, den Völkerbund ganz in Frank reichs Hände zu spielen. Aristide Briand wurde am 28. Mürz 1862 in einem kleinen Fischerhafen der Bretagne in St. Nazaire geboren. Seine Eltern unterhielten dort eine kleine Gastwirtschaft. Eine sehr schöne Jugend hatte er nicht, denn von Kindes beinen an lernte er die Armut kennen. Nach einer durch hungerten Studentenzeit ließ er sich mit 20 Jahren als Advo kat in Nantes nieder. Eine kleine Liebesaffäre brachte ihn in den Konflikt mit den Behörden und der öffentlichen Mei nung der Stadt. Er mußte also seine Tätigkeit dort auf- geben und kam ohne einen Sou in der Tasche nach Paris, verbittert, rebellisch und mit sozialistischen Ideen bis obenhin angefüllt. In der sozialistischen Zeitschrift „La Lanterne" er schienen viele Artikel von ihm. Allmählich fand er in die Ad vokatenlausbahn wieder zurück. Er wurde der Anwalt der kleinen Leute. Um die Jahrhundertwende saß er in der Redaktion der „Humanste", des heutigen offiziellen Organs der kommunistischen Partei Frankreichs. Aber dieser Revolutionär wurde so allmählich zum Renegaten. Er ver stand sich umzustellen. Am 2 7. APril 19 0 2 wird er zum erstenmal in die französische Kammer gewählt, der er bisher ununterbrochen angehörte. Er wurde Generalsekretär der Sozialistischen Partei und führte den Kampf gegen die Kirche. Dank seinem rednerischen Ta lent blieben die Erfolge nicht aus. Am 13. März 1906 wurde Briand zum erstenmal Minister. Am H3. Oktober 1909 zum erstenmal Ministerpräsident. Seitdem ist er aus der fran zösischen Politik nicht mehr wegzudenken. Er hat so un gefähr alle Rekorde der Staatsmänner geschlagen. Von zwölf französischen Kabinetten war er der Chef, s e ch s u n d d r e i ß i g m a l Minister. Seit etwa zwei Jahren war der Ruhm Briands im Verblassen. Er wurde alt, kränklich und den französischen Nationalisten zu schwächlich. Deshalb schiffte man ihn bei gegebener Ge legenheit aus. Aber man vermied es doch ängstlich, ihn etwa kaltzustellen. Für die Geschichte bleibt die Periode der französischen Politik von Locarno bis zur deutsch- österreichischen Zollunion mit dem Namen Bri ands aufs engste verknüpft. Berliner Blatter zum Tode Briands Berlin. Der Tod Briands gibt den Berliner Blättern Veranlassung, sich eingehend mit Ler Politik des ehemaligen französischen Außenministers zu beschäftigen. Die „Germania" sieht trotz aller Enttäuschungen in Briand einen überzeugten Diener der Friedensidee, dessen ehrliches Streben der An näherung zwischen Deutschland und Frankreich gegolten habe. Die „D. Ä. Z." hebt hervor, daß Briand vor allen fran zösischen Politikern eines vorausgehabt habe: Er sei groß zügig gewesen und habe sich nicht an Stellungen geklammert,, die unhaltbar geworden waren. Seine Großzügigkeit habe ihn von Poincaree unterschieden. Die „Dörsenzeitung" be tont, Briand habe in keiner Minute seiner politischen Arbeit vergessen, daß es der Beruf des Schauspielers sei, die eigene Meinung hinter der Maske und dem klug abgewogenen Worte zu verbergen, um einem höheren Zwecke zu dienen. Der „Lokalanzchger" sagt, für Deutschland werde das Aus scheiden Aristide Briands aus Leben und politischer Wirk samkeit den Weg zur Klarheit frei geben. Figuren wie Briand, die das Wort Frieden im Munde führten, und die französische Hegemonie mit jedem Mittel aufrechterhalten wollten, seien gefährlicher als Clemenceau. Das „Berliner Tageblatt" schreibt, Briand sei seinen Weg als ein guter Franzose, aber als ein ebenso guter Europäer gegangen. Der „Börsen-Couiser" meint, Briand sei ein Franzose ge wesen, der das Gedeihen seines Vaterlandes lieber in zivili satorischer Gemeinschaft mit einer großen Umwelt als in grimmiger Einsamkeit erreichen wollte. Die „Deutsche Zeitung" sagt, Briand sei nie ein Freund Deutschlands gewesen. Der „Vorwärts" ist der Auffassung, Briand sei ein guter Patriot gewesen, der aber über Lie engen Grenzen seines Vater landes und über den gegenwärtigen Augenblick Hinwegzu schauen fähig gewesen sei. a) Gleichberechtigung aller Staaten und Riistungs- gleichheit (italienischer Antrag); 6) Regelung der Abrüstungsfrage ausschließlich auf Grund des Artikels 8 des Völkerbundpaktes und Wegfall der bisher in den internationalen Verträgen festgelegten einzelnen Bestimmungen für die Ent waffnung einzelner Staaten (ungarischer Antrag). Der Arbeitsplan legt fest, daß die grundsätzlichen deut - scheu Forderungen auf allgemeine Abrüstung gleich ;u Beginn der großen Aussprache zur Be- zandlung gelangen, und zwar vor Behandlung ) er französischen S i ch erh ei ts v or s ch l ä g e. Die seutschen Abriistungsuntrüge kommen in den Punkten 1 und » der Tagesordnung zum Ausdruck. Somit wird der Haupt- russchuß zwangsläufig die von Deutschland geforderte Klä rung über die Frage der allgemeinen vollständigen Abrüstung and der Gleichberechtigung aller Staaten gleich zu Anfang oornehmen müssen. Japan für Austritt aus dem Völkerbund. Die Verhandlungen der immer noch in Genf tätigen Vollversammlung des Völkerbundes über den japanisch-chinesischen Kampf stehen völlig im Zeichen der Unfähigkeit des Völkerbundes, irgendetwas Entscheidendes zu tun. Man wartet in Genf ab, ob es wirklich zur Beendigung der Kämpfe um Schanghai kommt, wobei man sich längst da mit abgefunden hat, daß die Kämpfe in der Mandschurei weiter gehen. Um Schanghai hat cs inzwischen neue Kämpfe gegeben. Inzwischen rüstet sich nach sehr bestimmt auftretenden Nachrichten aus Tokio die japanische Regierung für den Austritt aus dem Völkerbund. Eine Kündigung der Mitgliedschaft im Völkerbund ist nach der Satzung nur in der Form möglich, daß ein Staat offiziell noch zwei Jahre Mitglied des Völkerbundes bleibt. Japan kann aber seine Vertretung im Völkerbundsrat und Generalsekretariat und in den Kommissionen des Völkerbundes zurückziehen, womit dem Völkerbund ein sehr schwerer Schaden zugefügt werden würde; denn die japanische Regierung ist bisher eine sehr eifrige Mitarbeiterin im Völkerbund gewesen. Nach japani scher Auffassung besteht nur noch die Wahl zwischen einer Mitgliedschaft Japans oder Chinas im Völkerbund. Da China nicht austreten wolle, so müsse, wie es in japanischen Meldungen heißt, eben Japan dem Völkerbund den Rücken kehren. Im Zusammenhang hiermit hat der Führer der Deutsch- nationalen Volkspartei, Or. Hugenberg, in einem Ar- Eel im „Sunday Graphic" erklärt, daß sich sehr schnell der Zeitpunkt nähere, wo die Großmächte in unmittelbarer Zu sammenarbeit gezwungen sein würden, einen Ersatz für Leu Völkerbund zu schaffen. „Nur durch schnelles Han deln könne Deutschland und Europa von der ernsten Gefahr Les Bolschewismus und des wirtschaftlichen Durcheinander gerettet werden. Die deutsche Politik wolle Frieden mit »llen Völkern, aber auf der Grundlage voller Gleich- g e i t." Der französische Oonaubundplan. Der französische Ministerpräsident Tardieu ist von Paris wieder nach Genf gefahren und bereitet einen großen außenpolitischen Feldzug vor. Dieser französische Feldzug soll sich gleichzeitig auf die Abrüstungsfrage und auf den Plan der Bildung einer wirtschaftlichen Donau-Föderation erstrecken. Oesterreich soll in engste Verbindung mit der Tschechei, mit Rumänien und mit Ungarn gebracht wer den, und die Donau-Staaten sollen in finanzielle Abhängig keit von Frankreich geraten. Frankreich verfolgt also das Ziel, Oesterreich von Deutschland endgültig zu trennen. Die englische Oeffentlichkeit ist von dem Plan Tardieus nicht gerade entzückt. Aber sogar in der Tschechei behandelt man den französischen Plan mit den größten Zweifeln. Auch in Wien ist große Zurückhaltung zu beobachten. Der französische Ministerpräsident hat die deutsche Re- gierung amtlich Uber seine Pläne unterrichten lassen. Deutsch, land soll in die Verhandlungen hineingezogen werden und für den französischen Plan gewonnen werden. Eine inter- nationale Konferenz soll die Frage entscheiden. Bei allen diesen wichtigen politischen Verhandlungen in Genf ist es für Deutschland zum Nachteil, daß es in Genf nicht durch einen Außenminister vertreten wird. Der französische Ministerpräsident will außerdem die von Deutsch land geforderte Rüstungsgleichheit auf der Abrüstungskonferenz ablehnen. Englands neuer Marinehaushatt. Im Unterhaus brachte der Erste Lord der Admira lität den Voranschlag für den Marinehaushalt 1932/33 ein, der sich auf 50 476 300 Pfund beläuft, das heißt 1128 700 weniger als im Vorjahre, und der der niedrigste seit dem Iiabre 1913 ist.