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Pulsnitzer Tageblatt — Sonnabend, 20. Februar 1932 Seite 6 Amtlicher Bericht Wer die öffentliche Sitzung des Bezirksausschusses der Amts-au-tmauufchast Kameiy ÜM 17. 1932. (Unberechtigter Nachdruck verboten.) Die 2. diesjährige Sitzung des Bezirksausschusses fand Mittwoch, den 17. Februar 1932, vormittags 9 Uhr, im Sitzungssaale der Amtshauptmannschaft statt. Zur Beratung standen 40 Punkte. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedachte der Vorsitzende Herr Amtshauptmann Dr. v. Zobel, des vor kurzem ver storbenen Bürgermeisters Scholze in Jesau, der dem Bezirks ausschüsse und dem Bezirkstage 12 Jahre angehört hatte. Der Bezirksausschug ehrte den Verstorbenen durch Erheben von den Plätzen. Hierauf begrüßte Herr Amtshauptmann Dr. v. Zobel besonders den als Ersatzmann in den Bezirksausschuß eingetretenen Herrn Rittergutspachter Pampel in Henners dorf. Alsdann machte der Herr Vorsitzende folgende Mitteilungen: Nach der von der Kraftverkehrsgesellschaft für den Frei staat Sachsen vorgelegten Betriebsabrechnung sind die Einnah men bei der staatlichen Kraftwagenlinie Dresden—Königs brück-Kamenz im Dezember 1931 weiter zurückgegangen. Wäh rend der Fehlbetrag bei dieser Linie im November 1931 1738,08 RM. betrug, belies er sich im Dezember 1931 aus 2555,87 RM Bei der staatlichen Kraftwagenlinie Bautzen- Kamenz ist dagegen eine Erhöhung der Betriebseinnahmen zu verzeichnen. Der Fehlbetrag im November 1931 betrug bei dieser Linie 919,35 RM., im Dezember 1931 verminderte er sich auf 388,80 RM. Ein Zuschuß des Bezirksoerbandes ist in beiden Fällen nicht erforderlich, da die vertraglich übernom menen Cewährleistungssummen bereits restlos abgeführl worden sind. Auf Grund der Vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931 Erster Teil Kapitel III 8 2 — Reichsgesetzblatt S. 699 ff. — sind die Zinsen für die vom Bezirksverbande aus Bezirksmitteln des Rechnungsjahres 1925 gewährten Wohnungsbaudarlehen von 8 auf 6 A herabgesetzt worden. Das Ministerium des Innern hat genehmigt, daß sich die Gemeinden Glaubnitz und Bocka nach Maßgabe der von den Gemeindevertretungen zu Glaubnitz und Bocka beschlossenen Vereinbarung vom 14. August 1931 mit Wirkung vom 1. Januar 1932 ab zu einer Gemeinde unter dem Namen „Glaubnitz" verciniaen. Die Landwirtschaftskammer hat mitgeteilt, daß sie mit dem Volksbund für Arbeitsdienst in Dresden in Verbindung ge treten sei, um möglichst bald mit der Melioration der Schwar zen Elster beginnen zu können. Zunächst sei beabsichtigt, die Regulierungs- und Meliorationsarbeiten am Luggraben in der Gemeinde Schiedel vorzunehmen. Mit dem Volksbund für Arbeitsdienst sei vereinhart worden, daß in erster Linie orts ansässige Leute bei den Arbeiten zu beschäftigen sind. Es werde sich dabei vor allem um Arbeitslosen- und Krisenunterstützungs empfänger handeln. Die Beschäftigung von Wohlfahrtserrverbs- losen sei unter gewissen Voraussetzungen möglich. Auch die Eigentümer des Grund und Bodens könnten Arbeiten leisten, sie bekämen zwar dann keine Unterstützung, hätten aber den Vorteil, daß sie ihren eigenen Boden verbesserten. Die Land wirtschaftskammer werde die erforderlichen Beschlüsse der Meliorationsgenossenschaft Herbeisühren. Der Bezirksausschuß nahm von diesen und einigen anderen Mitteilungen Kenntnis. Angesichts der außerordentlich schwierigen Finanzlage des Vezirksverbandes und entsprechend den gleichen Beschlüssen der übrigen Lausitzer Vezirksverbände sowie unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Reichsnotverordnung vom 8. Dezember 1931 und der Verordnung des Arbeits- und Wohlfahrtsmini steriums vom 23. Juli 1931 hat der Vezirksverband die Richt sätze der gehobenen Fürsorge mit Wirkung vom 1. Februar 1932 in der Weise herabgesetzt, daß sie noch 25 Prozent über den Richtsätzen der allgemeinen Fürsorge liegen. Hiernach be trägt von diesem Zeitpunkte ab der Richtsatz der gehobenen Fürsorge (Fürsorge für Sozial- und Kleinrentner sowie die ihnen Gleichgestellten) für einen alleinstehenden Fürsorge- berechtigten 39 RM. monatlich (bisher 45 RM.) und für ein fürsorgeberechtigtes Ehepaar 55 RM. monatlich (bisher 62 RM.) Beim Kinderzuschub ist keine Veränderung eingetreten, er bleibi ,onaq auch weiterhin in Höhe von monatlich 10 RM. bestehen. Sowohl der Fürsorgeausschuß des Vezirksverbandes als auch der Bezirksausschuß stimmten dieser Herabsetzung zu. Der Bezirksausschuß hat sich in seiner Sitzung am 14. Okto ber 1931 dafür ausgesprochen, daß der bisherige, aus 32 Per sonen bestehende große Beirat des Vezirksfürsorgeverbandes im Sinne von 8 6 der Satzung für den Vezirksfürsorgeverband ' - Wegfall kommen kann. Er ist dabei davon ausgegangen, »aß der Aufbau der Wohlfahrtspflege im Bezirke der' Amts hauptmannschaft Kamenz als abgeschlossen gelten kann, und Saß daher die Tätigkeit des großen Beirats für das Wohl fahrtsamt tatsächlich nicht mehr unbedingt nötig ist. Das gleiche ist auch in anderen Vezirksverbänden festgestellt worden. Durch sie Beseitigung des bisherigen Beirates und auf Grund dei Vorschriften im Fünften Teile — Sozialversicherung und öffent liche Fürsorge — Kapitel VIII Artikel 1 der Zweiten Verord nung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft uni Finanzen vom 5. Juni 1931 — Reichsgesetzblatt S. 279 ff. — sowie der dazu erlassenen sächsischen Ausfllhrungsvorschriften vom 14. August 1931 — Sächsisches Gesetzblatt S. 147 ff. — macht sich eine Aenderung der Satzung des Vezirksfürsorgever bandes der Amtshauptmannschaft Kamenz erforderlich. In der hierüber ausgearbeiteten Vortage sind zum Zwecke der Verein fachung des Geschäftsbetriebes die bisherigen 3 Fachausschüsse für das Wohlfahrtsamt, das Jugendamt und das Fürsorgeamt die den großen Beirat bildeten, sowie der Beirat für die Ab teilung Kriegerfürsorge zu einem Wohlfahrtsausschuß zusam mengeschlossen worden. Weiter ist ein Einspruchsausschuf gebildet worden, der, soweit gesetzlich nichts anderes bestimm! ist, über Einsprüche entscheidet, die gegen die zur Durchführung der Wohlfahrtspflege ergangenen Beschlüsse der Verwaltungs stellen des Vezirksfürsorgeverbandes erhoben werden. Die Be stimmungen der bisherigen Satzung, die nur die bereits in den Reichsgesetzen veröffentlichten Grundsätze über Voraus setzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge wiedergeben, und in die neue Satzung nicht mit ausgenommen worden, weil dies für entbehrlich gehalten wurdet Der Bezirksausschuß stimmte der Satzungsvorlage nach Vornahme einiger redak tioneller Aenderungen sowie unter vorläufiger Aussetzung der Entschließung zu 8 11 der Satzungsvorlage zu und empfahl die abgeänderte Fassung dem Bezirkstage zur Genehmigung. Wegen der Fassung dieses Paragraphen, der die Bestimmungen über die Entschädigung der Städte Kamenz und Pulsnitz für die selbständige Bearbeitung der Wohlfahrtspflege enthält, und zu dem ein Antrag des Stadtrates zu Kamenz wegen Aenderung des bisherigen Verteilungsschlüssels vorlag, wurde ein Unter ausschuß eingesetzt. In den in 8 6 der neuen Satzung für den Bezirksfürsorge verband der Amtshauptmannschaft vorgesehenen Einspruchaus schuß wurden gewählt, und zwar aus den Mitgliedern des Bezirkstages die Herren Bürgermeister Rauchfuß, Elstra, und Lagerhalter May, Gersdorf, als ordentliche Mitglieder sowie die Herren Bürgermeister Hänsel, Oßling, und Steinarbeiter Nikolaus Kosk, Räckelwitz, als Stellvertreter, ferner als Ver treter der Gemeinden Herr Bürgermeister Büttner, Kuckau, und als sein Stellvertreter Herr Bürgermeister Rietschel in Gersdorf. Weiter beschloß der Bezirksausschuß, gemäß 8 18 der Aus führungsverordnung vom 12. Juli 1919 zu dem Gesetze über die Wählen zu den Vezirksversammlungen, Bezirksausschüssen und Kreisausschüssen und innerhalb dieser Körperschaften vom 5. Juli 1919 als Ersatzmann für den verstorbenen Bürger meister Scholze in Jesau Herrn Vöttchermeister Bruno Stäg- lich-Brauna in den Bezirkstag zu berufen. Durch das Ableben des Bürgermeisters Scholze in Jesau machten sich mehrere Ersatzwahlen erforderlich. Es wurden gewählt als Mitglied 1.) des Veschwerdeausschusses beim Be zirksfürsorgeverband Herr Rittergutspachter Pampel in Henners dorf; 2.) des Heimausschusses des Bezirksheims Jesau Herr Rittergutspachter Rentsch in Räckelwitz und als sein Stellver treter Herr Rittergutspachter Pampel in Hennersdorf; 3.) des Unterausschusses für die Verteilung der Wohnungsbaudarlchen Herr Rittergutspachter Pampel in Hennersdorf; 4.) des Unter ausschusses zur Entscheidung über Einsprüche gegen die Stimm listen oder Stimmkarteien für die Neichspräsidentenwahl und gegen die Versagung von Stimmscheinen Herr Rittergutspach- ter Pampel in Hennersdorf; 5.) des Steuerausschusses Herr Bürgermeister Rentzsch in Großröhrsdorf und als sein Stellver treter Herr Bürgermeister Leßmann in Königsbrück. Der Ortsausschuß der Jugendverbände für Kamenz und Umgegend hatte bereits im Sommer v. I. um eine Unter stützung aus Bezirksverbandsmitteln zur Förderung seiner Bestrebungen gebeten. Die endgültige Entschließung auf dieses Gesuch mußte jedoch damals aus Mangel an verfügbaren Mit teln zurückgestellt werden. Da sich aber seitdem die Finanzlage des Vezirksverbandes infolge des Anwachsens der Ausgaben für die Krisen- und Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge weiter erheblich verschlechtert hat, vermochte der Bezirksausschuß auch z. Zt. dem Gesuche nicht näherzutreten. Der Bezirksverband der Ämtshauptmannschaft erhebt in den selbständigen Gutsbezirken zu dem Landessatzr der Bürger steuer einen Zuschlag von 150 Prozent. Eine größere Anzahl der Bewohner des selbständigen Eutsbezirks Tr.-Ueb.-Plaj Königsbrück hat gebeten, entsprechend der angrenzenden Ge meinde Weißbach b. Kgsbr. den Vürgersteuerzuschlag nur in Höhe des Landessatzes zu erheben. Auch dieses Gesuch könnt« der Bezirksausschuß wegen der ungünstigen Finanzlage des Vezirksverbandes nicht berücksichtigen. Nach tz g Absatz 2 der Verordnung über die Entschädigung sur Viehverluste durch Seuchen vom 13. Januar 1927 — Säch- psches Gesetzblatt S. 6 ff. — sind im Benehmen mit der zu ständigen Kreisdirektion der Landwirtschaftskammer alljährlich Listen von geeigneten Sachverständigen für das Schädenfest- stellungsverfahren so aufzustellen, daß tunlichst aus jedem Ort« wenigstens 2 Sachverständige zur Verfügung stehen. Der Be zirksausschuß genehmigte die hierüber aüfgestellte und von de, Landwirtschaftskammer Kreisdirektion für die Oberlausitz — gebilligte Vorschlagsliste Weiter stimmte der Bezirksausschuß den Vorschlägen ZU, Wahl der Vertrauensmänner für den Amtsgerichten des Bezirks zu bildenden Ausschüsse zu, die die Schösse» und Geschworenen auf das ^,ahr 1933 zu wählen haben, und empfahl sie dem Bezirkstage zur Annahme. Die Eemeindeverordneten zu Hauswalde haben in de, Sitzung am 22. Januar 1932 beschlossen, zur Deckung des Auf wandes, der der Gemeinde Hauswalde durch das Feuerlösch wesen erwächst, gemäß 8 41 des Grundsteuergeseyes vom 30. Juli 1926 eine Feuerschutzsteuer vom 1. April 1932 ab zu erheben. Der Bezirksausschuß genehmigte den hierüber aus gestellten 16. Nachtrag zur Eemeindeiteuerordnung. Nach dem Teilungsplan der Sparkasse zu Bretnig für di« aufzuwertenden Mark-Spareinlagen beträgt der Aufwertungs- satz 20,2 v. H. Die Gemeindeverordneten zu Bretnig Haber dazu beschlossen, aus Mitteln der Gemeinde diesen Aufwertungs satz auf 22 v. H. zu erhöhen, weil angenommen wird, daß bei den von der Sparkasse ausgeliehenen und im Grundbuche wiedei eingetragenen Hypotheken durchweg der volle Auswertungs betrag zuriickerlangt und auch bei den Wertpapieren mit Kurs gewinnen gerechnet wird. Der Bezirksausschuß versagte dem Beschlusse der Gemeindeverordneten zurzeit die Genehmigung Die Stadtverordneten zu Pulsnitz haben mit Zustimmung des Stadtrates entsprechend dem 8 11a des Wohlfahrtspflege, gesetzes vom 28. März 1925 in der Fassung unter Ziffer 3 de, Ausführungsvorschriften zu Kapitel VIII des Fünften Teiles »er Zweiten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 14. August 1931 — Säch sisches Gesetzblatt S. 147 ff. — einen 3. Nachtrag zum Orts- zesetze über die Organisation der öffentlichen Wohlfahrtspfleg« in der Stadt Pulsnitz ausgestellt. Dieser Nachtrag bestimmt, daß gegen jeden zur Durchführung des Wohlfahrtspflegegesetzes ergehenden Beschluß der Verwaltungsstelle des Stadtrates der Einspruch gegeben ist, über den, soweit gesetzlich nichts anderes vorgesehen ist, ein Einspruchsausschuß in der Zusammensetzung von 3 Mitgliedern entscheidet. Dieser Ausschuß besteht aus »em Bürgermeister als Vorsitzenden sowi- 2 vom Stadtrat zu wählenden Mitgliedern, von denen mindestens einer Vertreter der Hilfsbedürftigen oder ihrer Vereinigungen zu sein hat. Der Nachtrag wurde genehmigt. Zur Erhaltung von Altwohnungen ist der Stadt Pulsnitz vom Arbeits- und Wohlfahrtsministerium ein Darlehen in Höhe von 2500 RM. aus Aufwertungssteuermitteln gewähr, worden. Der Bezirksausschuß genehmigte die Aufnahme dieses Oarlehns. Ferner wurden genehmigt der die Vergütung des Bürger meisters neuregelnde 2. Nachtrag zum Ortsgesetz über die Stelle des Bürgermeisters der Gemeinde Schweinerden sowie aus Grund von 8 5 des Gesetzes über die Teilbarkeit des Grund eigentums vom 30. November 1843 die Abtrennung des 12,8 Ur Osi' LoksnrMsek kiomun von l-uoie kioinkurcl dv Martin beneklvlanser, ttaNs (8asie) 1930 s35 Da erfaßte sie zum ersten Male ein Grauen, daß die Angst ihr fast die Kehle zuschnürte. Am liebsten wäre sie wieder zurückgefahren, um sich unter dem schützenden Dach des kleinen Gartenhauses zu verkriechen, unter den liebe vollen Augen der guten Tante Franziska, die sie so von ganzem Herzen liebte. Aber kaum, daß der Gedanke auftauchte, so verwarf sie ihn auch wieder. Nein, zurück konnte sie nicht mehr, nach dem die harte Frau Irma so böse Worte zu ihr gesprochen hatte. Nein, sie mußte vorwärts, und sollte sie auch zu grunde gehen, denn nach Blumenau führte für sie kein Weg mehr zurück. Die Menschen, die hastig vorüberfluteten, stießen sie an, da sie mitten im Wege stand, und so mußte sie endlich weitergehen, wollte sie nicht unliebsam auffallen. Be nommen von dem Leben und Treiben, dem Hasten und Jagen trotz der späten Stunde, ließ sie sich von der Menge schieben und treiben wie ein steuerloses Schiff, das keinen Führer mehr hat. In der belebten Friedrichstraße fiel sie auch nicht weiter auf, denn da gingen noch mehr Reisende mit ihrem Hand gepäck; aber als sie an die Ecke „Unter den Linden" kam, stand sie wieder rat- und ziellos da, bis sie von einem Herrn angesprochen wurde. Da hastete sie angstvoll Weiler. Die Linden hinunter, wo es stiller wurde und das Dunkel sie umfing, das sie schützend einhüllte. . Aber sie eilte doch unbewußt weiter, als triebe eine Macht sie vorwärts, bis sie vor einem hohen Gebäude stehenbH^b, als hätte das Geschick sie gerade hierher ge führt. Es war das Opernhaus. Blandines Herz-klopste heftig und mit lauten, harten Schlägen, als sie das Haus ihrer Sehnsucht erkannte. Die Vorstellung war noch nicht beendet, denn innen brannte noch Licht. Eine Menge von Wagen stand vor dem Portal. Tränen füllten Blandines Augen. Sie würde nun das Singen aufgeben müssen, denn sie mußte von jetzt an um das tägliche Brot arbeiten, da konnte sie nicht mehr lernen und üben. Und nun liefen die heißen Tropfen über ihre blassen Wangen, als sie sich ihr künftiges Leben vorstellte. Das war nun das Ende von all den stolzen Plänen und Hoffnungen, die ihr geliebter Vater stets für sie hegte und denen sie selbst mit begeistertem Herzen zugestimmt hatte. Anstatt die Menge durch ihre hehre Kunst zu be geistern, würde sie irgendwo, vielleicht als Dienstmagd, in harter Arbeit ihr tägliches Brot verdienen — ein Spielball übler Launen einer verwöhnten Herrin. Das was das Ende. Und im Moment stieg wieder leise Reue in ihr auf, daß sie vielleicht doch zu unüberlegt gehandelt hatte, im ersten Impuls und im Sturm ihrer aufgeregten Nerven. „Kehre zurück", drängte eine mahnende Stimme in ihr, „kehre zurück unter das schützende Dach der guten, alten Tante Franziska, die dich mit Freudentränen wieder an ihr Herz drücken würde, denn sie liebt dich, wie eine Mutter ihr Kind nicht inniger lieben kann. Kehre zurück und nimm die Ängst und den Kummer über dein Fortgehen vom Herzen dieser gütigen Frau, die dir von Anfang an mit offenen Armen entgegenkam. Sie würde dir keinen Vorwurf machen, und du bist wieder frei von allen Aengsten um Vie Zukunft, kannst dein Studium vollenden und das Erbe des Vaters, dereinst seine würdige Nach folgerin zu werden, antreten. Brauchst nicht in harter Arbeit deinen Unterhalt bei fremden, gefühllosen Men schen zu verdienen, sondern liebende Frauenaugen werden wieder über dir wachen in zärtlicher Sorge um dein Wohl." Und schon machte sie eine Bewegung, sich umzuwenden und den Weg zum Bahnhof zurückzueilen, als wie eine Vision das harte Gesicht Frau Irmas vor ihren Augen erschien und die bösen Worte in ihren Ohren klangen, die diese zu ihr gesprochen hatte. Nein, nein, nicht zurück! Sie konnte nicht mehr nach Blumenau zurückkehren, wo alle mit Fingern auf sie weisen würden, wie die Tante ihr gesagt hatte; sie mußte vorwärts, mußte den Weg, den sie einmal beschritten hatte, weitergehen, einerlei, wohin er führen würde — nur nicht mehr der entsetzlichen Fran unter die Augen treten. Sinnlos stürmte sie wieder vorwärts, ohne zu sehen, wohin, bis sie mit dem Gesicht beinah gegen einen Kasten gestoßen wäre. Da kam sie zu sich. Sie stand an der Mauer, und vor ihr hing der Kasten mit dem Programm des Abends. Und als sie sich wieder gefaßt hatte und aus sich selbst besann, da erwachte auch wieder unbewußt das Interesse für die Kunst und für die Bühne, und gewohnheitsgemäß, wie früher, las sie, was jetzt gegeben wurde, und die Namen der Sänger und Sängerinnen. „Tannhäuser!" Oh, den hatte der geliebte Vater auch immer gesungen, und wie hatte die Menge begeistert ge lauscht, wenn seine warme, weiche Stimme durch den Raum klang, wie hatte sie ihn nach jedem Aktschluß jubelnd hervorgerufen, und was hatte sie ihm für Blumen und Geschenke überreichen lassen! Wie tat das Herz so schrecklich weh bei diesen alten Erinnerungen, daß Blan dine ihre Hand fest darauf pressen mußte, um nicht laut aufzustöhnen. Und wie drängten und schmerzten die alten Erinnerungen, die plötzlich mit aller Macht wieder in ihrem Gedächtnis auflebten! Den Wolfram sang damals der berühmte Gütter, der beste Freund des Vaters. Blandine entsann sich noch ganz genau der letzten Vorstellung, der sie in der Bühnenloge beigewohnt hatte.