Volltext Seite (XML)
Pulsnitzer Fayeblatl 84. Jahrgang Freitag, 29. Januar 1932 Beilage zu Nr. 24 Oer Ruf nach -er einheitlichen Reichssürsorge. Jeder fünfte Einwohner leidet unter der Arbeitslosigkeit. Lie absolute Steigerung der Arbeitslosigkeit ist, wie der Sächsische Gemeindetag berichtet, im Dezember in Sachsen um über 100 Prozent, im Reich dagegen nur um rund 40 Prozent höher als im Vormonat. Die Zahl der Arbeitslosen betragt Ende Dezember 1931 in Sachsen 672 831 oder 134,6 auf 1000 Einwohner, und im Reich rund 5 668187 oder 90,8 auf 1000 Einwohner. Die Zahl der Arbeitslosen hat somit den Höchststand im Februar 1931 um 13,6 Prozent überschritten. .Nach einer Feststellung der Reichsanstall für Arbeitslosenversicherung ergibt sich, wenn die Zahl der Arbeitslosen einschließlich ihrer Familienmitglieder der Zahl der Einwohner gegenüber- gestellt wird, daß in Sachsen jeder fünfte Einwohner unter der Arbeitslosigkeit leidet. Auch die Wohlfahrtserwerbslosen haben im Dezember stärker zugenommen als im Vormonat. Die absolute Steigerung ist sogar wesentlich größer als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Die Zahl der von den Arbeitsämtern anerkanntenWohlfahrtserwerbslosen betrug EndeDezember in Sachsen 226 952 oder 45,4 auf 1000 Einwohner und im Reich schätzungsweise 1682 000 oder 26,96 auf 1000 Ein wohner. Somit ist wieder in Sachsen im Gegensatz zum Reich eine weit stärkere Belastung der gemeindlichen Für sorge eingetreten. Die immer wieder geforderte Einführung einer einheitlichen Reichsarbeitslosenfürsorge wird selbst von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits- losenversicherung, allerdings nur für die von der Reichs anstalt unterstützten Arbeitslosen, als unbedingt notwendiq bezeichnet, wenn nicht besonders gefährdete Gebiete wie Sachsen völlig zum Erliegen kommen sollen. Da aber durch die vom Reich an Sachsen zu leistenden Zuschüsse nur »venia über die Hälfte der gesamter» Arbeitslosen unterstützt werden, die andere Hälfte aber der gemeindlichen Fürsorge zur Last fällt, so müßte, wenn gefährdete Gebiete wie Sachsen tatsächlich vor dem Erliegen geschützt werden sollen, folgerichtig auch diese Art der Arbeitslosen in die ein heitliche Reichsarbeitslosenfürsorge einbezogen werden. Für die Wohlsahrtserwerbslosen und Krisenunter stützten wurden von den Gemeinden und Bezirksverbänden im Dezember 12,6 Millionei» Mark und seit Beginn des Rechnungsjahres 1931 88,3 Millionen Mk. oder 17,66 Mk. je Kops der Bevölkerung ausgegeben. Wie lange sollen den Gemeinden diese wahrhaft ver heerenden Opfer noch zugemutet werden? Zur sächsischen Verwaltungsreform. Leitsätze des sächsischen Bürgermeistertages. In Dresden sand unter dem Vorsitz des 1. Bürger meisters von Aunaberg, Krug, eine nichtöffentliche Haupt versammlung des sächsischen Bürgermeistertages, Verband sächsischer Mittelstädte, statt, in dein über die Verwaltungs reform für den Freistaat Sachsen gesprochen wurde. Es kV/l Koklön vou 6LKI KOittSLKL UsiUn Neucdtivsnxei, ttsve (Lsslo) s49 Jener Kuß auf dem Wohltätigkeitsfest hatte ihm den letzten Schleier von seinem Empfinden gerissen. Er wußte jetzt, daß er die süße blonde Frau mit einer Innigkeit siebte, die ihn vollständig gewandelt hatte. Kein wüstes Leben war auf die Enttäuschung, als Eva ihn zurückwies, gefolgt. Nein, er war eher zum Frauen hasser geworden. Und manchmal halte er schon mit dem Gedanken ge- Ipielt, Schluß zu machen. Mit seinem Leben I Aber jedes mal hatte er im letzten Augenblick an seinen alten Vater gedacht. Nein, dem durfte er das nicht antun. So hieß es eben, weiter an der Karre ziehen, die man sich selber so schon zurecht gezimmert hatte. Eva hatte ihn damals geliebt, hatte auch an seine Liebe geglaubt. Und er? Achtlos war an dieser schönen Mädchenblüte vor übergeschritten, hatte sich nicht die Mühe gegeben, ihr näher zu kommen. Ja, er hatte sie förmlich gehaßt, weil st« nicht irgendein kleines Landmädel gewesen war, sondern die Tochter des alten Hagen, die er heiraten mußte, weil er sie vor den Leuten kompromittiert hatte. Wenn er damals hätte ahnen können, daß eine Zeit kommen würde, wo er fast wahnsinnig wurde vor Sehn sucht nach dem jungen Geschöpf! Und sie kam jetzt, weil er sie gerufen hatte! Leise keimte eine törichte Hoffnung in ihm auf. Wenn auch Eva sich nach ihm sehnte? Er schüttelte den Gedanken ab. Nein, das würde sie nicht! Wie konnte sie sich nach ihm sehnen? Das war ausgeschlossen, war ein Ding der Un möglichkeit. »Wenn es aber dennoch so wäre?" wurden einstimmig eine Reihe von Leitsätzen angenommen, in denen Verwaltungsvereinfachungen, Stärkung der Selbstverwaltung, Änderung der Staatsanfsicht über die Gemeinden verlangt wurde, ferner Abänderung der Be zirksgrenzen unter Zugrundelegung der gegenwärtigen wirtschaftliche»» und Verkehrsverhältnisse, Bildung von Verwaltungsgemeinschafte,» oder Zusammenschluß von Gemeinden und Änderung der Gemeindeordnung zur Erreichung einer besseren Zusammenarbeit zwischen Ge- meindeverordneten und Gemeinderat. Die Gemeinde parlamente sollen verkleinert Werder, und die Möglichkeit, unerfüllbare Anträge durchzusetzen, soll den Gemeinde- Parlamenten unmöglich gemacht werden. Weiter wird Aus bau der Gemeindesteuerhoheit, Vereinfachung des Nechts- mittelverfahrens, Neuaufstellung eines Organisations- und eines Staatsverwaltungsgesetzes gefordert. Die Wahl dauer der Bürgermeister soll auf Lebenszeit festgesetzt werden. Wir be^inEN mit der VerökkentliokunA in wenigen Va^en. „Der Lckandklook", wie Dante Irma die junge «cküne Llandine nennt, wird bald das Inter esse unserer Leser und Le8erinnen gewinnen. Viele von uns wissen, wie es einem so armen Oesoköpk erZekt, wenn es auk cias Nitleid „wokIMiZer" relckerVerwundten unbewiesen ist. Was unsere Heldin, ein tapferes, krisokes lMdel, das das Her? auk dem rechten Lleok Lat und das sokliekliek sein Letücksal selbst in die Hand nimmt, im Hause des Onkels Kommerzienrat rm leiden Kat, und wie Blandine kür ikre Liebe kämpkt, das erkakren wir in unserem kesselnden neuen kioman: von Lueie kvimkrurÄ. Aus aller Welt Liesten (Elster). De t te lm u s i k a n t e n fahren im Auto vor. Fuhr da nachmittags ein Auto mit dem Ham burger Kennzeichen vor, aus dem zwei junge Leute mit einer Ziehharmonika und einer Laute ausstiegen. Der Zweck war ersichtlich. Die beiden fingen an, auf der Straße zu musizieren. Es geht also selbst „Fahrenden Musikanten" noch nicht so schlecht, wie allgemein angenommen wird. Vielleicht haben es diese Leute auf Grund ihrer Einnahmen bald zu einem Acht zylinder gebracht. Braunschweig. In, Anschluß an die Beerdigung eines bei einem politischen Zusammenstoß erschossenen Reichsbanner mannes kam es in Braunschweig zu Ausschrei tungen, bei denen mehrere Polizeibeamle ond drei Demon stranten verletzt wurden. Detmold. Im Amt 15 0 0 0 M a r k u n t e r s ch I a. gen. Mi der Amtssparkasse Hohenhausen und der Land krankenkaffe Alverdissen wurden Unregelmäßigkeiten aufge deckt. Der Kassierer Sudmann von der Ämtssparkaffe Hohen hausen wurde verhaftet. In der Zelle des Gerichtsgefäng- niffes Hohenhausen hat Sudmann Selbstmord begangen. Zwei weitere beschuldigte Beamte, Arning und der Kassierer Düwel aus Alverdissen, wurden ebenfalls verhaftet. Die Festgenommenen gaben zu, mit dem aus dem Leben geschie denen Sudmann in letzter Zeit etwa 15 000 Mark unter schlagen zu haben. Emden. Kreuzer „Emden" besucht seine Paten st ad t. Der Kreuzer „Emden" wird seiner Paten stadt in diesem Frühjahr einen Besuch abstatten. Der Kreuzer wird bekanntlich außer Dienst gestellt, sobald das Panzerschiff „Deutschland" auf der Kieler Werft fertiggebaut ist. Die „Emden"-Besatzung bildet dann den Stamm der neuen „Deutschland"-Besatzung. Wesermünde. Die Funktürme in Wulsdorf umgelegt. Die beiden letzten 40 Meter hohen Funktürme der Küstenfunkstation in Wulsdorf wurden umgelegt. Erst im Jahre 1925 erbaut, ist die Station mit ihren vier Türmen schon seit mehr als Jahresfrist durch den Seeverkehr der Stationen Norddeich und Elbe-Wessr-Radio überflüssig ge worden. Die Türme werden verschrottet. Heide. Schaf st erben in Nordfriesland. Ein großes Schafsterben ist gegenwärtig in den Kögen (Neu landsiedlungen) Nordfrieslands ausgebrochen. Die Schaf krankheiten, die für zahlreiche Besitzer empfindliche Einbußen ihres Bestandes gebracht haben, sind Folgen der starken Ueberflutungen im vergangenen Jahre. Die Schafe leiden besonders unter der Nässe. Darmstadt. Ober-Versicherungsamt um 100 000 NM geschädigt. Vor einigen Tagen ist der Verwaltungssekretär beim Oberversicherungsamt Darmstadt, Scholles, wegen Amtsunterschlagung verhaftet worden. Die Untersuchung hat nunmehr ergeben, daß eine Summe von mindestens 100 000 NM in Frage kommt, die Scholles nach und nach durch Fälschung von Belegen sich angeeignet hat. Ehikago. Eine Million Dollar an Ent führungen verdient. Der reiche Fabrikant Howard Woolverton, der in Southbend (Indiana) zu Hause ist, hatte 'mit seiner Frau eine Autofahrt nach Ehikago unternommen. Kurz vor Erreichung seines Zieles ereilte ihn das Unglück, in die Hände von Banditen zu fallen. Diese hielten den Wagen an, holten die Frau heraus und fuhren mit dem Mann in entgegengesetzter Richtung davon. Der Frau wurde dann kurze Zeit darauf ein Drohbrief zugestellt, nach dein innerhalb kürzester Frist 50 000 Dollar gezahlt werden müßten, wenn sie ihren Mann noch lebend Wiedersehen wolle. Die Polizei macht alle Anstrengungen, das Leben des Ent führten zu retten und jener Entführerbande endlich habhaft zu werden, die im Laufe der letzten zwei Jahre mindestens schon eine Million Dollar an ihren Entführungen verdient hat. Kardorf horchte in sich hinein. Woher kam denn nur diese Stimme, die das behaupten wollte? „Zurücktreten!" Der Beamte lief schnell am Bahnsteig entlang. Kar- dorf starrte auf das Ungetüm, das heransauchte und dann mit nachlassender Geschwindigkeit in die Halle einlief. Kardorf lief den Zug entlang. An eines der Fenster drückte sich ein süßes, blasses Gesicht. Kardorf war schon dort, öffnete die Tür, stieg ein. „Guten Tag, Eva! Ich danke dir, daß du gekommen bist. Darf ich dein Gepäck nehmen? Es ist nicht viel Aufenthalt." Ihre Hände ruhten nur kurze Zeit ineinander; dann nahm Kardorf das Gepäck an sich. Sie stiegen aus, und er zog Evas Arm durch den seinen. Schnell schritt er mit ihr dem draußen wartenden Auto zu. Hier verstaute er das Gepäck und wickelte dann Eva in die warme Decke. „Du hast keinen Bedienten mit, Harald?" Es klang wie Angst in ihrer Stimme. „Du möchtest nicht gern allein mit mir fahren, Eva?" Da schämte sie sich plötzlich ihrer Gedanken und sagte: „Wie kannst du so fragen? Ich vertraue dir doch!" „Ich danke dir, Kind!" Sie fuhren ein Weilchen später über hart gefrorene Straßen. Der Schnee lag auf den Bäumen und Sträuchern. Auf den Straßen hatte ihn die Kälte flach gedrückt. Er bildete kein Verkehrshindernis. Ruhig und sicher fuhr der Wagen dahin. Eva saß da, sah nur immer auf den breiten Rücken und den schmalen Kopf. Und wieder stieg ein Angstgefühl ohnegleichen in ihr hoch. Sie fürchtete sich vor Harald Kardorf — und doch liebte sie ihn. Der Zwiespalt in ihrem Herzen wurde größer, je näher man Schloß Hagenhöhe kam. Und dann war man eben da, ehe man sich dessen recht versah. Die Dienerschaft war freudig überrascht. Die Sieber ten strahlte über das ganze gute Gesicht. Kurze Zeit später war es, als sei Eva nie von Hagenhöhc fort gewesen, als läge nicht eine schicksalsschwere Zeit zwischen einst und jetzt. . * * * Sie saßen sich wieder in dem schönen, alten Speise zimmer gegenüber. Er war, wie ehemals, bemüht, ihr die besten Bissen vorzulegen. Ruhig und ungezwungen plauderte er mit ihr. Er erzählte ihr dies und jenes aus der Nachbarschaft, teilte ihr mit, daß Brigitte glücklich wäre - wenigstens hätte Papa den Eindruck. Dieser selbst sei sehr oft in Hagenhöhe, und er komme auch morgen früh mit Graf Osten herüber. Fürst und Fürstin Lohbeck würden gegen Mittag eintreffen, desgleichen die anderen Herrschaften. Ob sie meine, daß man Brigitte noch her bitten solle? Eva überlegte, dann jagte sie: „Es ist vielleicht ganz gut, wenn Brigitte kommt. Ich kann mich sehr gut erinnern, daß sie früher einmal eine Fuchsjagd mitgeritten hat und daß man sie allgemein be wunderte, weil sie so stolz und sicher zu Pferde saß. Wird die Fürstin mitreiten?" „Nein, Eva. Die Fürstin — sieht Mutterfreuden ent gegen. Aus diesern Grunde —" Evas schlanke Hänve glitten zitternd über die weiße» Blüten, die er ihr mitgebracht hatte und die mit ihrem leisen, geheimnisvollen Duft das Zimmer durchwehten. „Dann werden wir drei Damen also hierbleiben. Ich werde mir Mühe geben, recht liebenswürdig zu der Ge mahlin deines Freundes zu sein", sagte sie dann leise. Wie Goldstücken sprühte das Haar auf ihrem Kopfe im Schein des Lichtes auf. Harald Kardorfs Augen lagen aus dem schmalen, liebreizende»» Frauengesichi. Warum stürzte er ihr nicht einfach zu Füßen, sagte ihr, wie sehr er sic liebte? Daß die Welt mit all ihren locken den Vcrsühruttgen für ihn versunken war? Daß >r nur noch nach ihrer Liebe dürstete, das; sie allein ihn zum aiüe! lichsten Menschen machen konnte? Sein Wort' Er mußte es ihr halten. Jetzt hatte er sich selbst den Weg zu ihr abgeschnitten. Mit leisem Knistern fiel das große Scheil im Kamin zusammen. „Wie lange bleiben deine Gäste hier?" frag,« Eva plötzlich.