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Nr. 18 Pulsnitzer Tageblatt — Freitag, 22. Januar 1932 Seite 3 Der Haushalt des Weiches Der Reichsrat beriet am Donnerstag die von der Re gierung vorgelegte Zusammenstellung über die am Reichs haushaltsplan 1931 vorgenommenen Aenderungen. Er nahm diesen berichtigten Reichshaushalt zur Kenntnis und faßte gleichzeitig folgende Entschließung: 1. Der Eünnahmerückgangin der Gesamt- summe der Steuern, Zölle und Verbrauchs abgaben des Reiches trifft, wenn man von der Industrie umlage und der Reparationsabgabe der Reichsbahn absieht, nicht das Reich, sondern ausschließlich die Länder und Ge meinden, und zwar in Höhe von drei Viertel Milliarden Mark gegen 1930 und von mehr als einer Milliarde Mark gegen 1928, während sich beim Reich wegen der Vorweg bezüge der Ledigensteuer, des Zuschlags zur Einkommensteuer und der Krisensteuer und wegen der übrigen Erhöhungen Rückgänge und Mehreinsäße die Waage halten. 2. Infolge des Rückganges dieser Ueberweisungen und der eigenen Steuern usw. ergeben sich bei den Ländern trotz strengster Einschränkungen noch große Fehlbeträge, sowohl für 1931 als auch im Entwurf für 1932. (Z. B. in Preußen 170 bzw. 150 bis 200 Millionen.) Es bestehen keine Möglichkeiten, 1982 Gummen zur Tilgung schwebender Schulde» einznsetzen, während das Reick den Haushalt für 1932 und den Entwurf dazu vorläufig gedeckt und dabei für 1932 eine von 420 auf 670 Millionen erhöhte Tilgung schwebender Schulden vorge nommen hat. 3. Infolge der Steigerung der Zahl der Er- werbslosen und in Verbindung mit der Tatsache, daß von ihnen die Gemeinden als Wohlfahrtserwerbslose nicht mehr 21 Prozent (wie 1930), sondern 35,6 Prozent (Novem ber 1931) ganz und in der Krisenfürsorge nicht mehr 14,7, sondern 32,7 zu einem Anteil unterstützen müssen, sowie in Verbindung mit der erwähnten Kürzung der Steuerüberwci- sungen — behalten auch viele Gemeindehaushalte für 1931 und 1932 große Fehlbeträge, deren Deckung nicht möglich ist. Die zusätzliche Ueberweisung des Reiäscs an die Gemeinden von 230 'Millionen für Wohlfahrtslasten reicht demgegenüber nicht aus. Trotzdem hat das Reich im nächsten Jahre nur noch eine lleberweisuna von 50 Millionen vorgesehen. Der Reichsrat ersucht die Neichsregierung, im Interesse einer geordneten Finanzwirtschaft usw. auf diese Tatsache Rücksicht zu nehmen und an Stelle der für 1932 für das Reich allein vorgesehenen erhöhten Schuldentilgung nur die be reits sehr hohe Schuldentilgung von zusätzlich 420 Millionen einzustellen und die darüber hinausgehenden Beträge den Ländern und Gemeinden zuzuweisen, um zu verhindern, daß sie zusammenbrechen, oder daß eine im Gegensatz zur Preis senkungspolitik stehende Anspannung weiterer Steuern in Ländern erforderlich wird, noch bevor sich die bisherige» Aktionen auswirken können. Nach dem berichtigten Haushalt betragen die gesamten ordentlichen und außerordentlichen Netto- ausgaben des Reiches für 1931 8945 Millionen Mark (gegen 1930 ein Minus von 2717 Millionen Mark). Für das Reich verbleibt ein Betrag von 2533 Mill. (500 Millionen weniger als 1930). Davon gibt das Reich aus für die Wehrmacht 728 (minus 39), für soziale Zwecke 1490 (minus 56), für Wohnungen und Sied lungen 9 (minus 156), für wirtschaftliche Zwecke 233 (minus 122), für Auswärtiges 42 (minus 4), für kulturelle Zwecke 29 (minus 7), für Gesundheits wesen 5,6 (minus 0,5), für politische Zwecke 3 (minus 1), für alles übrige 77 (minus 32); außerdem noch ein Pauschalabschlag von minus 83 Millionen. Die Einschränkungen sind trotz der gewachsenen Wohlfahrtslasten sehr hoch. Gegenüber dem Höchststand Ler Ausgaben im Jahre 1928 beträgt der Rückgang mehr als drei Milliarden (außer Schuldendicnst und sozialen Ausgaben sogar über 3,5 Milliarden). Die Ausgaben sind noch unter das Jahr 1926, das letzte Jahr vor der Besoldungserhöhung, um 582 Millionen (außer Schuldendienst und sozialen Ausgaben sogar um mehr als 1,3 Milliarden) z u r ü ck g e g a n g e n. Unter den einzelnen Posten, so hob der Berichterstatter her vor, hat es internationale Aufmerksamkeit erregt, daß Deutsch lands normaler innerer Schuldendienst nur 500 Mill. beträgt, gegen etwa 3 Milliarden in Frankreich und nach altem Kurs 6 Milliarden Mark in England. Wenn man aber glaubt, daß es einVorteil für das deutsche Volk sei, nur noch 10 Mil liarden Mark innere Staatsschulden zu haben, nun, so könn ten sich diesen Vorteil ja auch andere Völker verschaffen, wenn sie auch bei sich die hohen inneren Schulden streichen. Man wird sich hüten, das zu tun, ohne daß die schwerste Not dazu zwingt. Denn die Folge ist eine furchtbare Verarmung, Kapital not und damit Entwertung aller An - lagen. Die Gesamtlage Deutschlands ist danach noch er heblich schlechter, als der Reichshaushalt sie zeigt. Auch ohne Reparationen steht Deutschland noch un geheuren Schwierigkeiten gegenüber. Keine der bisherigen Maßnahmen hat msveionvere oie Jay, der Erwerbslosen vermindert. Sie ist immer wei ter gestiegen von 4,4 Millionen Ende 1930 auf 5,7 Mil lionen Ende 1931. Der Reichsrat genehmigte weiter die deutsche Arzneitaxe für 1Ü32, die bekanntlich Abschläge am Perdienstzuschlag der Apotheker bringt. Der Bekanntmachung der neuen Fassung des Umsatzsteuergesetzes wurde zugestimmt, ebenso der bereits in Kraft getretenen Aenderung oerGebührenordnungfürdie Prüfung von Kraft fahrzeugen usw. Oie Pensionskürzung vor dem Reichstagsausschuß. Im Reichstag begannen sowohl im Haushaltsaus schuß wie im Rechtsausschuß Beratungen über Fragen, für deren endgültige Erledigung eine Zweidrit^ünchrhelt oes Plenums erforderlich ist, da sie verfassungsändernden Lh^ rakter haben. Der Haus Haltsausschuß beschäftigte sich mit der Pensionskürzung, der R echt sa u s s chu ß mit der von den Sozialdemokraten verlangten Aenderung der Fürstenentschädigungsverträge. Im Haushaltsausschuß legte der deutschnationale Abgeordnete Laverrenzzur Pensionskürzung den Stadt- punkt seiner Partei dahin fest, daß sie sich bisher in der ersten Lesung Zurückhaltung auferlegt habe, daß sie aber nunmehr in der zweiten Lesung grundsätzlich erklären müsse, daß sie diesen Weg nicht mitgehen könne. In den Bestimmungen, die jetzt Aufnahme in das Gesetz finden sollten, sähen die Deutsch nationalen eine Zertrümmerung des bisherigen Pensions rechts und an Stelle einer Garantierung der Pension nur noch eine Unterstützung im Wohlfahrtswege. Es folgten erregte Antworten der Abgeordneten Roß- mann (Soz.) und Ersing (Ztr.), die beide erklärten, daß sie nicht durch das Pensionskürzungsgesetz in die wohlerwor benen Rechte der Beamten eingreifen wollten. Darauf trat der Ausschuß in die sachlichen Beratungen ein. In der Einzelberatung wurde der § 1 gestrichen. Beim 8 2 wurde eine Reihe von Unterparagraphen eingefügt. 2 b besagt, daß das Ruhegeld der Beamten künftig höchstens 75 Prozent des ruhegeldfähigen Dienstrin- kommens betragen soll. Nach 2 c soll auch das Witwen- und Waisengeld aus dem Ruhegeld von höchstens 75 Prozent be- rechnet werden. Nach 2 s darf das Witwengeld 47 Prozent des ruhegeldfühigen Diensteinkommens aus der Besoldungs- gruppe 8 7 des Reichsbesoldungsgesetzes vom 16. Dezember 1927 nicht übersteigen. Nach 2 b ruht das Recht auf den Bezug von Ruhegeld usw., wenn der Bezugsberechtigte ohne Zustimmung der obersten Reichsbehörde seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt außerhalb des Deutschen Reiches hat. Die nächsten Paragraphen wurden. im allgemeinen in der Fassung der ersten Lesung belassen. Im Rechtsausschuß lag der sozialdemokratische An trag, der in Gesetzesform gekleidet ist, vor, die Länderregie, rungen sollten ermächtigt werden, alle Leistungen aus Der- trage» oder Urteilen an ehemalige Fürsten und Mitglieder der ünndesherrlichen Familien mit sofortiger Wirkung cin- zustellen und die Auscinandersetzungsverträge unter Berück sichtigung der wirtschaftlichen Notlage neu zu regeln. Ein Vertagungsantrag wurde mit 14 gegen 8 Stimmen abgelehnt und der Ausichug begann die sachliche Beratung mit der Be gründung des lozialdemokratischen Antrags. Erniesicherung und Reichskabinett. Das Reichskabinett hielt am Donnerstag eine Sitzung ab, in der neue Vorschläge des Osthilfekominiffars über die Maßnahmen der Osthilfe beraten wurden. Es handelte sich um die Sicherung der Bestellung im Osten und um Dünaermittelkredite. Die Regierung beabsichtigt, auf diesem Gebiete besondere Maßnahmen zu treffen. Außerdem erstattete in der Kabinettssitzung der Reichskommissar für Preisüberwachung über die bisherigen Maßnahmen Bericht. Freiherr v. Lyncker P. Der frühere Chef des Militärkabinetts der alten Armee, Generaloberst a. D. Moritz Frhr. v. Lyncker, ist im Fürstenwalder Krankenhaus nach längerem Leiden kurz vor Vollendung seines 79. Lebensjahres gestorben. Frhr. v. Lyncker wurde am 30. Januar 1853 in Spandau geboren. Als Siebzehnjähriger ging er in den Krieg von 1870-71. In der Schlacht von St. Privat wurde er schwer verwundet. Von 1895—98 war er erster Militärgouverneur der kaiserlichen Prinzen. Besonders bekannt wurde er der breiten Oeffent- lichkeit als Chef des Militärkabinetts (1908—18). Im April 1918 wurde er zum Generalobersten befördert. 1918-19 war Lyncker Präsident des Reichsmilitärgerichts. Die außenpolitische Aussprache in der französischen Kammer Paris. 2n der Kammer wurde nach einer Anterbrechung die Aussprache fortgesetzt, nachdem am Nachmittag noch der ehemalige Präsident des Neparativnsausschusses Dubois die Haltung der Negierung in der Neparations- und Abrüstungs frage verteidigt hatte. Abgeordneter Delsol forderte die Re^ gierung auf, Amerika eindeutig zu erklären, daß Frankreich nur bezahlen werde, wenn es selbst von Deutschland bezahlt werde. Gegenüber Deutschland müsse Frankreich das „Nein" finden, das allein geeignet sei, die Rechte Frankreichs zu wahren. Angeheurer Lärm entstand auf der Linken, als der Redner erklärte, die Regierungsmehrheit müsse weiter aus gedehnt werden, aber nicht bis auf diejenigen Gruppen, die die deutsche These verteidigten. Die Sozialisten machten einen solchen Lärm, daß der Präsident den Saal verließ. Der Redner unterbrach feine Ausführungen. Mehrere Sozialisten versuchten, unter Beschimpfungen auf ihn einzudringen, wurden aber von den Dienern daran gehindert. > Sie Geistlichen Englands fordern Trlbutstreichung. Der soziale Ausschuß der christlichen Geistlichen Englands, unter denen sich vierzehn Bischöfe befinden, erläßt einen Aufruf an alle, die in England und den anderen Ländern an Jesus Christus glauben, und fordert sie auf, ihren Einfluß zurvölligenStreichung der Tribute und internationalen Kriegsschulden geltend zu machen. Vor wichtigen Entscheidungen in Österreich. Eine Rede des Bundeskanzlers Buresch. In einer Sitzung des Vollzugsausschusses des nieder- österreichischen Bauernbundes hielt Bundeskanzler Buresch eine Rede. Er erklärte unter anderem, ein Moratorium wolle er als Gegner einer verantwortungslosen Wirt schaftspolitik ablehnen, doch müsse der Völkerbund bei der Regelung des Auslandschuldendienstes mithelfen. Zum Schluß erwähnte der Kanzler die Waffensunde in Ottokring. Es wäre der schwerste Fehler, wenn die Regierung an solchen Dingen schweigend vorübergeben würde. Die aller nächsten Tage würden bereits Entscheidungen von aus schlaggebender Bedeutung geben müssen, um Österreich vom Abgrund zurückzuziehen. England sucht emen Ausweg. Neuer Kompromißvorschlag: Zeitlich unbegrenztes Moratoüum? Botschafter von Neurath stattete dem Außenminister Simon einen Besuch ab und legte ihm nochmals den aeutschen Standpunkt zur Tribuffrage und zur Lausanner Konferenz dar. Weder eine Verlängerung des Hoover- Morawriums noch ein vollständiges Moratorium ein schließlich eines solchen für die ungeschützten Tributzahlun- zen würde Deutschland Erleichterungen bringen, wenn richt noch vor dem ersten Juli in Verhandlungen über sine endgültige Regelung der Tribuffrage eingetrete« werde. Ta die Franzosen noch auf Garantien für die Erhol ung ibrer Young-Plan-Rechte bestehen, ehe sie sich zur Teilnahme an einer Konferenz bequemen wollen, sucht die englische Diplomatie eine neue Kompromißlösung. An scheinend soll zunächst einmal ein zeitlich unbegrenztes Moratorium vorgeschlagen werden, über die weiteren da mit in, Zusammenhang stehenden Fragen ist noch keine Klarheit geschaffen. Generalffreik in Katalonien. Schwere Ausschreitungen. AußerordentlicheRegierungsmatznahmen In Katalonien brach ein revolutionärer Generalstreik aus, der ursprünglich für den 25. Januar geplant war und sich über ganz Spanien erstrecken sollte. Geleitet wird die Bewegung von den mit ocn Anarchisten vereinigten Kommunisten. Das Zentrum des Aufruhrs befindet sich im Gebiet von Llobregat zwischen Manresa und Berga. Die Auf ständischen haben sämtliche Drahtverbindungen mit Bar celona und Saragossa abgeschnitten sowie den Zugverkehr gewaltsam unterbrochen. In drei Dörfern wurden Lie Bürgermeisterämter gestürmt. In Sarrel plünderten die Aufständischen ein Pulvermagazin und erbeuteten 800 Kg. Dynamtt. In Manresa wurden bei einem Sturm auf den katholischen Verem zwei Zivilgardisten verwundet. Die Negierung, die ein Vertrauensvotum von der National- Unterdrückung der kom- Machenschaften erhallen bat, versuch, mit aller Energie, der ^age ,n Katalonien Herr zu werden. Neuer Gtu-enienproiest gegen Professor Dehn. Die Hallenser Professoren schließen sich au. Halle. Auf einer Studentenkundgebung ging der Erste Vorsitzende der Deutschen Studentenschaft Halle, Börner, auf das Nachwort der kürzlich von Prof. Dehn hevausgege- benen Verteidigungsschrift „Kirche und Völkerversöhnung, Dokumente zum Halleschen Universitätskonflikt", ein. Er er klärte, wenn Prof. Dehn im Sommersemester noch in Halle lese, dann habe jeder Kommilitone die Pflicht, Halle zu ver lassen. Der Dekan der juristischen Fakultät, Prof. Or. Böh mer, erklärte in einer Ansprache, in dem Kamps, den die Studentenschaft führe, stehe er und die überwiegende Mehrheit der Lehrerschaft in der gleichen Front wie die Studenten. Die Dozentenschaft werde, wie immer auch der Ausgang sein möge, auf Seiten der Studenten bleiben. Nach kurzen Ausführungen des Vorsitzenden der theologischen Fachschaft wurde eine Entschließung angenom- men, die sich gegen die Schrift Prof. Dehns und sein weiteres Verbleiben an der Halleschen Universität richtet. Der Ltnstern über -er Giernfahrt. Wieder ein Teilnehmer tödlich verunglückt. Paris. Auf der Sternfahrt für Automobile nach Monte Carlo ereigneten sich zwei schwere Unfälle. Ein Teilnehmer wurde getötet und drei andere Teilnehmer schwer verletzt. Ein holländischer Wagen, dessen Insassen mit Reifenwechsel be- schäftigt waren, wurde in der Nähe von Montelima von einem anderen an der Sternfahrt teilnehmenden Wagen an gefahren. Einer der beiden Insassen starb kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus, während der andere lebens gefährliche Verletzungen erlitt. — Ein englischer Wagen über schlug sich in der Nähe von Cannes beim Ueberholen eines anderen Autos. Beide Insassen erlitten erhebliche Ver- letzungen. . Mit diesen Unfällen hat die diesjährige Monte-Carlo- Sternfahrt bisher zwei Todesopfer gefordert. Bereits auf der Fahrt zum Startplatz nach Unna verunglückte ein dänischer Wagen, dessen Führer sofort getötet wurde.