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Nr. 272. Pulsnitzer Tageblatt. — Sonnabend, den 23 November 1929 Seite 6. Totensonntag am Ehrenmal der Kriegstolen Ew'gen Kreislaufs Kette schließt Leid und Freud die Hände, Krieg zerstört, Armut sprießt , Friede nährt behende. — R-ichtum brüstet sich und scheint, wähnt sich hoch erhaben. Hier der Ring sich fügt, man weint , Krieg will stolz begraben. Wettspiel trügt leicht eitel Rauch Tief in H-rzenSgründen Spüren w>r Jehovas Hauch, Hoffnung ohne Schwinden. Wollen, Glauben darf nur sein, Mut zur Tat nur leben, Tugend unsern Weg bestreu'n, Geist zur Höh' sich heben. Ob das H-rz ist stark und groß, tapfer überwindet, Zeigt sich, so uns schweres LoS, so uns Trauer findet. — Unvergess'ner Helden Größe laßt den Totentag uns weih'n, N^ch des rauhen Kriegs Getöse, dankersüllt am Davkesstein! Opserblut und Schweiß rannen für uns heiß. „Stets gedenken und geloben!" mahn' der Bl-ck zum Mal erhoben. Nicht die Länge eines Lebens richtet über seinen Wert; Lebensinhalt, Würd' des Strebens wiegt beim Tode, frommt, be< Pflichtenglückskrast nur, deutscher Treue Schwur. swährt. Gottvertrauen ohn' Erschüttern, ließ die Helden nie erzittern. Sterben sür sein Volk ja Sterben ist die höchste Opfertat, Nicht zu scheuen Selbstverderben, wird zum wahren Ruhmesblatt. Heiße Nächstenlieb uns're Helden trieb (schirmen. In den Kampf, in Not und Stürmen, Heim und Flur uns zu be- Edle Krieger ohne Wanken hielten Feindes Wut zurück sSiegesglück. Deutsch die Tat, Wort und Gedanken , doch schwand Glauben, Hinter Blendwerks Schein schlich ein and'res ein (Händen. In die Seelen —, solches Wenden riß das Schwert aus deutschen Richten wir den Blick nach oben, still wird Weh und Traurigkeit, Glaube mit Gebet verwoben gibt uns Kraft in allem Leid. Herber Trübsalsschmerz klopft nur an' das H-rz Uns zu läutern, zu bewähren, uns zu Härten, stählen, klären. Bitt'rer Schmerz löst sich in Tränen, Trennung ruft Erinnern wach, Es eilt inbrünstiges Sehnen den verwandten Herzen nach. Zu dem Ursprung hin strebt des Innern Sinn; Liebe spannt die Seelenbrücke, einet in der Wahrheit Glücke. Lichten wird sich alles Dunkel, Gutes stets sich brechen Bahn, Wesen dauert trotz G:sunkel, recht zu scheiden steht uns an. — Die den Krieg gelchaut, waren Gott vertraut: O, daß ihre Opserliebe Trost und Segensblüten triebe! Ist nicht Not, nicht Angst vergänglich? Ist nicht alles Uebrrgang? I Warum fragen wir so bänglich? Zeit ist Wechselstrom voll Drang < Gegenwart verrauscht, wer mir Andacht lauscht Lernt das Echte, Wahre sehen und der Zukunft Wert erhöhen. Chaos herrscht nicht; Zeitgeschehen läuft nach hehrem Weltplansziel. ' Stärke, Mut wird auferstehen, Schmerz wie Lust uns reifen will. Lichtguell immerdar uns'rer Helden Sqar!^ Nichi umsonst ihr Ringen, Streben, '.wenn wir ihrer würdig leben! Heil'ger Ehrfurcht voll wir stehen vor dem Mal als ihrem Grab, Trost und Kraft aus Himmel-Höhen fleh'n wir heut' auf uns herab. Heldenstein verkünd' Kind und Klndesklnd: „Wer so opsersroh gestorben, hat sich Ewigkeit erworben!" Totensonntag! Glockenklang läutet ein ihn wieder, Alle ehre W-ihesang: Väter, Söhne, Brüder! Au« der Trauer fließ' uns Keafl, ihnen Dank zu zollen, Pflichlbewnßlsein, Bruderschaft leite Tun und Wollen! Schmückt den Stein, auswärts den Blick! Laßt der Toten Mahnen: »Tragt mit Würde das Geschick!" bcff're Zukunft ahnen. — sich auch dj, Winterzeit roch so streng gebärden, Endlich wird aus aller Nacht wieder Frühlina werden. — Deutsch und treu da- Werk getan, selbstlos gleich den Kriegern, ^ver vor sich bestehen kann, zählt einst zu den Siegern! — Freiherr non Stosch-Brühl. Dresdner Brief Totensonntag Mitten im brausenden Leben der Toten zu gedenken, einen Tag lang alle Wünsche und Begierden, die sich an das Leben knüpfen, in ven Hintergrund zu stellen, und den Sinn auf das Vergängliche zu richten ist die schöne Sitte dieses Tages. Freilich, wer noch nichts verloren hat, geht lachend darüber hinweg; aber alle die, welche an diesem Tage die nun leer gewordenen Friedhöfe aufsuchen, die, «in Vaterunser spre chend, an der letzten Ruhestätte ihrer Lieben stehen, wissen wohl, daß dieser Tag zu Recht besteht. Berge von Reisig häufen sich in Len Blumengeschäften der Stadt, in den Gärtnereien draußen an der Peripherie derselben sind alle Hände geschäftig an der Arbeit, um mit Gräberschmuck gerüstet zu sein. Die lauten Vergnügungen schweigen an diesem Tag, Tanz und Musik ist verstummt, — es ist der Tag, welcher den Toten gehört. biemeato worl! Keine andere Zeit mahnt so sehr ans Sterben und Vergehen, wie die dunklen Tage des November. Aber wer vom Sterben in der Natur spricht, hat doch noch nicht den wahren, tiefen Sinn erfaßt In der Natur gibt es kein Sterben. Wenn die letzten gelben und rötlichen Blätter auf Gräber fallen, da grünt in wunder barer Zartheit schon wieder auf den Feldern die Saat de« kommenden Jahres. Und darin liegt der schönste Trost für alle die, welche am Totensonntag ein Grob zu schmücken haben. Für unsere kurze Spanne Zeit war es ein Sterben. Aber den Menschen unbekannt bereitet sich wieder Leben vor, wunderbar, wie die neue Saat im November, Ueber der alten Mauer an der Ziege! strotze, die den alten Elias- frledhof umgibt, ragen kahl die Zweige und Neste der Zypressen, der Weiden und Akazien. Dort, zwischen eingesurkenen Grabsteinen läßt es sich über die Vergänglichkeit alles Irdischen am besten nachdenken. Nicht nur die stillen Schläfer reden da mit beredten Worten zu uns, auch der Gedanke wird rege, wie Geschlechter vergehen und verwehen, aussterben im Laufe eines Jahrhundert- und wenig darüber. Denn keiner ist mehr da, der am Totensonntag die verlassenen Gräber schmückt, der trauernd an einer der Grüfte steht und eines lieben Toten gedenkt. Wie lange wird es dauern, dann verschwindet jede Spur dieses einst vor der Stadt liegenden Gottesackers, und nur die Chronik erzählt von ihm. Wird es auch unserem schönen Johannesfriedhof einst so gehen? Dem Tnnitatisfriedbof und all den schönen Stätten um die Stadt her, wo Grab an Grab sich reiht und am Totensonntag die Hinterbliebenen ihr Gedenken in einer Blumengabe ausdrücken? — Wichtig erscheint jedem, der im Leben steht, sein Leid und seine Freude. So, als ob sich das Leben um ihn drehte und nicht, daß er nur ein Staubkorn im Getriebe der Jahrhunderte ist. Und wer sich seiner Kleinheit im großen All bewußt wird, der kann nicht verzweiselt trauern, Wohl wird er mit leiser Wehmut seiner Gestorbenen gedenken, aber er wird in der unmebbaren Größe des Alls, in der Weisheit aller Gesetze der Natur Halt und Ruhe finden. Darum, wer immer am Totensonntag seinen Kranz auf ein Grab niederlegcn geht, der mag ein Stück weiter hinauSwandern, wo der Wald in erstem Grün dem Herbststurm trotzt, wo schon unter dem welkenden Laub die neuen Knospen lebensfrisch keimen und zwischen gelb gewordenem Gras sich hie und da ein Gänseblümchen vorwitzig dem Licht entgegendrängt. Nichts Totes ist in der Natur ! Und der Tod ist nicht schrecklich. Vielleicht nur dem, der nicht wahrhaft gelebt hat, wie er leben soll und muß nach den ewigen Gesetzen der Lieb:; aber wer sich keiner Schuld bewußt ist, kann ebenso ruhig dem Tode enigegensehen, wie er ohne Reue und Verzwüflung am Grabe e« lieben Menschen stehen kann. n«elaa kertdolck wie M WUMM W MM» MkSe In Münster i. W. war der Postschaffner Heinrich Kahn beim Bahnpostamt 22 beschäftigt. Er war ein fleißiger und strebsamer Be amter, so daß ihm zeitweise der Schalterdienst im Bahnpostamt anver traut wurde. Durch den Schalter lernte ein Fräulein Pütt kennen, die ihres irischen nnd heileren Wessi s weg n einen recht günstigen Eindruck auf Kahn mochte. Als die Bekanntschaft sich zur Liebschaft verdichtet hatte, mußte der Postschaffer Kahn die Erfahrung machen, daß seine Freundin eine recht anspruchsvolle Dame sei, oder anders gesehen, daß es Geld koste, wenn man ein Verhältnis haben wolle, das über den eigenen Verhältnissen steht. Trotzdem entschloß sich der Postschaffner Kahn, das Fräulein Pütt zu heiraten. Diese aber sagte, das sei nicht möglich, ohne daß sie vorher ihre Schulden bezahlt habe. Und ihre Schulden seien sehr hoch Der Postschaffner erklärte sich schließlich zur Geldbeschaffung bereit und nahm aus eigene B raniwortung Anleihen auf. Diese Gelder waren aber, in die Hände des Frl. Pütt gelegt, nur Tropfen auf einem heißen Stein. Das Paar kam überein, zu einem Generalschlag auszuholcn, um die verschuldete Braut vollkommen zu emschuldcn und den inzwischen in Schulden geratenen Bräutigam ebenfalls zu saueren. Von der Braut ausgedacht, wurde folgender Plan durchaesührt: Der Postschaffer Kahn schmuggelte im Bahnpost» amt 22 Postanweisungen, die seine Braut ausgeschrieben, und an fin- vierte Adressen gerichttet hatte, in den Betrieb. Er versah sie mit dem Poststempel eines anderen Postamtes und auch mit dem Signum eines in diesem Postamt tätioen Kollegen. Die Anweisungen waren post lagernd an verschiedene Adressen gerichtet. Die Braut, Frl Pütt, ver fälschte ihre Ausweispapiere j weil- auf die betreff ndeu Namen und erhob, zum Teil gemeinsam mit Kahn, insgesamt 1761 RM, um wcl« chen Betrag die Reichspostverwaltuag geschädigt wurde. Die Große Strafkammer beim Landgericht Münster hat den Postschaffner Kahn am l9. Juni 1929 wegen Amt-Unterschlagung nach 8 350 in zwei Fällen, wegen schwerer Urkundenfälschung nach W 267, 268 Abs. 2 in Tateinheit mit B-trug zu einem Zkabr drei Monaten Gefängnis verurteilt Die von ihm gegen dieses Urteil eingelegte Re« Vision hat der dritte Strafsenat des Reichsycrjchts am 2l. November kostenpflichtig verworfen. — Die Braut ist zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, sie hatte die Strafe widerspruchslos angcnomm-n. Standesamts-Nachrichten Pulsnitz Geboren: Heinz Werner Popp«, Sohn des Arbeiters Otto Poppe und dessen Ehefrau Selma Mortda aeb. Haase, Pulsnitz. — Else Hilde Piets», Toaster des Zswentarbe ters Otto Kurt Pietsch und besten Ed fron F'ora Ella geb. Walther, Pulsnitz — Joachim Horst Iccvb. Sohn des Handelsvertreters Kurt Mox Ioc >b und küss n Edefrau Helene Frieda geb. Haase, Pulsnitz. — Liselotte Edith Nitsche, Tochter des Sieinarbeiters Otto Paul Nilsche und dessen Ehefrau Martha Alma geb. Grünberg, Friedcrsdors. Aufgebote«: — Geheiratet: Ter Lagerist Herrmann Mox Jüttner, wohnhaft in Kamenz, die Arbeiterin Emilie Anna Hentschel geb. Müller, wohnhaft in Pulsnitz M. s. Gestorben: Der Gefreite brr 6. Kompagnie des Infanterie- Regiments Nr. 178 Kurt Wilhelm Lebmonn, Pulsnitz, ge storben am 28. September 1918 im Gesecht bei Touch«,. Laudeokirchliche Gemeinschaft Sonntag, 24. November: 2 Uhr Sonntogsschule. 4 Uhr Iugendbund für E. C. SV« Uhr Dortrag. Kunstleben in Pulsnitz Kammerkonzert Pani Bormann — Felix Nenbauer Paul Bormann spielte mit Felix Neubauer zusammen im Volks- bildungsvsrein. Er wollte hier nicht als der Solist des Abends gelten, der spielt, um bewundert und umjubelt zu werden, er spielte um der Sache willen. Um welcher Sache willen? Paul Bormann und Felix Neubauer wollten in kurzem Ueberbl'ck die En'wicklung der Sonate, jener Gattung, der in der ersten Hälfte des 17. Jahehunderts auskommenden Instrumentalmusik, zeigen. Sie brachten als erstes Beispiel eine Violinsonate Joh. Seb Bachs, die ein tresflicheS Beispiel für die ältere Sonate der Bach—Händel-Zeit ist, in ihrem Ausbau zweisätzig gestaltet (Vivace, Prestos mit je einer langsamen Einleitung (Adagio, Largo). Wann diese Sonate entstanden ist, entzieht sich mei- ner Kenntnis. Die bekannten sechs Biolinsonaten entstanden in der Cöthcner Zeit <1717—22), in der Bachs Schaffen käst nur der Kam mermusik gewidmet war. Die Sonate g-Dur schließt sich in ihrem Wesen den übrigen Sonaten an, in denen das ganze Streben jener Zeit zu spüren ist, das mehr auf die Gewinnung neuer Formen al- auf allseitige nnd unbedingte Durchfübrung künstlerischer Ideen abzielt. Darum mag sie auch Paul Bormann nicht sehr günstig gelegen haben. Wer kann überhaupt, und noch in jungem Alter dam, das ge waltige Geheimnis Bachs erschließen, wenn das nicht einmal einem Jehudi Menuchin gelungen ist ? Bormann tat gut, daß er von jeder persönlichen Neuauffassung wie verblüffenden Umdeutung absah und ganz streng dem remen Wesen de- klassischen Gutes sich uvteroidnete. Das schien mir diesmal bei ihm als da- größte Plus feiner Leistung und fünstlerischen Reffe; denn von einer Beherrschung des Technischen bei ihm noch zu reden, ist ja vollkommen überflüssig. Und treu blteb Bormann dieser Meinung, den Werken unsrer großen Meister nichts Willkürliches abzmpielcn, was ibnen garnicht eigen ist, bei den So naten Mozarts und Beethovens, die er mit feiner Emsühlungskunst und lebendiger Gestaltungskraft vorirng. Welcher Unterschied zwischen Bach und Mozart! Die neue Fo in der Sonate harrt ihrer Voll endung, vor allem haben sich ganz deutlich die drei Teile des Sonaten satzes (Themen, Durchführung, Reprise (Wiederholung)) herauskiistal- lisieit. Und dazu kommt nun das geistige Durchdringen der Gefühls» Die kleine Studentin ^oman von P- Wild dx blsrl« SrllLmann, dtüncti-n. f24 Lerchner raffte sich zusammen, würgte ein Uebel befinden hinunter, beugte sich kreidebleich über die Ver unglückte, hob den seinen Kops, sah einen Blutstrom un entwegt über die blassen Wangen rinnen. Unter der Frisur, an der Schläfe war eine tiefe Schnitt wunde. Helga stand ja unmittelbar an der Retorte, als die Explosion erfolgte. Auch ihre linke Hand zeigte eine tiefe, klaffende Wunde, scheinbar von scharfen Glassplittern herrührend. Lerchner wurde noch bleicher. Er vermochte der Ver wundeten nur mit äußerster Ueberwindung seiner Schwäche notdürftig zu helfen. „Verbandstoff und Wasser!" Walter holte das Gewünschte. „Halten Sie den Kopf fest — so, danke." Mit schnellen Griffen umwickelte er den Oberkops mit weicher Verbandgaze. „Der Arm", mahnte Walter, als Lerchner mit starren Augen vor sich hinsah. „Sie verblutet." Ein Notverband wurde um die Linke gelegt. „Wir müssen sie hier herausschaffen, die tiefe Ohnmacht ist bedenklich. Die Giftgase... mir wird sehr übel, ich kann nicht mehr", stöhnte Doktor Lerchnxr, der sichtlich unter dem Einfluß der Dämpfe schwer litt. Hilfe. Die Tür wurde aufgerissen. Durch den Explo sionsknall war man im Werk erschreckt worden. Neugierige und Hilfsbereite kamen von allen Seiten angerannt. Auf einer schnell herbeigeschafsten Bahre wurde Helga Koelsch in die Unfallstation abtransportiert. Walter be gleitete sie, während Lerchner zurückblieb. Er hielt ein Tuch vor den Mund und eilte zum Aus gang, oder vielmehr zurück ins Laboratorium. Sein Be wußtsein schien noch nicht klar, so hatte er die Ausgangs tür verfehlt. Sein Verschwinden blieb unbemerkt, weil sich in dem Augenblick das Interesse aller auf die Verwundete kon zentrierte. War sie tot? — Als Lerchner sich allein sah, eilte er schnell zu dem Tisch, wo er die Tabelle Helga Koelschs gesehen hatte. Er riß sie an sich und steckte sie in eine Geheimtasche. Schritte nahten. Steif und reglos lag er, ohne Be wußtsein. So schaffte man ihn in die Rettungsstation, wo er sich auffallend rasch erholte. Kaum zum Bewußtsein zurückgekehrt, öffnete er müde die Augen und fragte angstvoll: „Wie geht es Fräulein Koelsch?" Als Helga Koelsch erwachte, fand sie sich in einem frem den Raum weich gebettet auf sauberem Lager. Langsam schweifte ihr Blick suchend umher, angstvoll beeinflußt durch das Unbekannte der Umgebung. Seltsam müde war sie. Schwer sanken die Lider wieder über die Augen. Sie kehrte ins Traumland zurück, zu dem köstlichen Bild, das vor ihr stand. Erhaben, deutlich klar sah sie es, berauschend in leuch tender Farbenpracht. Eine verwunschene Insel. Märchenschön von un beschreiblicher überirdischer Schönheit. Ein Hain voll selt samer Bäume und Blüten in Farben, die sie nie gesehen hatte. Schwebend, wie man im Traum wandert, kam sie an seine Pforten, ohne müde zu werden, beschwingt von hoffender Sehnsucht nach dem Märchensrieden. Ein wundervolles Portal versperrte den Weg zu dem Garten ewigen Friedens. Zwei Wächter standen dort, angetan mit schimmernder Rüstung; die hielten ihre breiten Schwerter gekreuzt vor sie, den Eintritt wehrend. Tiefe Traurigkeit überkam sie, eine Traurigkeit, die nicht weh tat. Langsam schritt sie den Weg zurück, den sie gekommen war. Vor ihren Augen aber blieb das Zauber bild der Märchenpracht, sehnsuchtsschwer entsagte sie. Un merkbar fast glitt sie zurück in die Wirklichkeit, in das Leben. Ein seltsamer Laut schreckte sie auf, ein Laut, den sie noch nie vernommen hatte — Mannesschluchzen- Da schloß sich das goldene Tor vor ihrer Seele, mit einem Seufzer schlug sie die Augen auf- Wer suchte sie? Wer weinte um sie? Ties aufatmend schaute sie um sich- Neben ihrem Lager stand Walter Werder. Mit sorgend bangem Ausdruck be- trachtete er sie angstvoll gespannt. Sie wandte ihm mühsam den Kops zu, sah ihn mit großen Augen an, die aus weiten Fernen kamen. „Fräulein Koelsch, können Sie mir vergeben?" Was war nur mit ihm. Warum war ihr Kamerad so traurig? Wie er sie ansah. Ein Neues lag in seinem Ausdruck, darunter sie leicht erschauerte, ein Wunderbares: Angst - um sie. Das Bewußtsein überwältigte sie fast. Eine süße Bot- schast, eine Gewißheit überkam sie — er hatte Angst um sie! War das Liebe? Noch war alles unwirklich um sie. Die Zärtlichkeit eines Menschen, seine Sorge tat ihr unendlich Wohl. Sie wollte es ihm sagen, danken; doch ihre Kehle brachte keinen Laut hervor. Ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen, in ihre Augen kam ein Helles Licht, sie hob die Hände ihm entgegen... Ein furchtbarer, schneidender Schmerz durchzuckte sie. Ein leises Erinnern kam ihr, ganz fern. Sie stand wieder vor der Retorte. Jetzt. — „Ah..." Schmerzvoll stöhnte sie auf und wieder umfing sie undurchdringliches Dunkel.