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Nr. 268. Pulsnitzer Tageblatt. — Montag, den 18. November 1929. Seite 6. mir Absicht so verschwommen gefaßt, um den Mandats- machten freie Hand zu lassen. Den zweiten Vortrag hielt Geh. Rat vr, Ponfick über „Deutsche Siedlungspolitik". Er führte u. a. aus: In Zeiten einer außerpolitischen Not, in Zeiten, in denen Deutschland nur in ganz beschränktem Umfang die Möglichkeit hat, taten frohe deutsche Menschen in Kolouiallünder zu schicken, müssen wir mehr denn je daneben, ja, davor unseren Mick auf die Gebiete richten, in denen gerade heute die Möglichkeit und in gleichem Maße die Notwendigkeit einer stärkeren Besied lung innerhalb unserer Reichsgrenzen vorliegt. Weite Ge biete des deutschen Ostens sind durch die unglückselige Ent wicklung Deutschlands in den letzten 60 Jahren entvölkert worden und sind heute mehr und mehr der Gefahr einer Ueberflutung durch fremde Elemente ausgesetzt. Wenn auch nicht als Allheilmittel, so ist doch die ländliche Siedlung im Osten Deutschlands imstande, dieser Gefahr zu einem großen Teil zu steuern. * H>or§ vom SormLN * Der D. F. B.-Bundestag in Berlin behandelte in erster Linie die von der Breslauer Tagung an die Bundesleitung verwiesenen Fragen, ohne indessen zu der Mehrzahl von ihnen entscheidende Beschlüsse zu fassen. Der Antrag Süd deutschlands, die Frage des Spielverkehrs mit Profi-Mann schaften zu diskutieren, wurde mit 9:8 Stimmen bei einer Stimmenthaltung abgelehnt. Berlin und Südost unter stützten dies Vorgehen der süddeutschen F ßballer und be antragten, einen außerordentlichen Bundestag zur Erledi gung dieser Frage einzuberufen. Das Länderspiel Deutsch land—Italien soll doch in Leipzig stattfinden, falls die Ita liener darauf eingehen. Wenn nicht, vann kommt die Be gegnung in Frankfurt a. M. zum Austrag. Der Länder kampf gegen England wird aller Voraussicht nach zustande kommen. Die Berufungen von Hertha B.S.E. und der Spiel vereinigung Fürth gegen das Bundesnrteil wurden abgelchnt. Fußball im Reich. Im schlesischen Fußball brachte das Treffen Breslau 08—F. V. 06 infolge des unentschiede nen Ausganges (3:3) keine Aenderung in der Tabelle. — In Süddeutschland wurde der 1. Gruppenmeister er mittelt. In der Maingruppe ist Eintracht-Frankfurt mit dem 4:0-Siege über S. Vg. Griesheim und dem unentschiedenen Spiel der Konkurrenten Union-Niederrad—Not-Weiß-Frank furt (2:2) Meister geworden. In den übrigen Gruppen gab es einige Ueberraschungen. In Württemberg wurde der Tabellenführer V. f. B.-Stuttgart von den Kickers 2:0 ge schlagen. — Die norddeutschen Meisterschaftsspiele verliefen fast durchweg mit erwarteten Ergebnissen. Der Hamburger S. V. besiegte Viktoria mit 5 :3, während Eims büttel gegen Altona mit 1:4 etwas überraschend unterlag. — Im westdeutschen Bezirk gingen die Punktetreffen nicht ohne Außenseitersiegc ab Im Ruhrbezirk triumphierte Schalke 96 mit 3:2 über Schwarz-Weiß-Essen, so daß Schalke 04, das den B. V. Altenessen mit 6 :1 abfertigte, nunmehr noch klarer führt. Preußen-Krefeld konnte nur 2:1 über die S. Vg. Oberhausen siegen. Unentschieden 1:1 trennten sich Sülz 07 und der Kölner B. C. — Mit teldeutschlands Fußball brachte keine besonderen Ergebnisse. Die Spielvereinigung Meerane blieb überlegen 7 :1 über V. f. L. Schneeberg siegreich. Der deutsche F. C.- Prag konnte gegen Gutsmuths-Dresden nur 2 :2 spielen. Auch der Dresdener S. C. gewann sein Treffen gegen Dresden 93 nur knapp 3 :2. Berlins Fußball brachte die erwarteten Ergebnisse. Die Abteilungsführer Hertha-B.S.C. und Tennis-Borussia ge wannen die Punkte sicher. Hertha schlug Südstern 3 :0 und Tennis-Borussia triumphierte über Weißensee mit 4 :2. Mit 6:3 geschlagen wurden die Eishockeyspieler des Berliner Schlittschub-Llubs.bei der Eröffnung der Berliner vusarena lm Sportpalast. London besiegte die Berliner mit dem genauen Ergebnis von 2:0, 1:2, 3 :1. Unter den Berliner Hockeyspielen erweckte die Begeg- nung des Berliner S.C. mit dem H.C. Heidelberg das größte Interesse. Die Gäste wurden mit 6 :2 (5 :0) sicher geschlagen. Der Leipziger S.C. verlor gegen den Berliner H.L. nur mit Pech 2 :3, nachdem er bei der Pause mit 2 :1 geführt hatte. Unentschieden 3 : 3 (1:1) endete in Hamburg das Spiel der Hockey-Mannschaften Nord- und Westdeutschlands. Der Tennis-Städtekamps Paris—Berlin wurde in Düs seldorf zu einer hohen Niederlage der Berliner. Die Pariser, die schon am Vortage mit 4:2 führten, gewannen das Treffen schließlich mit 9 :3. Boussus, der gegen Prenn ver loren hatte, besiegte Moldenhauer 1:6, 9 : 7, 6:3. Gegen Borotra hielt sich Prenn sehr tapfer, mußte aber schließlich geschlagen (6:4, 6:4) den Platz verlassen. Bremen schlug Mannheim 4:2 im Hallen-Tennis- Städtekampf in Bremen. Die Sensation des Tages war die Begegnung vr. Buß—Spieß, die Ersterer nach spannendem Spiel 4 :6, 11 :9, 8 :6 für sich entschied. Das Handball-Städtespiel Magdeburg—Halle in Magde burg ergab einen knappen, aber verdienten 6:6-Sieg der Magdeburger. 2000 Zuschauer wohnten dem Treffen bei. Der Radländerkampf Schweiz—Holland, der in Basel zur Durchführung kam, ging unentschieden 6:6 aus. Weltmeister Mazairac-Holland siegte erwartungsgemäß bei den Amateuren zweimal. Im „Großen Preis von Berlin", der Hauptnummer der Mariendorfer Trabrennen im Werte von 10 000 M. über 3000 m, siegte Gest. Falkenhagens Tizian (CH. Mills) vor Anita Worthy und Peracampos. Die Wettmaschine zahlte 11 für Sieg und 10, 10, 10 für Platz. — Aus dem Zweikampf zwischen Guy Bacon (LH. Mills) und dem Russen Petuschok (Sitnikoff) ging CH. Mills überlegen mit 8 Längen als Sie- ger hervor. Den „Preis der Fahne" gewann Deutschland beim Genfer internationalen Reitturnier mit der Mannschaft Oblt. Sahla auf Ninon, Oblt. Lippert auf Hartmannsdorf, Oblt. Hasse ruf Derby und H. Koerfer auf Baron III mit insgesamt 2- Fehlern von Frankreich 30 F., Belgien und die Schweiz je 44 F.. Börse und Handel Amtliche sächsische Notierungen vom 16. November, Dresden. Die Börse zeigte eine uneinheitliche Tendenz. Wenn auch weitere Deckungskäufe in ver schiedenen Werten zu Erholungen führten, so verkehrten doch einige Marktgebiete in leicht abgeschwächter Haltung. Es ge wannen Hutschenreuther und Union Diehl je 5, Paschen und Dittersdorfer Filztuch je 3,50, Unionwerke Radebeul 3, Glas fabrik Brockwitz und Karl Dürseld 2,50, Ver. Photo-Aktien 2,75, Kunstanstall May 2,15, Max Kohl 2 Prozent. Dagegen verloren Dortmunder Ritterbräu 3, Bergmann, Dresdener Albumin-Genußscheine, Dr.-Kurz-Altien, Geraer Strickgarn, Großenhainer Webstuhl und Rockstrohwerke je 2 Prozent. Die übrigen Kursveränderungen lagen unter 2 Prozent. Von Rentenwerten gingen 8proz. Leipziger Stadtanleihe von 1929 um 1,25, dergl. 8proz. von 1928 und Dresdener Stadlanleihe ablösungsschuld (Altbesitz) um je 0,5 Prozent höher. Dagegen gaben Reichsanleiheablösungsschuld 0,15 und 5proz. Landes kulturrentenscheine Serie III 0,5 Prozent nach. Leipzig. An der Börse konnte sich eine bessere Tendenz geltend machen, die jedoch auf die Kurse keinen erheblichen Einfluß ausübte. Lediglich Bankenwerte hauen eine leichte Besserung zu verzeichnen. Sonst blieben die Kurserholungen vereinzelt und unbedeutend. Der Anleihemarkt und der Frei verkehr waren ruhig. Chemnitz. Die Chemnitzer Börse verkehrte in freundlicher Haltung. Bei steigendem Interesse konnten sich verschiedentlich Kurserhöhungen durchsetzen. Maschinenaktien gewannen bis 7, Banken und Textilwerte bis 2,50 Prozent. Diverse uneinheit lich. Freiverlehr ruhig. Leipziger Produktenbörse. Weizen, inländ., 74,5 Kilogr. 223—229; Roggen, hiesiger, 70 Kilogr. 174—178; Sandroggen, 71 Kilogr. 174—178, Sommergerste, inländ. 210—225; Winter gerste 170—Ivo; Hafer iöü—iw; Alais, amerikanischer 205—Äö; Mais, Cinquantino 215—225: Ravs 345—355: Erbsen Dw amtttchen Notierungen laut-n für prompte Wäre'NariLt frachtfrei Leipzig. Alles bezahlt und Brief Berliner Börse vom Sonnabend. Die feste Tendenz, die di« Börse des Vortags beherrscht«, hat nicht lang« angehalten. Infolge der Geschästsunlust, di« noch stärker als sonst zum Wochenende festzustellen war, ging das Kursmveau durchweg weiter zurück, und zwar bis um etwa 3 Prozent. Etwas Auslandsware kam heraus, und zwar ins besondere in AEG. und Siemens. Dagegen war der Verkaufs- druck in Reichsbonkanteilen weniger stark. — Am Geldmarkt war Tagesgeld stärker gesucht. — Am Devisenmarkt schwächte sich das englische Pfund trotz des Rückganges des Satzes für Tagesgeld an der gestrigen New-Dorker Börse gegenüber dem Dollar ab, und zwar wurde mit 4,8775 bis SO gehandelt. Effektenmarkt. Heimische Renten hatten kleines Geschäft. Schiff- fahrtwerte bröckelten überwiegend etwas atz. Bank aktien waren bis zu I Prozent modriger, Reichsbank jedoch gut behauptet. Montanaktien verloren bis zu s Prozent. Don Kaliaktien waren Salzdetfurth stärker rückgängig (minus 3F0 Prozent). Die Farbenaktie verlor über 2^0 Prozent. Elektroaktien: Stärker gedrückt waren Siemens und AGG. Kunstseideaktien konnten sich nur knapp be haupten. Diskontermäsiigung der Niederländischen Bank. Die Niederländische Bank in Amsterdam setzte im Zusammenhang mit der allgemeinen Diskontherabsetznngwelle den Diskontsatz von 5 auf 4)4 Prozent herab. » Berliner Produktenbörse: Fest. Anhaltend feste Auslandsberichte wirkten auch hier befesti gend im Zusammenhang mit verstärkter Nachfrage nach Mehl und damit Brotgetreide von Seiten der Mühlen neben angereg ter Exportnachfrage. Das Angebot ist vom Inlands weiter nur mäßig, di« Preise sind gestiegen. Amtliche Notierung der Mittagsbörse ab Station Mehl und Kleie brutto einschl. Sack frei Berlin IM Kg W-iz. 16.11. 29 15 11. 29 224 0-225.0 100 kg Mehl 70 16 11.29 15.n.^ märt. 227.0-228.0 228.0-229.0 Weizen 26 7 32.7 26.7-32.7 Roggen 22 5 25.5 22 2 25.2 Dez. 242.0-243.0 238.5-239.5 Weizenkleie 10.0 10.5 10.0-10.5 März Rogg. mark. 259 0-260.5 2560-257.2 Roggenkleie Weizenkleie- 8 75-9.25 8.75-9.25 164.0-166.0 162.0-164 0 melaffe E— — Raps (1000 kg) E— Dez. 179.0-180.2 177.0-177 5 Leinsaat (do.) — — März Gerste Brau Wint. Futt. 198.7-1991 >94.0-195 0 Erbsen, Viktoria 31.0-38. 32.0-38.0 Kl. Speiseerbsen 24.0- 28.1 25.0-28.0 ! 84.0-200.0 184.0-200 6 Futtererbsen Peluschken 21.0-221 20.5-22.0 2I .0 22.0 20.5-22.0 >66 0-177.0 166.0-177.0 Ackerbohnen Wicken 19-21 23-26 19.0-21.» 23.0-26.0 Hajer Lupinen, blau 13.5 - 14i 13.5-14.5 „ gelb 16.5-17.2 16.5-17.2 märt. I53.0 162.0 151.0-160 0 Seradella, neue — — Dez. 169.00 167.0-168.5 Rapskuchen 18.5-19.c 18.5-19.0 Leinkuchen 23 4 23 6 23.4-23.6 März l 85.5-186.5 183 0-184 6 Trockenschnitzel 9 00 9.40 9.0 9 40 MaiS Soya-Extrakt Berlin >86 0-187 0 >87.0-188 ! Schrot t 8.1-18.4 18.1-18.4 Ptaia —— — Kartoffettloclei >47-149 14.7-14.9 Berliner Butterprelse. Amtliche Notierung ab Erzcu- gerstation, Fracht und Gebinde gehen zu Käufers Lasten: 1. Qua lität 182, 2. Qualität 165, abfallend« Sorten 149 Rm. Tendenz: Still. (Ohne Gewähr.) Wild- und Geflügelpreise. Wild und Wildge flügel. Rotwild, schwer, 14 Kilogramm 0,73—0,75, do. leicht 0,75—0,80, do. Kälber 0,85—0,90; Damwild, männlich, schwer 0,70-0,75, do. mittel 0,75—0,83, do. Kälber 1,40—1,50; Wild schweine, grobe 0,60—0,70, do. seine 0,75—0,80; Wildenten, ls, Stück 2,40—2,70; Fasanenhähne, junge, la 3,70—3,90, do. alte 3,20—3,40; Fasanenhennen, la 2,60—2,80; Schnepfen 3,80 bis 4,00; Hafen, große, la 7,60—7,85, do. mittel 4,50—5,00. do. kleine 3,00—4,00; Kaninsten, wild«, große 2,40—2,65. — Ge schlachtetes Geflügel: Hühner, hiesige, Suppen, la, 14 Kilogramm 1,10—IF5, do. Ha 0,80—1,00, do. junge, hiesige, la 1,20-1,30, do. Ila 1,00—1,10; Poulets, ung., la 1,25—1,45; Hähne, alte 0,80—0,95; Tauben^ hiesig«, junge, I», Stück 1,00 bis 1,16, do. IW 0,65—0,75, do. ital. 1,10—1,20; Gans«, la, 14 Kilogramm 1,15—1,20, do. Ila 1,05—1,10, do. ungar. Stopf-, la 1,10—IFO'. Enten, la 1,30—1,40, do. Ila 1,00—1,10, do. Hamburger, jung«, la 1,40—IFO. Die Preise sind die amtlichen Berliner Akarktliallenprei.se, einschließlich Fracht, Spesen und Provision. (Ohne Gewähr.) , Die kleine Studentin M Auf dem Tische im altmodisch möblierten Zimmer von kitschiger Stillosigkeit mit geschnörkelten Talmisäulen und verzerrten Verzierungen stand eine ebenso häßliche Vase mit einem Strauß vertrockneter Erika, deren wundervolles Rot längst staubmüde ergraut war. Beate von Sundwig blieb zum soundsovielten Male vor dem Tische stehen, beugte sich über die Vase, schob sie in offensichtlichem Abscheu von sich, wandte sich um und wiederholte nach kurzer Zeit das Spiel. Gleichzeitig lag in ihrer Haltung etwas abwartend Horchendes. Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als plötzlich die Klingel durch das stille Haus gellte. Ihre Züge spannten sich in konzentrierter Aufmerksamkeit, leicht vorgebeugt blieb sie regungslos in der Mitte des Zimmers stehen. Jetzt auf dem Flur bedächtige, schwerfällig schlurfende Schritte - die Wirtin Kreischend drehte sich der Schlüssel im ungefetteten Haustürschloß Eine kurze Unterhaltung begann, Fragen, Antworten. Nun fiel die Tür wieder ins Schloß. Umständlich wurden die gewohnten Absperr maßnahmen getroffen, der Niegel vorgeschoben. ^eate verfolgte alles mit aufmerksamem Interesse. Endlich — die Schritte näherten sich ihrer Zimmertür. Mit wunderbarer Geschmeidigkeit huschte sie lautlos ans Fenster, nickte, sie hatte recht gehört: es war der Telegraphenbole. Als die Wirtin einen Augenblick später an die Tür pochte und eintrat, saß Beate von Sundwig bequem im Sessel, ein Buch in der Hand, scheinbar so stark in den Inhalt versunken, daß sie ganz erschrocken die Vermieterin ansah. „Was gibt es?" „Ein Telegramm", stöhnte die rundliche, asthmatische Dame. „O Gott, es ist sicher etwas Schreckliches passiert", stieß sie in neugieriger Frage heraus, noch atemlos vom Treppensteigen. Die stark betonte Vollschlankheit beein trächtigte die Herztätigkeit, wozu noch die Erregung über das Telegramm kam. „Danke, Frau Minder. Regen Sie sich doch nicht auf, was sollte denn passiert sein?" „Eine Depesche bedeutet immer Unglück", stellte Frau Minder mit verblüfsender Autorität fest, die keinen Wider spruch zuließ. „Sind Sie gar nicht neugierig auf den Inhalt?" mahnte sie Beate, die die Depesche in der Hand hielt. Beate trat zurück, öfsnete ruhig das Formular, durch las es und wandte sich zu Frau Minder: „Ich muß sofort verreisen. Erreiche ich den Anschluß an den Expreß nach Köln noch?" „Ich hab's ja gesagt. Natürlich ein Todesfall, haben Sie schwarzes Zeug oder soll ich Ihnen leihen? Wie schrecklich, ein Todesfall .. „Wer spricht davon? Ich soll mich bei dem Chef der Merderwerke, dem Kommerzienrat Merder, vorstellen." „Und dazu solche Aufregung, eine Depesche! Ein Bries hätte es auch getan. Der Expreßzug fährt 10.28 Uhr", lenkte sie, sachlich werdend, ab. „Dafür ist es zu spät." „Gibt es keine andere Möglichkeit, hier fortzukommen." „Ein Auto." „Das ist zu teuer, Frau Minder." Vielleicht könnten Sie den Zug um 11.48 Uhr iu Elle erreichen. Wenn Sie zu Fuß hingehen, wäre es möglich." „Wie weit ist der Weg?" „Eine gute Stunde." Frau Minder sah auf den alten Regulator. „Er geht zehn Minuten nach", rechnete sie halblaut, „es geht; Sie sind gut zu Fuß, nehmen Sie den Weg über die Waldhöhe, dann werden Sie's schaffen. Muß es wirklich so schnell sein? Eine Vorstellung!" Ein leichter Zweifel lag in ihrer Stimme. Frau Minder hatte immer Zeit und konnte sich die Notwendigkeit solcher Eile nicht vorstellen. Ein Blick auf die auf dem Tische liegende geöffnete Depesche überzeugte sie von der Nichtigkeit des Gesagten. Nun wurde ihre Hilfsbereitschaft wach. „Nun heißt es eilen, sonst ist es zu spät." Wirklich, es stimmt, dachte sie. Schade, nun wird sie gehen. Wenigstens ist die Miete im Voraus bezahlt. „Gut, ich werde den Fußmarsch machen und bin voraussichtlich spätestens morgen abend zurück. Sorgen Sie bitte, daß mein Zimmer dann gut warm ist." „So schnell geht das alles! Ich eile, Sie müssen erst eine Tasse guten Bohnenkaffee trinken, der wärmt nnd frischt aus. Das können Sie brauchen. Der Weg über die Höhe ist kalt. Was nützt Ihnen der Pelzmantel, da unten die dünnen Strümpfe! Erkälten Sie sich »ur nicht den Unterleib — eine verrückte Mode heute. Ich koche rasch Kaffee." Damit verließ sie in hurtiger Eile das Zimmer. Die Zurückbleibende öffnete geräuschlos das Fenster, stellte die Vase mit den vertrockneten Blumen auf den äußeren Sims; dabei strich sie leise über die Stirn, als habe sie Kopfschmerzen, und sah blicklos zum gegenüber liegenden Hotel, wo sich einen Augenblick später ein Männerkopf zeigte und wieder verschwand. Nun kleidete Beate sich zum Ausgehen an. Wenig später schlug sie den Weg zur Waldhöhe ein. „An der Wegkreuzung rechts abbiegen und den Weg mit den drei Punkten verfolgen", rief Frau Minder ihr nach, dann bog sie um die Straßenecke. An der Wegkreuzung angekommen, handelte sie dem Gebot entgegen, ließ den Weg mit den drei Punkten rechts liegen, bog links ab und verfolgte den schmalen Weg weiter. Es dauerte nicht lange, so tauchte ein Herr in Autopelz und Kappe auf, der ihr entgegenkam. In der dicken Vermummung war sein Aeußeres nicht zu erkennen; er ging mit kurzen stampfenden Schritten vorwärts, um warm zu bleiben. (Fortsetzung folgt.)'