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Ihr Geheimnis Roman von H. Courths-Mahler n dem großen, eleganten Epeisesaal des vornehmen Hotels waren fast schon alle Tische besetzt, nur eine runde, für sieben Personen gedeckte und mit Blumen geschmückte Tafel, die nahe am Fenster stand, war noch unbesetzt. Sie war für die ganze Dauer seines Aufenthaltes in diesem Berliner Hotel für den Großgrundbesitzer Udo von Pressen reserviert. Soeben betrat Herr von Pressen den Speisesaal. Am Arme führte er seine noch immer berückend schöne Frau, der man es nicht ansah, daß sie schön einen zweiundzwanzigjährigen Sohn hatte. Mit selbstverständlicher Galanterie führte er seine Gattin an den reservierten Tisch, aber ehe er ihr den Sessel zurechtrücken konnte, tat das bereits sein Neffe, Ralf Brand, der dem Paare nebst dessen einzigem Sohne Horst gefolgt war. Frau von Pressen dankte mit einem Kühlen Neigen des Kopfes für diese Artigkeit, ihr Gatte nickte dem Neffen aber freundlich zu: „Zmmer auf dem Posten, wo es gilt, deiner Tante eine Aufmerksamkeit zu erweisen, Ralf. Horst sollte sich an dir ein Beispiel nehmen," sagte er, mit mehr zärtlichem als hartem Borwurf auf seinen Sohn blickend. Horst von Pressen lachte unbekümmert. „Oh, Papa, mit Ralf konkurrieren zu wollen, hat gar keinen Zweck, er ist mir doch in allen Dingen über," sagte er, zugleich seine Hand mit einem freundlichen Blick auf des Vetters Arm legend. Helma von Pressen, seine schöne Mutter, zog die Stirn ein wenig kraus. Sie mochte es nicht hören, wenn sich ihr Sohn. Ralf Brand immer wie selbstverständlich unkerordnete und dessen Überlegenheit in allen Dingen anerkannte. Horst von Pressen war eine elegante, blendende Erscheinung, in dessen schönem Gesicht nur ein Zug von Leichtsinn und Energielosigkeit störte. Er zählte zweiundzwanzig Zahre und führte das Leben eines Menschen, der sich alle Annehmlich keiten des Daseins verschaffen kann, ohne etwas dafür leisten zu brauchen. Sein Vetter Ralf, der zehn Zahre älter war als er, war ein energischer Tatenmensch, der, großes Verantwor tungsgefühl besitzend, das Leben nicht leicht nahm. Er wirkte bedeutender als sein Vetter und war ebenfalls eine vornehme und elegante Erscheinung. Man hatte kaum an der Tafel Platz genommen, als die drei noch fehlenden Personen erschienen: die Schwester Frau von Pressens mit ihrem Gatten und beider Tochter Rosmarie. Ihr Gatte, vr. meck Buchwald, war der Besitzer eines Sanatoriums, das in der Nähe von Schloß Pressen lag, und das leider nicht so florierte, wie er es gern gesehen hätte, weshalb er zuweilen auf die Unterstützung seines vermögenden Schwagers ange wiesen war. Dieser hatte die Verwandten auch jetzt auf acht Tage nach Berlin eingeladen. Sie waren im Hotel seine Gäste. Als alle Platz genommen hatten, begannen die Kellner zu servieren. Man plauderte angeregt über die neuen Eindrücke, die man in Berlin empfangen hakte, und Horst neckte sich mit seiner Cousine Rosmarie, einem liebreizenden jungen Mädchen, deren Gesichtsausdruck jedoch verriet, daß sie den Ernst des Lebens viel besser kannte als ihr leichtsinniger Vetter. Ralf Brand und Rosmarie Buchwald hatten nur eine stumme Begrüßung getauscht, aber ihre Augen suchten einander immer wieder, wie magnetisch angezogen. Es lag etwa seit Jahresfrist auf dem Grunde von Rosmaries Augen etwas, was Ralf Brand gern ergründet hätte. Man war bereits beim Dessert angelangk, als Ralf Brand plötzlich auf einen Herrn aufmerk sam wurde, der am Eingang des Speisesaals erschien, und der ihn an jemand erinnerte, den er kennen mußte, ohne daß er gleich herausgefunden hätte, an wen. Dieser Herr, ein Mann von etwa fünfzig Zähren, sah sich suchend im Speisesaal um. Unwillkürlich behielt Ralf ihn im Auge, denn irgend etwas an seiner Person fesselte seine Aufmerksamkeit. Er kam lang sam näher, und Ralf bemerkte, daß sein Fuß dann plötzlich stockte und seine Augen mit einem seltsamen Aufflammen nach dem Tisch hinüber sahen, an dem Udo von Pressen mit seinen Angehörigen saß. Ralf beobachtete ihn verstohlen, aber scharf. Er war mit einer etwas fadenscheinigen Eleganz gekleidet, hatte ein von Leidenschaften zerstörtes Gesicht, das sicherlich einmal sehr schön gewesen war, und verriet durch seine ganze Art, daß er aus guten Kreisen stammte. Jetzt blieb er stehen, verbarg sich hinter einer Säule und fixierte den Tisch. Ralf beugte sich ein wenig vor, so daß er den Fremden durch das auf der Tafel stehende Blumenarrange ment beobachten konnte. Und er merkte sehr wohl, daß der Fremde mit einem starren Blick seine Tante Pressen ansah, als wolle er sie mit seinem Blick hypnotisieren. Ralf be obachtete jetzt auch seine Tante und gewahrte, daß diese auf ein mal jäh erblaßte, und wie sich ihre Augen vor Entsetzen weiteten. Sie stöhnte leise auf und fiel bewußtlos in ihren Sessel zurück. Zm gleichen Moment verschwand der Fremde. Ralf sprang auf, um seiner Tante Hilfe zu leisten. Als er einen letzten Blick auf den sich zum Gehen wendenden Fremden warf, durchzuckte es ihn wie ein Schlag. Auf einmal wußte er, an wen ihn dieser Mann erinnert hatte. Mit Ralf zugleich war auch sein Onkel aufgestanden. Sie mühten sich beide um die bewußtlose Frau, während die andern, vor Schreck erstarrt, zu Frau Helma hinübersahen, die bleich wie eine Tote mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel lehnte. Soeben wollte sich auch Doktor Buchwald erheben, um seiner Schwägerin zu Hilfe zu kommen, als diese aber schon wieder zu sich kam und lächelnd, aber noch immer todbleich, abwinkte. „Bitte, nehmt alle wieder Platz, damit es nicht auffällt, daß mich ein kleines Unwohlsein befallen hat. Es Hal nichts auf sich," sagte sie, sich mühsam beherrschend.