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Ein besonders zerstreuter Mann soll der Mitte des vori gen Jahrhunderts verstorbene Professor der Theologie Neander gewesen sein. Von dem werden allerdings ziemlich erstaunliche Sachen erzählt. Auf dem Wege ins Kolleg — in Gedanken schon ganz in seinem Hörerkreis traf er einen Kollegen, dem er klagte, daß er gar nicht wisse, was mit dem rechten Bein los sei, er müsse dauernd hinken. „Ja, du lieber Gott", war die Antwort, „wenn Sie links auf dem Bürgersteig und rechts im Rinnstein gehen —" Die Rettung war leicht, der hilfreiche Amtsgenosse zog den versonnenen Mann zu sich auf den Bürgersteig. Ein ander mal war Neander auf einein Gute zu Besuch, das Perpen dikelgeräusch des Regulators hinderte ihn am Einschlafen, er suchte dem Uebel abzuhelfen, indem er den lästigen Gegen stand auf den dunklen Flur trug, um ihn dort irgendwo auf- zuhüngen. Erst der hinzukommende Diener belehrte ihn zu seinem eigenen Erstaunen, daß die Uhr ruhig im Zimmer bleiben könne, wenn man das Perpendikel einfach an halte. Bei unseren westlichen Nachbarn, den Franzosen, ist übrigens der Gattungsbegriff des zerstreuten Professors seit jeher auch schon immer vertreten gewesen. So erzählt man von einem solchen Gelehrten ein etwas bedenkliches Wort. Beim Hinausgehen aus der Kirche, in der eine Hochzeits feierlichkeit stattgefunden hatte, soll er laut und vernehmlich einen anderen Teilnehmer des Zuges gefragt haben: „Gehen Sie bis zum Kirchhof mit?" Das ist „verheerend", wie man heutzutage sagt, und es empfiehlt sich auch nicht, einer Dame, die bei einer Abendfestlichkeit in schmerzbewegtem Tone vom Tode ihres Gatten spricht, die Antwort zu geben: „Ach, das ist traurig! Sie hatten wohl nur den einen?" Da geht die zeitweise Geistesabwesenheit bis zu einer völligen Ver kennung der familiären Verhältnisse, und es bedeutet eigent lich kaum noch eine Steigerung, wenn eine andere Frau auf ihre Klage, daß sie keine Kinder habe, hören mußte: ,Latte denn Ihre Frau Mutter welche?" Solche und ähnliche Gelehrtenscherze sind Legion. Von dem berühmten englischen Physiker Newton wird erzählt, daß dieser — ein leidenschaftlicher Pfeifenraucher —, in zärt lichem Liebesgetändel mit seiner Braut begriffen, deren Finger zum — Pfeifestopfen nehmen wollte; und ein schwe discher Professor soll sich bei einer Abendtafel statt der Brot schnitte die eigene flache Hand mit Butter bestrichen haben, um mit dieser dann einem Kollegen, der ihn auf die sonder bare Verwechslung aufmerksam machte, wohlwollend auf die Schulter des tadellosen Fracks zu klopfen. „Wenn nicht wahr, so doch gut erfunden", möchte man sagen. Das gilt auch von jenem deutschen Professor, der eines Tages auf der Straße ein Dienstmädchen mit zwei Kleinen an sprach: „Was für reizende Kinder — das sind wohl Zwil linge?" „Jawohl, Herr Professor, und sie gehören alle beide Ihnen!" * Schlagfertig dagegen und gar nicht geistesabwesend muh der Mathematiker und Astronom Karl Friedrich Gauß ge wesen sein, der im Jahre 1855 zu Göttingen, seiner lang jährigen Wirkungsstätte, das Zeitliche segnete. Er stammte aus kleinen Verhältnissen, und es war kein Wunder, daß er einmal als junger Mathematikprofessor eine leere Börse zog. Ein reicher Mann bemerkte spöttisch: „Herr Professor, Sie schützen wohl die Hypothese vom leeren Raum?" „Mehr allerdings noch", erwiderte Gauß, „den, der mir diese Hy pothese widerlegt." — Gauß hatte einen Jugendfreund, der — Landarzt und eifriger Jäger —, selbst zu Kranken besuchen das Jagdgewehr mitnahm. Der Professor erklärte dies heiter dahin, daß sein alter Freund das wohl aus Vor sorge täte, falls er nämlich — mit seinen Medikamenten einen Patienten verfehlen sollte. An Gegenwart des Geistes gebrach's auch nicht einem anderen Hochschullehrer, der ebenso durch sein Wissen wie durch seinen Körperumfang berühmt war. „Da kommt das Faß", so begrüßte ihn einmal beim Eintritt in den Hör- saal ein Anruf. Der Gelehrte begann darauf seinen Vor trag mit den Worten: „Meine Herren, ehe ich mit dem eigent- lichen Thema beginne, möchte ich einen Irrtum richtigstellen. Die Worte: da kommt das Faß, betreffen wohl meine Per son. Wie alle Vergleiche, hinkt auch dieser, denn ein Faß ist von Reifen umgeben, ich aber bin von Unreifen umgeben/ Nun, derartige Vorkommnisse sind auf deutschen Hochschulen selten. Wir wollen uns freuen, daß wir nicht nur zerstreute, sondern auch streitbare Hochschullehrer haben, wenngleich jene Definition nicht ganz zutrcffen dürfte, daß „Professor sein" gleichbedeutend sei mit „anderer Meinung sein". Der Professor der Theologie August Wilhelm Dieckhoff parierte diesen Angriff mit den Worten: „Na, da bin ich aber wohl anderer Meinung!" ° Für die Küche A« viele« Diugen des tägliche« Lebens geht man häufig achtlos vorüber. Haben Sie sich z. B. einmal die Umhüllung eines Maggi-Fleischbrühwürfels, der doch, weil so praktisch, in Ihrem Haushalt Verwendung findet, genau angesehen? Haben Sie auch gelesen, daß der Würfel in gut '/i Liter kochendem Wasser — und nicht nur in einer gewöhnlichen Tasse, die meist keinen Viertelliter enthält — aufgelöst werden soll? Beachten Sie dies, dann wird die Fleischbrühe immer gerade recht sein und wie aus frischem Fleisch hergestellte munden. Also bitte, Liter Wasser für einen Maggi's Fleischbrühwürfel. Gedämpfte Kalbsrippe, <Für 4 Personen). Zu taten: 1'/, KZ Kalbsrippe, 1 Liter Fleischbrühe aus 3 bis 4 Maggi's Fleischbrühwürfeln, 50 § Butter, 2 Teller voll verschiedene, kleingeschnittene frische Gemüse, Weizen mehl zum Binden, gehackte Petersilie, Salzkartoffeln. Zubereitung: Die Kalbsrippe wird in Portions stücke geschnitten, diese in der Butter aus allen Seiten an gebraten, mit Fleischbrühe überfüllt und langsam gargedämpft. Inzwischen muß man die verschiedenen kleingeschnittenen Ge müse wie: Karotten, Kohlrabi, kleine Schalotten, 1 Gurke, einige in Viertel geschnittene Salatköpfe für sich in der rest lichen Fleischbrühe weich kochen. Wenn die Flcischstücke gar sind, wird die Dampsbrühe mit ein wenig Weizenmehl bün dig gekocht. Man richtet dann das Gemüse in der Mitte der Schüssel an, bestreut es mit Petersilie und gibt die Fleischstücke mit ihrer Soße im Kranze herum. ll. tt. o—« Humoristisches « Wir Deutschen fürchte« Gott . . . Bismarcks berühmtes Wort: „Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nie mand in der Welt", war seinerzeit mit Windeseile bis in die entlegensten Dörfer Deutschlands gedrungen. Einem biederen, vaterlandsbegeisterten Ortsschulzen in einem ober- hessischen Dörfchen hatte der Ausspruch ganz besonders ge fallen. Im Herbst des Jahres 1887 fanden in jener Gegend Manöver statt, und unser Dörfchen war einige Tage mit Einquartierung belegt. Die Offiziere hatten das Wohlge fallen der Honoratorien des Dorfes derartig gesunde«, daß sie vom Ortsschulzen und den Gemeinderäten zu einem Ab schiedsschoppen eingeladen wurden. Nach mancherlei Reden, besonders über die gute Versorgung der Einquartierten, hielt es das Ortsoberhaupt in vorgerückter Stunde sür angebracht, ebenfalls eine Rede von Stapel zu lassen. Da fiel ihm Bismarcks berühmtes Wort ein, und mit erhobener Stimme rief er: „Unsere Armee und unsere braven Offiziere haben 1870/71 bewiesen, was sie können. Das wird auch zukünftig so sein, denn vor uns Deutschen fürchtet sich Gott, sonst niemand in der Welt!" Ich kehre mich nichts dran, Ich laß die Leute klügeln, Wer kann denn jedermann Das lose Maul verriegeln? Ich kann nicht besser leben, Als daß ich dazu lach', So haben sie vergebens Sich viele Müh' gemacht. er große Mann geht seiner Zeit voraus, Der Kluge geht mit ihr auf alle« Wege«, Der Schlaukopf beutet sie gehörig aus, Der Dummkopf stellt sich ihr eutgege«. «— Sonntagsgedanken. Der Sammler klopft an deine Tür. Seine Legitima tion ist des Herrn Wort: „Gib dem, der dich bittet", zumal, wenn er sür andere b'ttet. Was gibst du ihm? Doch nicht etwa unfreundlichen Blick und hartes Wort? Wir müssen im Leben soviel geben: wenn es nicht geschieht in freund licher, liebreicher, barmherziger Art, dann ist es kein rechtes Geben. Wenn du dem Kranken eine Kleinigkeit bringst, wenn du dem Traurigen ein liebes, gutes Wort sagst, und wenn sie dir dann dankbar die Hand drücken und dich froh anschauen, wird dir's dann nicht warm ums Herz und im Herzen? Freuve einem anderen bereiten, Tränen ihm trock nen, Not lindern, Sorgen heben, Wege ebnen, Schwache stützen, Verirrte zurecht bringen, Gefallene aufrichten, — das ist köstliches, reiches Geben. Und wenn du daheim dein Herz an ein anderes Herz täglich aufs neue hingibst, wenn du eben darum auch für den anderen Zeit und Kraft opferst, wenn du in deinem Beruf doppelt fleißig arbeitest, weil es für die gilt, die du lieb hast, wenn du in deinem Haushalt doppelt treu schaffst, weil du den Deinen das Haus bauen willst zur festen Burg, zur schönen Welt, wenn du deine Ruhe und deine Bequemlichkeit hingibst, um deinen lieben Kranken zu pflegen, wenn du für den anderen ein freund liches Wort hast, um ihn zu trösten in seiner Traurigkeit, um ihn zu ermutigen in seiner Verzagtheit — ist das nicht gesegnetes Geben? Daß dabei mancherlei aufgegeben werden muß, ist das zu verwundern? Wenn ich den anderen lieb habe, da muß ich schon um seinetwillen meine Fehler und Eigenheiten aufgeben, muß meine Ecken und Kanten abstoßen, muß auf manchen Lieblingswunsch verzichten. Und auch das Nachgeben darf nicht fehlen. Wenn ich mich in den anderen hineinlebe, in seine Gedanken hineindenke, in seinen Willen hineinfühle, dann ist mir nicht mehr mein eigener Wille maß gebend, dann tue ich nicht mehr, was mir gut dünkt, dann frage ich nicht mehr, was mir lieb und angenehm ist, was mir Freude bereitet; nein, dem anderen will ich zur Freude leben, ich gebe ihm nach. Und das schwerste Geben? Da von erzählt der Sonntagstcxt, das Gleichnis vom Schalks knecht. Vergeben, heißt das schwerste Geben. Wenn einmal in der Ehe der Friede gestört ist durch ein unfreundliches, unbedachtes Wort, wenn der andere sich gekränkt und belei digt fühlt und sich grollend und schmollend zurückzieht, dann heißt es: Vergib, vergib und vergiß! Die Dissonanzen müssen rechtzeitig aufgelöst, die Scheidewände müssen nieder- geriffen werden; die Hand muß die Hand, das Herz muß das Herz finden, bevor die Sonne untergeht. Von dem, der uns das tägliche Brot gibt, erbitten wir es uns in der 5. Bitte: „Vergib!" Er vergibt, weil er Liebe ist, weil er reich ist an Gnade und Barmherzigkeit; er füllt uns die leeren Hände, er stillt unsre bangen Herzen. Wenn wir doch ihm immer ähnlicher werden wollten in der Kunst, die göttlich ist in der Kunst des Gebens in den mannigfachsten Formen bis hin zum Vergeben! 8ck. Das Opfer der Greta Thornfeld Skizze von Ragnhild Svenssen Er erhob zweimal mit einer ebenso heftigen wie ängst lichen Bewegung die Hand, und Greta Thornfeld, die mit dem Rücken am Fensterkreuz lehnte, zitterte, daß er zuviel reden könnte. Aber Give Samland hörte ein Geräusch auf dem Flur, ermannte sich und ging mit stummem Gruß aus dem Zimmer. Wie allein Greta Thornfeld mit einemmal war! Draußen rauschte früher Herbstregen im Weinspalier. Greta preßte beide Handflächen gegen das schöne, verdunkelte Gesicht und bemühte sich, ihrer tobenden Gedanken Herr zu werden. Ingeborg Helgerström hatte sie vor sechs Wochen so innig eingeladen, mit dem ganzen Ungestüm der früheren, gemeinsam verlebten Pensionszeit. Inge war mit Give Sam land, verlobt und schrieb, daß sie sich ganz schrecklich lieb hätten und daß sie so glücklich sei nach all der Einsamkeit, die dem Unglücksfall ihrer beiden Eltern folgte. Give Sam land besaß nichts als sein Wissen und seine große, herbe Männlichkeit. In letztere verliebte sich die kleine, unschein bare Ingeborg vor allem. Aber Inge war ja reich, die Besitzerin großer Güter und Kiefernwälder in Dalarna. Man konnte so glücklich werden . . . Give Samland, der Bräutigam, holte Greta mit feu rigem Gespann von der Station ab. Er war es, der ihr die Besitzungen, die Wälder, die Seen zeigen mußte. Inge borg entschuldigte sich; ihr ging das Hauswesen über alles. Ihre ein wenig rundliche Gestalt flog von morgens bis abends durch die Wirtschaftsräume. Uebereifer 'ärbte ihr liebliches Gesichtchen ost zinnoberrot. Und zum ersten Male seit der Verlobung rügte Give. Ihn ärgerte es, daß die Braut so hausbacken neben dem wunderbaren, fremden Mäd chen saß, daß sie keinen klemen Vergleich mit Greta aus- hielt, deren große, samtdunkle Augen ihn verwirrten, wenn sie nur zufällig im Gespräch in sein Gesicht blickte. Anfangs war Greta von seiner Verwirrung, die ihr, der Vielumwor benen und Gefeierten, nicht entging, belustigt. Bald aber übertönte ein ganz anderes Gefühl alle Scherzhaftigkeit: Sie liebte Give Samland. Es war ein Fangen und Entschlüpfen zwischen ihnen. Sie lachten, wenn ihre Herzen bis in die Kehle sinnlos rasten; sie wollten die Herzstimme betäuben, die zu Uner laubtem, zu Verrat lockte. Sie durften sich nicht bei harm loser Begegnung mit ihren Händen berühren, ohne aufzu flackern und sich heiß und erschreckt in die Augen zu starren. Dann kam die Nacht, wo sie durch die schwedischen Wälder schlichen und stundenlang auf den Elch lauerten. Inge be stand darauf, daß Give ihn Greta zeigen solle. So vertraute sie dem Verlobten und der Freundin, daß sie die beiden hinausschickte in die herbe, schöne, rauschende Nacht schwe discher Wälder.