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Was im Haag erreicht wurde Die deutsche Delegation ist aus dem Haag zurück gekehrt. Sie hat über ihre Verhandlungen und deren Ergebnisse am Dienstag dem Kabinett Bericht erstattet. Das Kabinett einschließlich des Herrn Reichskanzlers, der besonders unterrichtet worden war, hat sich einstim mig hinter die Delegation gestellt. In Vertretung des nach Genf zur Tagung des Völkerbundes gereisten Reichsautzenministers habe ich heute dem Herrn Reichspräsidenten Vortrag gehalten. Der Herr Reichspräsident hat mich beauftragt, der Delegation seinen Dank zu übermitteln. Er hat insbesondere seiner Befriedigung darüber Ausdruck gegeben, datz endlich das Recht Deutschlands auf Befreiung des Nheinlandes vom Druck fremder Besatzung in naher Zukunft erfüllt werden soll. Der Herr Reichspräsident hat ferner die Erwartung aus gesprochen, datz von der jetzt erreichten Etappe us die Lösung der noch offenen Reparationsfragen und die volle Wiederherstellung der deutschen Staatshoheit er kämpft werden müßte. Es ist nunmehr an der Zeit, daß die Delegation selbst der deutschen Oeffentlichkeit die Ergebnisse ihrer Verhandlungen unterbreitet. Die Entwicklung der Haager Konferenz, die entgegen sonstigen interna tionalen Konferenzen gleich im Anfang in eine Krise stürzte, auf der politische und finanzielle Fragen von größter Tragweite neben- und durcheinander verhandelt werden mußten und in deren Vordergrund fast drei Wochen lang Teilungsfragen der Gläubigermächte be handelt wurden, während die für die Verhältnisse Deutschlands und Europas entscheidenden Fragen der zukünftigen finanziellen Eesamtregelung sich auf die Dauer von drei Tagen und drei Nächten zusammen drängten — diese Entwicklung der Konferenz, die Fülle der Probleme, die Notwendigkeit taktischer Ausnutzung der Presse und andere Umstände mehr haben die deutsche Oeffentlichkeit bisher vor die fast unlösbare Aufgabe gestellt, sich ein klares Bild über Ziele und Ergebnisse der Verhandlungen zu machen. Schon hat die Innenpolitik begonnen, diese Verwirrung auszunutzen. Es gilt daher, die Dinge ins rechte Licht zu rücken, die großen Linien aufzuzeigen, die zum Haag geführt haben, und die dort erreichten Ergebnisse in ihrer bleibenden politischen Bedeutung darzustellen. Jeder große Krieg, der das europäische Staatensystem erschüttert hat, hat seine Beendigung nicht in einem einmaligen Vertrage gefunden. Wie den napoleonischen Kriegen von 1815—1835 die Kongresse von Wien, Aachen, Karlsbad, Troppau usw. in Abständen von wenigen Jahren aufeinander folgten, bis wiederum ein neuer Gleichgewichtszustand hergestellt war, so ist auch der Friede von Versailles nicht der Abschluß der europäischen Mächteverschiebung. Er ist der tiefste Punkt, von dem aus eine Auf wärtsentwicklung Deutschlands in seinen Beziehungen zu den anderen Mächten einsetzt. Auf diesem Wege ins Freie, der seinen Abschluß noch nicht gefunden hat, lassen sich bestimmte Etappen erkennen, die mit merk würdiger Regelmäßigkeit in Abschnitten von 5 zu 5 Jahren erhebliche Fortschritte gegenüber dem früheren Zustande bringen. Einen solchen wesentlichen Fortschritt stellen der youngplan und die auf seiner Grundlage im Haag erzielten politischen Ergebnisse dar. Der Vertrag von Versailles, dessen lleber- nahme durch Deutschland unter dem Druck eines an gedrohten Einmarsches und der Fortdauer der Hunger blockade erfolgte, hatte große deutsche Gebiete, die an Einwohnerzahl ein Zehntel, an Reichtum einen erheblich größeren Bruchteil des gesamten Deutschen Reiches aus machten, für die Dauer von 15 Jahren einer Besatzung durch die früheren Gegner unterworfen. Er hatte Deutschland eine völlig unübersehbare Re parativ nspflicht aufgebiirdet. Praktisch waren die politische wie die finanzielle Belastung unbegrenzt. Einflußreiche Kreise Frankreichs sahen die Besatzung nur als ein Mittel an, um Deutschland, wenn es seinen Reparations verpflichtungen, wie sie erwarteten, nicht nachkommen tonnte, die Rheinlande zu entreißen. Viele Deutsche befürchteten von der Besatzung eine gleiche Wirkung. An Versuchen in dieser Richtung hat es nicht gefehlt. Die Reparationslasten waren durch den Ver sailler Vertrag nicht begrenzt. Die Schäden, für die Ersatz geleistet werden sollte, waren so allgemein um schrieben, daß jede Forderung gegen Deutschland irgend wie hätte von den Gläubigern begründet werden können. Die Stelle, welche die Höhe festzusetzcn hatte, war die Reparationskommission, in der Deutschland nicht vertreten war, und die, durch Ausscheiden Amerikas aus den am Versailler Vertrag beteiligten Mächten, eine höchst einseitige Zusammensetzung gefunden hatte. Mit diesen beiden, in Wirklichkeit unbegrenzten Auf lagen beschwert, ging Deutschland aus fünfjährigem Kriegszustand hervor. Es ist ein Wunder und gehört zu den größten Ruhmestiteln des deutschen Volkes, daß es angesichts dieser Lasten seinen Mut nicht verlor, nicht die Hände in den Schoß legte oder sich zu unbesonnenen Abenteuern Hinreißen ließ, sondern sich an die A r - beit machte. Es stand dabei vor einer doppelten Aufgabe. Die werktätigen Schichten und die Unter nehmer hatten den Wiederaufbau der Wirtschaft durch zuführen, die politischen Führer hatten den ungeheuren Druck, der auf dem politisch vereinsamten, zum Teil besetzten Deutschland lag, zu erleichtern, sowie die finan ziellen Lasten in ständiger, zäher, oft von den eigenen Volksgenossen verkannter Arbeit abzubauen. Durch das Londoner Ultimatum wurden die Reparationen auf 132 Milliarden festgesetzt. Die Entrichtung der ersten Jahresmilliarde erschütterte die deutsche Währung so, daß schon nach wenigen Monaten ein Moratorium gewährt werden mußte, und daß die Frage, was, in welcher Form und für welche Zeit sich die Erfüllung dieser Zahlungen abspielen sollte, bei ständigem Abwürtsgleiten der Mark völlig ungewiß wurde. Der Ruhreinbruch und seine Folgeerscheinungen