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MlsuiherIa-eblatt Donnerstag, 17. Oktober 1S29 Beilage zn Nr. 243 81. Jahrgang Aus der Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer zu Zittau In einem gemeinsamen Bericht an das Wirtschastsministerium haben die sächsischen Industrie» und Handelskammern zu dem Ent wurf eines neuen Lehrplanes für die höheren Han« d'elslöhranstalten Stellung genommen. Sie haben dabei ins. besondere eine Vermehrung der Stundenzahl für den Buchführung-- unterricht auf Kosten anderer für den Kaufmann minderwichtiger Fächer befürwortet. Bei dieser Gelegenheit haben die Kammern folgende allgemeine Wünsche geäußert: Pflege einer guten und deutlich lesbaren Handschrift, praktische Berwendnng der Kurzschrift im Unterricht, auch in den oberen Klassen, Abkehr von reinen Stilübungen im frcmdsprach. lichen Briefwechsel und dafür Vertrautmachen d-r Schüler mit den jetzt üblichen kurzen Formeln im geschäftlichen Verkehr, Pflege einer dialekt freien Aussprache. — Das Wirtschaftsministerium hat bereits am 31. März 1927 eine Verordnung über den Handel an Schulen für die ihm unterstellten Fachschulen erlassen, wonach den Hausmeistern wie allen übrigen Beamten, Lehrern und Angestellten dieser Schulen jeder Handel mit Schulbcdarfsgegenstäudm untersagt ist. Neuerdings sind zwei Verordnungen des sächsischen Ministeriums für Volksbildung über den Warenhandel von Persone i, die im Schuldienst stehen, und über die Beschaffung von Gegenständen zum Schulgebrauch erschienen. Daraufhin ist beim Wirtschaftsministerium angeregt worden, die oben- erwähnte Verordnung im Anschluß an die Verordnungen des Ministe riums für Volksbildung in Erinnerung zu bringen. — Nach riner Mitteilung des Wirtschastsministeriums ist beabsichtigt, den Turn unterricht an allen Handelsschulen einzuführen. Die Kammer hat dazu berichtet, daß es ihr leider nicht möglich sei, sich an der Aufbringung des Mehraufwands zu beteiligen, der entstehen würde, wenn an allen Handelsschulen der Turnunterricht als Pflichtfach einge führt werden würde. Es sei zwar zugegeben, daß der Erteilung von Turnunterricht an den Handelsschulen infolge der in der Nachkriegszeit eingetretcnen Verhältnisse gegenwärtig erhöhte Bedeutung zukomme, je doch dürfe dabei nicht außer Betracht gelassen werden, daß der Turn unterricht mcht zu den besonderen Aufgaben gehöre, die die Handels schulen zu erfüllen hätten. Angesichts der regen Förderung, die die verschiedenen Vereine für Leibesübungen genössen, sei wohl auch für die Mehrzahl der Besucher aller Handelsschulen Gelegenheit gegeben, sich außerhalb der Schule sportlich oder turnerisch zu betätigen. Hinzu komme, daß bei Verwirklichung des Planes eine Vermehrung der Schulstunden eintreten müßte. Weite Kreise von Industrie und Handel wünschten aber nicht, daß die Lehrlinge den Betrieben noch mehr, als dies gegen wärtig schon der Fall sei, entzogen werden. — In dem soeben erschie nenen neuesten Hefte ihrer „Mitteilungen" veröffentlicht die Kammer eine Bekanntmachung über Belegschaftsversorgung, in der sic an die Industrie- und Großhandelsfirmen des Bezirks die Bitte richtet, dem Einzelhandel im Interesse der Aufrechterhaltung seiner Leistungsfähigkeit die unmittelbare Versorgung der Verbraucher allein zu überlassen und den Vertrieb von Waren oder die Entgegennahme von Bestellungen innerhalb der BetriebSräume nicht zu dulden. Sie ist der Ansicht, daß es nicht im Interesse ger gesamten Wirtschaft liegt, weil es dem guten Einvernehmen zwischen den einzelnen Wirtschaft-« ständen abträglich ist, wenn die Ausschaltung des Einzelhandels von industriechen Üntertnehmungen geduldet oder gar begürstigt wird. Winierschwierigkeiien der Regierung. Sachsen hat genug politische und wirtschaftliche Sorgen. Der in diesen Tagen von der Regierung ge gebene Überblick über den Stand der Arbeitslosig- keitin Sachsen, nach dem in Sachsen auf 1000 Einwohner 21 Erwerbslose gegenüber einem Reichsdurchschnitt von 11,6 kommen, zeigt mit aller Deutlichkeit, welchen Schwie rigkeiten das Land im Winter entgegengeht. Man sollte meinen, damit hätte es genug zu tun und verzichtete gern darauf, sich weitere Sorgen zu machen. Leider sieht es aber anders aus. x Die Innenpolitik des Reiches befindet sich in höchster Spannung. Die Finanzlage, über deren Umgestaltung auch zwischen den Regierungsparteien alles andere als Einigkeit besteht, und dann vor allem der Kampf um das Volksbegehren bilden die Ursache. Man hat schon immer gesehen, daß auch die Länder von den wichtigen Fragen der Reichspolitik stark bewegt werden; manche Landtagsdebatte gehört ja eher in den Reichstag. Und so braucht man sich nicht zu wundern, wenn auch die Frage des Volksbegehrens ihre Schatten auf die Länderpolitik und damit auch auf die Politik in Sachsen wirft. Nun gibt es in dieser Frage ziemlich klare Fronten: hier stehen in der Hauptsache die Deutsch nationalen und Nationalsozialisten, dort alle anderen Parteien. Für die Reichspolitik ist die Sache einfach, da die Urheber des Volksbegehrens sich in der Opposition be finden und man den Kampf daher nicht zu scheuen braucht und mit offenen Waffen führen kann. Anders in Sachsen: die Deutschnationalen sind wichtige Regierungspartei, die Unterstützung der Nationalsozialisten ist in den meisten Fällen unentbehrlich. Wie soll da der Kampf für oder gegen das Volksbegehren — über das hier kein Urteil abgegeben werden soll — geführt werden? Als in Berlin die Konferenz der Innenminister ab gehalten wurde und man bekanntgab, daß sich auch diese Länderminister durch Rundfunkreden usw. am Kampf gegen das Volksbegehren beteiligen würden, da wurde sofort die Frage aufgeworfen, was tun die säch ¬ sischen Minister? Und die Staatskanzlei erklärte, daß nicht die Absicht bestehe, an solchen Kundgebungen teil zunehmen. Von sozialdemokratischer und auch von demokratischer Seite wurde da schon die Kritik laut, während die Deutschnationalen in dieser Stellungnahme natürlich nur eine Selbstverständlichkeit sahen. Nun ist jetzt der Aufruf der Reichsregierung mit den Unterschriften zahlreicher anderer Persönlichkeiten ge kommen. Man sah sich die Unterschriften sofort mit höchstem Interesse an und machte die Feststellung, daß auch hier kein sächsischer Minister zu finden ist. überhaupt nur ein einziger Sachse hat unterzeichnet: der Dresdener Ober bürgermeister und Vorsitzende der volksparteilichen Land- iagsfraktion Dr. Blüher. Das ist sicher nach eingehen den Überlegungen geschehen. Die Deutsche Volkspartei gehört mit dem verstorbenen Dr. Stresemann ja in erster Linie zu den durch das Volksbegehren angegriffenen Par teien und daher wollte die sächsische Volkspartci in der Abwehr nicht ganz zur Seite stehen. Daß aber der Ministerpräsident Dr. Bünger seine Unterschrift nicht gegeben hat, braucht wirklich nicht zu verwundern. Hätte er es getan, so wäre das gleich bedeutend mit dem Ende seiner Regierung gewesen. Und wer sich erinnert, wie schwer diese Regierung im Sommer zustande gekommen ist und wie nicht minder schwer es sein müßte, an ihre Stelle eine andere zu setzen, der muß es verstehen, daß ohne dringende Not niemand die Verant wortung für ihre Auflösung auf sich nehmen will. Genau dieselben Gründe sind maßgebend dafür gewesen, daß auch die Minister in Bayern, in Württemberg und in Thüringen nicht unter den Unterzeichnern des Auf rufes zu finden sind. Zweisellos wird der Landtag sich sehr bald nach seinem Zusammentritt auch mit dem Voung-Plan und mit dem Volksbegehren beschäftigen. Es wird heftige Auseinandersetzungen geben, aber man wird sich auch wieder vertragen. Nur eine große Gefahr besteht in diesem Zusammenhänge noch: die Abstimmung im Neichs- rat über den Uoung-Plan. Wie sollen sich da die sächsischen Vertreter verhalten? Die eine Regierungspartei fordert Zustimmung, die andere Ablehnung. Stimmenthaltung? Sicher ist jedenfalls das eine: daß wir in den kommenden Monaten auch in Sachsen überreichlich Krisen luft werden atmen müssen. Ist die Frage des Boung- Planes erledigt, dann gibt es genug weitere Anlässe, um „in Krisen zu machen". Wieviel Beamie hat Sachsen? über den Umfang des Beamtenapparates im Säch sischen Staate gibt der Haushaltsplan auf das laufende Etatsjahr zuverlässigen Aufschluß. Es kommen in. Frage Oop^rikdt 1929 bx Karl Köhler L Co., Berlin-Zehlendors. so) (Nachdruck verboten.» einen Menschen, den ich bin allein auf der Herzog Ernst zauste Lilli tüchtig an ihren Locken, gab ihr einen Kuß auf ihr kleines Händchen und sagte dann lächelnd: . 7^? — "un lauf und bestelle mit Franz zusammen unser Abendessen. „Wollen wir drüben in dem süßen Salon essen, der neben meinem himmlischen Schlafzimmer ist?" „Ganz wie du willst, Kind." Lilli reichte dem alten Herrn artig die Hand, wollte eben wieder einen Knicks machen, als ihr zur letzten Minute einfiel, daß der alte Herr ihr die Hand geküßt hatte. Also durfte sie doch keinen Knicks machen, sondern sich ganz als Dame verab schieden. Ganz kleine Königin, verschwand sie dann. „Nun, lieber Professor?" „Gratuliere, gratuliere von ganzem Herzen! Das ist ja ein entzückendes Geschöpf. Wo haben Sie denn das her, Hoheit?" sind in kurzen Umrissen berichtete Herzog Ernst seine und Lillis kurze Geschichte. . . Lachend sagte dann der alte Herr. „Sie haben also da so gewissermaßen ein Kind bekommen ohne jegliche Geburtswehen, Hoheit. . „Lieber Professor, so ganz einfach war die Sache ja nun auch nicht." Hoh^edenfalls steht Ihnen diese väterliche Würbe vorzüglich. ., "Ob ia, ob nein, jedenfalls habe ich ich lieb Haden kann. Sie wissen doch — Welt." „Himmel, Hoheit, wie das klingt! Haben Sie denn die Absicht, als Junggeselle in die Gruft Ihrer Väter zu steigen? Hoheit — es gibt ja so unerhört schöne Frauen auf der Welt!" „Aber nicht für mich, Professor. Das gebrannte Kind fürchtet das Feuer." „Glauben Sie denn, daß alle Frauen Bestien sind?" „Alle!" „Hart ist das, sehr hart. Kleine Biester sind ja die meisten, aber man kann doch trotzdem recht vergnügt mit ihnen leben." „Zum Amüsement — ja, warum nicht? Aber die Herzogin Hochheim muß für mich die Frau sE, wissen Sie, Professor, die Frau, die es eben nur einmal auf der Welt gibt für leben Mann und welche die meisten Männer nie finden. Und dazu gehöre ich Will auch gar nicht suchen, denn ich falle doch wieder her ein. Ich habe ja jetzt meine Lilli. Wozu mir da wieder ohne Not die Flügel verbrennen?" „Hoheit, Sie sind ein schwieriger Fall. Da hilft nur eine rettungslose große Liebe!" „Wenn es das noch gibt bei mir." ,Mummelgreis! Sehen Sie mich an. Ich kann heute noch Feuer und Flamme sein für ein hübsches Weib." „Die Herren der alten Schule sind uns weit überlegen, ich weiß. „Na — und jedenfalls Kopf hoch — und nächste Woche kommen Sie zu mir, Hoheit." Am nächsten Vormittag verließ die kleine Lilli Buchmann das Hotel und die vollendete kleine Prinzessin Hochheim kam nach einigen Stunden wieder zurück, das feine Figürchen in einen leich ten, jugendlichen Pelz gehüllt, zierliche Schuhe an den kleinen Füßen, und einen reizenden, weißen Pintfcher unter dem Arm. Kleider machen Leute, und in den Augen der Hotelangestell ten war sie jetzt erst, da sie einen ganz respektablen Trousseau in ihrem Zimmer hatte, eine wirkliche Prinzessin. Herzog Ernst konnte sich nicht genug freuen, wie natürlich und graziös diese kleine, ehemalige Modistin die Kleider, Hüte und Mäntel trug, welche er mit viel Geschmack, aber auch mit den dazu gehörigen Eeldausgaben für sie ausgewählt hatte. Wäsche für Tag und Nacht, Strümpfe, Schuhe, Kleider, Hüte, Handtaschen — nichts fehlte an der Ausstattung der kleinen Prinzessin. Es war später für Herzog Ernst eine seiner liebsten Erinnerungen, wenn er an die Szenen dachte, da er ihr m dem großen Modesalon die Ausstattung einkaufte. Wie berauscht war Lilli von all den süßen Kleidern, und mit sicherem Instinkt griff sie immer zu den Sachen, die ihr auch gut standen. Wieder und wieder strahlte sie den Papa an. Nur als er ihr eine Toilette, welche eine herrliche, lange Schleppe hatte, ausredete, sah sie ihn einen Moment zweifelnd an Henn sie wußte doch besser, daß eine Prinzessin irgendwann einmal irgendwo machtvoll mit einer Schleppe rauschen mußte. Aber wenn der Papa nicht wollte, dann war es wohl in seinem Schloß nicht Mode, daß die Prinzessin rauschte. Am Abend bestiegen sie dann den Zug, der sie mit all den schönen, neuen Kosfern und all den herrlichen Dingen nach Hoch- heim bringen sollte. Lilli im Schlafcoupö! Eine Sache für sich! Aber keine heitere, denn sie entstieg am Morgen dem Coupö mit verschiedenen blauen Flecken und müden Augen, da sie so gut wie gar nicht geschlafen hatte. Vorerst interessierte sie die ganze Schlafwagensache sehr und sie fühlte sich enorm als Weltdame. Aber es war ihr doch etwas pflaumenweich ums Herz, als der Papa sie zur Schlafzeit mit sich und dem SchlafcoupS allein ließ. , Der Papa halte es ,a leicht, der wußte Bescheid, und Franz half ihm wohl auch beim Auskleiden. Aber sie! Vorerst einmal legte sie den kleinen Pinscher, der sich schon sehr an sie gewöhnt hatte, und den sie auf Anraten von Franz unter ihrem Pelz versteckt in ihr Coupö geschmuggelt hatte, aus das Bett, denn sie fürchtete, bei der dauernden Schaukelei des Wagens, des) kleinen Hund zwischen sich und der Holzwand zu zerdrücken. Dann stand sie da und zuckte die Achseln. Was sollte sie nun eigentlich tun? In ihre Koffer konnte sie nicht, die standen da oben im Gepäcknetz. Also damit war es nichts! Aber viel leicht konnte sie ein wenig das Fenster offnen. Nun stellen wir die Frage, ob sich der Leser immer mit den tausend verschiedenen Patenten der Schlaswagenfenster zurecht ^^Wieviel weniger die kleine Lilli. Aber plötzlich, nachdem sie die Sache schon total verschwitzt und mutlos aufgegeben hatte, sauste das Fenster ganz herunter, so daß Lilli zusammenschrak und Pinscherlein entsetzt quietschte, denn sein Schwänzchen hatte etwas von dem sausenden Fenster abbekommen. „Ruhig, Pinscherlein, hat nicht weh getan. Aber wenigstens haben wir das Fenster jetzt offen. Hm — schöne Lust, mcht wahr?" Und begierig streckte Lilli das feine Näschen zum Fen- ster heraus. Aber schon hatte sie eine Ladung Kohlenstaub im Gesicht, denn eben fuhr der Zug in einen Tunnel ein. Und nun stank es nach Kohlengas, und Lilli arbeitete wieder, das Fenster hoch zu bekommen. Doch das widerstand ihrem Liebreiz eine Weile, bis es sich entschloß, mit der üblichen Plötzlichkeit wieder aufwärts zu sausen, nicht ohne Lillis Hutrand einzuklemmen, den sie nicht herausbekam, trotz allem Zerren nicht. Aber Lilli war ja schließlich von der Branche. Sie zog den Hut ab, langte aus ihrer reizend eingerichteten Handtasche eine Schere, und schon war der Hut abgeschmtten, nicht ohne daß sie sich bei der plötzlichen Kurve in den Finger stach und ebenso plötz lich auf dem Boden des nicht eben geräumigen Abteils lag. „Au! So eine Gemeinheit! Na, schön ist so ein Schlaf wagen nicht, das kann ich schon jetzt sagen." Mühsam erhob sie sich und betrachtete dann kritisch ihr Bett alias Marterrost. Es war ihr unerklärlich, wie sie unter die ringsum fest eingestopfte Decke kriechen sollte. Aber das würde vielleicht die Praxis ergeben. Jedenfalls wollte sie sich die Hände mal waschen; Papa hatte ihr gesagt, daß in jedem Abteil ein Waschbecken sei. Aber wo?! Ein Aschebecher stand auf dem klei nen Tisch, aber kein Waschbecken! Alle Schrauben an der Wand versuchte sie, da sie einmal gelesen hatte, daß die Waschtische der Schlafwagen in die Wand eingelassen wären, aber sie fand nichts und wollte schon gottergeben mit ihren rußigen Fingern und Ge sichtchen in den „Schlafsack" krauchen. Da endlich tagte es bei ihr, daß wohl unter dem Tisch das Becken sei — und richtig. Herrlich! Wasser lief, wenn man den Hebel zur Seite legte, warmes und kaltes, ganz wie man wollte. Ach, es war doch schön in solch einem Schlafwagen.