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o—— Eilgüterzug 714 ——o 2) Skizze von Otto König (Schluß) Ueber dem Sitzungssaal des Liller Schwurgerichts lag eisiges Schweigen. Dann schnitt die Stimme des Staats anwalts peitschend durch die Stille: „Meine Herren Ge schworenen, ich fasse die Ereignisse der Mordnacht, wie sie sich zugetragen haben müssen, nochmals kurz zusammen. Der Heizer Coürteois steht mit dem Lokomotivführer Ferney, sei nem Feind, auf dem Führerstand. Es ist Nacht. Ferney beugt sich aus der Maschine hinaus. Mit tödlichem Haß betrachtet Coürteois den Glücklichen, der ihn in der Gunst eines Mädchens ausgestochen hat. Die Eifersucht treibt ihm das Blut in den Kopf. Alles hat er versucht, um dem an deren das Mädchen abspenstig zu machen. Haben wir nicht selbst dieses Mädchen als Zeugin gehört? Hat es nicht gesagt, es würde Coürteois sein Jawort gegeben haben, wenn nicht eben Ferney gewesen wäre, den es doch noch etwas lieber hatte. „Wenn er weg ist, nimmt sie mich!" Der Gedanke hat sich in Coürteois Hirn gekrallt und läßt ihm keine Ruhe. Und nun steht dort der Feind und wendet ihm den Rücken zu. Der Kohlenhammer liegt dem Heizer vor den Füßen. Er lockt: „Pack mich! Schlag zu!" Und plötzlich reißt der Heizer den Hammer hoch und zerschmet tert seinem Feind den Schädel. Sie haben die Herren Sachverständigen gehört: Ein harter Gegenstand, mit äußer ster Kraft geführt, hat den Hinterkopf des Toten mit einer Ecke getroffen und eine scharfgezeichnete dreieckige Wunde hinterlassen. Kein anderer ähnlicher Gegenstand befand sich auf der Maschine. Coürteois hat den tödlichen Streich ge führt. Und nun stürzt er an den Hebel, bringt den Zug auf hundert Meter zum Stehen, um die Erzählung vom so fort bemerkten Unglück glaubhaft zu machen. Dabei vergißt er, den Hammer auf den Tender zu werfen, und nun liegt die Mordwaffe im Führerstand und schreit: „Du bist der Mörder!" Die Hand des Staatsanwalts schlug hart auf das Pult. Dann fuhr sein Finger scharf durch die Luft: „Er ist der Mörder!" Atemlose Sülle lastete auf allen. Da krallte der Mann zwischen den beiden Gendarmen die Finger in das Geländer der Anklagebank und brüllte in den Saal hinaus: „Ich habe ihn nicht ermordet!" Der Staatsanwalt fuhr lässig mit der Hand durch die Luft, als wische er eine Fliege von seinen Papieren: „Der Angeklagte hat bei seiner ersten Vernehmung keine Erklä rung für die vorschriftswidrige Lage des Kohlenhammers geben können. Heute, nachdem er wochenlang Zeit hatte, um eine Ausrede zu ersinnen, erzählt er uns, ein Gegenzug habe ihm schon einmal ein Stück Kohle aus dem anderen Tender auf den Hammerstiel geworfen und den Hammer auf die Gleise geschleudert. In der Mordnacht sei nur we nige Sekunden vor Ferneys Tod ein Gegenzug aufgetaucht, und er habe deshalb den Hammer rasch von den Kohlen heruntergenommen und aus die Plattform gelegt. Wir ha ben freilich von einem der Herren Sachverständigen gehört, daß ein Schnellzug den Güterzug 714 fast unmittelbar neben der Mordstätte gekreuzt haben muß, doch die Geschichte vom Kohlenhammer wurde als unglaubhaft bezeichnet. Ich er kläre die Schilderung des Angeklagten für erlogen. Ihr Wahrspruch, meine Herren Geschworenen, kann deshalb nur lauten: „Schuldig." Eine halbe Stunde später sprach der Vorsitzende das Urteil: „Der Angeklagte wird des Mordes unter Zubilligung mildernder Umstände schuldig befunden und zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt." Die Gendarme schleiften einen halb Wahnsinnigen aus dem Saal. Doch die Kameraden des Heizers glaubten nicht an seine Schuld. Sie sammelten Geld und ließen einen bekann ten Detektiv aus der Hauptstadt kommen. Einige Tage später brachten die Zeitungen die Sensa tionsmeldung : „Die Unschuld des verurteilten Heizers Cour- teois ist erwiesen. Der Detektiv S ... hat auf dem Bahn körper in nächster Nähe der Unfallstelle Glasscherben gefunden, an denen noch Haare hingen. Die Scherben stammten von einer viereckigen Likörflasche. Detektiv S . . . konnte fest stellen, daß eine ähnliche Flasche am Abend zwei Stunden vor Eintreffen des Eilgüterzuges 714 von einem nach Süd- frankreich in Urlaub fahrenden Infanteristen in einer Wirt schaft am Liller Bahnhof gekauft worden war. Die Ermitt lung des fraglichen Soldaten bereitete keine Schwierigkeit. Er hat gestanden, die leere Flasche zwanzig Minuten nach der Abfahrt aus Lille aus dem Fenster geworfen zu haben. Es kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß diese Flasche den Tod des Lokomotivführers Ferncy verschuldet hat. Coürteois Verteidiger hat Revision eingelegt." ° Waldgeheimnis ° Dort, wo der Wald mit heil'gem Schweigen, Die Sternennacht im Schlummer grüßt, Dort gabst du dich mir ganz- zu eigen Und selig hab ich dich geküßt. Ringsum zog Einsamkeit die Kreise, Um unsrer Liebe Eingestehn, Nur 's dunkle Moos flüsterte leise : Ich dürft' zwei Menschen glücklich sehn l Dresden 1929. Ferdinand Hampe. ——— Schemen der Nacht — Skizze von Joh. von Kunowski Auch der letzte Besucher hatte den Zoologischen Garten verlassen, schwarz senkte die Nacht sich auf den Park, der klagende Schrei eines Tieres verhallte. Die Häuser mit ihrem bunten Gemisch von Tieren aller Länder waren verschlossen; um diese Zeit durften die glücklicheren Gefangenen von einem Leben der Freiheit mit endlosen Flächen und einem Himmel ohne Gitterstäbe träumen. In? Raubtierhaus hockte ein junger Mann vor einer Staffelei. Es war einer der Maler, denen die Bestien für eine Schilderei Modell stehen sollten, einer der jungen Künstler, die tagsüber hier überall zwischen den Käfigen saßen, Hunger und Durst vergaßen und nur in ihren Stiften und Pinseln lebten, die ihnen das Leben erschließen sollten. Horst Dieben war eingeschlafen; man hatte ihn ver gessen, ihn eingeschlossen in finsterer Nacht bei den Löwen und Tigern, bei Leoparden und dem schwarzen Panther. Gegen Mitternacht erwachte er. Sein Hunger peinigte ihn aufs neue, die Nerven, die sein Hirn einen ganzen Tag lang nach einem glücklichen Vorwurf, nach einem guten Motiv für ein Bild gemartert, waren gleich erregt wie zu vor, nur über einige Stunden körperlichen Mißbehagens hatte der Schlaf hinweggeführt, sonst war Horst Dieben der kranke, firberdurchglühte Mensch geblieben, der dicht vor dem Ende mit jedem Fünkchen Leben das Große suchte, das ihn retten sollte. Mühsam fand der Erwachende sich in seine Lage. Sein Auge gewöhnte sich an das Dunkel, schaudernd er kannte er, wo er war. Der scharfe Dunst der tierischen Leiber drang aufreizend zu seinen kranken Sinnen, Bestten, in denen das alte Leben noch nicht vergessen, schritten auf leisen Sohlen hin und wieder auf dem Holz ihrer Käfige. Aus einer Ecke glühten grüne Augen auf den Menschen, mehr und mehr, von allen Seiten leuchteten die unheim lichen, starren Lichter bedrohlich auf einen Punkt, den Frem den, den die Tiere gewittert. Horst Dieben war fieberkrank vor Hunger und Ent behrungen, schon am Morgen, als er das Haus betreten. Inmitten dieses schleichenden, haßglühenden Lebens rings um ihn brauste es vor seinen Ohren, die gierig einen jeden Tritt aus dem Dunkel fingen, seine Augen sahen durch Schleier und Funken, gebannt von den großen, starren Blicken der Wesen im Finstern, aus seinem Hirn wichen auch die letzten klaren Gedanken, und zitternd vor Angst und Entsetzen hockte er auf dem Schemel und wartete. 2 Wartete, daß bei jedem Klang, der kaum hörbar auf tönte, wenn ein Tier die Stäbe streifte, sich ein Käfig öff nen würde und eine Bestie über ihm wäre, daß diese von allen Seiten auf ihn stürzten. Er wagte nicht, sich zu rühren, kaum zu atmen, er wollte sich leblos machen, um die Gegner nicht zu reizen. Qualvolle Stunden verrannen. Durch die Fenster des Oberlichts drang fahler Mondschein in die Halle, ließ all die Streifen an den Wänden erstehen, hinter denen die glühenden Augen lagen, zeichnete matte Konturen hinein in das Dunkel dieses Entsetzens. Und da kam es wie ein Taumel über den Einsamen. Er vergaß alle Furcht. Kalten Schweiß auf der Stirn, mit brennenden, schmerzenden Augen riß er das Blatt vor sich von der Staffelei, das mit tausend Entwürfen und Linien eines vergeblichen Tages bedeckt und verwischt war. Wie das Mondlicht schien, so entstand unter seinen zitternden Händen ein Bild. In fahlem Grau tote Stäbe, feurige Punkte dahinter, — ein Schwarzes, ein Etwas-Körper der Tiere. Man ahnte mehr, als man sah, es wurde ein Bild, packend, grauen voll, gespenstisch, und lebend darin nur die Schatten der Bestien, die überall wie durch die Stäbe drängten. Phantasierend, am Boden liegend, so sand der Wärter am Morgen den Maler. Neben ihm stand das Bild, das beendet war bis zum letzten Strich. Doch wie Horst Dieben gesundete, sprach man von ihm, riß ihn aus dem Tod des Unbekanntseins. Und aus dem grauen Bilde dieser Nacht entstand eine lichtere Zukunft! Lm deutschen Wald. Don Irmgard Taschenberg. Dom Harzer Kanarienvogel und Käse. — Kleine und große Romantik des Waldes. — Warum zur Großstadt? — Berühmte Städte am Harzer Wald. Harzer Kanarienvögel — Harzer Käse. Zrvei Dinge, die bei uns in Deutschland Ruf haben — oder hatten. Nur mit der Harzer Kanarienvogelzüchterei hat es so seine Art. Man sieht heute bei einer Durchwanderung des Har zes nur noch wenig an Häusern die vertrauten Ankündi gungen: „Harzer Roller zu verkaufen!" Das Männchen kostet so um 8 Mark herum. Das Weibchen — ja, es singt leider nicht — wird nur mit einer deutschen Reichsmark bewertet. Aber die Harzer Käseindustrie blüht. Kann man sich darüber wundern, wenn man im Walde, auf den blumigen Wiesen, die vielen, meist rotbraunen, kräftigen Kühe weiden sieht? So ein Harzer Rundkäse — er riecht ja freilich nicht sehr fein — schmeckt zum Butterbrot prächtig, wenn man — das ist zu beachten — vorher die grün-graue Kruste ent fernt hat. „Würzig ist im Harz die Lust, würzig Harzer Käseduft ..." So kommen wir über den Harzer Käse — wie sinnig, nicht wahr?! — zur köstlichen Harzer Luft. Und sie ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Unendlich vielen Kranken hat sie mit ihrem tannenwürzigen Duft Erholung und Genesung geschenkt. Und^der wundervolle Harzer Walds Tin Deutscher, der seinen deutschen Wald nicht liebt und ehrt, ist es kaum wert, ein Deutscher zu sein; denn — wirk- üchl — der Wald ist deutsch« Heimat. Und es wäre Lnnig und schön, wenn der Plan, den Gefallenen des Wett- krieges im deutschen Wald einen Ehrenhain zu weihen, zur Ausführung käme. — * Man muß einmal das Erwachen der Natur im deutschen Walde miterlebt haben. So, wie es ein deutscher Dichter empfand: „Lin Wunderwerk von Gottes Hand Liegt blütenschwer das weite Land. Hier Birkengrün, dort Tausendschön . . . Und wie den Gärtner seh' ich gehn Die Sonne über'n Wiesenplan . . . Bei Bauerngärten hält sie an Und schaut hinein in Beet um Beet; Ist das ein Blühn . . .1" Wie im Walddorfe, so ist es im Walde selbst wunder bar, dieses Erleben. Aus meilenweiten dunkeln Tannen wäldern leuchtet hier und da Helles Grün. Wiesenmatten und lichtgrüne Lärchen, graziös sich wiegende Birken und leuchtend Helle Buchen, kleine Tannenbäumchen mit lichten Zacken! Ein farbenprächtiges Bild. Aber auch jetzt, im Sommer, und später, im Herbst, malt die Meisterhand Natur emsig an ihrem Prachtwerk, dem deutschen Wald. * Wer den Wald liebt, hat Sinn für das, was in ihm lebt und webt. Wie interessant ist es, der Arbeit der fleißigen Waldameisen zuzuschauen. Sie schleppen Lasten, die min destens drei- bis sechsmal so schwer sind wie sie selbst, und laufen emsig hin und her auf kleinen, selbstgebauten Stra ßen. Wie träge bewegt sich dagegen der schwarz-gelbe Sa lamander, der mit jeder Bewegung auszudrücken scheint: Komm' ich heut nicht, komm' ich morgen. Bachstelzchen am rauschenden Waldbache besitzt mehr Temperament. Munter hüpft es von Stein zu Stein, läuft schnell wie ein Wiesel in der Sonne umher, graziös mit dem Schwänze wippend. Welche „Romantik" für den Städter: Mächtige Hirsche zwischen gewaltigen Baumstämmen. Aber leider erlebt man einen solchen Anblick gar selten, denn das Wild ist scheu und flieht vor den Menschen in die Tiefen des Waldes . . . Wie lieblich und bescheiden die kleinen Pflanzen und Blumen des Waldes. Waldveilchen duften am Wegesrand. Männertreu und Gänseblümchen leuchten aus grünem Gras oder Moos hervor. Im Schatten wachsen Waldmeister und Maiglöckchen, das hier viel später als in der Ebene blüht. Beide sind keine Freunde der grellen Sonne, sondern suchen sich zum Wachsen und Blühen schattige Plätzchen aus. Wie herrlich werden im Juli und August die Preißelbeeren, Blaubeeren und Walderdbeeren munden, die man auf schö nen Waldspaziergängen pflücken kann. — Ganz kleine Ro mantik, sie zu suchen verlohnt sich. Man findet sie nicht auf den Heerstraßen der Menschen, sondern in der tiefen, verschwiegenen Einsamkeit stiller Waldwege. * „O Täler weit, o Höhen!" In den Tälern liegen schmucke, saubere Harzer Walddörfer. Dort blüht vor dem Gemeindehaus die Linde. Wohin das Auge schaut, frisches Grünen und Blühen, rotwangige, gesunde Bauernkinder. — Wie ist es da nur möglich, daß sich so viele Einwohner dieser schönen Gebirgsdörfer hinaussehnen in die Steinwüste der Städte und Großstädte? Ist es nicht viel schöner im deutschen Wald, im stillen Dorfe — fern vom Asphalt, auf dem keine Blumen sprießen? — * An den Ausgängen der Harztäler errfeuen berühmte Städte. Keine Großstädte, nein, Städte, die schön und be- rühmt sind. Die Kaiserstadt Goslar, das berühmte Qued linburg mit seinem hübschen Dom. Dann das tausendjährige Nordhausen (— wer hat noch keinen Nordhäuser getrun ken? —). In Halberstadt, das die berühmten Halberstädter Würstchen liefert, blüht Handwerk und Gewerbe. Die nach Hermann Löns benannte bunte Stadt am Harz Wernigerode ist nicht weniger eine Sehenswürdigkeit. Schönheit de« Städte verbindet sich aufs beste mit der Schönheit der Natur, * Schöner, tannendurchrauschter, wildromantischer deut scher Wald. Der Abschied von dir fällt schwer, der du so viele Stunden der Schönheit und Andacht schenkst. Gan- lebendig werden die Dichterwort«: „Wer hat dich, du schöner Wald, Aufgebaut so hoch dadroben? Wohl den Meister will ich loben, Solang' noch mein' Stimm' erschallt! Lebe wohl, du schöner Waldl" Zm Herbstmond. Ob wir uns sträuben oder nicht — der Sommer geht zu« Rüste und der September ist schon erster Herbstmonat, wenn gleich erst die Tag- und Nachtgleiche des 23. September al» anerkannter Herbstbeginn gilt. Wohl ist gleichzeitig der Sep tember unser schönster Herbstmonat, doch beschleicht leis« Wehmut des Menschen Herz, wenn er das allmählich vev- gÄbende Laub erblickt und wenn er sieht, wie ganz sacht di« Sommerblumen verschwinden und die Herbstblumen an ihre Stelle treten. Auch sie sind schön, auch der Astern und Georginen Farbenpracht erfreut und beglückt uns, doch ist ihr Blütenrauber nicht so sprühend farbenireudia wie 3