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KutsMerDye^ait Dienstag, 3. September 1928 Beilage zu Nr. LSS 81. Jahrgang Bergstädle im Erzgebirge. I. Schneeberg. Ein reiches Stabilem war es ehedem, das da den Berg emporklettert zu der Kirche St. Wolfgang, die wie ein Dom gewaltig auf der Höhe steht. Alte Hütten mit silberbleichem Dachwerk stehen in Berggärten. An kleinen Berggassen steht manche Hütte, die Geschichten aus der Bergmannszett weiß. Stattlich das Rathaus am Markt. Bergherrenhauser, hohe Bürgerhäuser sind benachbart. Aber das wertvollste Bauwerk der alten Silberbergstadt ist doch die Kirche St. Wolfgang, eine der stattlichsten ^.Erzgebirge. Bergleute sollen sie in Feierschichten er richtet haben. Wenn man durch eine der schweren Eisen- Pforten eintritt ins Gotteshaus, welche Weite und Größe der Halle und des Gewölbes, welcher Glanz der bunten Kirchenfenster, welcher Reichtum an historischem Kirchen gut! Sieh den reichbewegten Barockaltar mit den Bildern von Lukas Cranach, sieh die Kanzel, die von gold- flügligem Engel getragen wird, Gotik, Renaissance und Barock haben an ihr geschaffen! Sieh die Grabstätten hinter schmiedeeisernem Gitter Hinterm Altar, den Tauf stein mit schwebendem Deckel, die Horttnann-Lade, für die sich der Kirchner von den Kroaten qualvoll martern ließ, ohne sie preiszugeben. Und sieh die köstlichen Chöre an den Wänden, „B e t st ü b ch e n", hinter deren Fenster Familien von Stand, Rat, Gerichtsbarkeit, Offiziere, Bergbeamte, Lehrer dem Gottesdienst lauschen. Und steigt man die 240 Stufen zum Turm empor, auf dem noch der Türmer haust, so liegt die alte Bergstadt zu Füßen mit Schieferhäusern und Gärtchen und Höfen und Gassen, und die Berge und Halden grüßen herauf. Durch die engen Berggassen der alten Bergstadt rasen heute die Autos und Motorräder. Die alte Bergstadt ist zur Schulstadt ge worden, und eine Fabrik in moderner Sachlichkeit, mit gotischem Torturm und Blumenfenstern beweist, daß auch die neue Zeit von der alten Stadt Besitz ergriffen hat. Schwarzenberg. Von den Jndustriewerken im grünen Tal des Schwarzwassers buckelt die Straße empor zur hoch- Mlegenen Altstadt, die sich um Markt, Kirche und Schloß aufbaut. Die Häuser sind echt erzgebirgisch mit schwarzem Schiefer gepanzert gegen Wind und Wetter. Einige Bürgerhäuser um den Markt haben barocken Schwung. Erzgebirglerinnen mit Rückenkiepen voller Wurzelholz und Grünfutter stapfen die Berggassen empor. Bunte Kaufladenhäuser in der geschäftstüchtigen Schtoh- gasse, die an der Stadtkirche vorbei zum Schloß läuft. Im stillen Hof des steingrauen, ritterlich getürmten Schlos ses — auf Felsvorsprung überm Schwarzwassertal — klappern die Schreibmaschinen. Es dient heute als Amts gericht und Kotter. Nicht weniger trutzhast als die Burg steht die K i r ch e. Ihre flache Decke wird nicht von Säulenreihen getragen, sie ruht nur aus dem Gemäuer. Die Sage berichtet, daß sich der Baumeister aus Gewissens bissen über sein Werk, es könnte den Kirchgänger überm Kopf zusammenstürzen, das Leben nahm. Die Wände sind über und über mit Chören verbaut, winzigen Zimmern mit Glasfenstern, hinter denen Kirchgänger von Stand der Predigt beiwohnen. — Malerisch der Blick vom Schwarzwasser auf Burg und Stadt. Steigt man jedoch zum Waldberg Rockelmann empor, so baut sich zierlich die alte reizvolle Vergstadt mit ihren kleinen Schieferhütten um Schloß und Kirche, in einen mächtigen Bergrahmen gefügt von schwarzgrünen Wäldern und goldgrünen Bergäckern. „Tag, Mama. Nanu, warum kommst vu oenn mitten im Winter zu mir? Wie leicht konnte dir die lange Bahn fahrt schaden. Bitte, lege doch ab. Tag, Helga-Schwester. Du siehst ja aus, als sei vir tatsächlich die gute Laune ein gefroren." Er hatte seine Mutter umarmt und der Schwester herz lich die Hände geschüttelt. Frau Holstens Augen waren seltsam müde und ein gesunken. Dennoch stastd sie steif aufgerichtet, als sie sagte: „Wir wollten dich nicht stören, Christ. Nur weil du schriebst, du seiest verloren, kamen wir zu dir. Aber wie ich feststellen konnte, scheint es dir ganz gut zu gehen. Tele phoniere deinem Fräulein ruhig, daß vu am Abend ab kommen kannst. Helga und ich sind sehr müde. Wir werden dann ins Hotel gehen." Der Blick des jungen Malers schweifte zur Seitentür. Wahrhaftig, sie war nicht fest geschlossen. Mama hatte also einiges von dem Gespräch gehört und war nun beleidigt. Sein Gesicht war rot, als er verlegen sagte: »Gott, Mamachen, du mußt schon verzeihen. Aber siehst du, ich wäre sie sonst nicht los geworden. Natürlich gehe ich nicht hin, sondern widme mich euch." Helga dachte: „Er hat dieser Frau aber doch ganz fest versprochen, daß er kommt." Und plötzlich sah sie das Ge sicht ihres Bruders Klaus, sah, wie er spöttisch lächelte, als sie gesagt hatte, Christ müsse sein Ehrenwort geben, Von den sächsischen Sparkassen. Der Spareinlagenbestand bei den öffent lichen Sparkassen Sachsens erreichte nach einer Juni zunahme um rund 5,5 Millionen (Mai: 5,4) die Höhe von 539,5 Millionen Mark. Der Zuwachs durch Einzahlungs überschüsse war also sehr gering, betrug er doch im Juni 1928 mit 10,8 Millionen fast das Doppelte. Im sächsischen Gironetz war ein Rückgang um 1,7 Millionen (im Mai 3,0, im Juni 1928 2,1 Millionen) auf 322,5 Millionen Mark zu verzeichnen. — Der Zuwachs der Sparein lagen betrug somit in der ersten Hälfte dieses Jahres 89,7 Millionen gegenüber 93,7 Millionen Mark in dem entsprechenden Zeitraum des Vorjahres. — Die Spar einlagen der sächsischen Sparkassen waren Ende 1928 z« 87,8 Prozent (Reichsdurchschnitt 74,2 Prozent) langfristig angelegt, was einer Summe von rund 395 Millionen Mark entsprach. Davon entfielen auf Wertpapiere 85 Millionen, aus Kommunaldarlehen 37 Millionen und auf Hypotheken 231,1 Millionen Mark. Von den Hypo theken waren auf landwirtschaftliche Grundstücke 14,2 Mil lionen Mark oder 5,2 Prozent (Reichsdurchschnitt 22 Pro zent) ausgegeben. Staatliche Untersuchung -es Seidenmann-Skan-als. Die sächsische Regierung hat beschlossen, einen Aus schuß einzusetzen, der die Aufgabe Hot, die Kredit gewährung an den in Konkurs geratenen Seiden- mannkonzerninRadeberg nachzuprüfen. Diesem Konzern sind Staatskredite in Höhe von 2,8 Millionen Mark gewährt worden, die nunmehr fast ganz verloren sind. Dem Ausschuß sollen Vertreter aller sächsischen Ministerien angehören. Zum Vorsitzenden ist der Präsi dent des Staatsrechnungshofes bestimmt worden. Zum Zusammenbruch der Seidenmannschen Unter nehmen wird noch mitgeteilt: Seitens der staatlichen Wohlfahrtshilfe waren für die verschiedenartigen Unter nehmungen des seit Ende Juni wegen Konkursver brech e n s und anderer Delikte in Untersuchungshaft be findlichen Generaldirektors Seideumann nach und nach Kredite in einer Gesamthöhe von 2 800 000 Mark gewährt worden. Das war nur möglich, weil die mit der Zuteilung betrauten und hierfür verantwortlichen Personen (und auch die Fürsprecher bzw. Befürworter) von dem stets geldbedürftigen Generaldirektor auf denkbar gröb lichste Weise getäuscht worden sind. Seidenmann wußte die Unternehmungen nnd auch seine eigenen wirt schaftlichen Verhältnisse als so glänzend hinzüstellen, daß er einen erheblichen Teil der vorerwähnten hohen Gesamt summe als sogenannten persönlichen Kredit bewilligt erhielt. Mehrfach kam es zur Eintragung der vorgeschrie benen Sicherheilshypotheken erst viel später, als die Lage des Generaldirektors und seiner in der Radeberger Gegend gelegenen Unternehmungen bereits unsicher erschien. Die Buchführung ist gänzlich unübersichtlich und direkt liederlich. Mehrere Kisten von Schriftstücken aller Art und sonstiges Buchungsmaterial müssen jetzt erst gesichtet und nachgeprüft werden. Ob es überhaupt gelingt, ein klares Bild zu bekommen, erscheint sehr zweifelhaft. In den Unternehmungen Seidcnmanns waren ferner verschiedent lich ganz ungeeignete Kräfte mit der Leitung betraut oder als Betriebsführer tätig. Breitenberg. Unter ihren beiden letzten Häuschen fällt das rote Gehänge des Mortelbachiales steil zur Tal sohle hinunter. Es ist nach Süden gerichtet und besteht aus Serpentin. Beide Umstände — Serpentin ist wegen seines hohen Magnefiumgehalts ein sehr unfruchtbarer Boden — haben hier eine bemerkenswerte Pflanzengesell schaft entstehen lassen, die Wärme liebt und mit dürftigem Boden vorlieb nimmt. Das Glanz- und Schaustück des Bestandes ist die ästige Graslilie, die im Juli den ganzen Steilhang mit ihren Weißen Blütensternen bestickt. Aber auch mehrere andere Pflanzen, die im Muldenlande selten sind, haben sich hier zusammengefunden. Auf Anregung des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz hat sich der Stadtrat zu Waldheim, dem das Gelände gehört, bereiterklärt, es unter seine besondere Aufsicht zu stellen. Eines der nächsten Mitteilungshefte des Heimatschutzes wird eine eingehendere Besprechung des neuen Naturschutzgebietes „Breitenberg bei Wald heim" mit prächtigen Aufnahmen der Pflanzenbestände bringen. Das letzte Weberschiffchen. Die 1538 gegründete Hohensteiner Weberinnung (sächsisches Erzgebirge), die früher viele Hunderte von Mitgliedern zählte, ist infolge der Mechanisierung der Weberei auf einen Bestand von 144 Meistern zusammen geschrumpft und von diesen gibt es kaum noch 20 Meister, die die Ware auf dem eigenen Handwebstuhl anfertigen. Die übrigen gehen in die Fabrik. Beim letzten Jnnungs- quartal brauchte keine Aufdingung und auch keine Los sprechung vorgenommen zu werden; ein Zeichen dafür, daß es mit der Hausweberei zu Ende geht. Sonne und Mond. 6. S.: S.-A. S.18, S.-U. 18.38; M.-A. 7.28, M.-U. 19.38 Börse und Handel Amtliche sächsische Notierungen vom 2. September. Dresdener Produktenbörse. Börsenzeit: Montag und Freitag nachmittag 2—4.30 Uhr. 2. 9. 30.8. 2. 9. 30.8. Weizen Weiz.-Kl. 11,8-12,4 11,0—12,4 77 Kilo 236—211 231—236 Rogg.-Kl. 12,2—13,2 12,2—13,2 Roggen 73 Kilo 191—ISS 185—190 Kaiserans- zugnehl Bäcker- 35,0-46,5 45,0—46,5 Wintergerf 180-185 180—185 39,0—40,5 39,0—40,5 Sommergp 223—235 223-235 mundmehl Haler, inj. 165—170 180—185 Weizen- 16,5—17,5 16,5—17,5 Raps, tr. 350-355 350-355 nachmehl Mais Inland- Laplata 208-210 208—210 weizenm. 34,5—35,5 Cingu. 23,0—24,0 23,0-24,0 Type 70 A 34,5—35,5 Rotklee Trocken- 13,2—13,4 — 'N'?, 30,5—31,5 schnitzel 13,2-13,4 Type 60 A 30,0—31,0 Zucker schnitzel Kartoffel- S",' 18,8-19 2 Type 70 A 29,0—30,0 28,5—29,5 flocken 18,8—19,2 Roggen. 17,0—18,0 Futtermehl 14,3-15,3 14,3—15,3s nachmehl 17,0—18,0 Ein neues Naturschutzgebiet. Bei der Stadt Waldheim liegt die Siedlung oay er geh anoern wolle. Da wurde ihr Christ fremd. Und wie eine Fremde beobachtete sie ihn still und unentwegt. Frau Holsten sagte leise, aber fest: „Bemühe dich nicht, Christ, ich sagte dir schon: Helga and ich sind müde. Wir wollen zeitig zur Ruhe gehen. Aber erst wirst du wohl so freundlich sein müssen und uns sagen, warum du dann diesen verzweifelten Bries ge schrieben hast. Du hättest uns diese Reise ersparen sollen." „Ja, Mama, mein Bries war kein Scherz. Ich wußte mir tatsächlich keinen Rat Weißt du, ich war beim Spiel unvorsichtig, und der Lörach ist ein ganz miserabler Kerl. Er animiert einem so lange, bis man eben drin sitzt bis über beide Ohren. Und dann hat er mich zum alten Bark mann gebracht, und wer dort landet, hm... Liebe Mama, warum soll ich dich mit den Einzelheiten meines Leicht sinns quälen? Es wird dadurch nichts ungeschehen ge macht. Hast du das Geld?" Sie nickte. „Ja I Klaus hat mir den Scheck gegeben. Ich selbst hatte nichts mehr, Christ." Der junge Künstler sah verlegen auf die Spitzen seiner eleganten Hausschuhe. Dabei dachte er: „Die gute Mama, diese Leichenbittermiene und das wehleidige Sprechen stehen ihr gar nicht." Laut sagte er: „Nun legt aber bitte ab! Drüben ist es gemütlicher als hier. Wir trinken erst einen Tee bei mir." „Wir wollen dich mit nach Hause nehmen, Christ. Wenn hier alles geordnet ist, fahren wir. Du bist doch hoffentlich einverstanden?" sagte Frau Holsten. Christs Blick ging mißtrauisch über sie hin. Dann streifte er den Bries, der zusammengesaltet aus dem Schreibtisch lag. Dresden. Die Börse verkehrte in etwas schwächerer Hal tung, die teilweise zu größeren Kursrückgängen führte. Ihnen standen aber aucb mehrprozenttge Aufbesserungen gegenüber. „Nach Hause, Mama? Das paßt jetzt leider gar nicht, so gern ich selbstverständlich auch käme. Wir haben jetzt bald die große Ausstellung. Ich will mich stark beteiligen, und während dieser Zeit muß ich in München anwesend sein, das wirst du doch verstehen?" „Ich wünsche es aber, Christ, und Klaus wünscht es auch" Christ Holsten versenkte die weißen, schönen Künstler hände in den Taschen seines braunen Samtjacketts. Er lief unruhig im Zimmer auf und ab. Die große, schneeweiße Katze sprang mit einem Satz auf seine Schulter und blickte mit bösen Augen auf die zwei Damen. Ein beklemmendes Schweigen war im Zimmer. Nock, immer lief Christ auf und ab. In seinem Innern stürmte es. Wahrhaftig, er hatte diese ewige Bevormundung satt. Nun gerade fuhr er nicht mit nach Hause. An der Tür klopfte es. Auf seinen Ruf trat der Zwerg ins Zimmer. „Ein Telegramm, Herr!" Christ nahm das Schreiben an sich, und riß es auf. „Komme auf jeden Fall mit nach Hause. Soeben Aus sprache mit Oldenroog gehabt. Klaus." Christ unterdrückte nur mühsam den Fluch, der ihm auf der Zunge lag. So, jetzt war der Tratsch fertig. Was er sich eingebrockt hatte, mußte er eben auch ausessen. Aber unsagbar dumm war Hede, und sie sollte ihm das auch büßen. Wäre es nicht in der Heimat, niemals ließe er sich zu einem solchen Schritt zwingen, auch von dem trotzigen, verbissenen Klaus nicht. Doch jetzt ging es eben nicht anders. Christ pfiff leise vor sich hin. setzte die Katze etwas un sanft auf die große Trub- n: :> > Ee das Telegramm zu einer Kugel.