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Augen, will schlafen, vergessen. Da brüllt Robert neben mir: „Der Flieger!" Ich springe auf. Der Himmel ist leer. Ro berts Augen starren gläsern. Schaum steht um seinen zer rissenen Mund. Er ist tot! — 2v. April. Ich habe den letzten Tropfen Wasser ge trunken. Ich habe vorgestern getobt, als ich Roberts tote Augen sah. Allen Menschen habe ich geflucht, und ihm, meinem Freund, meinem Feind, meinem Kameraden, den ich retten wollte, am meisten. Er hat mir mein Mädchen ge stohlen, und jetzt nimmt er mir noch mein Leben! Ja, mein Leben! Denn ich weiß, daß es für mich keine Rettung mehr gibt. — Doch gerade diese Gewißheit muß mich ruhig gemacht haben. Ich bin völlig gefaßt und weiß, was ich tun muß. Die Pistole ist geladen. Meine Hand zittert nicht. Ich will doch noch warten. Ich denke an mein Leben. Mit keinem Menschen war ich verfeindet, bis er mir das Mädchen nahm. Und doch war es sein gutes Recht, denn Mary sagte ihm, daß sie ihn mehr liebte als mich. Ich war verrückt, daß ich in meinem besten Frcund einen Feind sah. Er ist auch heute noch mein Kamerad, und ich möchte, daß er es einst erfährt. Einst? Vielleicht lebt er nicht mehr! Doch, er muß leben, denn sie würde sich um ihn grämrn. Für mich wird niemand eine Träne haben. Dummes Zeug! Das Leben war doch schön, s Verfluchter Gedanke, hier zu verfaulen, dreihundert Meilen vom nächsten Menschen, von ihr. Unsinn! Nun endlich Schluß!" — — — Wortlos wenden sich die Männer. Einer bleibt stehen. Er nimmt die Mütze ab und sieht in das fahle, auf gedunsene Gesicht des Toten, das für ihn nichts Schreckliches hat: „Ich danke Dir für Deinen letzten Dienst, Kamerad!" ———° Auf dem Oybin °——— Von Regina Berthold Auf dem Oybin, der rund und klobig eine Felsenschicht auf die andere türmt, heben sich graue Mauern eines alten Klosters zwischen Tannen hervor, gestützt von strebenden Pfeilern, unterbrochen von hohen, schmalen Fensteröffnungen. Dunkel steht der Wald. Ein alter Friedhof zwischen den Felsen, kühn ragende Domwände, Denkmäler einer Zeit fanatischen Glaubens, fragloser Frömmigkeit. Stufen führen hinan, überwölbt von spitzbogigen Ein gangstorrn. Aber nicht wie sonst umspinnt heilige Abend stille den Wanderer. Eine Menge Menschen bewegen sich auf den Felssteigen des Hochplateaus, Wandervögel sind es, Dörfler und Touristen in buntem Durcheinander. Erwar tungsvoll stehen sie, denn ein Schauspiel, ausgesührt von jungen, begeisterten Leuten, soll ihnen von alter Zeit ein Bild geben. Der Abend dämmert, Märchenzauber spinnt die Sinne ein. Geheimnisvoll rauschen die alten Bäume, eine riesige Buche steht über dem Abhang und breitet ihre Zweige weit greifend bis in die Fenster des Domes. Hohe Tannen ragen finster, in den dämmrigen Himmel hinein. Wir haben uns einen Standplatz gesucht, von dem aus der Felsen und, seitlich verkürzt, der Ruinenweg über sehen werden kann. Die Menge wächst. Plaudern, Lachen und Witzrufe stören die Stimmung, die immer wieder die Sinne umfangen will. So steigt die Nacht herauf. Da wird das Zeichen gegeben, — mit einem Male wird es still. Der Sprecher bittet um Ruhe, ermahnt die Leute, an ihrem Platz zu verharren, um das Schauspiel nicht zu stören, und so lange zu bleiben, bis Fackellicht die Besucher sicher den Berg hinab geleitet. Und nun hebt vom oberen Felsen her ein schwer mütiges Singen an, rötliches Licht schimmert durch die Bäume, und von der Felskuppe herab bewegt sich langsam der Zug der Mönche. „O ssnktissims, mster smats!" tönt der fromme Ge sang. Vom Tale aber mischen sich mehrfach gestimmte Glockentöne darein. Und vorüber ziehen sie, beleuchtet vom flackernden Fackelschein, der über die geneigten bärtigen Ge sichter, über braune Kutten und Kaputzen in warmen Lich tern hinzuckt. Durch dle Gänge der Ruine bewegt sich der Zug, aus den leeren Fenstern spielen rötliche Reflexe über rauschende Blätter. Dann, im hallenden Dom singen sie wieder, dies mal eines unserer innigen deutschen Volkslieder. Dann kehren sie zurück, langsam, gemessen, wieder be tend und singend „Kister amsts!" und verschwinden auf schma lem, waldumsponnenen Pfad, und leise verklingend schallt ihr letztes „Ors pro nobls!" Das Glöckchen im Tal ist ver stummt, der Zauber alter Zeit ist gelöst. — Stimmungsvoll und schön ist solches Schauspiel, aber unsre Zeit empfindet es auch meist nur als solches, zu zu fern liegt ihnen die Gedankenwelt früherer Jahrhunderte. Die Abgeschiedenheit eines solchen Felsenklosters, der innige Muttergottesglaube, die Heiligkeit der frommen Brüder in den Augen schlichter Dörfler! Raschlebig tauchen die Gedanken der Jugend zurück zur Gegenwart, und mit Scherzen und Lachen steigt die Schar der Zuschauer ins Tal zurück. Oben aber liegt Kloster und Kirchhof wieder schweigend, umflossen von weiß lichem Mondglanz, im leisen Säuseln des Nachtwindes durch die Wipfel uralter Bäume klingt und singt es weiter von alter, vergangener Zeit! Seebad oder Gebirge? Vor den Sommcrferien wird in der Familie die Frage „Seebad oder Gebirge?" ein Gegenstand ernster oder heiterer Beratungen. Da die Geschmäcker der Menschen verschieden sind und da insbesondere zwischen Eltern und Blick von der Schutzhütte auf die Majestät der Berge. Kindern, zwi schen Mann und Frau über die Frage der Som merreise niemals bis in alle Ewig keit völlige Über einstimmung herrschen wird, so dauert es eine geraume Zeit, bis das Reiseziel end gültig festgesetzt ist. Häufig wird ein faules Kom promiß zustande- kommen in der Form, daß die Familie einen Gebirgsort auf sucht, der auch etwas Teichähn liches aufzuwei sen hat, oder ein Seebad, das über einen Hügel nebst Aussichtsturm verfügt. Soweit es sich um ge sunde Fa milien handelt, ist die Frage nicht besonders schwer zu lösen. Man wird am besten tun, „Seebad" oder „Gebirge" an den Knöpfen von Vaters Schlafrock abzuzählen, oder aber die absolute Majorität der Familienmitglieder entscheiden lassen. Handelt es sich um das Wohl ernstlich kranker Familienmitglieder, so wird man wohl oder übel die Stimme des Arztes mit in die Wagschals werfen müssen, und es wird der modernen, schlanken Tochter nicht schaden, wenn sie zum Wohle der fettleibigen Mutter mit nach Karls bad zieht. Die Frage „See oder Gebirge" kommt aber auch in solchen Familien jetzt auf die Tagesordnung, die nicht so sehr ernstlich krank, die nur ein bißchen „nervös" oder ein bißchen „blutarm" oder erholungsbedürftig sind. Solche ge sunden Kranken tun gut, ihre eigenen Neigungen ausgiebig zu berücksichtigen, Der eine erholt sich gut, wenn er vier mm , mmmmmmmmmmmmmmm mmmmm mmmmmmnmmmmmmmmmum mmmmummmmm^ Wochen lang im Wasser herumpanschen und sich danach in der Sonne ausfaulenzen kann. Der andere muß Bewegung haben und kraxelt lieber in den Bergen herum. Zumal den Nervösen einen Rat zu geben, soll man sich scheuen; den einen macht die Ruhe des Gebirges „nervös", der andere kann das Rauschen des Wassers am Meeresstrande nicht ver tragen. Die seelische Einwirkung ist ja bei den „Nervösen" die Hauptsache. Wo sie sich am meisten hingezogen fühlen, da erholen sie sich auch am besten. Anders ist es bei den B l u t ar m e n. Bei jungen Bur schen und Mädchen, die jahraus, jahrein in eine Fabrik oder ein Büro gehen und die ja meist ein bissel blutarm sind, ist es ziemlich gleichgültig, wo sie sich von der Sonne bräunen lassen. Solchen Leuten aber, die unter ihrer Blutarmut er heblicher zu leiden haben, ist das Hochgebirge mehr zu emp fehlen als die See. Im Gebirge ist die Luft dünner, der Körper hat mehr Mühe, den notwendigen Sauerstoff aufzu nehmen, und so muß er seine roten Blutkörperchen ver mehren, ob er will oder nicht. Es gibt natürlich auch schwere Formen von Blutarmut, bei denen der Körper dazu nicht Im Spiel der Nordseewellen. mehr imstande ist. Aber, wie gesagt, es ist ja bei ernstlich Kranken stets notwendig, dem Arzt bei der Wahl eines Sommeraufenthaltes eine Stimme zuzubilligen. Auch für Tuberkulöse wird heutzutage noch immer das Hochgebirge mehr empfohlen als die See; dennoch gerät das starre Dogma, Tuberkulöse gehörten unbedingt ins Hoch gebirge, allmählich ins Wanken. Die See mit ihrer keimarmen, bewegten, feuchten und salzhaltigen Luft ist dagegen im Sommer und Winter ein ausge zeichneter Aufent haltsort für Leute, die an leichten Katarrhen, häufigem Schnupfen und „Erkäl tungen-" leiden und eine Abhär tung ihres Kör pers nach einjäh riger Bürotätig keit wieder einmal nötig haben. Familien mit jüngeren Kindern be- Spielende Kinder am Ostseestrand. Vorzügen meist einen Aufenthalt an der See. Die Kinder lernen dort frühzeitig die nützliche Kunst des Schwimmens, und sie Härten sich ab. Auf Berg touren werden Kinder, die noch nicht kräftig sind, ja meist im Wege sein, und so ist es besser, sie toben sich am Strande aus. Sehr gelobt wird der heilende Einfluß des Seeklimas auch bei der Englischen Krankheit der Kinder. Dies sind so einige Ratschläge für diejenigen, die sich über ihr endgültiges Ziel noch nicht schlüssig sind. Leider ist la der Lrfolg einer Erholungsreise noch von io viele»! sn- oeren Dingen abhängig. Schlechtes Wetter, Aerger mit den Wirtsleutcn, schlechtes Essen und schlechte Zimmer reichen vollständig aus, um eine noch so schön ausgeklügelte Reise gänzlich zu verpfuschen. Aber das ist ein Kapitel für sich, das eigentlich nicht hierher gehört. vr. meä. H. K. Küstenbummel. Originalreisebrief für unsere Zeitung. Von Heinz Hell. Mit dem Frachtdampfer an der dalmatinischen Küste entlang. — Line trinkfeste Freundschaft. — Die Insel der Unaus- sprechlichkeit oder Rückkehr ins Bewußtsein. — Korculas fast unwirkliche Schönheit. — Zwischen venezianischen Palästen und brandzerstörte» Prunkbauten. Ercegnovi, 28. Mai 1929. ' Journalisten sind gehetzte Menschen. Sie jagen den Neuigkeiten des Tages nach, in der steten Furcht, zu spät zu kommen und etwas Wichtiges, das die liebe Mitwelt inter essieren könnte, zu versäumen. So hatte auch ich bisher auf meiner Reise nur Transportmittel benutzt, die mich schnell ans Ziel brachten. Hier aber, im sonnigen Süden, wo das Leben ohnehin behaglicher dahinplätschert als in unseren kühleren Gegenden, entschloß ich mich endlich doch, gleichfalls die landesüblichen Sitten mitzumachen. Ich bestieg in Susak, das mich einige Tage gastfreundlich beherbergt hatte, einen langsam die dalmatinische Küste entlang südwärts pendelnden Frachtdampfer, schloß mit dem Kapitän darauf Freund schaft und ließ es mir einige Tage lang wohl sein. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich die ersten Halteplätze, Bakar, Crikvenica, Senj und sogar die Insel mit dem kürzesten Namen der Welt, „K r k", die mich allein aus diesem Grunde schon erheblich interessierte, glatt verschlief. Der Freund schaftstrunk mit dem Kapitän hatte dies verursacht. Erst spät am anderen Morgen weckte mich die Sonne, die durch das Bullauge in meine Kabine schien, und ich erfuhr, daß wir uns bereits in Sibenik befänden, einer höchst sehenswerten Stadt, die gleichfalls zu verschlafen selbst für einen Jour- nalisten im Ruhezustand eine Todsünde bedeute. Rasch also in die Kleider, d. h. Hose, Hemd und leichte Schuhe, und hinaus an Land, wo man eifrig tätig war, einige Kisten aus- und andere einzuladen. In dem Städtchen selbst herrschte ein reges Leben. Es war Markttag, und vom Lande her kamen auf Eseln und zu Wagen die Bauern und Bäuerinnen in ihrer schmucken Tracht, die Frauen im Kopftuch und die Männer in gestickten Kappen, ihre Erzeugnisse feilzubieten. Auch waschechte Türken waren vorhanden mit rotem Fes und bis zu den Knien herabhängenden Hosenboden, Dinge, die man in der echten Türkei überhaupt nicht mehr zu sehen be- kommt. All dies wirkte in einer Umgebung, die wie Sibenik soviel alte Architektur aufzuweisen hat, doppelt malerisch. Nach einem kurzen Rundgang durch das Städtchen, den Dom mit seiner zierlichen, venezianischen Gotik, das im Re- naissancestil gehaltene Rathaus wird es Zeit, sich wieder an Bord zu begeben, und eine Stunde später schaukeln wir bereits auf offener See, weiter längs der Küste dahin. An Bord befindet sich statt einer Kapelle auch ein Musilapparat, der Koch versteht damit umzugehen und legt eine Platte nach der anderen auf, während ich dem Kapitän Geschichten aus Berlin erzähle. Es ist wirklich urgemütlich hier an Bord, die Aussicht wechselt dauernd, Dörfer, kleine Städte ziehen vor über, oft auch nur kahle, unbewachsene Hügel, dann wieder Olivengärten, Weinkulturen und all« paar Stunden machen wir irgendwo halt, steigen aus, sprechen mit den Einheimi schen deutsch ooer italienisch, das fast alle beherrschen, und freuen uns an den herrlichen Bauwerken einer vergangenen Epoche, deren es überall fast überreichlich zu sehen gibt. Un möglich, in diesen kurzen Zeilen alle Herrlichkeiten der schönen dalmatinischen Landschaft aufzuzählen, jeden Flecken bei Namen zu nennen, den wir passierten. Trogirmit seinem alten Kastell, das wie ein Seeräubernest anmutet, den wink- ligen alten Gassen mit venezianischen Palästen erreichten wir gegen fünf Uhr nachmittags, und eine Stunde später Split, wo ich fast den wundersamsten Abend dieser ganzen Reise verlebte. Nach langem Umherstreifen inmitten alten Ge- mäuers, der Diokletianpalast ist allein den Besuch wert, saß ich dort auf dem Marktplatz bei Musik, Wein und einem Hand- festen Abendbrot. Die Schönen der Stadt flanierten in lichten Sommerkleidern, manchmal auch in der malerischen Tracht dieser Gegend, an mir vorüber, die Glocken läuteten, es war Sonnabend abends, und ab und zu klang vom nahen Hafen der dumpfe Ton einer Sirene herüber. Tiefster Frie den, ein Glücklicksein lag über dem allen, das einen für ' manches Unbill dieses Lebens entschädigen konnte. Ls gibt