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' SN e" Kien lern. I äker. eim »S ei-g »SK tki - z > ^rau orf re; » Fra« »edr Lsl aeflfls »rf 74 Freitag, den 17. Mai 1S2S Strafverfolgung dreier Reichsiagsabgeordneter. Deutscher Reichstag. 7 4. Sitzung, Donnerstag, 16. Juni. Die Sitzung begann mtt der Debatte über die Anträge des Geschäftsordnungs-Ausschusses auf Genehmigung zur Strafver folgung der Kommunisten Bertz und Florin und des Natio nalsozialisten Strasser wegen Beleidigung. Auch soll in einem Fall die Genehmigung zur Vorführung des Abgeordneten Straffer erteilt werden. — Der Abgeordnete Pieck (Komm.) pro testierte gegen die Aufhebung der Immunität des Abg. Bertz (Komm.), die wegen Beleidigung von Kriminalbeamten gelegent lich der Erwerbslosendemonstration auf der Reichstagstribüne erfolgt sein solle. — Abg. vr. Frick (Natsoz.) erklärte, man habe «ine le». Straffer geschaffen, um einen unbequemen politischen Gegner mundtot zu machen. Er liege eine Anweisung vor, gegen nationalsozialistische Abgeordnete in allen Fällen Anklage zu er heben. Der Redner wurde zur Ordnung gerufen, als er den volkspartckNchen Abgeordneten vr. Mittelmann einen Lügner nannte. Auch die Abgeordneten Goebbels und Graf Re- ventlow erhielten mehrere Ordnungsrufe. — Abg. Heil mann (Soz.) wurde mit lauten Zurufen von den National- sozialisten empfangen, vr. Frick wurde wegen einer Be schimpfung aus dem Saal gewiesen. Kommunisten und Nationalsozialisten riefen im Chor: „Barmat". Heilmann konnte sich nicht verständlich machen. Vergeblich läutete Präsident Löbe mit seiner Glocke. Erst nach längerem Kampf mit dem Lärm gelang es ihm, sich verständlich zu machen. Er ersuchte die Abgeordneten, Unterbrechungen zu unterlassen, da er sonst schärfere Maßnahmen ergreifen müsse, vr. Goebbels (Natsoz.) wurde wegen des Zurufs „Barmatschieber" aus dem Saal gewiesen. Abg. Heilmann behauptete, daß er sich nie auf die Immunität berufen habe. Nach weiterem sehr hitzigen Hin und Her wurde die Strafverfolgung der Abgeordneten Bertz, Florin und Straffer sowie die Vorführu^ des Abg. Straffer entsprechend den Vorschlägen des Anschusses gegen die Stimmen der Nationalsozialisten und Kommunisten — und mit Ausnahme des Falles Bertz auch der Deutschnationalen und der Christlich- nationalen Bauernpartei — genehmigt. Ls folgte die zweite Beratung des Gesetzentwurfs über wirtschaftliche Hilfe für Ostpreußen. Reichsernährungsminister Dietrich weist darauf hin, daß die schlechte Finanzlage des Reiches es leider nicht möglich gemacht habe, noch größere Mittel für die Ostpreußenhilfe zur Verfügung zu stellen. Immerhin könne sich die Hilfe sehen lassen, denn in Verbindung mit der preußischen Aktion betrage die Lastensenkung für di« ostpreußische Landwirtschaft wenigstens 40 v. H. Nach weiterer Aussprache wurde das Gesetz unter Ableh nung kommunistischer Anträge in der Ausschußfaffung und schließlich auch in der Schlußabstimmung gegen die Stim men der Kommunisten angenommen. Auch die Ent schließungen der Ausschüsse wurden angenommen. Es folgt die zweite Beratung des Gesetzentwurfes über die : Sanierung des Schichau-Unternehmens. Di« Reichsregierung wird ermächtigt, einen einmaligen Bar- betrag von 14 Millionen und einen laufenden Zuschuß von 2,34 Millionen aufzuwenden. Der Gesetzentwurf über die Sa- nieruno des Schichau-linternehmens, der die Reichsregierung er- Beilage zu Nr. 11S mächtigt, einen einmaligen Barbetrag von 14 Millionen und einen laufenden Zuschuß von 2,34 Millionen aufzuwenden, endgültig erledigt. Die Vorlage wurde in der Schlußabstimmung gegen die Stimmen der Kommunisten, der Wirtschaftspartei und der Bayerischen Volkspartei bei Stimmenthaltung eines Teils der Demokraten angenommen. — Das Haus vertagte sich dann auf Montag, den 3. Juni, 3 Uhr nachmittags. Der Reichsrat nimmt die Hilferding-Anleihe an. Berlin. Der Reichsrat nahm mit Mehrheit die An leihe der Reichsregierung an. Einspruch wurde nicht erhoben. Hilferding über die Anleihe. Berlin. In einer Konferenz im Reichsfinanz- Ministerium stattete Reichsminister Hilferding über die innere Anleihe einen Bericht ab. Er führte u. a. aus: Die Reichsanleihe, die nunmehr auch vom Reichsrat an genommen worden ist, nachdem Bayern auf einen Einspruch verzichtet hatte, um der schweren Finanzlage des Reiches Rechnung zu tragen, wird zwischen dem 24. und 31. Mai auf- gelegt werden. Der Ausgabekurs beträgt 99 Prozent, die Verzinsung 7 Prozent. Die Banken sollen 1)4 Prozent Provision erhalten. Es sollen zunächst nur 300 Mil- lionen aufgelegt werden. Wenn dies« 300 Millionen überzeichnet werden, wird volle Auszahlung erwogen, aber nur bis zum Höchstbetrag der von den gesetzgebende» Körperschaften bewilligten 500 Millionen Mark. Die Ein- Zahlung soll am 8. Juni mit 40 Prozent, am 5. Juli und 31. August mit je 30 Prozent erfolgen. Die Anleihe ist fünf Jahre unkündbar. Sie soll alsdann mit je 10 Prozent in den nächsten Jahren getilgt werden. Sie wird eingeteilt sein in Abschnitte von 100, 500, 1000, 5000 und 20 000 Mark. Der Zinslauf soll am 1. Juli 1929 be ginnen. Die Verteilung der Zinsen findet am 2. Januar und 1. Juli jedes Jahres statt. Börsen- und Lombardfähiakeit sind beantragt. Ein merkwürdiger „Spionagesall". Drei Bautzener in der Tschechoslowakei verhaftet. Drei Bautzener Einwohner, die am Himmelfahrtslage emen Ausflug ins Böhmische unternommen haben, sind nicht mehr in ihren Wohnsitz zurückgekehrt. Dagegen ver breitete sich in Bautzen die Nachricht, daß sie von den tschechoslowakischen Behörden inHaftgenommen und auf dem Wege über Rumburg ins Kreisgericht nach B.-Leipa eingeliefert worden sind. Diese Angaben haben sich auch als richtig bestätigt. Die Gründe, die zur An haltung und Verhaftung der Bautzener geführt haben, sind ganz merkwürdiger Natur. Die drei Ausflügler, und zwar ein Postbeamter, em L?attlermeister und ein Buchhalter, rasteten in einem Gast- yause in Georgswalde. In ihrer Gesellschaft befanden sich tschechoslowakische Soldaten, mit denen sie über verschiedene militärische Dinge sprachen. Einer von ihnen saßte nun den Verdacht, daß die Bautzener Spionage betreiben und wandte sich an die Gen darmerie, die zur Verhaftung der drei Ausflügler schritt. Diese wiederum erstatteten gegen den Soldaten die Anzeige, von ibm um 200 Mark und 100 Kronen be- ilirs Qskdmsn u. Qarclivsnslsnssn Kaufon Lio ckovk Im Qarciinonflsus WunöorUck, ttsuptmsrkt 81. Jahrgang stöhlen worden zu sein. Der ganze Fall ist augenblick lich noch vollständig rätselhaft, da sich die tschechoslowaki schen Behörden in Schweigen hüllen. Die Gendarmerie in Georgswalde gibt nur entgegen der Bautzener Mel dung an, daß die Einlieferung der drei Verhafteten nicht nach Rumburg, sondern nach Schluckenau erfolgte. Aus Bautzen wiederum liegen ergänzende Nachrichten vor, wo nach es sich bei den drei Verhafteten, angesehenen und geachteten Bautzener Bürgern, keines falls um Spionage handeln kann. Vielmehr neigt man dort zu der Auffassung, daß ein Racheakt des Soldaten vorliegt, der den Diebstahl ausgeführt hat. Verminderung des Fehlbetrages im sächsischen Haushalt. Nach der vorläufigen Übersicht über die sächsischen Staatseinnahmen und -ausgaben für den Monat März ergibt sich statt des im Haushaltsplan 1928/29 vor gesehenen Fehlbetrages von 25)4 Millionen nur ein solcher von rund 15)4 Millionen Mark. Die Verminderung erklärt sich aus höheren Einnahmen und geringeren Aus gaben. Neue Erdstöße im Vogtland. In Markneukirchen, Falkenstein, Bad Brambach, Asch, Klingenthal und Brunn döbra sind erneut Erdstöße vernommen worden. Es wurde nach den Stößen ein unruhiges Wetter beobachtet, die Winde gingen sehr lebhaft. Sogar Tiere nahmen die Naturereignisse wahr. Oie Entlastung -es sächsischen Arbeits marktes. Die Entlastung auf dem Arbeitsmarkt schritt in der Berichtswoche nur langsam vorwärts. Zwar sind die Außenberufe im allgemeinen aufnahmefähig, doch hat die Stärke der Nachfrage in der Landwirtschaft stellen weise infolge Beendigung der Frühjahrsarbeiten etwas nach gelassen und im Baugewerbe läßt die Entwicklung immer noch zu wünschen übrig, teils infolge stockender Geld- zuwendung, teils infolge Lohnstreitigkeiten. Die verhältnis mäßig ungünstige Bautätigkeit beeinflußte auch das Angebot an arbeitslosen Bautischlern noch erheblich, so daß der Arbeitsmarkt im Holzgewerbe nach wie vor sehr unbefriedi gend angesehen werden muß. . Weder auf dem Arbeitsmarkt der M e t a l l i n d u str l e noch des Spinnstoffgewerbes ist eine Wendung zum Besseren eingetreten, eher deutet die starke Steigerung der Zahl der unterstützten Kurzarbeiter auf einen weiteren Rück gang hin. Von Ende März bis Ende April ist die Zahl der unterstützten Kurzarbeiter von 6929 auf 9360, also um rund 35 Prozent, und die Zahl der Ausfalltage von 21636 auf 29 357 gestiegen. Außerordentlich stark von dem Umfang der Kurzarbeit betroffen sind die Arbeitsamtsbezirke Slsnitz, Burgstädt und Thalheim, also Bezirke mit vorherrschender Textilindustrie. Die Metallindustrie äußerte stellen weise eine lebhafte Nachfrage nach Facharbeitern für die Auto- und Motorradbranche, die im allgemeinen noch gut be schäftigt ist. Im Werkzeug- und Textilmaschinenbau erfolgten Betriebseinschränkungen, die mit Rationalisierungsmaß- nahmen zusammenhingen. Die Verbrauchsgüterindustrien zeigen zum Teil eine stärkere Belebung des Arbeitsmarktes gegenüber Nächte der Angst. Ein Sylt-Roman von Anny Wothe. Copyright by Greiner L Co., Berlin NW 6. (Nachdruck verboten.) 46. Fortsetzung. , „Ich bin zu dir gekommen, Jngewart," nahm Estrid Las Wort, nach seiner hageren Hand tastend, „um dir zu sagen," — sie zögerte einen Augenblick —, „wie tief ich bereue. Hab' doch Erbarmen/' fuhr sie fort, an der Butze auf die Knie sinkend, „fühle doch, daß ich nicht so leben, nicht atmen kann, wenn ich die Gespenster nicht zu bannen vermag. Immer wieder steigen sie aus der See zu mir empor mit deinen Zügen und verfolgen mich am Tag und in meinen Nächten, mit deinem Wort und deinem Fluch." „Erbarmen?" fuhr der Kranke auf, sich mühsam auf richtend. „Hattest du Erbarmen mit mir, als du mich verrietest'? Du trägst nur deine Strafe." Die Angen des Fiebernden sahen sie drohend an. Ich könnte dich jetzt töten," flüsterte er geheimnis voll", aber ich habe es der da" — er deutete auf Sölve — versprochen, es nicht zu tun. Sie will dann stets bet mir bleiben und einen Kranz tragen, wie du ihn ge- tragen, und sie wird ihn treu und in Ehren halten, die kleine Sölve, was du nicht gekonnt." „ Estrid schauerte zusammen. Sollte die Schwester, ihre liebe, junge Schwester, ihr Opfer sein'? , . . „Höre mich, Jngewart Ferks," bat Estrid, seine Hand mit ihren beiden Händen umklammernd, „nicht für mich bitse ich dich. Ich habe ein Kind, einen süßen, kleinen Jungen, der wll nicht unter deinem Fluch zugrundegehen und auch nicht das Haus des Mannes, der mich geliebt hat und den ich betrogen, aus Leichtsinn, wie ich dich be trog. Nimm die Schuld von mir, Jngewart, befreie mich von der O.ual, die mich nicht los läßt! Du hast Mich geliebt, um dieser Liebe willen bitte ich dich, Jngewart, verzeihe mir die Sünde, die ich gegen dich beging. — Sieh, ich will kein Glück für mich, nur für mein Kind bitte ich dich! Weit, weit will ich mit dem Kinde wandern in ein fremdes Land, fort von dem Mann, dem ich eben so weh getan n ie dir. Um Les Kindes willen mußt du den Fluch lösen. Eine Mutter bittet dich, die unglückliche trostlose Muttert" Schluchzen erschütterte Estrids Körper und ihre heißen Tränen rannen über Jngewarts abgezehrte Hände. Staunend sah der Kranke auf die Kniende. War das Schön-Estrid mit dem sieghaften Lächeln, die einst alles in ihren Bann gezwungen, die nun nichts war als ein armselig verzweifeltes Weib? Sölve war näher getreten. Ihre beiden gefalteten Hände legte sie auf des Kranken Stirn. „Vergib ihr," bat sie innig, „verzeih der Mutter, die für ihr Kind fleht." Da ging eine seltsame Veränderung über Jngewarts harte Züge. Unsicher blickte er auf Estrids blondes Haupt, Vas sich verzweifelt in den Kissen seines Lagers barg. Seine Hand tastete nach der Sölves, und er klammerte sich an diese kleine Mädchenhand, als könnte sie ihm Trost und Beruhigung spenden. „Ein Kind," sagte er staunend — „ein kleines Kind? Können Kinder Wunder schaffen? Kann ein Kind ein leichtfertiges Menschenherz, das mit dem Besten des an deren immer bloß gespielt, so wandeln? Nein^ ich glaube nicht daran. Glaubst du es, Sölve?" „Ja, Jngewart, ich glaube es," versetzte das Mäd- chen mit inniger Zuversicht, „ich glaube es, denn Mutter- liebe ist das Große und Heiligste im Leben. Nichts reicht dahin." Jngewart Ferks' Augen ruhten unverwandt aus der Frau, die an seinem Schmerzenslager kniete, auf der einst so Stolzen, die sieghaft durchs Leben ging und jetzt nichts war, als eine armselige Bettlerin. Was hatte sie gesagt? Sie wollte mit dem Kind weit fortgehen'? Also nicht mal der Mann, um den sie ihn verraten, stand zu ihr? Sie war einsam, ganz einsam. Sie war schlimmer daran als er, denn er hatte ja Sölve, die eine so süße Stimme hatte und die gelobt, ihn nie zu verlassen. — Und ein Mitleid ohnegleichen quoll in des Kranken Brust empor. Mitleid mit der Treulosen, die alles Hoffen seines jungen Herzens grausam geknickt. ,Lör mich, Jngewart", bat Estrid von neuem. „Jetzt erst, wo ich selbst ganz verlassen bin, weiß ich, was ich dir tat! Ich glaubte dich tot, und da nahm ich den andern." „Den Toten braucht man keine Treue zu halten", stieg es wieder bitter in ihm auf, und leise murmelte er di« Worte vor sich hin. Estrid hatte sie verstanden. Sie hob die in Tränen flimmernden Augen zu ihm auf, und all das Glück, das ihm einst aus diesen strahlenden Sternen gelacht, wallte heiß in seinem Herzen auf. Unsicher faßte seine Hand nach der ihren. „Und wenn ich dich bitten würde, Estrid," fragte er stockend, „bleibe bei mir, mache dich frei von dem Mann, um den du mich betrogen, und folge mir in ein neues Leben, was würdest du sagen?" Sie hielt tapfer seinen durchdringenden Blick aus. „Daß ich nicht kann, Jngewart, denn sieh, ich liebe den Mann, der mich verschmäht, ich liebe den Vater meines Kindes." Es war totenstill in der Stube. Nur das schwere Atmen des Kranken schwebte durch den Raum und dann nach einer Weile seine spröde Stimme: „Arme Estrid, du bist unglücklicher als ich. Mein Weg wird bald vollendet sein und bis dahin wird Sölve bei mir ausharren. Dein Kind", fuhr er ganz sanft fort. „Ein Knabe ist es? —" «Ja, Jngewart, er trägt deinen Namen. Auf daß sie mir stets lebendig bleibe, meine Schuld und meine Sühne." Wie ein Schluchzen rang es sich aus des Kranken Brust. „Meinen Namen," flüsterte er, „du hast meiner ge- dacht? Jngewart, der kleine Jngewart? Du wirst ihn rufen mit meinem Namen und ich werde nie bei dir ve> gessen sein?" „Nie, Jngewart, das versvreche ich L-."