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ssulsuHerIa-eblatt Donnerstag, den 1k. Mai 1929 Beilage M Nr. 112 81. Jahrgang lioncn voriMioen. Mc gleichen Vorwürfe müßten also meine Amtsvorgänger treffen. Die wesentliche Verschlechterung, die später eintrat, ist, wie alle wissen, auf den außerordentlich strengen Frost und die damit verbundene Erwerbslosigkeit zurückzuführen. (Gelächter rechts.) Ist es richtig oder nicht, so ruft der Minister erregt den Deutschnationalen zu, daß die Zu schüsse zur Arbeitslosenversicherung auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung geleistet werden mußten, die Sie mitgeschaffen haben? (Hört, Härtl) Verlangen Sie, daß die Reichsregierung dieses während Ihrer Negierung zustandcgckommene Gesetz brechen und die Zaklunacn einstellen sollte? Äbg. Neubauer (Komm.) meinte, der richtige Weg zur Besserung der Finanzlage sei eine Millionärsteuer. Der Redner beantragt, Vermögen über 500 OVO Mark einer Sondersteuer zu unterwerfen. Abg. Heinig (Soz.) warf den Deutschnationalen vor, daß sie nicht den Mut gehabt hätten, ihre rein sachliche Stellungnahme im Ausschuß zu wiederholen. Herr Bang sei übrigens nicht durch freie Wahl in den Reichstag gekommen, sondern durch be sondere Bemühungen des Herrn Hugenberg. Gegenüber dem kommunistischen Redner wies der Redner darauf hin, daß die russischen Anleihen gleichfalls absolut steuer- und abgabenfrei seien. Abg. Or. Bredt (Wirtsch. P.) wies darauf hin, daß seine Partei die Verantwortung für die Vorlage nicht übernehme. Abg. vr. Brüning (Ztr.) erklärt, es sei bedauerlich, daß eine große Partei hier Katastrophenreden halte, die letzten Endes nur den Zweck haben, das Prestige der Anleihe vor ihrer Auflegung herabzuminüern. Abg. Leicht (Bayer. Vp.) stellte fest, daß seine Partei besonders Bedenken gegen die steuerlichen Erleichterungen und gegen die Einwirkungen auf die Anleihepolitik der Länder und Gemeinden habe. Die Bayerische Volkspartei könne der Anleihe nur als einmaliger Maßnahme zustimmen. Abg. vr. Feder (Nat.-Soz.) nannte die Vorlage den Versuch, den betrüge- rischen Bankerott zu verschleiern. Der Redner beantragt Ent- itgnung der Ostjuden, Bank- und Börsenfürsten und Derweige- rung der Daweszahlungen. Wegen beleidigender Bemerkungen erhält er zwei Ordnungsrufe. Abg. vr. Wendhausen (Christl.- Kat. Bauernpact.) erklärte, schon aus moralischen Gründen müffi man diese Anleihe ablehnen, weil sie geradezu zur Faulheit an reize. Abg. vr. Reinhold (Dem.) erklärte, er habe nie ein« verantwortungslosere Rede gehört wie die des Abg. vr. Bang. Seine Partei stimme der Vorlage trotz erheblicher Bedenken zu unter der Voraussetzung, daß der Weg zur Sparsamkeit fortgesetzt werde. Abg. Kling (Dt. Bauernp.) lehnte die Vorlage in einer kurzen Erklärung ab. In der A b st i m m u n g wurde zunächst namentlich entschieden über den kommunistischen Antrag, bei Vermögen von über 500 000 Mark eine Sondersteuer zu erheben. Der kommunistische Antrag wurde mit 339 gegen 56 Stimmen bei einer Enthaltung ab gelehnt. Eine von den Kommunisten beantragte Streichung der Anleihe- ermächtigung wurde gleichfalls abgelehnt, und zwar mit 218 gegen 161 Stimmen bei zehn Enthaltungen. Der national sozialistische Antrag, das Vermögen der Dank- und Börsenfürsten ; Oie Entscheidung über die Hilferding-Anleihe. M ' Deutscher Reichstag. 73. Sitzung von Mittwoch, 15. Mai. Der Ael testen rat des Reichstags setzte den Beginn der Pfingftferien auf Donnerstag fest. Die Plenarsitzungen sollen dann am 8. Juni wieder ausgenommen werden. Vorher jedoch, entweder am 27. oder am 31. Mai, sollen die Arbeiten des Haus haltsausschusses am Etat wieder ausgenommen werden. * Di« Reichstagssitzung am Mittwoch brachte die zweite De- ratuug des Gesetzentwurfes über die Maßnahmen zur Besserung der Kassen läge des Reiches. Nachdem zunächst Abg. Bernhard (Dem.) Bericht über die Ausschuß beratungen erstattet hatte, protestierte Abg. Schulz-Brom berg (Dnat.) gegen diese lange Rede, zumal die Redezeit für die einzelnen Fraktionen im Hinblick auf die noch bis morgen zu erledigende Fülle des Materials stark verkürzt werden solle. Der Sprecher der Deutschnationalen forderte deshalb eine längere Redezeit. Zunächst war das Haus beschlußunfähig. Der Saal füllte sich erst auf das Glockenzeichen des Präsidenten. Dann wurde die Redezeit auf nur 20 Minuten festgesetzt. Zu Wort kam als erster Redner der Abg. vr. Bang (Dnat.). Der deutschnationale Redner betonte, die Verwirtschaftung sämtlicher Ueberschüsse und Reserven genüge nicht zur Erklärung der Kaffenkatastrophe. Der Grund liege darin, daß der Reichstag immer im Extraordinarium hohe Summen bewil ligt habe, ohne sich um Anleihemöglichkeiten zu kümmern. Schon im März habe der Finanzminister erklärt, daß die Lage so bedrohlich sei, daß eine Verschärfung der bereits vorhandenen Schwierigkeiten dazu führen würde, daß die Auszahlung der Ge hälter und Ueberweisungen fraglich werde. Diese Verschärfung sei nunmehr eingetreten. Es handele sich um die Angst anleihe einer ratlos gewordenen Finanzwirtschaft. Die geplante Anleihe lasse sich weder sinanz- und etat- rechtlich, noch wirtschaftlich rechtfertigen. Sie solle lediglich vorschnell verbrauchtes Geld ersetzen. Sie bringe nicht einmal die Sicherheit, daß im Juli nicht schon wieder mit kurzfristigen Krediten gearbeitet werden müsse. „Der Zinsendienst der Anleihe und der Ausfall der Erträg nisse der Reichsbahnaktien verursacht", so fuhr der Redner fort, „im ordentlichen Etat ein Loch, dessen Deckung nötig ist. Wir stopfen Löcher mit Löchern. Die Befreiung von der Einkommen-, Vermögens- und Erbschaftssteuer und von der Kapitalertragssteuer macht die Anleihe zu einem neuesten Weltwunder, zu einer sozialistisch geborenen überkapitalistischen Mißgeburt. Das ist gewissermaßen eine Kreuzung zwischen Moskau und Wallstreet. " Abg. vr. Cremer (D. V. P.) lehnte es ab, dem Vorredner auf das von ihm gewählte Niveau zu folgen. Er habe lediglich zusammenhanglos aneinandergereihte Dinge vorgetragen, die man nicht als Argumente bezeichnen könne. (Zustimmung bei der Mehr- heit.) Die Ruhe der Wirtschaft sei aufs schwerste gefährdet durch die fortwährenden phantastischen Redereien über Katastrophen. Reichsfinanzminister Dr. Hilferding sprach die Hoffnung aus, daß die Rede des Abg. Bang nicht noch unerfreuliche Folgen für den Kredit des Reiches haben möge. Die Ausführungen des Abg. vr. Bang waren unverantwortlich, sie waren von Ntchtswiffen und bösem Willen getragen. Als die Regierung ihr,Amt antrat, war ein Kaffenbedarf von 1075 Mil- I Ilirs Qsröinsn u. Qarcsinsnstsnssn ksutsn Sis ^cioesi im Qar^insnksus Wuncisrlieii, «suptmsriri entschädigungslos zu enteignen, wurde mit 382 Stimmen gegen 8 Stimmen bei einer Enthaltung verworfen. Die Anleihevorlage wurde in zweiter Lesung in der Ausschußfassung angenommen. Bei der dritten Lesung der Vorlage nahm Abg. Hergt (Dnat.) nochmals das Wort, um die Bedenken seiner Partei gegen das Anleihegesetz auszusprechen. Schwere Auiounsätte. In Hartmannsdorf ereignete sich in einer ge fährlichen und unübersichtlichen Straßenkreuzung der stark befahrenen Straße Chemnitz —Leipzig ein schwerer Autounfall. Ein von Burgstädt in Richtung Limbach fahrender Personenkraftwagen traf an der Straßenkreuzung mit einem nach Chemnitz fahrenden kleinen Personenkraftwagen zusammen. Der Burgstädter' Wagen konnte einen Zusammenstoß mit dem kleinen Kraftwagen nur dadurch verhindern, daß er durch Ab weichung von seiner ursprünglichen Fahrtrichtung in die Straße nach Chemnitz einbog. Der gleichfalls in der Richtung Chemnitz fahrende kleine Kraftwagen geriet bei dem Durchfahren der Straßenkreuzung zu weit nach rechts, stieß an den Bordstein an und überschlug sich zweimal. Dabei wurden die drei Insassen, aus Pegau stammend, herausgeschleudert. Einer erlitt einen Schädelbruch und war sofort tot. Die beiden anderen Insassen trugen schwere Kopfverletzungen davon und wurden in das Krankenhaus in Hartmannsdorf ein geliefert. An dem Aufkommen des einen Schwerverletzten wird gezweifelt. Auf der Staatsstraße Zwickau—Gößnitz, unweit von Gutehorn, überfuhr ein Auto zunächst einen kleinen Baum und einen etwa 70 Zentimeter breiten Straßen graben und rannte dann gegen einen größeren Baum, in den sich der Kühler und die Vorderachse eingruben. Der Fahrer Kurt Fritzsche aus Zwickau wie sein Begleiter wurden schwerverletzt in das Krankenhaus eingeliesert. Ein weiterer Mitfahrer blieb unverletzt. Unkenntnis, -ie die Post beschämt. Aus Schneidemühl wird uns geschrieben: Ein Be wohner des Ortes Seedorf (Kreis Flatow) erhielt nach langer Irrfahrt einen Brief aus Hamburg zugestellt, der neben der richtigen Adresse „Seedorf, Kreis Flatow, Grenz mark Posen-Westpreußen" folgende postalische (ll) Vermerke ausweist: „Osthavelland" (wieder durchgestrichen), dann „Pr. Pdm." und „Bezirk Frankfurt/Oder" (dahinter „In Bezirk Frankfurt/Oder unbekannt"). Nachdem der Brief also auf der Suche nach Posen-Westpreußen in Osthavelland, in Pr. Pdm. und im Bezirk Frankfurt/Oder „notgelandet" war, kam er schließlich in der Grenzmark Posen-West- preußen an. Obwohl immer wieder — erst neulich bei der Weihe des Landeshauses in Schneidemühl — voll der Grenzmark Posen-Westpreußen die Rede ist, befindet sich die Post im Reiche in punkto Geographie des Ostens immer wieder auf dem „Holzwege". Wenn das selbst der Post passiert, muß man die geographische Unkenntnis von Firmen und Privat- Nächte der Augst. Et« Sylt-Roman von Anny Wothe. Copyright by Greiner L To., Berlin NW k. ,Nachdruck verboten.) 44. Fortsetzung. „Kann ich den Wagen haben?" fragte Estrib noch einmal. — , , „Gewiß, wenn du willst kann ich dich sogar selbst fahren." „Danke, ich fahre lieber allein." In kurzer Zeit hielt der kleine, offene Wagen vor Ser Tür und Jap, der Kutscher, knallte mit der Peitsche. Estrid, in einem dunkelblauen Reisekleid, leichte Schatten um die Augen, sah nicht um sich, als sie durch den Garten zum Wagen schritt. Peter stand am Wagenschlag und dachte nur das eine: „Sie läßt ihr Kind im Stich, sie ist schlechter als ich gedacht." Er half seiner Frau beim Einsteigen. ,Leb wohl", sagte er, Estrid die Hand reichend, doch sein'Ton war kalt und sein Blick finster. ,Leb wohl", gab sie zurück und einen Augenblick lag ihre "Hand in der seinen. Diese Hand zitterte nicht. Nur ganz eigentümlich blickten ihre schimmernden Augen, mit tiesschwarzen Pupillen zu ihm aus. Die Pferde zogen an. Wie eine Gebieterin, die gnädig ihren Vasallen grüßt — schien es Peter — neigte Estrid noch einmal den blonden Kopz, dann raste der Wagen mit den ungedul digen Pferden davon. Peter Banken sah ihm mit dunklen Augen nach und ballte die Hände. Er wußte selbst nicht, ob es Schmerz oder Zorn war, das so heiß sein Inneres durchnagte. Bor der Haustür stand Akke und sah, mit der Hand das Gesicht beschattend, dem Gefährt nach. Peter mochte der Getreuen heute nicht in die klugen, wissenden Augen blicken. Die Akke schien es nicht zu bemerken. „Das junge Herrchen ist ja ganz kräge", lobte sie, „ich glaube, kann schon lachen. Nur die Fru hat mir gar nicht gefallen, Herr. Eine ganze Stunde hat sie an der Wiege gesessen und geweint. Und weinen ist sonst nicht ihre Sache." „Sie hat eben Abschied genommen", dachte Peter Banken, aber er sprach es nicht aus, sondern sagte nur: „Schon gut, Akke, gib fein acht auf das Kind. Zu Mittag bin ich nicht daheim." Verwundert sah im Akke nach. Nun verstand sie keinen mehr von beiden, die ihr ans Herz gewachsen waren — auch die Frau, die sie erst gar nicht gemocht hatte. — Peter fuhr hinaus aufs Meer, nachdem er eine Weile stumm bei seinem Kinde geweilt, das ihn so groß und fragend ansah und mit seinen kleinen Fäustchen Peters Finger umklammerte, als müsse es den Vater festhalten fürs Leben. Auf den vom Wind gepeitschten Wellen, da fand sich Peter wieder. Wenn die Wogen sich vor ihm hochauf türmten und die weißen Wasserberge sein Schifflein auf den Rücken nahmen, um es plötzlich hinab in schwarze weitgähnende Abgründe zu werfen, dann wurde Peters wildes Herz ruhiger. Sein Auge schaute hell, wenn sein Schiff über die weißen Silberberge der Wellen sprang. Sein Fahrzeug war leicht. Keine Schuld machte es schwer — oder doch? Trug er schuld an dem Unheil, das über den Gottes- koog gekommen? Ein böses Streiten gab es noch mit dem wilden Meer — Peter lachte triumphierend und hörte mit Lust die Rahen krachen und stöhnen. Das war fürwahr ein lusti- ger Tanz in der Stunde, als sein Weib für immer sein Haus verließ. — Erst nachdem der Sturm sich ausgetobt und Sonnen gold über den Wassern lag, kehrte Peter in den einsamen Gotteskoog zurück. S — -iiA In dem kleinen Haus in Keitum mit den roten Ziegeln xund der grünen Haustür, über der das graue Dach tief herabhing, war es heimlich und still. Festlich sah es aus in der großen Wohnstube, die man Jngewart Ferks eingeräumt hatte. Mutter Wibke hatte blütenweißen Sand über die Diele gestreut und Sölve darüber die Spitzen der grünen Zwergbirken, die gar süß dufteten. Auf dem runden Tisch stand ein Strauß Heidekraut. Noch trug er keine rosa Glöckchen, doch die Knospen färbten sich schon. Bald würde er blühen, wie draußen die Heide. Durch die Fenster blickte man auf das Watt mit seinen vom Sturm gepeitschten Wogen. Ab und zu brach die Sonne durch und zitterte über die Wellen hin. Jngewart Ferks konnte von seiner tiefen Butze aus durch das Fenster zwischen roten Geranien hindurch das Meer sehen. Das tat ihm wohl. Sölve saß am Fenster und spann, aber immerzu riß der Faden. Das kam, weil sie ost unruhig zu dem Kranken hinüberblickte. „Fühlst du dich etwas besser, Jngewart?" fragte sie ihn sanft und ihre großen, blauen Augen hingen in liebendem Erbarmen an seinen welken, abgehärmten Zügen, an seinen glanzlosen Augen, die sie so sehr ängstigten. „Ja, kleine Sölve," gab er zurück, „es geht mir gut. Bald werde ich aufstehen können." „Gewiß, Jngewart." „Und bann," fuhr er geheimnisvoll fort, „dann gibt es ein seines Leben. Du hast es mir versprochen." Unruhig sah er sie an, da Sölve nicht gleich ant wortete. „Was ich verspreche, halte ich auch, Jngewart, du mußt nur jetzt ganz stille sein." Er strich sich mit der Hand das wirre Haar aus der Stirn. „Ich kann mich gar nicht mehr erinnern," murmelte er, „ist sie tot? Ich wollte sie töten — sb« du, Sölve, wolltest eS nicht."