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pulsmherIa-ebüatt Mittwoch, den K. Mai 1929 Der erste Spargel. Spargelzeit — Feinschmeckers Freudenzeit! Verführe risch locken die ersten Spargel auf den Märkten und in den Schaufenstern in jenem Weiß, das wir an diesem Gemüse so Lieben, während Engländer, Franzosen und Italiener es erst schätzen, wenn das Weiße in ein Blaugrün übergvgangen ist. Erft dann wird der Spargel für sie zur Delikatesse. Der Ge schmack ist verschieden, und man soll über ihn nicht streiten! Die ersten Spargel! Nicht für jedermanns Geldbeutel tragbar! Aber der Minderbemittelte braucht darum nicht traurig oder neidisch zu sein, es bedarf nur weniger Sonnen tage, um die zarten Sprossen zu eifrigem Treiben zu bringen; sie kommen dann in solchen Mengen auf den Markt, daß fast jeder sie sich leisten kann. Nach des Winters schwere Kost — Erbsen, Linsen, Bohnen, Kohl — freut sich der Körper auf leichtere Nahrung; Spargel werden keinen Magen belasten. Und die Zubereitung? — Der Feinschmecker würde es als Kränkung empfinden, wollte man ihm Spargel anders als in Salzwasser gekocht, mit guter Butter als Beigabe, vor setzen. Anders muß die Hausfrau denken, die eine zahlreiche Familie mit dieser gesunden und leichten Kost erfreuen möchte. Sie wird eine sättigende holländische Soße dazu reichen oder in dieser Schnittspargel zur Ergänzung anderer Gerichte geben. — Die Hauptvorzüge des Spargels sind darin zu sehen, daß er nahrhaft, leicht verdaulich und gesundheit fördernd ist. Sein Nährwert liegt darin, daß er trotz seiner 93 Prozent Wasser auch 2 Prozent Eiweiß, 314 Prozent Kohlehydrate und lL Prozent Fett enthält, so daß er immer hin ein nicht zu verachtendes Nahrungsmittel darstellt. Es kommt noch hinzu, daß er fast immer mit Butter gegessen wird, wodurch sich sein Nährwert wesentlich erhöht. Wenn der Spargel weich gekocht wird, ist er leicht verdaulich. Nur Gichtkranke und Nierenleidende Essen ihm entsagen, weil er für sie nicht bekömmlich ist. Anderer seits ist sicher, -aß der Spargel den Ansatz von Eiweiß im Körper befördert, weshalb er als Krankenkost vorzüglich ist. Je frischer der Spargel, desto gesünder ist er, und desto besser schmeckt er. Feuerschäden in aller Welt. Wälder und Heide in Flammen. Seit Sonntag wurde im rheinisch-westfäli- scheu Indu st riegebiet durch Waldgroßbrände ein '600 Morgen großes Waldgelände vernichtet. Aller Wahr scheinlichkeit nach sind diese Waldbrände durch leichtsinnige ^Spaziergänger verursacht worden. Ein großer Waldbrand bei Herdecke wurde durch einen pensionierten Eisenbahn- arbciter hervorgerufen. Er hatte in seinem Garten geflämmt, und das Feuer griff weiter um sich. Als der Arbeiter versuchte, es zu löschen, wurde er von dem Qualm betäubt stürzte zu Boden. Man fand ihn später als ver kohlte Leiche. Großer Waldbrand in der Letzlinger—Heide. Ttendal, 6. Mai. Am Montag brach in unmittel barer Nähe von Dolle ein Waldbrand aus, der sich durch den starken Wind sehr rasch ausbreitete. Die zunächst einge- setzten Wehren der Umgebung konnten des Feuers nicht Herr werden und so wurden schließlich Magdeburg, Garde eg n Die neu« österreichische Regierung. Der österreichische National rat hat am 4. Mai die Wahl des neuen Kabinetts Stree- ruwitz vorgenommen. Unser Bild zeigt die Mitglieder der neuen Regierung beim Emp- fang durch den Bundespräsi denten. Sitzend von links nach rechts: vr. Ernst Streeruwitz, der neue Bundeskanzler. Bun despräsident Miklas und Kriegsminister Vaugoin. Ste hend von links nach rechts: Finanzminister vr Josef Mit telberger, Iustizminister vr. Franz Slama, Minister für Handel und Verkehr vr. Hanns Schuerff, Unterrichts. Minister vr. Emmerich Czer- mak, Acksrbauminister Florian Födermayer und Minister für soziale Verwaltung vr. Josef Resch. Beilage r» Nr. 198 81. Jahrgang heitsmannschasien seien überall aufgestellt, um ein wiederauf flackern des Brandes im Keime ersticken zu können. Es sei jedoch zu befürchten, daß Dienstag früh bei Wiederaufrischen dem Wind das Feuer wieder angefacht werde. Am Brand ort befinden sich technische Nothilfe, Reichswehr und Feuer wehren. In Undeloh im Naturschutzgebiet in der Lüneburger Heide entstand ein großes Schadenfeuer, bei dem zwei Wohn häuser und vier Scheunen eingeäschert wurden. Das Feuer soll durch mit Streichhölzern spielende Kinder verursacht worden sein. Chinesische Stadt vom Feuer zerstört. Schanghai. Hangtschau, die Hauptstadt der Tsche- kiangprovinz und das Zentrum der chinesischen Seiden- industrie, ist durch ein mehrtägiges Feuer zum größten Teil zerstört worden. Die gesamte City der Millionenstadt, in der gerade ein modernes Geschäftsviertel von einer Quadrat meile Umfang im Entstehen war, ist eingeäschert worden. Einstweilen schätzt man den Sachschaden auf etwa 3 0 M illionen DolIar. Er ist nur zum Teil bei englischen Versicherungsgesellschaften gedeckt. Die Feuersbrunst ent stand im Geschästsviertel und verbreitete sich infolge heftigen Sturmes mit so großer Geschwindigkeit, daß alle Rettungs versuche vergebens waren. Die Menschen-verluste sind vor läufig noch unschätzbar. Ueberall irren Obdachlose umher, deren Gesamtzahl in die Hundert tau s e n d c g e h t. Auf den Straßen spielen sich furchtbare Szenen ab. Ueberall suchen die Mitglieder auseinander gerissener Familien einander. Es wurde das Standrecht ver hängt, um Plünderungen zu vermeiden. und Stendal alarmiert. Die Bekämpfung des Brandes, die teilweise durch Gegenfeuer erfolgte, stand unter der Leitung von Landrat Böttger. Um acht Uhr abends traf der Regier ungspräsident aus Magdeburg ein, und teilte mit, daß Pio niere, Schutzpolizei und technische Nothilfe von Magdeburg alarmiert und teilwetse im Anmarsch seien. Das Feuer hatte sich inzwischen auf eine Fläche von schätzungsweise 1000 Morgen ausgedehnt. Die Ursache des Brandes ist in der unsachgemäßen Behandlung von Kohlenmeiler zu suchen. Einer der damit beschäftigten Arbeiter mußte mit schweren Rauch vergiftungen in das Krankenhaus nach Gardelegen gebracht weiden. E'n zweiter Arbeiter wird noch vermißt. Auch sonstige Fälle von Rauchvergiftungen sind verzeichnet worden. Um neun Uhr abends scheint das Feuer zum Stehen gekommen zu sein. Es ist noch zweifelhaft, ob die ongeforderten Mann schaften zum Einsatz gelangen werden. Die technische Noihllse in Magdeburg teilt in den späten Abendstunden mit, daß das Feuer, das insgesamt 1200 Morgen Wald ergriffen hat, durch den eivschlasenden Wind nuderyegangen fei Sicher- Wovon man spricht. Was uns noch passieren kann. — Schmied und Indianer. — Das Frühjahrskleid der anderen. — Ueber den Ozean gegondelt. Es gibt Menschen, die nach außen die friedfertigsten Gotteslämmer sind und sich zu Hause wie richtige Tyrannen gebärden; die das größte Ungemach, das ihnen von Fremden bereitet wird, mit demütig-heiterem Lächeln quittieren, in ihren vier Wänden aber alles kurz und klein schlagen, wenn sich ein Familienmitglied zur ungelegenen Stunde geräuspert hat. Solche Gotteslämmer nach außen und Haustyrannen nach innen sind zuweilen wir Deutschen. Mr wüten im eigenen Lande gegeneinander, wie es ein anderes Volk höchstens seinem ärgsten Feinde gegenüber tut. Der blutige Mai in der Reichshauptstadt war keine alltägliche Demon stration, auch kein simpler „Putsch", sondern der Versuch des Bürgerkrieges. Große Teile unseres Volles sind von einem derartigen fanatischen, blindwütigen Haß gegen ihr eigen Fleisch und Blut erfaßt, daß man ernsthaft fragen muß, ob wir noch ein einheitliches Doll sind. Nach der Inflation haben wir uns leider Gottes daran gewöhnt, viele sehr ernste Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. „Was kann uns denn noch Schlimmeres passieren, nachdem wir so viel schon durchqemacht haben?" — mit diesem leichtsinnig-entsogungs- vollen Gefühl glauben viele sich vortrefflich gegen alle Schreck nisse einer ungewissen Zukunft wappnen zu können. Mit Verlaub, es kann uns noch ungeheuer viel passieren: s o viel, baß wir alle Kriegsprüfungen und Inflationswirren als das allergeringste Uebel zu betrachten geneigt sein könnten. Wissen wir, was ein Bürgerkrieg in vollem Ausmaße heißt? Wißen wir, daß alle Niederlagen, die Rußland im Weltkriege erlitten hat, auch nicht im entferntesten so ver- Heeren- gewesen sind, wie das gegenseitige Schlachten in den Schlachten des Bürgerkrieges? Wissen wir, daß der Bürger- krieg Lie erbarmungsloseste, sinnloseste Menschenausrottung ist, bei der man schließlich Feind und Freund überhaupt nicht mehr unterscheidet, und bei der mit der hingemordeten Der- nunft auch alle materiellen und Kulturwerte in den blutigen Drei hineingestampst werden? — Wer waren die Opfer, die das Wüten verhetzter Mafien in Berlin gefordert Hot? Zum größten TM UnMuM», hie das Unglück hatten, mit dabei zu sein. Bei einem Bürgerkrieg in vollem Ausmaße hat das ganze Volk das Unglück, „dabei zu sein". Wir dürfen uns nicht mit dem Schlofmüßentrost beruhigen, daß Krieg und Jnflation bereits „dos Schrecklichste der Schrecken" gewesen feien. Wenn wir die von der Verhetzung gesäte bruder- mörderische Saat der Zwietracht nicht im Keime unterdrücken, so steht das größte Unglück uns noch bevor. * In einem kleinen oberfränkischen Ort lebt ein 93- jähriger Schmie-, -er älteste feines Berufes in ganz Deutschland, und schwingt noch rüstig den Hammer. Hart und schwer ist sein Tagewerk. Er denkt noch nicht daran, Feierabend zu machen. Noch hat der biedere Meister gehörig zu schuften, denn das Handwerk ist heutzutage nicht auf Rosen gebettet. Da steht er nun in seinem rußigen Kittel vor dem Amboß, erfüllt wacker seine Pflicht und nimmt von der Welt nicht weiter Notiz, ebenso wie auch diese sich nicht weiter um ihn kümmert. Zur gleichen Zeit sitzt in einem der vornehmsten Hotels von Berlin ein 107jähriger Indianerhäuptling in weichen Klubsesseln, empfängt ebenso vornehme Besuche, verteilt verschmitzt und gnädig lächelnd Namensunterfchriften, läßt sich spazieren fahren un- gemeinsam mit eleganten Damen und noblen Würdenträgern photographieren und sorgt sich nicht weiter um fein Fort kommen. Diese Sorge überläßt er vielmehr anderen, die wetteifernd trachten, ihm das Leben in Deutschland so an angenehm wie möglich zu machen. Er hat auch nicht Zeit seines Lebens am Amboß gestanden, sondern ist in seiner Jugend einmal barfüßig durch die brennende Prärie gerannt und hat im übrigen die Weißen nach Strich und Faden skalpiert. Der deutsche Schmied aber kann sich nicht zur Ruhe setzen, weil ihm wohl niemand eine Altersunterstützung ge währen würde. Woran liegt das alles wohl? —Liegt es am Amboß oder an den Skalps? — Es liegt daran, daß wir im Deutschland des 20. Jahrhunderts leben. * Nun ist also der Frühling endlich gekommen, und mit Macht. Kaum ist die ersehnte Hitze da, hat man schon wieder seine Sorgen. Eine der größten Sorgen ist natürlich die — Frühjahrskleidung. Wenn man sich nur darum zu sorgen hätte, was man selbst anziehen solle, wäre die Sache noch nicht einmal so schlimm. Da sind aber „Lie anderen". uns was Sie anziehen, macht manchen manchmal noch mehr Kopfschmerzen. Diese Kopfschmerzen wegen der Frühjahrs- kleidung „der anderen" sind übrigens eine Erscheinung, die man schon im Mittelalter kannte- Im Jahre 1688 bewarb sich ein Lankwitzer Schulmeister beim Großen Kurfürsten um den Posten des Küsters und bat den Kurfürsten in seinem Gesuche, er möge sich nicht durch die Ränke des Schulzen be einflussen lassen, snttemalen besagter Schulze nur aus Neid ihm, dem ergebensten Supplikanten, nicht wohlgesinnt sei: „daß der Hundsfott, unser Schulze, mir Feind ist, das machet, daß meine Frau eben einen solchen rothen Rock des Sonntags trägt wie seine Frau, und wenn ich den Dienst erst haben werde, so mir schon gewiß genug ist, so will ich meiner Frau noch einen besseren Rock machen lassen, als den Schulzen seine hat, es mag den Hundsfott verdrießen oder nicht". — Da sieht man wieder, daß man recht mittelalterlicher Ge sinnung sein kann, wenn man gerade glaubt, so recht modern zu sein. * So, jetzt ist ein Mann also im wahren Sinne des Wortes über den Ozean gegondelt. Der Deutsche Paul Müller ist glücklich nach 10 Monaten mit seinem Ruder- und Segelboote, nachdem er des stürmischen Wetters wegen sich längere Zeit in den verschiedensten Häfen aufgehalten hatte, in Amerika eingetroffen. Von allen Ueber- querungen des Ozeans dürfte dies wohl die gefährlichste gewesen sein. Daß der Rudersmann ein mutiger Kerl ist, sicht somit außer Zweifel. Ob die Fahrt aber auch die sinn- und zweckvollste war? Man könnte sich vorstellen, daß man in 10 Monaten durch eine andere Beschäftigung, und fei es Straßenfegen, der Menschheit nützlichere Dienste hätte leisten können. Aber bald werden wir lesen, daß die Firma, die das Boot erbaute, die beste der ganzen Wett sei, daß der Zwie back, den Herr Müller unterwegs genossen hat, unübertrefflich schmackhaft sei und von der Firma TP. stamme, daß die Romane, mit denen er sich auf dem Ozean die Zeit vertrieben habe, vom Schriftsteller Z. verfaßt seien, den nunmehr jeder mann lesen müsse. Mele Geschäftsleute reiben sich froh die Hände, der Rudersmann freut sich, daß er der Lebensgefahr entronnen ist, und der Ozean wundert sich über die Mensch heit. Sa.