Volltext Seite (XML)
Verrat an Wollmann «—i— Roman von vn. G. Panstingl 26j Urheber-Rechtsschutz für die deutsche Ausgabe: Drei Quellen-Verlag, Königsbrück/Sa. Copyright 1932 by Dr. G. Panstingl, The Hague, Holland Wögerer rieb sich die Wange und kniff vergnügt ein Auge zu. Woltmann lachte Tränen, versprach, recht bald wieder zukommen, und fuhr nach Hadersdorf zurück. Etwa um drei Uhr nachmittags kam er draußen an und traute seinen Augen nicht. Ian stand mit seinem Auto vor dem Haus. In fünf undvierzig Stunden war er vom Haag nach Wien ge kommen. Er mußte wie ein Wilder gefahren sein. Aber das Auto sah auch danach aus! Es war weißgrau statt schwarz, so dick lag der Staub drauf. Zwei Tage bekam Ian zum Ausruhen, und dann fuhren sie alle zusammen weg. Woltmann hatte die Erzieherin wieder zurückgeholt, die Herma wegen Geldmangels hatte entlassen müssen. Erna sah allerdings meistens vorn bei ihrem neuen Freund Ian und lernte Holländisch. Daß sein Herr statt Wernoff nun Woltmann hieß, wunderte ihn nicht. Bei seinem Herrn wunderte ihn schon lange überhaupt nichts mehr. über den Semmering fuhren sie in langsamen Tages reisen nach Italien. Still, zufrieden und glücklich zog Herma dahin. Aber die bleichen Wangen mit den Krankheitsrosen sprachen ihre Geschichte, Sie fuhr wie in einem seligen, goldenen Traum — mit jenen an ihrer Seite, die ihr die Liebsten im Leben waren. Woltmann betreute sie mit blutendem Herzen und Lächeln auf den Lippen. Lange blieb ihm verborgen, ob sie sich ihres Zustandes bewußt war. Endlich eines Abends saßen sie auf dem Balkon ihrer Wohnung in Capri. Herma hielt seine Hand fest und sah träumend hinaus. Und als der Sonnenball im Meer versank, sagte sie leise: „So schön und friedlich sinkt nun auch mein Leben. Und das habe ich dir zu danken, Liebster!" Woltmann schnürte es die Kehle zu. Die alte Selbst beherrschung war von ihm gewichen. „Meine Zeit ist gekommen, und ich scheide willig. Aber vorher mußt du mir noch eines versprechen, Willi! Nicht wahr, du wirst Erna nie fühlen lassen, was ihr Vater und ich dir angetan haben?!" „Liebste!" Eine Träne fiel auf Hermas Hand. „Weine nicht, Willi! Du weißt ja gar nicht, wie glück lich ich bin!" Acht Tage später saßen sie wieder Hand in Hand. „Willi," klang es leise, „uns wird auch der Tod nicht trennen. Ich bleibe bei dir und Erna. Nein, nein! Du ver stehst mich nicht. Ich bleibe wirklich bei euch! Für immer!" Verwundert sah Woltmann sie an. Aber Herma lächelte nur leise und schloß die Augen. Ihr Kopf lag leicht auf der Seite. Woltmann rührte sich nicht, um ihren Schlaf nicht zu stören. Die Schatten fielen. Woltmann stand auf. Kraftlos sank Hermas kalte Hand in ihren Schoß zurück. Um ihren Mund spielte noch immer das Lächeln. Er nahm die Tote mit zurück in die Heimat. Aus dem Hadersdorfer Friedhof ließ er sie zur Ruhe betten. Erna verstand den tiefen Sinn der Feier nicht. Aber der Ernst und die Trauer der vielen Menschen ängstigten sie. Vertrauensvoll schmiegte sie sich an Woltmann und schob ihre Hand in die seine. Und mit Erna neben sich ging er vom Friedhof weg, um sich ein neues Leben aufzubauen. Gewaltig hatten die Erlebnisse der letzten Wochen Wolt manns Innerstes erschüttert. Er, der beinahe ein volles Jahrzehnt krank an seiner Seele gewesen war, dessen Denken und Fühlen ein höhnisches Spiel des Schicksals aus seinen Bahnen geworfen hatte, war durch den neuerlichen Sturm, der über ihn weggebraust war, erwacht und genesen. Friede war dort eingezogen, wo Haß geherrscht hatte. Woltmanns Tatkraft war zurückgekehrt. Nicht jene fieber- und haßgepeitschte Tatkraft der letzten zehn Jahre, sondern die stille und unbezwingliche Tatkraft des gereiften und geläuterten Mannes, der seine Ziele kennt und nun weiß, daß diese neuen Ziele wirklich echt und erstrebenswert sind und nicht wie die früheren nach der Erfüllung einen bitteren und schalen Nachgeschmack im Mund zurücklassen.— Zuerst kam die Kleinarbeit, das Aufräumen der Trümmer des früheren Lebens. Was gab es da nicht alles zu tun!! Woltmann wußte kaum, wo er zuerst beginnen sollte. Vor allem befaßte er sich mit dem Konkurs des Bank hauses Hasenauer. Er nahm Kuppelwalder zu Hilfe und befriedigte in aller Stille die Gläubiger. Dadurch fielen bereits begonnene Rechtsstreite hin, und die Villa Hochstätten kam wieder in den unbedrohten Be sitz der Familie. Dort wohnten nun Else und Helene. Hermas Schwestern. Helene war auf die Nachricht von Hermas Tod sofort aus Holland zurückgekehrt, während Else, die bisher bei ihrer Tante gelebt hatte, mit Freude wieder in ihr Elternhaus einzog, das sie gemieden hatte, solang Hasenauer es bewohnte. Woltmann ließ Erna in der Obhut der beiden Schwestern. Einerseits war es ihm unmöglich, sich im Augenblick dem Kind so zu widmen, wie er es wünschte, und andererseits war er sich klar darüber, daß Erna einer weiblichen Hand zur Leitung ihrer Jugend bedurfte. Dazu waren Hermas Schwestern am berufensten. Natürlich konnte der Tag des Einzuges in die Bank seines Vaters von Woltmann nicht ewig hinausgeschoben werden Vorher gab es aber noch etwas zu erledigen, und jo ließ er sich denn auch eines Tages bei dem Leiter der Rothschildgruppe anmelden. Mit gemischten Gefühlen übergab er dem Diener dort eine Visitenkarte, auf welcher der Name Wernoff stand. Er wurde sofort vorgelassen. Ernst und erwartungsvoll blickte ihn der Mann mit den grauen Haaren und den klugen Augen an. Woltmann wußte nicht recht, wie er beginnen sollte. Der andere merkte den Kampf und half ihm auf eine Weise, die Woltmann nicht erwartet hatte: „Ich glaube zu wissen, was Sie zu mir führt. Ihr letzter Besuch hat mir viel zu denken gegeben. Ich konnte mir die Gründe dafür damals nicht erklären, und so etwas läßt mir keine Ruhe. Ich bin der Sache nachgegangen und habe erfahren, daß die „Ihany" in Amsterdam starke Be ziehungen zum Bankhaus Woltmann in Wien unterhält. Das weitere war dann leicht. Schließlich und endlich dürfen Sie ja nicht vergessen, daß ich sowohl Ihren Herrn Vater als auch Ihre Frau Mutter gekannt habe. Und heute — ohne Bart — sind bei Ihnen das Kinn unH die Wangen form der Gräfin Alexandra Startschewitsch'kaum zu ver kennen, Herr Woltmann!" Den Bart hatte sich Woltmann auf Bitten Hermas hin schon in Italien abnehmen lassen. — — Woltmann schied hier mit der Gewißheit, daß der Leiter der Rothschildgruppe über seinen ersten Besuch in Wien und dessen Zusammenhänge Stillschweigen bewahren würde. Damit hatte er alles erledigt, was ihn noch hin derte; denn Holzhauser hatte Baumgartner, den alten Diener der Woltmannbank, schon vor mehreren Wochen reichlich versorgt in den Ruhestand versetzt. So kam es, daß Woltmann nach dem Besuch in fein , Auto stieg und Ian zurief: „Zur Bank bei der großen Kirche." Jan nickte. Die Bank kannte er. Da stand ja der Name Woltmann über der Tür. Und die Stefanskirche war für : Ian noch immer die „groote kerk". Unangemeldet eilte Woltmann zu Holzhauser hinauf. Der strahlte über das ganze Gesicht. Nun war der Augen blick gekommen, daß der Sohn des Mannes, den er ver- ehrt hatte, als reifer und würdiger Nachfolger dessen Platz emnahm. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Unter den Be amten der Bank ging die Kunde weiter wie ein Lauf feuer. Gruppenweise kamen sie, den neuen Chef zu be grüßen, und in den Augen manches Älteren, der seinen Vater noch gekannt hatte, standen verräterische Schleier. Die Herzlichkeit der Begrüßung rührte Woltmann tief. Nur unzusammenhängend kamen die Worte. — Drei Tage darauf lief alles in Ordnung. Die Zei tungen hatten wohl einen kurzen Bericht über die verspätete Rückkehr eines hervorragenden Mitbürgers aus der russischen Kriegsgefangenschaft gebracht, aber die große Öffentlichkeit nahm kaum mehr als oberflächliche Kenntnis davon. Auch seine Beziehungen mit Holland ordnete Woltmann in aller Stille. Er fuhr selbst hin und ließ im Amsterdamer Handelsregister die „Ihany" in das Eigentum der Wiener Bank „F. Woltmanns Nachfolger" überschreiben. Der be- , währte Sluysman bekam die Leitung dieser nunmehrigen Zweiganstalt. Er dankte ihm dafür mit wenig Worten, denn er war nicht redselig veranlagt, aber Woltmann wußte, daß er sich ' auf ihn verlassen konnte. Ian stellte er frei, bei ihm oder Sluysman zu bleiben, aber dieser erwiderte ihm: „Mijnheer, ich habe keine Wahl mehr! Ich habe Fräulein Erna versprochen, ihr das Autolenken beizu bringen, und Fräulein Helene will es auch lernen." Woltmann lächelte fein, und als er wieder in Wien war, schenkte er den beiden einen kleinen Wagen, ein Ge schenk, das Erna zu einem wilden Rundtanz verleitete und in Helenens Wangen ein feines Rot der Freude auf steigen ließ. Nun saß er im Zimmer seines Vaters mit dem Ausblick auf das tummelnde Leben des Wiener „Grabens" und ar- , beitete an demselben Schreibtisch, an dem schon zwei seiner § Vorväter gewirkt und aufgebaut hatten. Als er einmal zufällig die linke Lade aufzog, sah er ! darin die Holzdose, woraus sein Vater geschöpft hatte, wenn ! es galt, mit der linken zu geben, ohne daß die Rechte es ! wußte. Er öffnete sie und mit tiefer Rührung nahm er einige wertlos gewordene Banknoten aus der Vorkriegs zeit und sogar noch ein paar Silberkronen heraus. Er zog seine Brieftasche hervor und leerte ihren Inhalt in die Dose. Er wußte dabei gar nicht, warum er dies tat. Hätte er es gewußt, so wäre er kein echter Woltmann gewesen. — Zwei Jahre waren vergangen. In der Villa Hoch" stätten wohnte Helene mit Erna und deren Erzieherin. Else war lange schon nach München gezogen, um ihre Aus bildung zur Malerin zu vollenden. Helene war das Rätsel von Hadersdorf geworden. Als Kind und Mädchen ein lustiger Wildfang, rasch zu jedem Streich zu haben, war sie nun ruhig und still geworden. Noch schlummerte in ihr der Schalk und brach manchmal mit einem Scherzwort hervor. Aber doch war sie stiller, als man es von ihr erwartet hatte. „Sie gleicht ihrer Schwester Herma jetzt mehr als früher," sagte ganz Hadersdorf. Dabei glühte in ihr ein für ihre Freunde unfaßbares Etwas. Man fühlte es, ohne es deuten zu können. Jeden Nachmittag, pünklich um halb sechs Uhr, kam Woltmann aus der Stadt und verbrachte den Rest des Abends mit Erna und Helene. Diese Besuche waren ihm zur Lebensnotwendigkeit geworden, wenngleich er sich über Wieso und Warum nicht völlig klar war. Er wußte nur, daß er dem Gefühl, das ihn dazu bewegte, folgen mußte. Helenes Geburtstag fiel in die erste Hälfte des Monats Mai. Woltmann verließ an diesem-Tag schon um vier Uhr jein Bureau. Langsam schlenderte er durch die Kärntner- strahe. Was sollte er Helene geben? Er zerbrach sich den Kopf und blieb endlich vor einem Iuwelierladen stehen. So schön und künstlerisch die Stücke dort auch waren, so konnte er sich doch nicht entschließen, etwas davon zu kaufen. Er ging weiter und sah in einem Blumenladen eine Vase mit herrlichen, halberblühten Rosen. Rasch trat er ein und kaufte den Strauß. Dann ging er zur Bank zurück, wo Ian mit dem Wagen wartete. Er lenkte diesmal wieder selbst. Irgend etwas schien ihn zu treiben, so schnell ließ er den Wagen dahin fliegen. Die Natur hatte sich das Wunderkleid des Frühlings angezogen. Woltmann sah es nicht, aber er fühlte es. Jetzt schritt er durch den Garten. Wie eigentümlich! Genau so hatte auch damals die Terrasse durch den Blätter schleier geschimmert, damals — als er noch Wernoff ge heißen hatte. Und auf der Terrasse die Gestalt!? War es denn wirklich nicht dieselbe? Wie kam es doch nur, daß er plötzlich die zwei Gestalten nicht mehr voneinander trennen konnte?! Sie verschwammen in eine. Herma war ihm zu Helene geworden. Und diese eine stand da oben und sah ihn mit freudig erstauntem Blick an und eilte ihm entgegen. Er sah sie kommen und auf einmal rauschte sein Blut gewaltig auf. Er öffnete die Arme, und sie flog an sein Herz und küßte ihn. als ob sie ihn jahrelang nicht gesehen hätte. Und er küßte sie wieder und wußte, düß er sie liebte und haben und halten würde bis an sein Ende. Da verstand Woltmanns Seele Hermas letzte Worte: „Ich bleibe bei euch — für immer!" Ende. Nachwort des Verfassers. Liebe Kameraden! Wenn dies Buch einem von euch, die in Sibirien mit mir zusammen gefangen saßen, in die Hand fallen sollte, so möge er es nicht mit dem Maßstab des scharfen Lokal kritikers messen. Ich habe Woltmanns Geschichte schreiben wollen, und Sibirien ist für diese nur ein zeitlich begrenzter Hintergrund. Ich habe diesen Hintergrund so wahr, als es mir möglich war, gezeichnet. Freilich habe ich dabei manche Einzelheit nach Omsk verlegt, die ich irgendeinem anderen sibirischen Orte entnommen habe, von denen ich auf meiner Flucht in einer monatelangen Irrfahrt genug kennengelernt habe. Auch die Menschen, die ich im sibirischen Abschnitt dieses Buches zeichnete, lebten. Freilich habe ich sie so verkleidet, daß sie nicht zu erkennen sind. Kuppel walder, Hatfeld und Wögerer bin ich dort begegnet. Und vielleicht erinnert sich noch ein oder der andere an den Helden, der mich die Figur Hinterhalters schaffen lieh, und der, verwegen bis zur Selbstvernichtung, seinen tollkühnen Angriff auf den transsibirischen Schienenstrang unternahm. Seine Tat wartet noch immer auf den Sänger. Möge ein Größerer als ich sie besingen! Sie verdient es, der Nach welt in würdiger Form überliefert zu werden. Auch Wolt mann habe ich in Sibirien getroffen. Bei ihm habe ich das Schicksal zweier Kameraden zusammengeflochten. Der eine starb drüben, und ich stand vor seiner Leiche wie der Woltmann meines Buchs vor Hatfelds Leiche. Der andere ist nach Europa zurückgekommen und hat aus den Resten seines Lebens gemacht, so viel daraus eben noch zu machen war. So entstand diese Geschichte. Den Haag, im Herbst 1931. Dr. G. panslingl.