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Donnerstag, den 29. September 1932 Pulsnitzer Tageblatt 84. Jahrgang, Nr. 229, Seite 6 Verrat an Wollmann Roman von G. Panstingl Ms Urheber-Rechtsschutz fiir die deutsche Ausgabe: Drei Quellen-Verlag. Königsbrück/Sa- Copyright 1932 by vr. G- Panstingl, The Hague, Holland Er zeigte, daß er schon sehr viel wußte, und daß ihn nur mehr eine ganz dünne Wand von der vollen Wahrheit trennte. „Mit welchem Recht verlangen Sie die volle Wahrheit?" „Mit dem Recht dessen, der auf Ihrer Seite kämpft! Aus welchen Gründen, ist Nebensache. Ich kämpfe aber sicher dem gleichen Ziele zu. Und ob Sie es mir nun glauben oder nicht, mein Ziel heißt nicht Gewinn!" Sein Gegenüber hatte schon so viel über ihn gehört, daß er geneigt war, es zu glauben. Wernoff sah das Schwanken und zog gleichzeitig seine Brieftasche. „Zum Beweis meiner Aufrichtigkeit bin ich bereit, eine Bürgschaftssumme zu erlegen." Und ein Bankscheck über zehn Millionen Hollandgulden flatterte achtlos auf den Tisch. „Was soll das bedeuten?" „Die Summe stelle ich Ihnen bis zur nächsten Ab rechnung bedingungslos zur Perfügung. Was ich von Ihnen wissen will, ist der Stichtag. Wann schlagen Sie los? Sagen Sie mir den Tag und — behalten Sie diese Summe, wenn Sie bei der Abrechnung der Ansicht sind, daß ich ihr Vertrauen mißbraucht habe!" Zehn Millionen Hollandgulden waren selbst für die Rothschildgruppe damals ein Posten flüssigen Geldes, der wog. Unschlüssig fingerte die Hand den Scheck. Zehn Mil lionen flüssige Hollandgulden! „Spielen wir doch mit offenen Karten! Was fürchten Sie noch?" „Zehn Millionen Hollandgulden sind ja eine ganz schöne Summe. Aber mit der Mitteilung, die Sie verlangen, kann noch mehr gewonnen werden." „Und meine Bank in Amsterdam ist Ihrer Vergeltung ausgeliefert! Ich weiß internationale Kräfte zu schützen." Sein Gegner lächelte fein. „Sie führen eine gute Klinge, Herr Wernoff. Wir werden noch öfters zusammen arbeiten." Und auf dem Abreißblock zeichnete die Hand mit dem Bleistift ein Datum. Wernoff nickte und ging. Er hatte nicht einmal eine Quittung über die Summe des Bankschecks verlangt. Zwei Tage später kam er vormittags in die Bank Hajenauers. Dort ging es zu wie toll. In dicken Reihen drängten sich die Menschen vor den Marmortischen. Dennoch wurde Wernoff sofort in Hasenauers Zimmer geführt. „Jetzt müßte man etwas wissen! Jetzt ist der große Augenblick da!" rief dieser aufgeregt seinem Besucher ent gegen. „Ja, was wollen Sie denn wissen?" „Verstellen Sie sich doch nicht! Natürlich dreht es sich um den Pariser Franken. Wird er steigen oder fallen?" Nur sehr gut Eingeweihte konnten wissen, daß Hase- nauer einen großen Gewinn schon recht nötig hatte. Aber Wernoff war sehr gut eingeweiht. „Ich komme zufällig wegen derselben Sache! Würden Sie die Freundlichkeit haben und sofort für mich hundert Millionen Franken verkaufen! Hier ist die Deckung. Zählen Sie nach." Und Wernoff legte ein Bündel Banknoten auf den Tisch. Hasenauer schnappte nach Luft. Also so stand es. In ihm jubelte es. Jetzt war er sicher. Davor verstummte jeder Zweifel. Wenn der glänzend informierte Amsterdamer hundert Millionen verkaufte, dann wußte er etwas. Mit zitternden Händen griff er nach den Banknoten und zählte sie. Dann ging er zum Telephon und gab den Auftrag nach der Börse durch. Kaum war Wernoff bei der Tür draußen, ging er wieder zum Telephon und erhöhte den Auftrag auf zweihundertundfünfzig Millionen. Seine Stimme zitterte so, daß sein Börsenprokurist das geheime Erkennungswort ver langte. Aufatmend sank Hasenauer in den Stuhl zurück. Auch er konnte groß sein, nicht nur der Amsterdamer. Daß dieser selbst heute, obwohl er ganz auf der Innenseite der Sache stand, obwohl er wußte, was kommen würde, nicht speku liert hatte, ahnte Hasenauer ja nicht. Eine Telephonverbindung zwischen Wien und Amster dam bestand noch nicht. Wernoff hatte seinen Privatsekre tär telegraphisch nach Frankfurt a. Main kommen lassen. Dort sah dieser in einem Hotelzimmer vor einem Telephon. Im Postamt am Börsenplätze in Wien stand Ian in einer Telephonzelle und wartete auf seinen Herrn seit dem Augen blick, da dieser bei Hasenauer eingetreten war. Die dringende Verbindung mit Frankfurt bestand bereits sechszehn Mi nuten, als Wernoff in die Zelle trat und nur ein Wort in die Muschel sagte: „Kaufen!" „Jawohl, kaufen, danke!" schallte es von Frankfurt zurück, und der Sekretär lief ins Nebenziinmer, wo eben falls ein Telephon hing, das bereits sieben Minuten lang mit Amsterdam verbunden war und sagte: „Koopenl" „Koopen zal gebeuren! Dank U." i „Kaufen — wird geschehen. Danke!" Eine Minute später war der Auftrag in der Börse am Amsterdamer Damrak, und während der Prokurist Hase nauers in Wien hundert Millionen Franken verkaufte, taufte der Prokurist der „Jhany" in Amsterdam zur beinahe gleichen Minute ganz dieselbe Summe. Der Unterschied konnte nicht viel ausmachen. Wernoff hätte in diesem Fall ruhig das Zehnfache kaufen können. Aber er tat es nicht. Er war ja kein Spieler mehr. Sein Ziel war nicht Gewinn. Am nächsten Morgen ging es los. Der Franken zog an. „Vorübergehend," tröstete sich Hasenauer und beglich die offenen Posten noch nicht. Er hätte zwar selbst diesen Verlust mit eigenem Geld nicht mehr decken können, aber das waren Erwägungen, über die er hinaus war. Am Mittag wurde ihm der volle Umfang der Kata strophe klar. Barhäuptig lief er zur Börse. Mit den Fäusten bahnte er sich einen Weg durch die wogende Menge. Im Börsen saal kochte eine heißerschreiende, gestikulierende Sturmflut ruinierter Leute.' Als er eintrat, hörte r gerade, wie einer einem anderen beim Vorbeilaufen zurief: „Der Baumann hat sich erschossen!" Nach einer halben Stunde wankte er in sein Bureau zurück. Er war völlig fertig. Diesen Verlust konnte er nicht einmal mehr mit fremdem Geld decken. Starrenden Blicks saß er vor seinem Schreibtisch. Er >ah nichts, aber sein Gehirn arbeitete mit überdruck. Da durchzuckte ihn ein Gedanke. Er rief das Hotel an, wo Wernoff wohnte. Der mußte ihm helfen. Gleich darauf hörte er dessen Stimme: „Hier Wernoff — wer dort?" Mit fliegender Hast ersuchte er ihn um Hilfe. „Vorübergehende Krisis — — — als Deckung das Bankhaus . . .!" Die Worte überstürzten sich. Wernoff ließ ihn ausreden. Dann sagte er kühl: „Ich bedaure, Herr Hasenauer, aber es widerspricht meinen Plänen, Ihnen Geld zu borgen." Was buchstäblich wahr war. Hasenauer ließ den Hörer fallen. Es war aus. Aus mit ihm. Morgen drohte ihm der Staatsanwalt! Langsam — wie träumend — zog seine Hand die rechte Schreibtischlade auf. Dort lag seine Steyrpistole, die er noch im Krieg benutzt hatte. Da fiel sein fiebernder Blick auf einen weißen Briefum- jchlag, der mitten auf seinem Schreibtisch lag Gott im Himmel! Was war denn das? Gab es heute noch Leute, die schlechte Witze machen konnten? In großen. , klaren Buchstaben stand aus dem Umschlag: Herrn Freddy Hasenauer Leutnant im III. Husarenregiment Dringend. Durch Boten. Wer hatte die unendliche Geschmacklosigkeit, ihm heute einen Brief zu senden, der so außer jeden Verband mit den geänderten Zeiten stand? Freddy! Freddy Hasenauer! Leut nant der dritten Husaren! Und doch — — — es lag eine höhnische Drohung in dem Unfug. Heute, am Tage seiner tiefsten Erniedrigung, kam solch ein Brief! Wer schrieb ihm so, und was wollte er? Scheu griff er nach dem Umschlag und riß ihn auf. Ein vergilbter, zerknitterter Brief fiel heraus, und ver ständnislos las er: „Mein Innigstgeliebter! Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Freude mir dein letzter Brief gemacht hat. Ich kann es in Worten nicht schildern. Ich müßte zu den Sternen greifen, um mein Glück zu beschreiben " Was sollte das bedeuten? — Wo hatte er doch diesen Brief schon gelesen? — Die Schattenschwingen eisiger Furcht legten sich auf seine zerrüttete Seele. Er fühlte die geheimnisvolle Warnung vor noch größerem Unheil. Er zermartete sein Gehirn. Er wußte, dieses Blatt hatte er schon einmal in der Hand gehabt. An einem Wende punkt seines Lebens! Wann war es doch gewesen? Dann heulte er auf. Er schrie das Wort heraus, er brüllte es wie ein angeschossenes Tier. Wären die wohl gepolsterten Doppeltüren nicht gewesen, die sein Zimmer vor Lauschern beschützten, wäre die ganze Bank zusammen gelaufen. So brüllte er den Namen „Woltmann!" Standen die Toten wieder auf? Kam die Strafe, die l Rache aus dem Jenseits schon? Seine Finger umspannten den Griff der Pistole, und während des Bruchteils der Sekunde, da die Kugel den i Lauf verließ und sein Gehirn zerriß, kam ihm die r- kenntnis: Wernoff war Und über tausende weißglühende, zersplitternde Sterne, über ein Feuerwerk von blutig verzischenden Sonnen legte > sich Nacht. Den harten Knall der schweren Pistole hatten selbst die Doppeltüren nicht dämpfen können. Vom Laufburschen bis zum Prokuristen drängte sich alles ins Chefzimmer. Zu helfen war da nicht mehr. Man legte den Körper auf den Teppich. Dann entdeckte einer den vergilbten Brief. „Mein Innigstgeliebter! Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Freude. . ." Der Prokurist unterbrach ihn. Solche Worte gehörten nicht der Öffentlichkeit. Der Prokurist war immer peinlich korrekt — in der Öffentlichkeit. Ein mageres Schreibmaschinenfräulein seufzte: „Wie romantisch! Das Letzte, was er gelesen hat, war ein alter Liebesbrief seiner Frau! Wie man sich doch in Menschen irren kann!" Der Prokurist ließ den Brief wieder in einen Umschlag - legen und zusiegeln. Auf alles andere mochte der Konkurs kommissar Beschlag legen. Auf diesen Brief hatte nur Frau Herma Hasenauer ein Recht. Schließlich mußte er jetzt sowieso zu ihr hinausfahren. Gut, daß der Chef ein Auto hatte! Inmitten des Tumults betrat Wernoff die Bank. Man bedauerte und teilte ihm den traurigen Vorfall mit. Wernoff nickte und ging wieder weg. Vor der Tür stand sein Auto. Er stieg ein und sagte zu Ian: „Nach Hause!" Genau so, wie er es stets nach der Börse in Amsterdam gesagt hatte. Ian legte die Hand an die Kappe und schaltete ein. Er hatte nichts anderes erwartet, nachdem sein Herr schon im Laufe des Vormittags die Koffer auf das Auto hatte schnallen lassen. Im Gegenteil, er hatte aus eigenem An trieb den Reservetank mit Benzin füllen lassen und neue Zündkerzen eingeschraubt. Auf Ian konnte man sich ver lassen. Die Straße nach Amsterdam führt durch Hadersdorf. So kam es, daß bald nach Wernoffs Auto der Wagen Hasenauers dieselbe Strecke fuhr. Drinnen saß der Prokurist Hasenauers und fuhr zu Frau Herma. Tränenlos und unbewegt vernahm sie die Botschaft. Erstaunt blickte sie aber auf, als sie die Worte hörte: „Möge es Ihnen, gnädige Frau, in Ihrem Schmerz zum Trost dienen, daß Ihr Gemahl noch im letzten Augen blick an Sie gedacht hat. Vor dem entscheidenden Schritt las er noch einen Brief, den Sie ihm in der Brautzeit schickten." Frau Hasenauers Augenbrauen gingen unmerklich hoch. Sie wußte genau, daß sie ihrem Bräutigam niemals geschrieben hatte. Er war ja stets in Wien gewesen. Außer dem war ihr Verhältnis zu ihm nicht so gewesen, daß ihr Herz sie zum Briefeschreiben veranlaßt hätte. „Ich habe den Brief versiegeln lassen und lege ihn in Ihre Hände zurück." Frau Hasenauer neigte dankend das Haupt. Als er weg war, riß sie den Umschlag auf. Einen Blick warf sie darauf, und sie wußte, was sie in den Händen hielt. Sie hatte den jammervollen Schlag nicht vergessen, den ihr der Empfang dieses Briefes einst versetzt hatte. Woher war dieser Brief wieder aufgetaucht? Gerade heute!! Und in der Hand ihres Gatten?? Was hatte Friedrich Hasenauer mit diesem Brief zu tun? An dem Tage, da er sich erschoß? Das war kein Zufall! Soviel Zufall gab es INI Leben? nicht! Im letzten Augenblick hatte er diesen Brief gelesen! Warum hatte er ihn wieder hervorgeholt? Und wenn er ihn hervorgeholt hatte, warum hatte er ihn aufgehoben? Ihre Gedanken jagten. Sie mußte sich festhalten. Hasenauer war doch Adjudant gewesen. Die Post — — ging durch leine Hände Sie ahnte fürchterlichen Verrat. Und noch war des Grauens kein Endel Wenn es wahr wäre, was sie ahnte, dann hätte er doch den Brief vernichtet. Natürlich! Wer hebt den Beweis seiner eigenen Schuld auf? Sicher nicht Hasenauer — der Schlaue, der die Spuren seiner Ränke verdeckte wie der Fuchs. Er hatte ihn nicht hervorgeholt! Nein der Brief war ihm zugesandt worden! Und dann hatte er sich erschossen — aus Angst? Aus Verzweiflung? Aus Reue . . .? Und der ihn gesandt hatte, das konnte doch nur einer sein! Nur einer! Und der mußte leben! Er lebte! Er war also doch Die Erzieherin fand die Ohnmächtige halb im Zimmer, halb noch auf der Terrasse und trug sie mit dem Dienst mädchen ins Haus. — XXIV. Die große Leere. In langsamen Tagesreisen fuhr ein stiller Mann durch die herrliche Schönheit der österreichischen Lande. Was mit Wernoff geschehen war, seit er das Bankhaus in der Neuthorgasse verlassen hatte, begriff Ian nicht. Aber Wernoff war nicht mehr zu erkennen. Alle Eigenschaften, die früher so unendlich charakteristisch für ihn gewesen waren, zeigten eine tiefgehende Wandlung. Früher hatte er wenig gesprochen. Nun sprach er über haupt fast gar nichts mehr. Und doch war sein jetziges Schweigen weniger hart und abweisend als seine frühere Kürze. Es lag eher ein Stück gleichgültiger, matter Ent sagung darin. Manchmal lenkte er seinen Wagen selbst. Das schien ihm noch einige Freude zu machen. Aber auch dabei fiel die Veränderung auf. Ehedem hatte er stets zu Ian gesagt: „Setzen Sie sich in den Wagen. Ich lenke selbst." Nun sagte er: „Ian, rücken Sie auf den anderen Sitz." So blieb Ian vorne neben ihm sitzen und sah mit Ver wunderung, daß sein Herr, der früher stets so rasch gefahren war, als die Straße es zuließ, nun ruhig und langsam fuhr als ob er niemals „über hundert gemacht" hätte. Sechzig bis siebzig, darüber ging Wernoff nicht hinaus, und kam ein Hindernis, so fuhr er im Gehtempo. Ganz in Gedanken vergaß sich Jan einmal und machte eine Bemerkung über die Gegend. Scheu sah er seinen Herrn von der Seite an, wie er es auffassen würde. Aber dieser nickte. Er stimmte Jans Bemerkung zu. tKortkekuna kolat.i